Wo Dämonen schön wohnen

Crazy blue

Der Strudel des ablaufenden Wassers in der Badewanne wechselte seine Farbe im Sekundentakt, wobei die Farbe Blau in unzähligen Schattierungen überwog. Bram riss ungläubig die Augen auf, hatte er doch einen orangefarbenen Badezusatz verwendet. Er beugte sich tief hinunter, um das Phänomen genau betrachten zu können. Da rannen auch schon die letzten Tropfen in das Ablaufrohr.

Dachte jedenfalls Bram. Ein gurgelndes Geräusch erklang, dann machte es blubb und ein Geysir aus lauwarmer blauer Flüssigkeit klatschte ihm ins Gesicht, verteilte sich an den Wänden der Badewanne und ergab einen bildhaften Effekt, welcher der Küstenlinie um Monaco verblüffend ähnlichsah.

Bram staunte mit offenem Mund, strich sich mit der Hand über die Augen, blinzelte und stellte fest, dass er nicht träumte. Dann griff er ganz mechanisch zum Brauseschlauch, worauf ein leises Lachen aus dem Abfluss erklang. Ehe Bram dazu kam, den Wasserhahn zu öffnen, verschwand das mysteriöse Gemälde, oder was auch immer es gewesen sein mochte, spurlos.

„Das letzte Bier muss schlecht gewesen sein“, murmelte er, den Duschkopf des Schlauches wieder in die Halterung steckend.

Schon am nächsten Morgen hatte er den Spuk vergessen. Zudem war Montag und der typische chaotische Wochenstart auf der Baustelle nahm ihn gefangen. Weil er täglich in der Firma duschte, ehe er den Heimweg antrat, begnügte er sich zu Hause mit Körperpflege am Waschbecken.

Freitagmittag fiel der Hammer und Bram zog, wie an jedem Wochenende, mit Kumpels in seine Stammkneipe, gleich um die Ecke. Wie immer, trank er mindestens zwei Gläser Bier zuviel und seine Freunde hatten Mühe, ihn halbwegs sicher bis vor seine Haustür zu bringen. In seiner Wohnung angekommen, fiel er meist gleich mit Klamotten ins Bett und schlief seinen Rausch aus.

Samstagmorgens ekelte er sich regelmäßig vor sich selbst, ließ Badewasser ein, um sich langsam wieder zu entspannen.

Irgendwo in seinen grauen Zellen regte sich plötzlich eine Erinnerung. Nicht Genaues, nur eine vage Gedankensequenz, die mit dem orangefarbenen Badezusatz verknüpft sein musste und einen merkwürdigen Beigeschmack hatte.

Gezielt griff Bram nach einem Fichtennadelbad, das er direkt ins Wasser unter dem Hahn tropfen ließ und wo er sich dann wie ein Kind freute, als ganze Schaumberge die Wanne fast einen halben Meter hoch bedeckten. Zufrieden ließ er sich in die weiße Pracht gleiten, schloss selig die Augen und döste vor sich hin, bis sein Magen lautstark Nahrung forderte.

Also stieg er aus der Wanne, trocknete sich ab, zog bequeme Kleidung über und zog erst dann den Stöpsel. Sofort spülte er mit breitem Brausestrahl den Schaum zusammen.

Das Wasser lief ab. Merkwürdiges Gluckern begleitete die letzten Tropfen, was Bram die ganze Erinnerung zurückbrachte. Er prallte zurück. Gerade noch rechtzeitig, um nicht von der fast meterhohen Fontaine getroffen zu werden, die Old Faithful im Yellowstone-Nationalpark zur Ehre gereicht hätte. Es zischte, es dampfte, gelbliche Brühe schwappte durch die Wanne und bildete den kochenden Kessel des Geysirs mit allen Details nach.

„Wow!“ Bram äugte durch die gespreizten Finger beide Hände, welche er vor das Gesicht geschlagen hatte. „Das ist crazy!“, krächzte er mit belegter Stimme. Diesmal verkniff er sich den Griff zum Duschschlauch. Allerdings zuckte er heftig zusammen, als die Reste mit schwarzblauen Blubberblasen im Ablauf verschwanden und gleichzeitig schrilles Gelächter einsetzte: „Du hast mich gerufen! Crazy! Ja, ich bin Crazy! Crazy Blue!“

Bram machte auf dem Absatz kehrt, schlug die Badtür hinter sich zu und zündete mit zitternden Fingern eine Zigarette an. Das Wort crazy war ihm einfach so herausgerutscht, weil das, was in seiner Wanne passierte, ganz einfach crazy war.

