Wechsel von Kettenöl auf Kettenwachs
Man liest und hört es jetzt sehr häufig in Blogs, Vlogs und Bikezeitschriften: Der Umstieg von Kettenöl auf Kettenwachs. Die Kette wird also nicht mehr geölt, sondern gewachst. Ist es ein gehypter Trend, ein neuer Verkaufsgag oder tatsächlich ein echter Fortschritt? Ich will es einfach einmal ausprobieren.
Als Vorteile werden propagiert:
keine fettigen, verdreckten Ketten und Antriebsteile mehr, dadurch auch keine schmutzigen Finger, Beine und Hosen,
die Kette kann nach einer Tour einfach mit einem Lappen abgewischt werden,
die Haltbarkeit von Kette und Antrieb verlängert sich,
das Pedalieren und Schalten ist leise und geschmeidig,
insgesamt ist die Wachsbehandlung günstiger und weniger aufwendig,
das Wachs ist umweltfreundlicher als die verdreckte Schmiere bei Ölketten.
Abgesehen vom Umwelteffekt reizt mich dabei vor allem die Sauberkeit der gewachsten Kette.
Man hat die Wahl zwischen Kaltwachs, das wie Kettenöl auf die Kette aufgetragen wird, und Heißwachs. Beim Heißwachsen wird die Kette in heißem Wachs gebadet, um das Wachs aufzunehmen. Ich habe mich für Heißwachs entschieden, weil es bis zu 1.000 km halten soll. Man kann beide Methoden aber auch kombinieren, indem man bspw. die Kette erst im Heißbad grundbehandelt und anschließend mit Kaltwachs, etwa nach einer Regenfahrt, nachbehandelt.
Die Kosten halten sich in Grenzen. Klar, man kann sich für viel Geld einen speziellen Heiztopf, einen Ultraschallreinigungsgerät, spezielle Reinigungsflüssigkeit etc. kaufen. Das ist für den Hobbyradler aber gar nicht nötig. Das einzige Gerät, das ich mir gekauft habe, ist eine Kochplatte für 20 Euro bei Saturn. Einen alten Kochtopf hatten wir noch im Keller. Dazu holte ich mir für kleines Geld beim Baumarkt Waschbenzin und Aceton zum gründlichen Reinigen der alten Kette, der Kassette, des Kettenblatts und der Schaltung. Was man natürlich braucht, ist das Heißwachs, eine Platte für 40 Euro, die man für bis zu 20 Anwendungen verwenden kann. Alles in allem rund 80 Euro.
Und schon kann es losgehen.
Abgesehen von den Verbrauchsmitteln meine einzige Investition: eine Kochplatte für 20,00 Euro. Der Topf lag ungenutzt im Keller und wird jetzt wieder einer sinnvollen Nutzung zugeführt.
1. Schritt: Gründliche Reinigung des gesamten Antriebs
Vor dem Aufbringen des Wachses muss die Kette gründlichst entfettet werden. Auch kleine Reste von Öl können dazu führen, dass das Wachs nicht haftet, die Kette nicht rund läuft und korrodiert. Also habe ich sie erst einmal grob vom Dreck befreit und dann in ein Gurkenglas mit Waschbenzin gelegt. Etwas einweichen lassen, dann den Barkeeper machen und kräftig durchschütteln. Das wird zwei bis drei Mal wiederholt. Um auch noch die restlichen Ölreste zu entfernen, kommt die Kette dann in ein Bad mit Aceton. Auch da wird noch einmal kräftig geschüttelt, nicht gerührt. Abschließend wird die Kette zum Trocknen aufgehängt.
Gleichermaßen fettfrei müssen auch die anderen Teile des Antriebs sein. Also werden die Kassette, das Kettenblatt und die Schaltung vom Rad abmontiert und einer peniblen Reinigung unterzogen. Vor allem die Röllchen am Schaltwerk haben es wirklich nötig; irre, wieviel Dreck sich da so sammelt. Die Prozedur dauert mindestens eine Stunde, wäre früher oder später aber sowieso mal dran gewesen. Zur Beruhigung: Das ganze ist nur einmal vor dem ersten Auftragen des Wachses notwendig. Da Wachs nicht so viel Schmutz anzieht, soll diese gründliche Grundreinigung bei späterem Nachwachsen entfallen - hoffen wir es.
