Pyrenäencross 2022 Lourdes - Andorra
Der Pyri-Cross
04.07. - 13.07.2022
417 km - 10.390 Höhenmeter
Ein Jahr ist schon wieder vergangen seit der letzten Alpentour. Es wird also Zeit für den nächste Alpencross. Obwohl …. eigentlich ist es gar kein „Alpen-“, sondern ein Pyrenäencross, von Norbert liebevoll „Pyricross“ getauft. Mal etwas anderes, nachdem wir inzwischen fast alle Alpenländer abgeklappert haben.
Acht Etappen stehen auf dem Programm. Wir starten am 5. Juli zu viert im hillije Lourdes; nach einer Übernachtung in einer französischen Hütte machen wir dann rüber nach España und erreichen schließlich über Andorra am letzten Tourtag wieder das Reich der Franken. Insgesamt sind gut 400 km und 12.300 Höhenmeter geplant. Der höchste Punkt liegt bei 2.400 Meter ü.M.
Mal schauen, wie sich die Pyrenäen darstellen, vielleicht etwas rauer und wilder als die Alpen, dünner besiedelt und weniger erschlossen für Mountainbiker. Mobilfunkempfang nicht überall. Hoffen wir mal, dass die Versorgung sichergestellt ist. Kaiserschmarn und Semmelknödel wirds nicht geben. Man fühlt sich fast wie ein Pionier bei der Entdeckung neuer Welten.
Kleine Erschwernis: Wir müssen Fahrradtransporttaschen im Rucksack mitschleppen, rund ein Kilo mehr Gewicht, da die Züge auf Hin- und Rückfahrt keine ganzen Fahrräder mitnehmen, nur auseinandergenommen in der Transporttasche.
Montag, 04.07.2022
Die Anreise
Abfahrt am Montag um 08.08 Uhr ab Düsseldorf, Thalys nach Paris. Das Positive: Die Züge sind pünktlich. Sowohl der Thalys nach Paris als auch der TGV von Paris nach Lourdes. Aber sie sind arg eng und voll. Und die Unterbringung der in den Taschen verpackten Fahrräder ist nicht gerade perfekt.
Kleine Gepäckfächer, wo die Räder nicht oder nur sehr knapp hineinpassen und die zudem mit anderweitigen Taschen, Koffern, Katzen etc. beladen werden. Ein fettes Teil landet so auch prompt auf meinem Rad. Die Angst, sich eine verbogene Bremsscheibe oder eine gebrochene Speiche einzufangen ist größer als die vor einer Ansteckung mit Corona. Sowohl in Belgien als auch in Frankreich gibt es übrigens keine Maskenpflicht in den Zügen.
In Paris kann man nicht einfach umsteigen wie wir es gewohnt sind. Wir müssen quer durch Paris vom Gare du Nord zum Gare de Montparnasse fahren, die etwa 6 km auseinanderliegen. Also die Räder aus den Taschen, aufbauen, 6 km zum anderen Bahnhof, dort Räder wieder auseinander und ab in die Taschen. Bevor man in den Zug darf, muss man erst brav in der Schlange vor einer Kontrolle warten. Leicht gestresst sitzen wir dann endlich im TGV nach Lourdes. Zur Belohnung gibts wieder Dagmars leckeren Alpencross-Kuchen. Heute aber ohne Sekt.
Mit wenig Verspätung erreichen wir schließlich den Wallfahrtsort Lourdes. Die Räder haben es scheinbar schadlos überstanden. Wir checken in unser 50er-Jahre-Hotel ein, machen uns schnell frisch und gehen sehr lecker essen.
Dann werden wir magisch angezogen von spirituellen Gesängen aus der Ferne. Wenige Minuten vom Stadtkern finden wir die Wallfahrtskirche und die Grotte der Marienerscheinung. Zahlreiche Pilger aus den verschiedensten Ländern singen, tanzen und beten hier. Irgendwie schon beeindruckend.
Unterkunft: Hotel Lutetia, Lourdes
Dienstag, 05.07.2022
Erster Tourtag: Von der Madonna zur Holle
Die erste Etappe führt uns von Lourdes nach Gavernie-Gèdre. Geplant sind „nur“ 54 km und 1.640 Höhenmeter. Für unsere Verhältnisse eigentlich eher wenig. Doch hatten wir uns vor der Tour vorgenommen, gelegentlich mal so früh am Ziel anzukommen, dass man noch etwas chillen kann. So war es heute.
