Kruiner Tunnel

Der Wunderbau in Ennepetal-Milspe

Zwischen dem schwierigen Streckenabschnitt Schwelm und Gevelsberg liegt der Bahnhof Ennepetal-Milspe - heute Bahnhof Ennepetal (Gevelsberg) - nicht weit entfernt von dem als „Wunderbau“ bezeichneten Kruiner Tunnel, der zur Überbrückung des Zusammentreffens von Ennepe, Kölner Straße und der Bahnlinie dient.

Am 18. und 19. Oktober 1843 wurde die Bergisch-Märkische Eisenbahngesellschaft zu Elberfeld gegründet. Damit war der Weg frei zum Bau ihrer ersten Eisenbahnlinie von Elberfeld über Barmen, Schwelm, Milspe, Gevelsberg, Haspe, Hagen, Herdecke (heute Hagen-Vorhalle), Wetter, Witten nach Dortmund. Ein Anschluss bestand für die Bahn in Elberfeld an die Düsseldorf-Elberfelder Eisenbahn und in Dortmund an die Köln-Mindener Eisenbahn.

Die Bauarbeiten an der Strecke wurden 1845 aufgenommen und das erste Teilstück mit einer Länge von 10,4 km zwischen Wuppertal und Schwelm ging am 9. Oktober 1847 in Betrieb.

Der Weiterbau kam wegen der schwierigen Geländeverhältnisse, insbesondere zwischen Schwelm und Gevelsberg, nur langsam voran. Bei Haus Martfeld in Schwelm musste die Wasserscheide zwischen Wupper und Ennepe durch einen tiefen Einschnitt überwunden werden.

Im Bild Links der Kruiner Tunnel, nördliche Ansicht der Gevelsberger Seite, mit dem "Wunderbau" (Stadtarchiv Ennepetal)

Planungsphase

Eine gütliche Einigung über die benötigten Flächen für den Eisenbahnbau kam mit Friederike von Elverfeldt, Eigentümerin des Hauses Martfeld sowie der angrenzenden Ländereien, nicht zu Stande und deshalb verzögerten sich die Baumaßnahmen. Erst durch die anschließend erfolgte Expropriation (Enteignung) wurde mit 13 1/2 Monaten Verzögerung in diesem Bereich die Arbeit am 14. Mai 1846 aufgenommen.

Das Tal der Rahlenbecke zwischen den Stationen Schwelm und Milspe sowie das Tal der Ennepe zwischen den Stationen Milspe und Gevelsberg mussten weiterhin mit recht hohen, aufgeschütteten Bahndämmen gequert werden.

Im Tal der Ennepe entstand an der Gevelsberger Stadtgrenze zu Ennepetal im Bereich „Am Kruin“ ein 340 Meter langer Bahndamm mit einer größten Breite von 120 Meter. Dieser lag an einer günstigen Stelle, da hier das Tal der Ennepe nicht besonders breit ist.

Für den Damm mussten knapp 500.000 Kubikmeter Erde angeschüttet werden. Dieses war für die Menschen der damaligen Zeit ein nahezu unvorstellbares und ungeheures Bauvorhaben.

Ursprünglich war vorgesehen, den Aushub bei Haus Martfeld für diese Dämme zu verwenden und den Damm an der Rahlenbecke als Transportweg ein Jahr früher als am Kruin fertig zu stellen. Da die Erde für den Damm am Kruin aber nun fehlte, wurde sie zum Teil von der Seite des Hanges aus dem Bereich Twiesack entnommen.

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Bauphase

Beim Bau dieses Streckenabschnittes waren teilweise mehrere tausend Arbeiter beschäftigt. Unter welchen primitiven Arbeitsbedingungen mit einfachen Arbeitsmitteln dieses damals geschah, kann man sich heute kaum noch vorstellen. Es wird erzählt, dass die Erd- und Felsmassen in einer unendlichen Reihe von 500 Schubkarren sich täglich wie eine Schlange ohne Ende bewegten. Der Arbeitstag betrug bis zu 16 Stunden von früh 4.30 Uhr bis abends um 20.30 Uhr. Da ein Überangebot an Arbeitskräften herrschte, waren die zum Teil weit hergekommenen Arbeitslosen froh, hier Geld verdienen zu können. Andererseits führte das Überangebot dazu, dass die Unternehmer die Arbeitskräfte regelrecht ausbeuteten. Das Schieben und Ziehen der mit fünf bis sechs Zentner Erde beladenen Karren für die Dammbauten in der Rahlenbecke und am Kruin hatte zur Folge, dass viele Arbeiter vor Erschöpfung umfielen. In der Rahlenbecke kam es wegen strittigen Lohnabrechnungen 1845 und 1846 zu Unruhen. Bei Unglücksfällen waren Verletzte und Tote zu beklagen.

