OpenMind

Perspektivwechsel üben

Kognitive Verzerrungen, moralische Intuitionen und andere Prozesse des "schnellen Denkens" sind so mächtig und effektiv, weil sie automatische Gefühle und Gedanken hervorrufen, blitzschnell unser Gemüt und Handeln beeinflussen, und uns ein Gefühl von Sicherheit und Wahrheit geben - es fühlt sich "gut" und "wahr" an ("WAHRnehmung"). So fühlt es sich meist auch sicher und angenehm an, mit Menschen zusammen zu sein, die genau so denken, sprechen, ähnlich aussehen oder sich ähnlich kleiden, die gleichen Vorlieben haben oder aus der gleichen "Szene" kommen wie wir. Die meisten Menschen haben in der Regel ein großes Bedürfnis für solche sozialen Beziehungen und für Gruppenzugehörigkeit - auch dies ist Teil unserer evolutionären Erbes. 

Doch ab und zu müssen wir diese Sicherheitszone verlassen können, insbesondere wenn in der heutigen Gesellschaft Menschen unterschiedlichster Herkünfte zusammen leben, Herausforderungen angehen und gemeinsam Entscheidungen treffen müssen. Doch dies kann sich zwischenzeitlich "schlecht",  "anstrengend", "unsicher" und "verwirrend" anfühlen, oder mit vielzähligen anderen negativen Gedanken und Emotionen einhergehen, die dann unser Verhalten beeinflussen. 

So geht es in OpenMind auch darum, unsere automatisch auftretenden Intuitionen, Gedanken, Erinnerungen und Emotionen wahrzunehmen (unserem System 1 "bei der Arbeit" zuschauen) und sie zu zunächst zu akzeptieren  - sie tun schließlich nur, was sie aus evolutionsgeschichtlicher Sicht tun sollen, nämlich uns auf mögliche Gefahren für uns und unsere sozial Gruppe aufmerksam machen. In der Regel identifizieren wir uns automatisch mit diesen inneren Erfahrungen. Doch ähnlich wie unsere Wahrnehmung in optischen Illusionen, sollten wir diese automatischen inneren Erfahrungen jedoch zunächst "mit Abstand" betrachten. 

Gleichzeitig können wir versuchen zu verstehen, woher die Intuitionen anderer Menschen kommen, die zu ihrer Meinung beigetragen haben, insbesondere wenn uns ihre Meinung völlig unverständlich ist oder irrational erscheint. 

Dies hilft uns, damit wir die Perspektive wechseln können, und flexibler mit Meinungsverschiedenheiten umgehen können. 

Carol Dweck spricht über "Growth Mindset".  Growth-Mindset (im Gegensatz zum "Fixed Mindset") steht für die Grundhaltung oder Überzeugung, dass bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten eines Menschen nicht festgelegt oder angeboren sind, sondern dass man durch Lernen, Erfahrung und Anstrengung seine eigenen Fähigkeiten fortlaufend verbessern kann, oder aus Fehlern lernen kann. So wirken eigene Fehler, Kritik anderer, oder die Tatsache, dass man unrecht hat oder etwas nicht weiß, weniger bedrohlich. Diese Mindsets wirken sich wiederum stark auf unsere Motivation aus und können somit zu einer self-fulfilling prophecy werden. 

Laut Carol Dweck ist die Förderung eines Growth-Mindsets in SchülerInnen eine bedeutende Aufgabe der Schulbildung. 

"Whether you think you can, or you think you can't—you're right." Henry Ford

Heißt das, wir sollen unsere automatischen negativen Emotionen und Gedanken möglichst ignorieren? Nicht ganz. Akzeptieren heißt nicht "ignorieren", und heißt nicht "tatenlos hinnehmen"! Denn wenn wirklich Gefahr besteht, uns oder anderen Unrecht getan wird, oder unser Gemüt uns sagt, dass wir etwas in unserem Leben oder Umfeld verändern müssen, sollten wir unsere inneren Erfahrungen als hilfreiche Anzeiger dieser Probleme ernst nehmen. 

Den Unterschied zu erkennen zwischen inneren Erfahrungen, die für das Erreichen unserer Ziele hilfreich sind, und solchen, die weniger hilfreich sind, ist jedoch nicht so einfach, und braucht Übung! 

Das Gelassenheitsgebet (serenity prayer):

"[Gott], gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, 

die ich nicht ändern kann,

  den Mut, Dinge zu ändern, 

die ich ändern kann,

  und die Weisheit, 

das eine vom anderen zu unterscheiden. "

Perspektivwechsel "in action"

Bei den folgenden Geschichten handelt es sich um die Erfahrungen von Menschen, die bewusst mit Andersdenkenden geredet haben.

"Why I, as a black man, attend KKK rallies"

Der Musiker Daryl Davis erklärt, warum er Freundschaften mit Vertretern der rassistischen Organisation KuKluxKlan schließt, und was er aus diesen Begegnungen gelernt hat. 

Meeting the enemy: A feminist comes to terms with the Men's Rights movement

Transkript Deutsch, Transkript Englisch

"Conversations with people who hate me."

Dylan Marron erhält aufgrund seiner Arbeit und seiner Einstellungen viele negative, oft beleidigende Kommentare in sozialen Medien. In seinem Podcast kontaktiert er die Menschen, die ihm diese negativen Kommentare schreiben, spricht mit ihnen (wenn sie nicht auflegen), und oft ergeben sich daraus interessante Begegnungen zwischen zwei Menschen, die sich vorher nicht kannten.

"I think the more you think about how right you are and how wrong everybody else is, the less you'll learn. A lot of people in this country get stuck in bubbles - especially because of social media." 

"If I vilify half the people in this country, where is that going to bring me? I think there is so much that we can do if we all look at each other and say, 'Where can we agree?' Because that's normally where the most progress is made." 

Cameron Kasky

https://www.bbc.com/news/stories-47217467 

Cameron Kasky ist Schüler an der Marjory Stoneman Douglas Highschool in Parkland, Florida, wo am 14. Februar 2018 eine tragische Schießerei stattfand, bei der 17 Menschen ums Leben kamen. Er wurde Mitbegründer der Protestbewegung March For Our Lives, die sich für schärfere Waffengesetze in den USA einsetzte. Seine Erfahrung in der Auseinandersetzung mit diesem Thema und mit Andersdenkenden lehrte ihm jedoch, dass es besser ist, mit diesen Andersdenkenden respektvoll umzugehen, voneinander zu lernen, und auf gemeinsame Ziele hinzuarbeiten. 

Er hat eine Podcast-Serie "Cameron Knows Nothing".