Pädagogische Ansätze
Geleitet von unseren Design-Prinzipien, Inhaltsfeldern, Lehr-/Lernmitteln, und Lernzielen entwickeln wir Unterrichtsmaterialien und -einheiten zu übergreifenden Konzepten und Leitfragen über menschliches Verhalten, Evolution und Nachhaltigkeit, sowie zur Förderung von Fähigkeiten in Lehrenden und SchülerInnen.
Wir sind bemüht, gute pädagogische Praxis aus einer Reihe von "Denkrichtungen" und Strömungen in die Entwicklung von Unterrichtsmaterialien zu integrieren und so Lehrende dabei zu unterstützen, eine Diversität von bewährten Lehr-Lernmethoden anzuwenden.
Leider ist der Bildungsdiskurs oft durch einen Kampf zwischen verschiedenen Lagern gekennzeichnet, z.B. zwischen PädagogInnen, die auf den Wert und die Notwendigkeit für das direkte Unterrichten schwören, und auf der anderen Seite PädagogInnen, die auf den Wert und die Notwendigkeit für projektorientierten, erfahrungsbasierten, authentischen Unterricht und kritische Reflexion schwören.
In einer Sichtweise der „Multi-Pädagogik“ oder „reflexiven Pädagogik“ spielen all diese unterschiedlichen pädagogischen Ansätze eine wichtige Rolle beim Lernen. Dies liegt daran, dass Lernen unterschiedliche Prozesse umfasst - unterschiedliche Arten des Verstehens und der Wissensaneignung - einschließlich der direkten Erfahrung, des konzeptionellen Verständnisses und kritischer Reflexion sowie sachgerechte und kreative Anwendung des Gelernten. Diese können alle am besten durch verschiedene pädagogische Ansätze im Unterricht eingebunden werden.
Der Sinn einer guten Bildung besteht nicht darin, einen Ansatz zu bevorzugen und den Rest zu ignorieren, sondern den richtigen Ansatz für den richtigen Moment im Lernprozess zu wählen und sie alle auf die beste Weise miteinander zu verbinden, damit das Lernen für alle Lernenden optimiert wird.
Die unterschiedlichen Prozesse, die beim Lernen eine Rolle spielen und unterschiedliche pädagogische Methoden erfordern, sind im folgenden Diagramm dargestellt:
Bilddquelle: angepasst von Cope & Kalantzis (2020), https://newlearningonline.com/learning-by-design/pedagogy
Verschiedene Wissensaneignungsprozesse spielen beim Lernen eine Rolle.
Bestimmte Lehr- und Lernmethoden können in die Entwicklung von Unterrichtsmaterialien und -prozesse einfließen, um diese Wissensaneignungsprozesse zu unterstützen.
Mehr Informationen über die Wissensprozesse und den Learning by Design Ansatz (auf englisch):
“Pädagogik ist eine Reihe verschiedener ‘Dinge, die wir tun um zu verstehen’, ein Repertoire von Lernaktivitäten, einschließlich Aktivitäten, deren Ursprünge eher in der didaktischen oder in der authentischen Pädagogik liegen. (...) Wenn diese Komponenten in eine ausgewogenere Pädagogik eingebunden sind, werden sie erweitert und vertieft. Wir wollen auch die Pädagogik-Kriege hinter uns lassen, mit ihren oft sehr emotionsgeladenen Anschuldigungen. Unser Vorschlag an Lehrende, deren Praktiken im Großen und Ganzen in die eine oder andere Tradition fallen, ist es, ihr Repertoire zu erweitern - was viele ausgezeichnete Lehrende ohnehin instinktiv tun.”
Cope & Kalantzis (2015), S. 14, eigene Übersetzung
Erfahren
das Bekannte – Lernende reflektieren über vertraute Sachverhalte, Erfahrungen, Interessen und Perspektiven.
das Neue – Lernende beobachten oder nehmen Teil an neuen Situationen und befassen sich mit neuen Inhalten.
Da menschliches Verhalten im Mittelpunkt unserer alltäglichen Erfahrung steht, gibt es viele Möglichkeiten, SchülerInnen dieses alltägliche Verständnis in den Unterricht einbringen zu lassen, wenn sie bestimmte Verhaltensweisen untersuchen. Zum Beispiel durch Reflexions- und Diskussionsfragen:
Denke an eine Situation, in der du dich ungerecht behandelt gefühlt hast. Wie hast du dich dabei gefühlt? Was hast du getan?