Für den Fluss, den Obergraben-Durchlass und die 1835 fertiggestellte Provinzialchaussee wurden jeweils ein getrennter Durchlass eingebaut. Während der Flussdurchlass rechtwinklig den Damm schneidet, kreuzt der Straßentunnel unter einem Winkel von etwa 45 Grad. Daher sind die seitlichen Mauerwerke und die Tunnelportale unterschiedlich ausgeführt. Der zunächst nur für den damals spärlichen Straßenverkehr gebaute Tunnel ist 89 Meter lang, 9,36 Meter hoch und 10,30 Meter breit. Die Dammhöhe über Straßenniveau beträgt 31 Meter.

Am Kruin verkleinerte der Dammbau das Fassungsvermögen eines großen Sammelteiches, der die Hämmer in den Schmieden an insgesamt vier Feuern antrieb. Der Besitzer Dietrich Hülsenbeck, Gutsherr am Nirgena und Eigentümer des Landes von Nirgena Ennepe aufwärts bis Milspe, bekam später nach einem Prozess gegen die Königlich-Preußische Eisenbahnverwaltung wegen der verlorenen Betriebskraft 200 Thaler Entschädigung zugesprochen.

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V 221 134-0 passiert den Bahnhof Ennepetal-Milspe Richtung Gevelsberg (Foto: M.Hafenrichter)

Kruiner Stahlwerk

Direkt neben den Kruiner Tunnel gab es eine weitere Besonderheit. Das Kruiner Stahlwerk in Gevelsberg war nicht an die direkt daneben verlaufende Ennepetal-Bahn angeschlossen, sondern stattdessen gelangten die Güter über eine Seilbahn ins Tal. Über ein Gleis am Bahnhof Ennepetal-Milspe (im Bild oben) wurde die Verladestation (im Bild unten Rechts im Hintergrund) an die Hauptstrecke angebunden.

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Bahnübergang "Am Wunderbau" in Ennepetal Milspe (Stadtarchiv Ennepetal)

Engpass

Mit der am 24. Februar 1907 neu eröffneten Straßenbahnlinie von Voerde über Milspe und Gevelsberg nach Haßlinghausen wurde es noch enger im Tunnel, da ein weiteres meterspuriges Gleis im Straßenbereich hinzukam. Der Straßenbahn- und Zugbetrieb hatte immer Vorrang vor dem einspurig durch die Engstelle geführten Straßenverkehr, der mit der Zeit wegen der ständig anwachsenden Motorisierung stark zunahm.

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Kruiner Tunnel mit Dampfzug (50 376), Tram, LKW, PKW und Fahrrad um 1953 (Foto: Franck, Samlg. Stadtarchiv Ennepetal)

Als der Straßenbahnbetrieb am 31.03.1956 eingestellt wurde, kam es kurzfristig zu einer leichten Verbesserung der Verkehrssituation. Doch die weitere ständige Zunahme des Straßenverkehrs erforderte im Dezember 1961 die Inbetriebnahme einer Ampelanlage auf dieser wichtigen Bundesstraße, die den Straßenverkehr abwechselnd einspurig durch den Tunnel führte.

Als der Zugverkehr nach Stilllegung des Personenverkehrs zum 28.09.1968 abnahm, sträubte sich die Deutsche Bundesbahn jahrelang gegen eine gemeinsame Nutzung der vollständigen Verkehrsfläche im Kruiner Tunnel. Erst 1992 kam es zu einer Einigung zwischen dem Landesstraßenbauamt als zuständiger Behörde für die damalige Bundesstraße 7 (Kölner Straße), der Deutschen Bundesbahn und der Stadt Gevelsberg.

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Wismarer Schienenbus am Kruiner Tunnel, südliche Ansicht Ennepetaler Seite , 2007 (Foto: Privat)

Im Jahre 1993 wurde dann die separate Schienenstrecke in den Straßenraum einbezogen, so dass seitdem zwei Fahrspuren für den Autoverkehr zur Verfügung stehen. Der Tunnel wird heute für den Bahnbetrieb (der Ennepetal-Bahn und Sonderfahrten) per Ampelanlage bei Bedarf für den Straßenverkehr gesperrt.

Quelle: Spurensuche – Die Ennepetal-Bahn, ardenkuverlag 2007