Waschbenzin und Aceton, für je rund 5 Euro im Baumarkt erworben, sorgen für eine gründliche Reinigung der verschmierten Fahrradteile.
Aber Vorsicht: am besten nur mit Einmalhandschuhen anfassen.
Hinweis: Die Gläser dienen nur als Reinigungsgefäß, Gurken zuvor aufessen.
2. Schritt: Wachsen
Die Kette ist jetzt sauber und kann gewachst werden. Ich hänge sie auf einen alten Schaltzug, damit ich einen „Griff“ habe, an dem ich sie in das heiße Wachs tunken und wieder herausnehmen kann, ohne mir die Flossen zu verbrennen. Das Wachs ist in einem dicken Block geliefert worden. Ich habe mich für das Graphit Heißwachs der Fa. Optimize entschieden. Das kostet rund 40 Euro und soll angeblich für 20 Anwendungen reichen. Es gibt auch noch ein hochwertigeres für 80 Euro, aber für den ersten Versuch reicht auch erst einmal das günstigere. Wachse anderer Hersteller kosten auch so um 40 Euro.
Der Block wird klein gebrochen und in den Topf gegeben. Die Kochplatte schalte ich auf eine höhere Temperaturstufe und warte gespannt ab. Langsam wird das Wachs weich, bis sich das feste Material ganz aufgelöst hat und leicht zu dampfen beginnt. Vorsichtig lasse ich die Kette an meiner Griffkonstruktion in das flüssige Wachs gleiten und rühre ein wenig, damit das Wachs in alle Ritzen eindringen kann. Man sieht, wie kleine Luftbläschen aufsteigen, ein gutes Zeichen, das Wachs verdrängt die Luft in der Kette. Die Temperatur wird nun herunter geregelt. Die Kette bleibt rund 15 Minuten in der Wachsmasse, ab und zu rühre und drehe ich sie mit dem „Griff“, um sicherzustellen, dass das Ketteninnenleben überall eingewachst wird.
Langsam wird das Wachs kühler. Ich entnehme die Kette und hänge sie an einer über dem Topf befindlichen Eigenkonstruktion auf, damit sie austropfen kann. Allzu viel soll sie nicht tropfen, heißt es, weil das Wachs sonst noch zu heiß ist und nicht an der Kette haftet. Aber bei mir scheint es gut auszusehen. Mindestens zwei Stunden soll sie abtrocknen, ehe sie am Rad montiert wird. Nicht wundern: die Kette versteift sich leicht. Das ist aber normal und muss erst eine Zeit lang geschmeidig gefahren werden.
3. Schritt: Abkühlen und Montage
Das Wachs lasse ich im Topf erkalten und kann es beim nächsten Mal oder für eine andere Kette wieder verwenden.
Ich warte bis zum nächsten Tag und montiere dann den Antrieb einschließlich frisch gewachster Kette wieder an das Rad. Das klappt alles sehr gut. Jetzt freue ich mich auf den ersten Ausritt und bin sehr gespannt, wie es sich damit so fährt.
Neben dem Heißwachs habe ich mich auch mit einer Tube Kaltwachs versorgt, das man zwischendurch auftragen kann, z.B. wenn man in Regen oder Matsch gekommen ist. Im übrigen habe ich mir einige neue Microfasertücher zugelegt, mit denen ich die Kette regelmäßig abwischen kann.
Fazit:
Das Experiment ist geglückt. Der Umstieg ist unkompliziert, die Kette läuft ruhig und bleibt vor allem lange Zeit sauber. Ab und an muss sie mit einem trockenen Tuch abgewischt und gelegentlich mit Flüssigwachs behandelt werden. Es bleiben die regelmäßigen Nachwachsarbeiten, die sich aber in Grenzen halten. Für mich eine sehr gute und alles in allem günstige Alternative zum Kettenwachs.
Nachteil: Nach Regenfahrten unmittelbar nach der Tour mit Flüssigwachs nachwachsen, da sonst Korrosionsgefahr besteht.
Stand: 04.06.2024