Denkst du, dass allen Menschen Gerechtigkeit wichtig ist? Warum, oder warum nicht?
Könnten Menschen unterschiedliche Ansichten darüber haben, was in einer bestimmten Situation gerecht ist? Warum, oder warum nicht?
Durch die Methoden und Erkenntnisse der Verhaltensforschung gibt es auch viele Möglichkeiten, die SchülerInnen neue Aspekte menschlichen Verhaltens im Unterricht erfahren zu lassen. Inhaltsfelder wie Kooperationsspiele, Computersimulationen, Verhaltensexperimente und -beobachtungen mit verschiedenen Arten, Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Kulturen, archäologische Funde und sogar die Erforschung und Bewusstwerdung dessen, was ihr Geist im Moment tut. Texte, Bilder, Videos, Filme oder Inhalte in sozialen Medien können ebenfalls dazu dienen, SchülerInnen bestimmte Aspekte menschlichen Verhaltens aufzuzeigen.
Community Science Untersuchungen bieten SchülerInnen zudem eine Möglichkeit, die Verhaltensweisen von Menschen in ihrer Umgebung zu erfahren, insbesondere ihre Bedürfnisse, Interessen, Werte und Ziele.
Konzeptuell verstehen
durch Begriffsbildung – Lernende eignen sich neue Konzepte an und/oder erweitern, vertiefen und bereichern ihr existierendes Verständnis von Konzepten, indem sie Beispiele und Merkmale von Konzepten finden und Definitionen konstruieren.
durch Theoriebildung – Lernende bilden allgemeinere Prinzipien und Theorien indem sie Konzepte miteinander in Beziehung setzen.
Obwohl menschliches Verhalten im Mittelpunkt unserer alltäglichen Erfahrung steht, haben wir möglicherweise kein sehr gut entwickeltes und tiefes Verständnis dafür, was menschliches Verhalten tatsächlich ist (und was nicht), wie und durch welche Faktoren es verursacht wird, warum es unter Menschen variiert, oder wie wir es ändern können. Um über menschliches Verhalten nachzudenken, müssen SchülerInnen ein Verständnis für Kernkonzepte erlangen bzw. sich ihres vorhandenen Verständnisses bewusst werden, es konkretisieren und erweitern, zum Beispiel:
Was ist menschliches Verhalten? Was sind einige Beispiele für menschliches Verhalten? Was sind keine Beispiele für menschliches Verhalten? Was kennzeichnet menschliches Verhalten aus?
Was ist Nachhaltigkeit?
Was ist Evolution? Was ist kulturelle Evolution?
Was ist Gerechtigkeit?
Was sind menschliche Werte?
Was ist Achtsamkeit?
Darüber hinaus müssen SchülerInnen ein Verständnis erlangen, wie Konzepte zueinander in Beziehung stehen, zum Beispiel mithilfe von Leitfragen:
Wie beeinflusst menschliches Verhalten eine nachhaltige Entwicklung?
Wie beeinflusst unser Verhalten die kulturelle Evolution unserer Art?
Welche Bedingungen erlauben und hindern Menschen daran, für gemeinsame Ziele zusammenzuarbeiten?
Wie beeinflusst der menschliche Gerechtigkeitssinn unser Zusammenleben?
Wie wirkt sich unsere evolutionäre Vergangenheit auf unser Verhalten aus?
Wie wirken sich unsere Erfahrungen und unser Lernen auf unser Verhalten aus?
Wie beeinflussen Sprache und Symbole unser Verhalten und unser Wohlbefinden?
Welche beeinflusst Achtsamkeit unser Verhalten und unser Wohlbefinden?
Mithilfe von exemplarischen Inhalten und Kontexten können SchülerInnen Antworten auf solche Fragen finden und zunehmend ein Verständnis über übergreifende Zusammenhänge und Prinzipien erlangen.
Aquire - Lernende werden dabei unterstützt, sich ein Verständnis von individuellen Konzepten anzueignen
Connect - Lernende Lernende werden dabei unterstützt, Konzepte zu verbinden und miteinander in Beziehung zu setzen
Transfer - Lernende werden dabei unterstützt, ihr Verständnis von Zusammenhängen auf neue Kontexte zu übertragen
Das Learning Transfer Mental Model von Education to save the world. Es verdeutlicht, wie wir Lernende dabei unterstützen können, ein übertragbares Verständnis von Konzepten und Zusammenhängen zu entwickeln.