Frühstück gibts um 8.00 Uhr. Für französische Verhältnisse sogar halbwegs reichhaltig. Neben dem üblichen Baguette immerhin Schinken, Käse und gekochte Eier. Und ein Croissant. Der Kaffee au Lait kommt aus dem Automat, kann aber beliebig nachgeholt werden. Ich wurde jedenfalls satt und packte mir noch das Croissant und einen Apfel als Reiseproviant ein.
Wir starten erwartungsvoll um kurz nach 9.00 Uhr. Das Wetter ist noch kühl und nebelig. Auch im Laufe des Tages bleibt es wolkenverhangen, regnet aber nicht. Erst am Nachmittag reißt die Wolkendecke gelegentlich auf. Dafür wird es schwül.
Hinter Lourdes zunächst einige Kilometer auf einer bequemen Bahntrasse, später auf Landstrassen. Bis Luz Saint Sauveur geht es nur mäßig aufwärts. Dort wird kurz pausiert und einige Lebensmittel besorgt. Dann kommt die Auffahrt von über 1.000 Höhenmeter auf rund 25 Kilometer. Die Steigungen sind zwar lang und anstrengend, aber gut fahrbar und meist moderat, zumal wir hauptsächlich auf Straßen verkehren.
Kleines Schmankerl am Rande. Kaum aus Luz Saint Sauveur raus haben wir den ersten Platten der Tour. Das passiert ausgerechnet dem Mitfahrer von uns (Namen werden hier nicht genannt), der in 12 Touren noch nie einen Personen- oder Materialschaden hatte und zudem das neueste Bike fährt.
Jedenfalls war der Schaden schnell behoben und wir kämpfen uns weiter die Talstraße hoch. Irre Einblicke in das enge Tal mit steil abfallenden Felswänden, in dem tief unten der Bergbach rauscht. An einer Seite klebt die Straße, auf der wir uns unermüdlich weiterbewegen. Glücklicherweise ist die Straße wenig befahren. Schon um etwa 15.30 Uhr erreichen wir unser Ziel, eine sehr schöne Berghütte namens Refuge La Grange de Holle auf 1.500 Meter Höhe, wunderbar umrahmt von hohen Bergen, ein Traum.
Geduscht und umgezogen, dann ein kühles Bier im Garten der Hütte. Es kristallisiert sich immer stärker heraus, dass wir nicht die einzigen Gäste sind. Ganz im Gegenteil, hier ist echt was los. Aber alles Wanderer. Unsere Fahrräder fallen auf.
In französischen Hütten ist es üblich - kennt man ja aus dem Asterix -, dass beim Abendessen alle zusammen an Tischen sitzen und aus einem Topf essen, so auch hier. Es gibt provenzalischen und baskischen Fleischtopf mit Reis, vorher eine undefinierbare Suppe und nachher Kuchen. Sehr, sehr köstlich! Die Töpfe müssen wir Deutsche uns mit sieben anderen hungrigen Gästen aus Spanien, Italien, Frankreich und USA teilen. Ein babylonisches Sprachengewirr, aber außer dem Ami sprechen alle halbwegs gut außer der Muttersprache mindestens eine weitere Sprache, so dass ein munteres Geplauder stattfindet.
Hüttenruhe um 22.00 Uhr. Draußen klingeln romantisch die Kuhglocken und zirpen die Zikaden. Einfach schön.
Lourdes - Réfuge la Grange de Holle
Entfernung: 50 km
Höhenmeter: 1.200 m
Unterkunft: Refuge La Grange de Holle, Gavarnie-Gèdre, Frankreich
Mittwoch, 06.07.2022
Zweiter Tourtag: Im Regen nach Spanien
Heute verlassen wir Frankreich und überqueren die Grenze zu Spanien. Die Fahrt wurde anstrengender als gedacht. Aber von vorn.
Frühstück gibt es um 7.30 Uhr. Es als spartanisch zu bezeichnen, wäre übertrieben. Weißbrot mit Marmelade und/oder Müsli. Dazu Kaffee aus einer Dessertschüssel (ist in Frankreich so üblich). Aber gut, es ist halt eine Hütte. Aber wir bekommen ein Piquenique (auf Deutsch: Lunchpaket) für den Weg.
