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30.08.2011
Gehirn Zweisprachiger bleibt länger flexibel
Babys stimmen sich auf die Klänge der Muttersprache ein. Jetzt zeigen Tests mit Säuglingen, denen eine Kappe mit Messsonden aufgesetzt wurde: Das Gehirn zweisprachig Aufwachsender bleibt länger flexibel - um die Vielfalt der Sprachlaute verarbeiten zu können.
[MPI CBS] Baby mit EEG-Haube: Typische Laute erkennen
Hamburg - Wenn Säuglinge in einer zweisprachigen Umgebung aufwachsen, verschiebt sich die Phase der entscheidenden Sprachprägung bei ihnen weiter nach hinten.
Das haben US-amerikanische Forscher jetzt herausgefunden. Bilinguale Kinder lernten erst mit etwa zehn bis zwölf Monaten, die typischen Sprachmuster ihrer beiden Sprachen zu erkennen, berichten die Forscher im Fachmagazin "Journal of Phonetics". Das lasse sich an einem typischen Hirnstromsignal beobachten. Bei Kindern mit nur einer Muttersprache sei die Prägungsphase dagegen in diesem Alter bereits abgeschlossen. Das Gehirn reagiere dann nur noch auf typische
Laute der Muttersprache.
Dass bereits wenige Monate alte Säuglinge die typischen Laute und die Sprachmelodie ihrer Muttersprache erkennen können, ist seit einigen Jahren bekannt. "Das Kindergehirn stimmt sich in dieser sensiblen Entwicklungsperiode
auf die Klänge einer Sprache ein", sagt Studienleiter Adrian Garcia-Sierra von der University of Washington. Bisher sei aber fast nichts darüber bekannt gewesen, wie dieser Prägungsprozess bei bilingualen Säuglingen ablaufe. In ihrer
Studie haben Forscher nun wichtige Unterschiede in diesem Prägungsprozess bei ein- und zweisprachig aufwachsenden Kindern aufgedeckt.
Über die Messung der Gehirnreaktion sei sogar eine Vorhersage über die Vorlieben der Kinder beim Sprechenlernen möglich gewesen, berichten die Wissenschaftler:
Reagierte ihr Gehirn im Alter von 10 Monaten bei einer Sprache stärker als bei der anderen, benutzten die Kinder mit 15 Monaten auch mehr Vokabeln aus dieser Sprache.
Für ihre Studie begleiteten die Forscher Kinder aus rein englischen, rein spanischen und spanisch-englisch gemischten Haushalten über gut ein Jahr hinweg.
In regelmäßigen Abständen wurden die kleinen Probanden dabei Sprachtests unterzogen. Die Säuglinge trugen während der Tests eine leichte Kappe mit Elektroden, die ihre Hirnströme aufzeichneten. Damit konnten sie ganz normal spielen oder auf einer Decke liegen.
Umschwung nach zwölf Monaten In den Tests hörten die Kinder zunächst verschiedene Laute, die in beiden Sprachen vorkommen. Dazwischen ertönten ab und zu einzelne typisch spanische oder typisch englische Laute. Wenn das Gehirn diese kontrastierenden Sprachmuster erkenne, zeige sich im Elektroenzephalogramm (EEG) ein spezielles Signal, erklären die Forscher.
Bei den sechs bis neun Monate alten Kindern stellten die Forscher bereits einen deutlichen Unterschied fest: Das Gehirn einsprachiger Säuglinge reagierte in dieser Phase auf Sprachlaute sowohl aus dem Englischen als auch aus dem
Spanischen. Bei Kindern aus zweisprachigen Haushalten fanden die Forscher dagegen weder bei der einen noch bei der anderen Sprache das Hirnstromsignal.
Ein anderes Bild habe sich im Alter von zehn bis zwölf Monaten gezeigt, berichten die Wissenschaftler. In dieser Phase reagierte das Gehirn der einsprachigen Kinder nur noch auf Laute der Muttersprache. Zu dieser Zeit sei die Prägung auf diese Sprache offenbar bereits abgeschlossen, sagen die Forscher. Bei den Kindern aus zweisprachigen Familien sei das Hirnstromsignal dagegen erst in diesem Alter erstmals aufgetreten.
"Das Gehirn bilingualer Babys legt sich offenbar nach einem anderen Zeitplan auf eine Sprache fest als einsprachige", sagt Garcia-Sierra. Es bleibe offenbar länger flexibel - möglicherweise, um die große Vielfalt unterschiedlicher
Sprachlaute in zweisprachigen Umgebungen besser verarbeiten zu können.