Analysieren
funktionell – Lernende analysieren Beziehungen, Ursache und Wirkung, Struktur und Funktion.
kritisch – Lernende bewerten ihre eigenen Verhaltensweisen, Perspektiven, Interessen, Motivationen und die anderer
Die Fähigkeit, die Ursachen und Folgen menschlichen Verhaltens zu analysieren und zu reflektieren, ist eines unserer zentralen Lernziele.
Die Analyse der Ursachen und Folgen menschlichen Verhaltens ist auch ein zentrales Ziel der Verhaltenswissenschaften. Unsere Sammlung von Lehr-/Lernmitteln spiegelt einige der Methoden wider, die WissenschaftlerInnen für diese Analyse verwenden und die SchülerInnen gleichermaßen bei der Analyse menschlicher Verhaltensweisen in verschiedenen Kontexten verwenden können.
Tinbergens Fragen: vier Fragen, welche helfen können, sich über die verschiedenen Ursachen von Verhalten bewusst zu werden, und um zu verstehen, warum Menschen sich in bestimmten Situationen auf gewisse Weise verhalten
Ursache-Wirkungs-Diagramme: eine einfache Methode, mit welcher SchülerInnen die Wechselbeziehungen in verschiedenen Bereichen, insb. in Psychologie, Biologie, sozial-ökologischen Systemen sammeln, darstellen, diskutieren und analysieren können
Entscheidungsmatrix: eine einfache Methode, mit welcher SchülerInnen darüber reflektieren können, welche Motivationen, Überzeugungen, Emotionen, Ziele, Bedürfnisse einem Verhalten in einer bestimmten Situation zugrunde liegen könnten, sowie welche Konsequenzen ein Verhalten für Einzelne und die Allgemeinheit hat
Reflexions- und Diskussionsfragen fordern Lernende auf, Verbindungen zwischen den im Unterricht erörterten Aspekten menschlichen Verhaltens und der reellen Welt herzustellen, insbesondere zu ihren eigenen Erfahrungen, Zielen und Werten und den Zielen und Werten anderer und der Gesellschaft.
Anwenden
auf korrekte Weise – Lernende wenden Erkenntnisse auf Sachverhalte an und prüfen ihre Gültigkeit.
auf kreative Weise – Lernende entwickeln innovative und kreative Ideen und Lösungen in der realen Welt, oder wenden ihre Erkenntnisse auf kreative Weise auf neue Sachverhalte an
Die Fähigkeit von SchülerInnen, ihr Lernen auf neue Sachverhalten anzuwenden, ist eines der Kernziele der Bildung allgemein, und spiegelt sich in einem unserer übergreifenden Design-Prinzipien wider - Lerntransfer fördern.
Wir wollen, dass SchülerInnen in der Lage sind, ihr konzeptuelles Verständnis über menschliches Verhalten auf Situationen in der Alltagswelt und Probleme der nachhaltigen Entwicklung anzuwenden.
Lehr-/Lernmittel wie Analogien und Analogietabellen können SchülerInnen helfen, über die Übertragbarkeit von Prinzipien und Prozessen auf neue Kontexte zu reflektieren.
Schließlich wollen wir, dass SchülerInnen ihr Verständnis über menschliches Verhalten anwenden, um Lösungen zu realen Problemen zu entwickeln und einen positiven Einfluss in der Welt zu haben.
Zum Beispiel:
SchülerInnen entwerfen ein Poster oder eine Präsentation, um auf die Beziehung zwischen sozialer Ungleichheit und menschlichem Wohlbefinden aufmerksam zu machen, und integrieren ihr Verständnis über menschliches Sozialverhalten ein.
SchülerInnen entwerfen eine Kampagne an ihrer Schule, um dafür zu sorgen dass SchülerInnen sich nicht extremistischen Bewegungen anschließen, nachdem sie die Geschichten von Menschen erörtern, die extremistischen Gruppen angehörten und sie dann verließen.
SchülerInnen entwerfen und dokumentieren einen Prozess in ihrer Projektgruppe, der dafür sorgt, dass sich alle gerecht behandelt fühlen, indem die Umstände, Bedürfnisse und Stärken aller in Betracht gezogen werden, nachdem sie sich ausführlich mit den Ursachen und Variationen des menschlichen Gerechtigkeitssinns beschäftigt haben.
SchülerInnen entwerfen und führen ein Community Science Projekt durch, um herauszufinden, welche Ziele und Werte die Menschen an ihrer Schule haben, was für sie der Sinn und Zweck von Schule ist und wie sie sich ihre ideale Schule vorstellen, nachdem sie gelernt haben, wie wichtig gemeinsam verhandelte und kommunizierte Ziele und Werte für gelingende Zusammenarbeit und für das Wohlbefinden aller in einer Gemeinschaft sind.