Um 8.15 Uhr wollen wir los, müssen aber feststellen, dass es draußen fies regnet. Norberts App sagt uns, dass es 9.20 mit dem Regen vorbei ist. Also nochmal rein in die Hütte, den Rest des Kaffees ausgetrunken und mit den netten Amis vom Abendessen gequatscht. Aber schon um 9.05 sieht es wettertechnisch besser aus und es kann losgehen.
Das mit dem Wetter war allerdings ein Trugschluss. Kaum auf den Rädern fängt es wieder an zu regnen und sollte im Laufe des Vormittags noch schlimmer werden. Aber es hilft ja nichts, wir müssen weiter.
Der erste Abschnitt besteht in einem kräftigen Aufstieg von 800 Höhenmeter zum Col de Tentes. Der liegt auf 2.200 Meter. Die Auffahrt wäre wesentlich leichter gewesen, wenn es nicht die ganze Zeit geregnet hätte, gepaart mit Gewitter und sogar Hagel. Um etwa 11.00 Uhr sind wir oben. Kalt, nass und karg, nichts was einen zum Verweilen einladen würde, aber eine bombige Aussicht auf die umliegende Bergwelt.
Ein holpriger Weg, der schon bessere Tage erlebt hat und auf dem Radfahren eigentlich verboten ist (stört uns nicht weiter), führt uns zu einem weiteren Pass, der die Grenze zu Spanien bildet. Es regnet immer noch und ist ungemütlich. Aber der Horror beginnt jetzt erst. Wir müssen auf einem steilen, rutschigen und völlig verblockten, steinigen Weg 900 Meter runter.
Fahren ist natürlich nicht möglich, das Rad wird ausschließlich getragen, geschoben, gehoben. Superanstrengend. Das kostet uns ganze drei Stunden, jede Menge Nerven und Kräfte. Um etwa 14.00 Uhr sind wir im Tal. Wie bestellt kommt die Sonne raus und wir machen erst einmal Pause bei dem mitgebrachten Piquenique.
Dann haben wir aber immer noch 34 km und 700 Höhenmeter vor uns. Erst geht es ganz gemütlich abwärts, später dann auf der weitestgehend ebenen Landstraße weiter. Dann werden wir etwas übermütig und machen einen Fehler. Mit 3 gegen einen beschlossen lassen wir uns auf den von Komoot vorgeschlagenen Track am Bach ein. Der war schon wieder so steinig und matschig, dass wir ordentlich Zeit verlieren.
Es wartet noch ein 700 Meter Aufstieg auf uns, der es in sich hat. Zwar sehr gut befahrbar, aber teilweise sehr steil - in der Spitze bis 15%, im Durchschnitt 8,4%. Inzwischen hat es wieder angefangen zu regnen. Erst um 18.30 sind wir endlich auf der Höhe. Jetzt sind es noch 8 km bis Nerin, unserem Zielort. Am Ende nochmal steile 120 Meter hoch. 19.30 am Ziel, über 10 Stunden unterwegs und 1.850 Höhenmeter überwunden.
Die Unterkunft, eine einfache Albergo ist wirklich nett. Wir bekommen sehr leckeres regionales Abendessen. Noch ein, zwei Cerveza bzw. Wein, dann gehts in die Heia.
Réfuge la Grange de Holle - Nerin
Entfernung: 49,2 km
Höhenmeter: 1.580 m
Unterkunft: Albergue Añisclo, Nerin, Spanien
Donnerstag, 07.07.2022
Dritter Tourtag:
Der 3. Tag beginnt mit dem Frühstück um 7.30 Uhr. Auch wieder super. Aufgetoastetes Brot mit stückigen Tomaten und Olivenöl. Soll eine spanische Gepflogenheit sein. Aber wirklich lecker. Dazu starken Kaffee. Um 8.30 Uhr sind wir auf den Rädern.
Von Nerin gehts erstmal wieder 150 Meter runter. Da wir laut Plan über 2.000 Höhenmeter vor uns haben, wollen wir besonders schlau sein und 150 Höhenmeter sparen, indem wir ein Stück gegen die Einbahnstraße fahren. Da haben wir allerdings nicht mit der spanischen Armada gerechnet. Auf halber Strecke wurden wir tatsächlich aufgegriffen und zurückbeordert. Das heißt, wir können nicht nur die 150 Meter nicht sparen, sondern müssen die 100 Meter, die wir schon runtergefahren sind, wieder hoch.
