Pädagogisches Fernsehen
Nach den Vorfällen auf der Kölner Domplatte

VERÖFFENTLICHT 7. JANUAR 2016

Über die massive sexuelle Belästigung am Kölner Hauptbahnhof und damit verbundene Delikte wie Diebstahl, Raub und in einem Falle sogar Vergewaltigung, berichtete die ARD sehr spät, das ZDF erst einmal gar nicht. Kleinlaut spricht man inzwischen von einem „Fehler“. In anderen Fällen wird bei solcher Art „Aufreger“ sofort ein Brennpunkt gesendet, werden weinende Frauen interviewt, die Familien gezeigt, Bürger auf der Straße gefragt, was sie denn davon halten, ein Kommentar jagt den anderen.

Nicht dass ich diese Art der Berichterstattung gut finde: sie ist mehr Infotainment als Information, die Darstellung des Leids in solchen Einzelmosaiken ist oft unsachlich, Emotionen werden geschürt. Aber warum wurde im vorliegenden Fall dann alles anders gemacht: verschämt geschwiegen, dann kurze Meldungen, keine Interviews mit Opfern, keine „Volkes Stimme“ vor den Mikrofonen ?

Das hat mit dem Konzept des „pädagogischen Fernsehens“ zu tun, das sich offenbar in den Köpfen bei ARD und ZDF festgesetzt hat. Man will das Publikum erziehen, nicht informieren. Das Merkmal journalistischer Qualität war vor langer Zeit einmal die möglichst strikte Trennung von Nachricht und Kommentar. Die Nachrichten in ARD und ZDF beginnen meistens mit einem wertenden Kommentar, bevor noch irgendeine Nachricht ausgesprochen wird. Das Publikum wird als unmündig behandelt, das zuerst einmal gesagt bekommt, was es „davon zu denken hat“, bevor es – wenn überhaupt – erfährt, worum es eigentlich geht.

Schon im Vergleich mit einem weitaus nüchterneren Nachrichtensender wie euronews zeigt sich, dass die ARD/ZDF-Nachrichten wie eine Unterrichtsstunde verlaufen: nur wenige Themen werden berührt – bloß keine Überforderung, drei Viertel der Nachrichten, die bei euronews kommen, finden in ARD/ZDF gar nicht statt. Dann klare Ansage, in welche Schublade die Nachricht einzuordnen ist. Das wertende Vokabular überwiegt, allerdings nur das politisch korrekte. Wenn dann noch Zeit ist, werden noch ein paar völlig irrelevante, aber unterhaltsame Brocken hinzugefügt: Drei Tote bei einer Messerstecherei in Jerusalem oder Bangkok werden dann gemeldet (und nichts über Messerstechereien in einem Flüchtlingsheim in Deutschland), ein irrelevantes Erdbeben der Magnitude 4,6 auf einer Karibikinsel (kommt fast täglich ein paar Mal vor), Unsicherheit auf den Straßen von Mexiko (aber nicht auf den Straßen von Neukölln) – und immer wichtig: willkürlich herausgegriffene Publikumsstimmen zu allem und jedem: „was halten Sie von…“ – die dann zu einem „ausgewogenen“ Blödsinn zusammengestellt werden und den Zuschauer nur vorführen, wie blöd Zuschauer eigentlich sein können.

Ich gehe davon aus, dass die Redakteure und Journalisten ein sehr edles Motiv umtreibt: Schließlich hat die Presse schon oft genug Konflikte geschürt, Vorurteile bekräftigt und sogar Massaker ausgelöst (siehe Ruanda). Jetzt will man Ausländerfeindlichkeit bekämpfen, gegen „rechts“ kämpfen (mit gewisser Orientierungslosigkeit: Burka ist „links“, geltende Gesetze an der Grenze einhalten ist „rechts“) und zum inneren Frieden beitragen. Dabei geht dann die Wahrheit unter, die ja ohnehin „relativ“ ist, dabei wird dann auch vieles Verschwiegen, weil es nicht verantwortbar ist, den Rechten in die Hand zu spielen, dabei wird dann auch der Kommentar mitgeliefert, der da lautet: denkt positiv, alles läuft gut, bloß keine Überreaktion. Jetzt macht eure Hausaufgaben, liebes Publikum, bleibt ruhig bis zur nächsten Tagesschau!

Wie so oft ist gut gemeint das Gegenteil von gut getan! – Wenn das Goebbels-Schlagwort von der „Lügenpresse“ sich ausbreitet, dann sollte uns das einen Schauer über den Rücken jagen: wir wissen ja sehr gut, dass dieses Schlagwort vom König der Lügner stammt. Aber die Nachrichten-Pädagogik hat vielen Menschen das Gefühl gegeben, entgegen ihrer Menschenwürde als unmündig behandelt, ja „verarscht“ zu werden. Wenn ARD und ZDF das Vertrauen verspielen, wenn das Vertrauen auch in die schreibende Presse sinkt, dann wird der Raum frei für die modernen Goebbels, für Hasstiraden in den Neuen Medien. So entstehen aus edler Absicht die schlimmsten Konsequenzen. Man will Polarisierung verhindern – und polarisiert so erst recht.

Das ist das Gegenteil einer verantwortlichen Presse !