Durch das Zusammenspiel all dieser Wissens- und Lernprozesse erlangen Lernende zunehmend ein tieferes, vernetztes und anwendbares Verständnis über menschliches Verhalten, Fertigkeiten und Methoden, um menschliches Verhalten - insbesondere ihr eigenes - zu verstehen, zu reflektieren und zu gestalten. Somit erfahren Lernende schließlich eine Transformation ihres eigenen Bewusstseins als Mensch und ihrer Beziehungen zu ihrer Mitwelt.
"[T]ransformative learning involves a deep structural shift in the basic premises of thought, feelings and actions. It is a shift of consciousness that dramatically and permanently alters our way of being in the world. Such a shift involves our understanding of ourselves and our self-location: our relationships with other humans and with the natural world."
Morrell & O’Connor (2002), S. xvii
"We would argue that there is a major difference between behavioral science (...) and every other area of scientific progress. (...) Most people who make daily use of the technologies that have so changed the world in the past century, need not understand the science that led to and underpins the efficacy of their computers, cell phones, televisions, automobiles, air conditioners, and so on. (...)
The situation is a little different when it comes to the behavioral sciences (...). [T]ranslating the advances in scientific understanding of human development into comparable improvements in human well‐being requires that we get most people in society to understand – at least in rough outline – what humans need to thrive.”
Biglan et al. (2015), S. 537, 538
"Imagine if we could teach young people to become mindful of the ways that symbols can dominate our interpretations of experience and can become unhelpful. They might then learn to use symbols like tools, and “put them down” when no longer useful. They might become less caught up in self-criticism, materialism and prejudice. Could they pass these lessons on to their children? Or imagine if all young people learned to judge their behavior in terms of how it served their values, and especially how it helped them build connection and love. Or imagine young people who understood that they are not fixed, and the future is not fixed, and they can improve themselves and this world. What might they teach their children?”
Ciarrochi & Hayes (2018), S. 121
Literaturangaben und weitere Ressourcen
Learning by Design
Cope, B., & Kalantzis, M. (2015). A Pedagogy of Multiliteracies. Learning by Design. (B. Cope & M. Kalantzis, Eds.). Palgrave Macmillan. https://doi.org/10.1057/9781137539724
Cope, B., Kalantzis, M., & Smith, A. (2018). Pedagogies and Literacies, Disentangling the Historical Threads: An Interview with Bill Cope and Mary Kalantzis. Theory into Practice, 57(1), 5–11. https://doi.org/10.1080/00405841.2017.1390332
Teaching for conceptual understanding:
Stern, J., Ferraro, K., & Mohnkern, J. (2017). Tools for Teaching Conceptual Understanding, Secondary. Designing Lessons and Assessments for Deep Learning. Corwin.
https://edtosavetheworld.com resources, tools, online courses, and information on designing classroom activities and units for conceptual understanding and transfer
The Research Underpinnings of Learning That Transfers (LTT) https://edtosavetheworld.com/2021/03/21/the-research-underpinnings-of-learning-that-transfers-ltt/ \
Concept-based curriculum and instruction:
Erickson, H. L., Lanning, L. A., & French, R. (2017). Concept-Based Curriculum and Instruction for the Thinking Classroom (2nd ed.). Corwin.
Biglan, A., Zettle, R. D., Hayes, S. C., & Holmes, D. B. (2016). The Future of the Human Sciences and Society. In R. D. Zettle, S. C. Hayes, D. Barnes‐Holmes, & A. Biglan (Eds.), The Wiley Handbook of Contextual Behavioral Science (pp. 531–540). Wiley & Sons. https://doi.org/10.1002/9781118489857.ch26
Ciarrochi, J. & Hayes, L. (2018). Shaping DNA (Discoverer, Noticer, and Advisor): A Contextual Behavioral Science Approach to Youth Intervention. In: Wilson, D.S. & Hayes, S.C. Evolution and Contextual Behavioral Science (pp. 107-124). Context Press.
Morrell, A., & O’Connor, M. (2002). Introduction. In O’Sullivan, E., Morrell, A., & O’Connor, M. (2002). Expanding the Boundaries of Transformative Learning Essays on Theory and Praxis. (E. O’Sullivan, A. Morrell, & M. O’Connor, Eds.). New York: Palgrave.