Aber das war auch nicht so schlecht, weil wir auf der legalen Strecke wirklich tolle Einblicke auf den „Cañon de Aisclo“ bekommen. Tiefe Schluchten und hohe Berge im Morgen-Sonnenlicht.
Inzwischen ist es Mittag und uns gelüstet nach Nahrungsaufnahme. Nachdem wir uns zunächst in einem Dorf namens „Plan“ ein alkoholfreies Bier (Cerveza sin alcohol) gegönnt haben, wollen wir einkaufen. Wir lernen: falsche Reihenfolge. Erst einkaufen, dann Bier. Um 13.00 ist nämlich Siesta! Macht aber nix, wir finden nämlich noch einiges Essbares in unseren Rücksäcken. Chinoasalat vom Vortag, Brot von vorgestern, ganze Bananenstauden und Salami.
Nach dem opulenten Mittagsmahl erwartet uns unser heutiger Megaaufstieg zum Colido de Sahun, rund 950 Höhenmeter bei durchschnittlich 10% Steigung. Echt anstrengend, zumal es die Sonne sehr gut mit uns meint. Um 17.30 sind wir oben. Der dortige Ausblick entschädigt uns für die Anstrengungen. Und dann kreisen auch noch mindestens 10 Lämmergeier, die speziell in dieser Regio leben, über uns. Es ist phantastisch.
Abwärts geht es dann über gut befahrbare Schotterwege. Anstrengend wird es noch einmal ganz zum Schluss. Eigentlich haben wir unsere Kräfte heute bereits verbraucht, müssen wir bei heftigen Gegenwind nochmal 160 Meter steigen, ehe wir bei unserem heutigen 3-Sterne-Hotel ankommen.
Okay, das Abendessen ist jetzt nicht gerade eine regionale Besonderheit. Es gibt Schweinefilet und Stockfisch mit abgezählten Pommes. Als Nachtisch wählte ich Eis und bekomme ein Cornetto. Also ich wurde satt, andere weniger.
Kleines Schmankerl: Ein Mitfahrer möchte gern „mehr“ Pommes („mui patatas fritas“). Der Koch versteht das anders und frittiert dieselben Fritten einfach nochmal etwas stärker.
Nerin - Sahun
Entfernung: 86,9 km
Höhenmeter: 1.850 m
Unterkunft: Hotel Casa Chuldian, Sahun, Spanien
Freitag, 08.07.2022
Vierter Tourtag:
Unser 3-Sterne-Hotel bietet zum Frühstück eine ordentliche Wurst-Schinken-Käse-Platte, wobei der Käse eindeutig in der Minderheit ist. Überhaupt haben es Vegetarier und erst recht Veganer in dieser Region schwer. Wir als bekennende Fleischesser werden jedenfalls ordentlich satt.
Wir starten um 8.30, heute wieder zu viert. Uns erwarten nur 40 km und 1.200 Höhenmeter.
Daher lassen wir es ruhig angehen und suchen im nächst größeren Dorf Benasque erst einmal einen Supermarkt auf, wo wir uns mit Proviant und Getränken versorgen. Dann kommt Norbert auf die glorreiche Idee, die uns den nächsten Tag retten wird. Er erkundigt sich zunächst im Touri-Büro, dann bei einem lokalen Fahrradhändler nach der Möglichkeit, unsere Räder zum Refugi dera Artiga de Lin, d. h. zur übernächsten Unterkunft transportieren zu lassen. Und es ist tatsächlich möglich. Der freundliche Händler holt - gegen ein ordentliches Honorar - unsere Räder heute bei einer vereinbarten Stelle kurz vor unserem heutigen Ziel ab und bringt sie zu unserer morgigen Unterkunft. Wir können dann also die 5. Etappe, die eh nur gut 10 km lang ist und durch die Hochpyrenäen führt, von den Rädern befreit als Wanderung bewältigen.
