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Schnelles Denken, Langsames Denken

Warum umgeben sich Menschen bevorzugt mit Gleichgesinnten?

Und warum fällt es Menschen so schwer, konstruktiv mit Meinungsverschiedenheiten umzugehen, Kritik auszuhalten, oder ihre Meinung zu ändern, v.a. wenn es um komplexe, ethisch-moralische Themen geht?  

Antworten auf diese Fragen finden wir in der kognitiven, Verhaltens- und Sozialpsychologie. 

Ein Teil der Antwort liegt in der Tatsache, dass der Großteil unserer geistigen Prozesse unbewusst, schnell und automatisch abläuft, und nur ein geringer Teil vom bewussten, konzentrierten, rationellen Denken bestimmt wird. So unterscheiden Psychologen oft vereinfacht in diese zwei unterschiedlichen "Denkweisen" - das schnelle, intuitive, automatische "System 1" und das langsame, rationelle, bewusste "System 2". 

Der israelisch-amerikanische Psychologe Daniel Kahneman hat diese Erkenntnisse in seinem 2011 erschienenen Buch Thinking, Fast and Slow (in deutscher Version: Schnelles Denken, langsames Denken) populär gemacht. 

Daniel Kahneman 

Folgende Prozesse sind in der Regel Aufgabe des schnellen, automatischen Denkens:

Ein Fahrrad zu fahren ist eine komplexe Aufgabe, aber wenn wir es erst einmal gemeistert haben, können wir es ziemlich einfach und ohne Konzentration tun - was früher System 2- Arbeit war, wird zu System 1. Dann wird es für unser Gehirn jedoch schwer, ein Fahrrad zu fahren, das ganz anders funktioniert.

Schnelles Denken und "kognitive Verzerrungen"

Schnelles Denken führt zu einer verzerrten oder vereinfachten Wahrnehmung der Realität. Leider können wir die meisten dieser Prozesse, per Definition, nicht sehen, da sie unbewusst ablaufen. Doch optische Illusionen erlauben uns, dem Schnellen Denken "bei der Arbeit" zuzusehen. Dabei können wir darüber reflektieren, warum diese automatischen Verzerrungen überhaupt stattfinden - haben sie eine Funktion? Erlauben sie uns, in unserer Umwelt zurechtzukommen, oder sind sie nutzlose "Softwarefehler" unseres Gehirns?

Die Schachbrett-Illusion. Quadrat A und B haben dieselbe Farbe. Bildquelle: Edward H. Adelson. CC BY-SA 4.0
Für unser Navigieren in der Welt ist es hilfreicher, Hell-Dunkel-Kontraste wahrzunehmen statt absolute Farbtöne. 

Aufnahme einer Bergkette auf der Marsoberfläche. Wir erkennen unwillkürlich ein Gesicht
Für unser Navigieren in der Welt ist es hilfreich, das Vorhandensein von anderen Lebewesen (z.B. Raubtiere!) und Mitmenschen schnell zu erkennen. Dabei war es für unsere Vorfahren besser, auf "Nummer sicher" zu gehen: denn kein Gesicht zu sehen, wo eins ist, kann tödlich sein!
"Kanizsa Triangle"  -  Wir "vervollständigen" das Bild und sehen Linien, wo keine sind. 
Für unser Navigieren in der Welt ist es hilfreich, selbst lückenhafte Informationen in bedeutungsvolle Informationen, regelmäßige und vertraute Muster umzuwandeln.

Diese Verzerrung und Vereinfachung der Realität geschieht jedoch nicht nur beim Anschauen von optischen Illusionen, sondern fast immer! 

Denn die vielen Informationen, die über unsere Sinne unaufhörlich in das Gehirn eintreffen, müssen in irgendeiner Weise erst in "wichtig", "bedeutungsvoll", "ähnlich"  oder "neu" bewertet werden. So filtert, vereinfacht, kategorisiert, interpretiert und bewertet unser Gehirn ständig diese Informationen, meist ohne dass wir uns dessen bewusst sind  - Ist das ein gefährliches Tier? Bin ich mir sicher genug? Kann ich das ignorieren? Gab es diese Situation schon einmal? usw. Diese Vorgänge des "schnellen Denkens" haben sich im Laufe der Evolutionsgeschichte in unseren Vorfahren durchgesetzt, weil sie ihnen erlaubten, in einer komplexen Welt navigieren und schnell handeln zu können. Sie erfüllen also überlebenswichtige Funktionen. Es wäre unmöglich für uns, uns zu bewegen und zu überleben, wenn wir all diese automatischen Vorgänge stattdessen durch konzentriertes, langsames, rationelles Nachdenken vollführen müssten.

Meist sind diese automatischen Vereinfachungen der Wirklichkeit also hilfreich oder zumindest harmlos - wir Menschen erkennen z.B. leicht überall Gesichter, selbst da wo keine sind.  Aber diese kognitiven Verzerrungen können auch zu Fehldeutungen, Vorurteilen, falschen Beschuldigungen, und damit zu sozialen Konflikten und anderen negativen Konsequenzen für uns selbst, unser soziales Umfeld und unsere Gesellschaft führen. Bewusstsein darüber, wie unser Gehirn ständig automatisch die Realität filtert und bewertet, ist ein erster Schritt, die negative Wirkung von kognitiven Verzerrungen auf unser Handeln zu entschärfen.

Eine Einführung in sieben häufige kognitive Verzerrungen oder "Denkfehler"

Eine Liste aller bekannten kognitiven Verzerrungen und welche Funktionen sie erfüllen.

"Every cognitive bias is there for a reason — primarily to save our brains time or energy. If you look at them by the problem they’re trying to solve, it becomes a lot easier to understand why they exist, how they’re useful, and the trade-offs (and resulting mental errors) that they introduce." 

https://betterhumans.coach.me/cognitive-bias-cheat-sheet-55a472476b18 

https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_kognitiven_Verzerrungen 

Kathryn Schultz: On being wrong

Kathryn Schultz spricht über unsere ständige Illusion, dass wir recht haben, dass dies Teil unserer menschlichen Natur ist, welche Probleme dies jedoch mit sich bringen kann, und wie wir lernen können, damit umzugehen.

Literaturangaben