Leben in Gruppen
Für unsere Vorfahren seit Homo erectus hing das Überleben und die Aufziehung von Nachkommen immer mehr von der Gruppe ab: Nahrungsbeschaffung, Kindererziehung, Herstellung von Werkzeugen und die Vermittlung des Wissens an Nachkommen erforderten Kooperation und Arbeitsteilung, und eine Gruppengröße, die die Erfüllung all dieser Aufgaben durch ihre Mitglieder ermöglichte. Jeder hing vom anderen ab, und so saßen alle "in einem Boot".
Diejenigen Gruppen, die besser in der Zusammenarbeit, Arbeitsteilung und in der Organisation des Zusammenlebens waren, hatten bessere Überlebens- und Fortpflanzungschancen als andere Gruppen.
Solch eine Situation des Gruppenlebens bringt neue Herausforderungen mit sich: beschaffene Ressourcen müssen in irgendeiner Weise an alle Mitglieder verteilt werden, so dass jeder so viel bekommt wie nötig, auch wenn er an der Beschaffung der Ressource gar nicht beteiligt war. Es muss verhindert werden, dass Einzelne die Kooperation ausnutzen und dadurch die Gruppe gefährden. Konflikte sollten möglichst gar nicht erst aufkommen, und wenn sie auftauchen, müssen sie möglichst schnell und effizient gelöst werden, so dass sie die Gruppe nicht gefährden. Diejenigen Gruppen, in denen Ressourcen auf effizientere Weise proportional an alle verteilt wurden, in denen weniger Konflikte auftraten, oder in denen Konflikte auf effizientere Weise gelöst wurden, hatten bessere Überlebens- und Fortpflanzungschancen als andere Gruppen.
Unter diesen Gruppen hatten wiederum diejenigen weniger Konflikte oder konnten diese effizienter lösen, in denen Mitglieder bestimmte soziale Fähigkeiten an den Tag legten, und in denen bestimmte soziale Normen das Verhalten der Mitglieder beeinflussten.
Anthropologen und Verhaltensforscher vermuten, dass sich unter diesen sozialen Bedingungen viele Ansätze der heute beobachtbaren sozialen Verhaltensweisen des Menschen ausgebildet haben: Soziale Emotionen und moralische Intuitionen wie Empathie, Mitleid, Gerechtigkeitssinn, Empörung, Neid, Schuld und Scham, Motivation zum Teilen von Ressourcen und Informationen und zur gegenseitigen Hilfe, eine Tendenz, die Mehrheit der Gruppe nachzuahmen und dadurch soziale Normen in einer Gruppe zu etablieren, sowie ein soziales Temperament, welches uns zu sozialen Begegnungen motiviert und uns ein Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit gibt.
Nach Ansicht einiger Anthropologen haben all diese Herausforderungen eines komplexeren Gruppenlebens auch zum Selektionsdruck für ein größeres Gehirn während unserer Evolution beigetragen.
Schon im Kleinkindalter haben wir Menschen eine besondere soziale Wahrnehmung: wir können bereits unterscheiden, ob sich jemand "gut" oder "schlecht" gegenüber anderen verhält. Und wir bevorzugen diejenigen, die nett zu anderen sind.
So scheint es, dass diese Fähigkeiten angeboren sind bzw. bereits in den ersten Monaten des Lebens ausgebildet werden, noch bevor der Einfluss aus dem sozialen und kulturellem Umfeld unser Verhalten maßgeblich prägt.
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Schon im Kleinkindalter haben wir Menschen die Fähigkeit, wahrzunehmen, dass andere Hilfe brauchen. Dies haben wir scheinbar mit Schimpansen gemeinsam. Doch wir Menschen haben eine besonders erhöhte Motivation, anderen zu helfen.
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That’s Not Fair! Children in different cultures have different standards of fairness (Psychology Today Artikel, auf englisch)
Decety & Cowell (2016). Our Brains are Wired for Morality: Evolution, Development, and Neuroscience (Frontiers for Young Minds Artikel für 12-13-jährige, auf englisch)
Ursache-Wirkungs-Diagramm
Populationsdenken
Die Umweltbedingungen der Savanne erforderten Zusammenarbeit. Unter den unterschiedlichen Hominidengruppen konnten einige besser zusammenarbeiten als andere, z.B. weil es Unterschiede in ihrem Temperament, Verhalten, oder der Kommunikationsfähigkeit gab, oder weil sich in ihren Gruppen bestimmte Normen und Traditionen etabliert haben, die ein relativ konfliktfreies Zusammenleben bewirkten.
Jäger-und-Sammler Gruppen und egalitäre soziale Organisation
Homo erectus lebte vermutlich bereits in Jäger-und-Sammler-Gruppen, deren soziale Organisation ähnlich der heute noch existierenden Jäger-und-Sammler-Gesellschaften war. Anthropologen sind daher besonders daran interessiert, die Lebensweise dieser heute existierenden Jäger-und-Sammler genauer zu untersuchen, denn sie können uns Rückschlüsse über die Lebensweise unserer vor 2 Mio Jahren lebenden Vorfahren liefern.
Jäger-und-Sammler Gesellschaften zeichnen sich u.a. durch eine egalitäre soziale Organisation aus (egalitär, französisch égalité, von lateinisch aequalitas: „die Gleichheit“), in denen es, anders als in Schimpansengruppen, keine soziale Hierarchie und keine Dominanz durch einen oder wenige Individuen gibt. Wertvolle Ressourcen wie Fleisch werden unter allen in der Gruppe aufgeteilt. Das bedeutet nicht, dass es keine Konflikte oder Versuche einzelner gibt, die Gruppe zu dominieren oder mehr Ressourcen an sich zu reißen! Vielmehr existieren Konfliktlösungsmechanismen, die dafür sorgen, dass derartige Versuche von “Bullies” erfolglos sind und der Gruppe nicht schaden.
Konflikte werden oft ohne Gewalt durch Drohungen, öffentliche Anprangerungen und Verhandlungen gelöst. Bei wiederholten oder besonders starken Verstößen werden allmählich härtere Strafen veranlasst, wenn nötig bis zum Ausschluss aus der Gruppe (dies bedeutete für unsere Vorfahren den Tod, da das Überleben von der Gruppe abhängig war), oder gar Tötung. Somit wird dominantes oder egoistisches Handeln Einzelner durch Zusammenarbeit der Gruppe unterdrückt oder ausgegrenzt. Ansätze davon gibt es auch unter Schimpansen, wenn zwei oder drei Rangniedere Koalitionen bilden, um gegen einen Ranghöheren überlegen zu sein. Bei Menschen geben u.a. bessere Waffen und Werffähigkeiten der Gruppe eine größere Macht über körperlich stärkere “Alpha-Männchen”. Die soziale Hierarchie, die wir unter Schimpansen finden, wurde also in Jäger-und- Sammler-Gruppen in gewisser Weise “auf den Kopf gestellt” - die Gruppe dominiert über dem Tyrannen und hält ihn in Schach. Dies sicherte das Überleben der gesamten Gruppe.
Literaturangaben
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