Hinter Benasque geht es erst einmal auf der Landstraße bei merklicher Steigung von bis zu 10% rund 15 Km stetig bergauf. Die Steigung, aber insbesondere der starke Gegenwind, der uns in diesem immer enger werdenden Tal entgegenbläst, machen uns bei 25 Grad zu schaffen. Dann biegen wir auf eine Seitenstraße ins Nirgendwo ab. Auch hier steigt es weiter ordentlich an. Die Straße endet bei der „Cabaña de la Besurta“, einem Büdchen, das als Ausgangs- und Endpunkt von Wanderungen dient und uns mit einigen Kaltgetränken versorgt. Hier warten wir auf den Fahrradtransporter, der pünktlich eine halbe Stunde verspätet eintrifft.
Dann machen wir uns zu Fuß auf, unsere Hütte, das Refugio Renclusa zu erreichen. In einer Stunde schaffen wir den Aufstieg von 260 Höhenmetern auf einem schmalen Wanderweg.
Das Abendessen ist einfach, aber schmeckt wunderbar. Erst eine Art Linsensuppe, dann ein kräftiger Fleischeintopf und als Dessert Milchreis. Wie in Hütten üblich herrscht spätestens um 22.00 Bettruhe.
Eine toll (ab)gelegene, aber einfache Hütte. Unsere Schlafkojen befinden sich in einem Raum mit 17 Betten, von denen letztlich 11 belegt sind. Wir mitten drin.
Sahun - Refugio de Renclusa
Entfernung: 25,5 km
Höhenmeter: 1.170 m
Unterkunft: Refugio de Renclusa, Huesca, Spanien
Samstag, 09.07.2022
Fünfter Tourtag: Wandertag
Heute ist Wandertag. Die Strecke zwischen den beiden Hütten Refugio Renclusa und Artiga de Lin wollen wir zu Fuß bewältigen, was - wie sich herausstellt - eine sehr gute Entscheidung ist. Und zwar aus zwei Gründen. Zum einen hätten wir diesen Weg durch die Hochpyrenäen niemals mit dem Fahrrad machen können (nie und nimmer), zum anderen hat man auf der zu-Fuß-Passage noch ganz andere, intensivere Eindrücke von der Region.
Wir übernachten, wie in Hütten üblich, in einem Schlafraum mit zahlreichen anderen Schläfern jeglichen Geschlechts. Die meisten stehen schon um 04.45 Uhr auf, wahrscheinlich weil sie eine längere Wanderung vor sich habe, etwa zum höchste Berg der Pyrenäen, dem Aneto. Dementsprechend entsteht früh Unruhe in unserem Saal. Wir selbst stehen erst um 7.00 auf und sitzen als letzte Gäste um 7.30 am Frühstückstisch bei Zwieback mit Marmelade oder Schinken. Kaffee und O-Saft scheint in Spanien immer dabei zu sein. Und wir bekommen für den Tag ein Picnic mit.
Unsere Wanderung beginnt um 8.15 direkt mit einem ordentlichen Aufstieg. Winzige Wege mit großen Steinen, die steil nach oben, später dann genauso steil nach unten gehen. Jeder Schritt will wohl gesetzt sein. Die gesamte Strecke ist „nur“ gut 10 km lang, geht aber praktisch immer durch wildes Gelände. Sehr anstrengend, aber unglaublich interessant und eindrucksvoll. Kein Sonntag-Nachmittag-Spaziergang im Siebengebirge.
Nach zwei Stunden erreichen wir eine Hochebene, die wir durchqueren, um auf den nächste Pass zuzusteuern. Dann stellt sich die Frage, welchen weiteren Weg wir nehmen: den kurzen steilen oder den längeren, weniger steilen. Wir entscheiden uns für den steilen, und zwar auch deshalb, weil sich zahlreiche Läufer (kaum zu glauben, aber wahr) in einem Wettbewerb auf der Strecke befinden, die wir damit verlassen.
Es geht wieder steil bergauf zum Coll Toro. Danach extrem steil rund 1.000 Meter hinunter. Zunächst müssen wir aber eine Geröllwüste überwinden. Unglaublich, kann hier nicht mal jemand aufräumen?