Dass Kinder erstaunlich früh ein Gefühl für Sprache entwickeln, haben mehrere frühere Studien gezeigt. So haben Forscher im Oktober 2010 herausgefunden, dass Kinder bereits im Alter von fünf Monaten die menschliche Sprache von Tierlauten unterscheiden können . Bei einer anderen Untersuchung waren Babys im Alter von drei Monaten in der Lage, ganze Sätze zu erkennen.
boj/dapd
24.08.2011
NEURUPPIN - Es ist ein Ritual. Jedes Jahr in den Sommerferien, wenn die heiße Luft durch die Klassenräume wabert, kommen Eltern in der Gentzschule ins Schwitzen. Nicht unbedingt der Hitze wegen. Die Lehrer kritzeln Hieroglyphen an die Tafel. Entziffern? Kaum zu machen. „So sehen die Eltern mal, wie schwer es für Kinder ist, lesen und schreiben zu lernen. Für die Kinder sehen die Buchstabend am Anfang auch wie Hieroglyphen aus“, erklärt Kathrin Tokar, Schulleiterin und Deutsch-Lehrerin an der Gentzschule in Neuruppin. Tokar setzt auf den klassischen Lernweg. Die Kinder sprechen und schreiben Vokale, Konsonanten, dann Silben und schließlich kleinere Wörter. „Wir arbeiten noch mit der Fibel“, sagt Tokar. Interessiert schaut sie ab und zu rüber zu ihren Kollegen der Evangelischen Grundschule oder der Montessori-Schule.
Dort hat die Fibel längst ausgedient. Die Kinder lernen keine Buchstaben mehr mit dem Standardwerk. Stattdessen picken sie sich die nötigen Lettern aus Anlaut-Tabellen. Braucht man beispielsweise für ein Wort ein „M“, findet man es beim Maus-Symbol. Nach den ersten Wochen schreiben die Kinder der Evangelischen Grundschule schon ihre Wochenend-Erlebnisse auf.
Kathrin Tokar ist skeptisch. Fantasie und die Lust werden durch das Drauflosschreiben schon geweckt, sagt sie. „Aber die Kinder schreiben die Wörter, wie sie sie hören, also oft falsch. Das kriegt man ganz schwer wieder raus“, so Tokar. Sie und ihre Kollegen würden von der ersten Stunde an auf gute Rechtschreibung achten. „Daran müssen sie sich von Anfang an gewöhnen, sonst wird es schwer“, sagt Kathrin Tokar.
Ein paar hundert Meter weiter, in der „Schildkrötenklasse“ der Montessori-Grundschule, kennt man keine Fehler. Zumindest nicht im ersten halben Jahr. „Fehler sind Negativ-Erlebnisse, die man den Kindern zunächst ersparen sollte“, sagt Klassenlehrerin Christine Wiese. Die Fibel findet sie verstaubt, die Texte seien langweilig. „Wir lassen die Kinder lieber aus unserer Bibliothek lesen. Da gibt es spannendere Texte“, sagt Wiese. Dass Lehrer wie Kathrin Tokar das frühe Schreiben ohne Korrektur kritisieren, kann Wiese nicht nachvollziehen. Rechtschreibregeln seien anfangs eher zweitrangig. „Fontane hat vor 150 Jahren anders geschrieben als wir heute. Und die Rechtschreibung haben sich auch nur Leute hinter Schreibtischen ausgedacht“, so Wiese.
Nach etwa sechs Monaten greifen sie und ihre Kolleginnen dann aber doch ein, wenn das Kind „Vogel“ wieder so schreibt, wie es das Wort hört – mit „F“. „Früher haben wir noch länger gewartet, bis wir korrigiert haben, aber es ist doch besser so“, sagt Wiese. Ihre Erfahrungen seien gut damit. „Unsere Kinder lesen und schreiben durchweg gerne“, sagt sie.
An der Rosa-Luxemburg-Schule hat man vor ein paar Jahren eher schlechte Erfahrungen damit gemacht, die Schüler in der ersten Klasse gleich Geschichten aufschreiben zu lassen. „Das haben wir wieder gelassen, weil die Kinder zu schnell frustriert waren“, sagt Deutschlehrerin Andrea Kazmierzak. So hätten manche Kinder Sprachstörungen oder eine Lese-Rechtschreib-Schwäche, sodass sie die Laute nicht richtig artikulieren können. „Da ist es logisch, dass sie sie auch nicht richtig schreiben.“ Auch bei Kindern ohne Störung könne man nicht darauf vertrauen, dass sie Wörter, die sie hören, richtig aufschreiben. „Es gibt immer mehr Wörter aus dem Englischen. Und die schreiben sich ganz anders, als sie klingen“, so Kazmierzak.
