Politische Verfolger
genießen Asyl

Das Grundgesetz zur Staatsangehörigkeit und zum Asylrecht

Bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes spielten die Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Regime zwischen 1933 und 1945 eine große Rolle. Das spiegelte sich im ursprünglichen Artikel 16 GG wider:

Artikel 16

(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.

(2) Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Politisch Verfolgte genießen Asylrecht."

Heute ist der damalige Artikel aufgespalten worden. Artikel 16 befasst sich nur noch mit der deutschen Staatsangehörigkeit und ihrem Verlust und der Auslieferung von Deutschen ins Ausland,  während das Thema des politischen Asyls im neuen Artikel 16a behandelt wird.

Artikel 16

(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.

(2) Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind."


Zur Frage der deutschen Staatsangehörigkeit

Art.16 Abs.1 blieb unverändert. Es wird zwischen Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit und ihrem Verlust auf Grund eines Gesetzes unterschieden. Der Entzug war eine administrative Maßnahme - so wie sie von den nationalsozialistischen Behören in großem Umfang verfügt worden wurde - insbesondere gegen jüdische Mitbürger. Dies wird durch das Grundgesetz untersagt. 

Der Verlust der Staatsangehörigkeit auf Grund eines Gesetzes ist aber zulässig. Der häufigste Fall ist sicher der Verlust durch freiwilligen Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit ohne ausdrückliche Genehmigung der Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit. Auch andere gesetzliche Verlustgründe sind zulässig. 

Im Laufe der Jahre wurde der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit erleichtert. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit sind nicht im Grundgesetz, sondern überwiegend im Staatsangehörigkeitsgesetz geregelt worden, haben also keinen Verfassungsrang. 

Hervorheben will ich nur zwei der möglichen Verlustgründe: der Eintritt in eine fremde Streitmacht, und die Rücknahme einer Einbürgerung, wenn diese auf Grund von Täuschung, Drohung oder Bestechung oder irreführenden Angaben erschlichen wurde (§ 35 StAG). Letzteres dürfte angesichts der  seit 2015 starken Einwanderung relevanter werden, da falsche Angaben zur Person in Asylverfahren häufiger geworden sind.


Zur Frage der Auslieferung an das Ausland

Die Auslieferung Deutscher an das Ausland bleibt unzulässig. Aber es sind zwei Ausnahmen eingeführt worden. An Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und an internationale Gerichtshöfe darf auf gesetzlicher Grundlage auch ein deutscher Staatsangehöriger ausgeliefert werden. Denn acht Wörtern des ursprünglichen Textes des Grundgesetzes wurden dafür 25 Wörter hinzugefügt.

Der Asylkompromiss von 1993 - Artikel 16a

Der Druck der Einwanderung mit Hilfe der Asylregelungen wurde so groß, dass 1993 ein überparteilicher Kompromiss geschlossen wurde, den lapidaren zweiten Satz von Art.16 (2): "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." durch einen neuen Art.16a zu ersetzen. 

Die ursprüngliche Fassung des Artikel 16 hatte trotz aller gesetzlichen Regelungen offenbar zu viele Lücken, die zunehmend von Richterrecht ausgefüllt und mit neuen Interpretationen ergänzt worden waren. Insbesondere wurde das Asylrecht immer stärker als ein individuelles Grundrecht jedes Asylbewerbers ausgestaltet, das selbst gesetzliche Ausgestaltungen stark beschränkte. Das ist der Grund, warum im neuen Artikel 16a eigentlich typisch gesetzliche Regelungen in die Verfassung geschrieben wurden. Aus vier Wörtern wurden 256 Wörter.

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, dass ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, dass er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann dabei abweichend von Artikel 19 Absatz 4 eingeschränkt werden.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muss, Regelungen über Zuständigkeiten für die Prüfung von Asylanträgen einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen."

Die heute geltende Fassung ist Teil der Verfassung, wird aber von vielen nach wie vor als ein "Kompromiss" angesehen, der einigen zu weit geht und anderen nicht weit genug. 

Das von der Verfassung geschützte individuelle Recht auf Asyl für eine "politisch verfolgte" Person ist ein hohes Gut. Allerdings ist das auch eine erhebliche Einschränkung. Denn wie man an anderen Stellen des Grundgesetzes sieht, werden dort auch andere Gründe z.B. für eine Diskriminierung genannt, die allesamt untersagt werden. Das Asylrecht schützt ausdrücklich nicht vor allen anderen Beschwernisse des Lebens, wie sie in vielen Teilen der Welt und in vielen Gesellschaften vorkommen.

Durch den Bezug auf die Genfer Flüchtlingskonvention sind aber einbezogen: Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Meinung. 

In der Neufassung als Artikel 16a wird allerdings über die politische Verfolgung hinaus auch ein allgemeiner Schutz gegen die Auslieferung in alle Staaten gewährt, in denen "politische Verfolgung oder unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet". Das ist eine erhebliche Erweiterung und gewährt über den individuellen Schutz eine Art kollektiven Schutzanspruch, der für alle Bürger der so charakterisierten Staaten gilt, wenn immer sie Gelegenheit haben, diesen Anspruch geltend zu machen. 

Als Kriterium wird auch nicht die individuelle Verfolgung betrachtet, sondern die zugrundeliegende "Rechtslage", die "Rechtsanwendung" und die "allgemeinen politischen Verhältnisse". 

Diese Erweiterung war schon vor dem "Asylkompromiss" durch Richterrecht und Rechtsauslegung vorgezeichnet, wird aber inzwischen zu einer der Ursachen, warum die inzwischen entstandene Migrationskrise kaum mehr lösbar ist.

Durch Absatz 3 wird notwendig, durch Gesetz "sichere Herkunftsstaaten" festzulegen. Die Kriterien sind vage und erlauben erhebliche Spielräume für die Beurteilung der Lage. Warum ein solches Gesetz die Zustimmung des Bundesrates benötigt, erschließt sich mir nicht aus der Systematik der Verfassung. Die Beurteilung der Kriterien im Ausland ist Sache der Auslandsvertretungen und damit der Exekutive des Bundes, der dazu eine ausschließliche Kompetenz hat. 

Vereinzelt wurde als Konsequenz daraus gefordert, dass Ausländer auch vom Ausland aus einen Asylantrag stellen können. Nach Absatz 3 würde dieser Antrag ja praktisch für die gesamte Bevölkerung Erfolgsaussichten haben, wenn nur die kollektiven Kriterien erfüllt sind. Dann ist jedenfalls eine eingehende Prüfung der individuellen Kriterien geboten.

Im Jahre 1949 hatte man ein recht klares Bild vor Augen, was unter "politischer Verfolgung" zu verstehen war. Gemeint waren die totalitären Regime des Nationalsozialismus und des Stalinismus. Nicht gemeint waren die kolonialen Regime, dienoch einige Jahre fortdauerten. 

Viele UN-Mitgliedsländer, darunter auch westeuropäische Staaten wie Großbritannien und Frankreich, wendeten noch die Todesstrafe an. Dies war offensichtlich nicht mit "unmenschlicher und entwürdigender Bestrafung" gemeint.