Der Abstieg ist nicht weniger anstrengend als der Aufstieg, da die Wege völlig verblockt sind. An zwei Stellen sind die Wege so steil, dass Stahlseile gespannt sind, an denen man sich hinunter hangelt. Ist fast wie im Fernsehen bei den Bergrettern. Also mir hat es echt Spaß gemacht. Um 14.30, also nach über 6 Stunden erreichen wir unser Ziel, eine weitere Hütte im Nirgendwo, das Refugio Artiga de Lin. Auch hier kein Wlan und kein Mobilfunk, aber, wie in allen Hütten, ein supertolles, leckeres, sehr fleischlastiges Abendessen.
Unsere Räder werden zuverlässig angeliefert und stehen für den morgigen Ritt bereit.
Refugio de Renclusa - Refugi dera Artiga de Lin
Entfernung: 10,6 km
Höhenmeter: 420 m
Unterkunft: Refugi dera Artiga de Lin, Lleida, Spanien
Sonntag, 10.06.2022
Sechster Tourtag:
Nach dem gestrigen Wandertag konzentrieren wir uns heute wieder auf unsere Hauptaufgabe, dem Radfahren. Heute steht eine mittelschwere Etappe mit 54 km und 1.400 Höhenmetern auf dem Programm.
Nach dem üblichen einfachen Hüttenfrühstück starten wir entspannt um 9.00 Uhr. Der Weg führt zunächst abwärts ins nächste Dorf namens Vielha.
Da heute Sonntag ist, können wir leider keinen Supermarkt, wohl aber eine kleine Panderia (Bäckerei) aufsuchen. Einige von uns müssen sich noch mit Brot versorgen. Ich selbst nicht, da ich noch die geschmierten Sandwiche von vor zwei Tagen in meinem Rucksack mit mir rumtrage. Die sollten vielleicht mal gegessen werden.
So what, hinter Vielha geht es bergauf. Erst gemächlich auf der Landstraße, dann aber heftiger über Feld- und Waldwege. Der gesamte Anstieg beträgt immerhin fast 900 Höhenmeter. Die Gangschaltung an einem unserer Räder macht vorübergehend Zicken, das lässt sich aber schnell lösen. Über einen sehr schönen Schotterweg erreichen wir am frühen Nachmittag den höchsten Punkt dieser Etappe bei knapp 1.900 Meter. Auf dem Weg passieren wir die Quelle der Garonne (hier noch Garona), eine fast unscheinbare Stelle, an der das Wasser aus dem Wiesengrund sprudelt, ehe es sich zu einem der größten Flüsse Frankreichs entwickelt.
Dann geht es nur noch abwärts durch Feld und Wald, immer auf mehr oder weniger guten Schotterwegen. Um 17.00 Uhr kommen wir mitten im Niemandsland bei unserer heutigen Hütte an, dem Refugi del Fornet, das wirklich sehr einsam inmitten hoher Berge liegt. Sehr beeindruckend - und wie die Hütten davor völlig ohne Mobilfunk und Wlan. Dafür mit zwei netten und völlig harmlosen Hüttenhunden. Einer ist riesig, sieht aus wie Fuchur (aus "Die unendliche Geschichte") und liegt ständig im Weg rum.
Wir genießen noch zwei Bier auf der sonnigen Terrasse, bevor es ein wieder sehr leckeres Hüttendiner gibt.
Refugi dera Artiga de Lin - Refugi del Fornet
Entfernung: 53,7 km
Höhenmeter: 1.260 m
Unterkunft: Refugi del Fornet, Lleida, Spanien
Montag, 11.07.2022
Siebter Tourtag: Nach Andorra
Heute steht unsere Königsetappe auf dem Programm, wenigstens was die Entfernung und die zu bewältigenden Anstiege angeht. 78 km und 2.140 Höhenmeter.
Dementsprechend starten wir früh um kurz nach 8.00 Uhr. Erst geht es auf einer breiten, gut befahrbaren Landstraße leicht bergab bis in ein sehr nettes Städtchen namens Llavorsi.
Hier beratschlagen wir, wie wir die Strecke überhaupt bewältigen können angesichts der zu erwartenden Wege. Wir haben nämlich festgestellt, dass die geplanten Singletrails und Feldwege zwar schön, aber auch rumpelig und steinig und daher extrem anstrengend sind. Angesichts der heutigen sowieso anspruchsvollen Tour entwirft Norbert kurzerhand zwei neue Alternativen über Komoot. Wir entscheiden uns für eine mit mehr Straßen- und Pistenanteilen, die dafür aber etwas länger ist.