Hannelore Gottwald, zuständige Rätin vom Schulamt Perleberg, hält den neuen Ansatz trotzdem für brauchbar. „Die meisten Kinder wollen gleich schreiben und lesen. Wenn man sie nicht lässt, kann man Kinder schnell verprellen“, sagt Gottwald. Es komme immer auf die Kinder, ihre Begabungen und Interessen an. „Einige haben schon in der Vorschule gelesen, andere bringen weniger Interesse dafür mit. Entsprechend muss man diese Kinder auch verschieden unterrichten“, sagt Gottwald. (Von Marco Paetzel)
aus: http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/12157505/61299/Einige-Schulen-in-Neuruppin-lassen-Kinder-frueh-selbst.html [Link funktioniert nicht mehr]
24.08.2011
www.scinexx.de
Das Wisssensmagazin
Mechanismus des langfristigen Lernens aufgedeckt
Übung macht den Meister – nach diesem Motto gilt die häufige Wiederholung oft als die beste Methode, um etwas zu lernen. Umso erstaunter waren amerikanische Neurowissenschaftler daher, als sie in Experimenten feststellten, dass auf der Ebene einzelner Synapsen, den Verbindungen zwischen den Nervenzellen, eine häufige Wiederholung zunächst eher negative Effekte zu haben schien. In der Fachzeitschrift „Science“ berichten sie nun über den Mechanismus hinter diesem scheinbar paradoxen Effekt.
Vorherige Studien der Neurowissenschaftlerin Alison Barth von der Carnegie Mellon Universität hatten bereits gezeigt, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Veränderbarkeit der Synapsen und dem Lernen und Gedächtnis. Nach gängiger Lehrmeinung stärkt wiederholtes Üben einer Tätigkeit oder Aufgabe bestimmte synaptische Verbindungen und verbessert damit das spätere Wiederaufrufen dieser Leistung. Welcher Mechanismus allerdings das langfristige Lernen durch Wiederholungen ermöglicht, war bisher weitgehend ungeklärt.
Dr. Jekyll und Mr. Hyde
Barth und ihr Team haben jetzt entdeckt, dass ein Rezeptor für die Substanz N-Methyl-D-Aspartat (NMDA) für dieses Lernen zwischen einer „guten“ und einer „bösen“ Rolle wechselt, ähnlich einer Art „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“. Denn anfangs fördert der Rezeptor die Synapsenverbindung, nach einer bestimmten Zeit aber kehrt sich die Wirkung um und die Rezeptoren beginnen, die Synapsen zu schwächen und schienen damit sogar weiteres Lernen zu hemmen. Doch genau dieser Effekt lässt sich in der Praxis nicht beobachten. Stattdessen profitiert das Gedächtnis auch später noch von häufigen Wiederholungen.
„Wir wissen intuitiv, dass wir besser werden, je mehr wir etwas üben“, erklärt Barth. „Also musste es etwas geben, das auch nachdem die NMDA-Rezeptoren ihre Funktion umschalteten, die Synapsen weiterhin stärkten.“ Aber was? Um das herauszufinden, konzentrierte sich die Forscherin auf die Hirnrinde, den Bereich, in dem vor allem das langsamere, aber langanhaltendere Lernen stattfindet. Sie stellte fest, dass dabei tatsächlich deutlich andere molekulare Prozesse ablaufen als in den Hirnregionen, die für das schnelle, kurzfristige Lernen zuständig sind wie der Hippocampus.
Um der Sache näher auf den Grund zu gehen, blockierte Barth in einer Reihe von Experimenten systematisch verschiedene Rezeptoren im Gehirn, darunter auch den NMDA-Rezeptor und beobachtete den Effekt auf das Langzeitlernen. Sie nutzte dafür transgene Mäuse, bei denen gezielt die Gene für einzelne Rezeptoren deaktiviert oder aktiviert waren.
Ein zweiter Rezeptor mischt mit
Dabei zeigte sich Überraschendes: Zwar war der NMDA-Rezeptor für den Beginn der Synapsenstärkung und damit das erfolgreiche Lernen entscheidend, doch nach dieser Anfangsphase kam ein zweiter Rezeptor ins Spiel. Dieser so genannte metabotropische Glutamat Rezeptor (mGlu) gleicht offenbar in der späteren Lernphase die schwächende Wirkung des NMDA-Rezeptors aus und übernimmt die Stärkung der Synapsenverbindung.
„Die neuralen Mechanismen des Lernens und Gedächtnisses sind bisher nur wenig verstanden“, so Barth. „Dadurch, dass wir das Zusammenspiel von NMDA- und mGlu-Rezeptoren aufgedeckt haben, können wir nun besser verstehen, wie wir lernen. Vielleicht könnte uns das sogar eines Tages helfen, die Krankheiten besser zu verstehen, bei denen Lernen und Gedächtnis verlorengehen, wie beispielsweise Alzheimer.“
(NPO,Carnegie Mellon University,08.01.2008)
aus:
www.scinexx.de/index.php?cmd=wissen_details&id=7621&datum=2008-01-08
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