Das ändert aber nichts daran, dass wir drei heftige Anstiege über 800, 200 und 400 Höhenmetern haben, alle auf Schotterwegen mit Steigungen bis zu 14%. Der erste Anstieg klappt noch wunderbar. Dann geht es immer weiter ins Niemandsland. Die Temperatur steigt bis Nachmittag auf 26 Grad, so dass wir uns langsam Gedanken über unsere Wasservorräte machen. Der zweite Aufstieg ist sehr kräftezehrend. Es hat sich aber inzwischen abgekühlt, es regnet leicht und ein Gewitter droht, verzieht sich aber.
Kurz vor unserem letzten Aufstieg erreichen wir ein abgeschiedenes Dorf namens Civis, total romantisch. Die letzte Siedlung vor der andorranischen Grenze. Laut Google 22 Einwohner, aber mindestens genauso viele Hunde. Wir finden einen Brunnen, der uns geeignet erscheint und füllen unsere Trinkflaschen. Da werden wir von einem älteren Herrn in einer sehr fremd wirkenden Sprache, die noch nicht mal Norbert versteht, angesprochen. Ich dachte erst, es sei der Dorfdepp, der sich nicht artikulieren kann. Tatsächlich war es wohl der katalanische Dialekt dieses Dorfes. Ein freundliche Dame mischt sich ein und klärt uns auf, dass wir diesen Brunnen besser nicht nutzen sollen und weist uns einen anderen zu, zu dem wir sodann von einem weiteren Herrn geführt werden. Ich glaube, wir waren die Attraktion dieses Dorfes an diesem Tag.
Trotz der neuen Wasservorräte gestalten sich die letzten 400 Höhenmeter als äußerst anstrengend. Die lange Fahrt, das Wetter und die Aufstiege fordern ihren Tribut. Wir müssen streckenweise absteigen und schieben, weil die Kraft kaum noch reicht. Aber wir schaffen es wieder einmal. Irgendwann sind wir oben und überschreiten unbemerkt die Grenze nach Andorra. Noch eine kurze Abfahrt und wir sind um etwa 20.00 Uhr an unserem heutigen Ziel.
Heute in einem Vier-Sterne-Hotel mit schönen Zimmern und einem bombastischen Abendessen, das für die Anstrengungen entschädigt.
Refugi del Fornet - Andorra
Entfernung: 86,1 km
Höhenmeter: 1.770 m
Unterkunft: Hotel Parador de Canolich, Bixessari, Andorra
Dienstag, 12.07.2022
Achter Tourtag: Über den Port d’Envalira zum Nachtzug
Heute ist unser letzter Radl-Tag der Tour. Die Strecke führt quer durch Andorra zurück nach Frankreich in das Örtchen L‘Hospitalet près de l‘Andorre, unmittelbar hinter Grenze. Immerhin noch einmal 55 Kilometer und 1.580 Höhenmeter. Ein gewisser Zeitdruck besteht dadurch, dass wir um 18.54 Uhr den Zug nach Toulouse bekommen müssen. Von Toulouse wollen wir dann den Nachtzug nach Paris nehmen.
Nach einem 4-Sterne-Frühstück in unserem schönen Hotel sind wir um 9.30 Uhr auf den Rädern. Später als wir eigentlich wollen, aber nicht alle haben morgens schon den Turbo eingeschaltet. Heute sind wir nur noch zu Dritt, da Norbert noch nicht genug hat und noch ein paar Tage in Spanien dranhängt.
Unser Streckenprofil ist heute sehr simpel. 400 Meter runter, 1.500 Meter am Stück rauf, dann wieder 900 Meter runter. Das Wetter ist sehr schön, wird gegen Mittag aber sehr warm, zeitweise 31 Grad. Erst als wir in höhere Regionen kommen, wird es etwas kühler, aber selbst auf 2.400 Meter Höhe sind es noch 25 Grad.
Die Einsamkeit der letzten Tage ist vorbei. Wir müssen mitten durch die Hauptstadt La Vella. Ein wahnsinnig hektischer Verkehr. Immerhin gibt es an der Ausfallstraße Richtung Frankreich größtenteils einen Radweg, mal mehr, mal weniger breit. Auf die Nutzung von kleinen Wegen verzichten wir angesichts unserer Zeitvorgabe, nachdem wir festgestellt haben, dass diese schwer zu fahren sind.
Der Anstieg zum Port d'Envalira ist mit 1.500 Metern auf 33 Kilometern der längste unserer Tour. Die Steigung hält sich stets im Bereich von 7 bis 10 % , also durchaus anspruchsvoll (jedenfalls bei unserem Leistungsniveau). Glücklicherweise liegen eine Reihe von Tankstellen auf der Strecke, die wir mehrfach heimsuchen, um Erfrischungsgetränke zu erwerben. Einschließlich der Verschnaufpausen benötigen wir rund 6 Stunden, bis wir oben sind. Ein erhebendes Gefühl, zumal als als wir feststellen, dass der Port d‘Envalira bereits mehrfach Zielort der Tour de France und der Vuelta gewesen ist. Für uns ist es mit 2.408 Metern ü. M. der höchste Punkt unserer gesamten Tour.
Danach geht es nur noch abwärts. Wir passieren kurz vor der französischen Grenze eine Art Monsteroutlet, wo offensichtlich massenhaft zollfreie Waren feilgeboten werden. Was allerdings dazu führt, dass an der bald folgenden Grenze streng gefilzt wird. Wir mit unseren Rucksäckchen und Fahrrädern ohne Kofferraum werden vom Zoll glücklicherweise unbehelligt gelassen.
Die Schussabfahrt ist schnell vollzogen. Zwei Stunden vor Abfahrt des Zuges erreichen wir den Bahnhof in l`Hospitalet. Wir suchen ein schönes Gartenlokal auf, gönnen uns drei Bier und lassen die Höhepunkte der Tour noch einmal Revue passieren.
Andorra - L' Hospitalet près de l' Andorre
Entfernung: 55,3 km
Höhenmeter: 1.140 m
Unterkunft: Nachtzug Toulouse-Paris
Dienstag, 12.07.22 bis Mittwoch, 13.07.2022
Die Abreise
Die Rückreise ist ein Erlebnis für sich. Zunächst fahren wir am späten Nachmittag des achten Tourtages mit dem Regionalzug bis nach Toulouse, wo wir eine gute Stunde Aufenthalt haben. An einem Verkaufsstand auf dem Bahnhofsvorplatz besorgen wir uns mit ein wenig Eß- und Trinkbarem. Hier startet um 22:18 Uhr der Nachtzug nach Paris.
Mit unseren in den Transporttaschen verstauten Rädern steigen wir in den Zug. Keine Ablagen oder Abstellplätze für die Räder. Notgedrungen stellen wir unsere Packerl erst einmal in den Bereich der Einstiegstüren, wo es eh schon eng ist. Eine auf Ordnung bedachte Schaffnerin verlangt plötzlich, dass die Räder in einen Gepäckwagen ganz am Ende des Zuges gebracht werden müssen. Glücklicherweise lässt sie jedoch schnell wieder von ihrer Forderung ab, der Zug hat eh zwischen Toulouse und Paris keinen weiteren Haltepunkt.
Der Zug ist rappelvoll. Wir haben unsere Plätze in einem 6er-Liegewagenabteil gebucht, wo neben uns noch drei weitere Fahrgäste logieren. Die Bahn hat uns freundlicherweise je eine Decke und ein Kopfkissen parat gelegt. Ich lege mich verschwitzt und noch in der Fahrradkleidung auf meine Liege, die sich auf mittlerer Höhe befindet. Möchte nicht wissen, was die anderen von uns halten. Es sind schon eigenartige Umstände, dennoch kann ich erstaunlich gut schlafen. Als ich aufwache, sind wir bereits kurz vor Paris und es ist recht viel Leben im Zug. Ich schlage mich zur winzigen Nasszelle durch, erledige provisorisch meine Morgentoilette. Dann erreichen wir auch schon unsere Endstation, den Bahnhof Paris Montparnasse.
Wie auf dem Hinweg müssen wir wieder quer durch Paris radeln, Winz zum Gare de l'Est, Tom und ich zum Gare du Nord, die unmittelbar nebeneinander liegen. Bevor wir uns trennen, setzen wir uns noch gemeinsam in ein Straßencafé, in dem wir bei Café au Lait und Croissants gemütlich frühstücken.
Um 9.55 Uhr fährt unser Thalys zurück in die Heimat, wo wir am Mittag eintreffen.