Als er den Stummel im Aschenbecher ausdrückte, plagte ihn die Neugier, sodass er zum Bad zurückschlich, vorsichtig und beinahe lautlos die Tür öffnete, auf Zehenspitzen zur Wanne huschte und argwöhnisch hineinäugte. Nichts. Er trat näher. Alles blieb ruhig. Ja, er klopfte schließlich sogar mit dem Knöchel des gekrümmten Zeigefingers an die Wanne, ohne eine Reaktion hervorzurufen.

„Scheiß Sauferei“, brummte er vor sich hin, als er sich dem Frühstück widmete.

Das irre Spiel ging nun Wochenende für Wochenende, wobei Bram immer mutiger wurde und irgendwann schlagartig kapierte, dass es einen Zusammenhang zwischen den Saufgelagen und dem Wannenzauber geben musste, denn das Phänomen trat nur auf, wenn er sturzbetrunken gewesen war. Inzwischen hatte er auch herausgefunden, dass Crazy Blue ein Dämon war, der, ganz nach Wunschgedanken seines Gegenübers, perfekte Illusionen erzeugen konnte. Nicht einmal die Tatsache, einen Dämon im Haus zu haben, störte Bram. Im Gegenteil! Er genoss dessen magische Wunder mit jedem Mal mehr.

Also soff er sich zu Testzwecken auch manchmal mitten in der Woche einen gewaltigen Rausch an, um die grandiosen Bilder auf dem Acryl seiner Wanne bewundern zu können, die schließlich sogar eine Art Videosequenz darstellten und Bram ein Gefühl von Urlaub und Unabhängigkeit vermittelten. Dass die dämonische Lache hinterher immer lauter und hämischer erklang, merkte er nicht.

Nach einem Vierteljahr gab es das erste Mal Ärger mit dem Chef, weil Bram mit einer weithin wehenden Alkoholfahne zum Dienst erschien. Er wurde nach Hause geschickt. Doch, statt auszunüchtern, öffnete er die nächste Flasche, legte sich in die Wanne und ließ sich einen weißen Palmenstrand in der Karibik zaubern, nebst drei heißen Girls, die ihn mit allem verwöhnten, was sein Herz begehrte.

Es dauerte auch nur wenige Tage, bis Bram fristlos entlassen wurde und fast gar nicht mehr aus dem Haus ging. Stattdessen hockte er in der Wanne und führte endloses Palaver mit Crazy Blue, der spürte, sein Opfer sicher am Haken zu haben. Die letzten Freunde hatten sich inzwischen von Bram abgewandt, weil sie merkten, dass er keine Vernunft annehmen wollte und stattdessen vehement versuchte, sie mit seinem Mitbewohner Crazy bekannt zu machen.

„Ich halte mich raus“, wehrte sogar der Obdachlose ab, der hin und wieder eine Flasche Klaren mit Bram geleert hatte. „Hab keinen Bock, Ärger mit den Bullen zu kriegen. Du siehst doch ganz so aus, als ob dir dein Kumpel Drogen vertickt.“ Dabei ließe er den rechten Zeigefinger neben seiner Schläfe kreisen, um anzudeuten, dass Bram offensichtlich einen gewaltigen Riss in der Schüssel hatte.

„Dann verrecke doch unter deiner Brücke!“, hatte Bram mit schwerer Zunge gelallt, noch einen Schluck genommen und war auf allen vieren die Treppe zu seiner Wohnung im dritten Stock hinaufgekrochen, wo er sich gleich in voller Montur in die Wanne wälzte.

Crazy Blue erschien, und diesmal wörtlich, kaum dass die ersten Tropfen aus dem Hahn quollen. Er quetschte seinen Oberkörper aus dem Ablauf, wie der blaue Dschinn aus Aladins Wunderlampe, stemmte beide Ellenbogen auf, legte seinen gehörnten Kopf in die Hände, betrachtete mit spöttischen Blick Bram und kicherte.

Bram hielt ihm die Flasche Fusel hin. „Komm, Bruder, trink einen mit!“

„Geht nicht, bin im Dienst“, bekam er zur Antwort.

„Im was???“ Bram riss die Augen auf. „Was machst’n du?“

„Bin heute als Fremdenführer unterwegs. Soll einen Menschen sicher in unsere Welt geleiten“, feixte Crazy. „Wäre furchtbar, wenn er sich verliefe.“

„Heißt das, du dampfst gleich wieder ab und ich schiebe Langeweile?“

„Scheint so.“ Crazy wand sich mit einer drehenden Bewegung ganz aus dem Rohr und hockte sich auf den Wannenrand. „Hab echt keine Zeit! Bis demnächst!“

Bram sprang auf. „Was soll’n das jetzt?! Bin ich dem feinen Herrn nicht mehr gut genug?“ Er wollte Crazy folgen, der Richtung Küche verschwunden war. Dabei rutschte er in der Wanne aus, schlug einen Salto und knallte mit solchem Schwung mit dem Kopf auf die Fliesen vor der Wanne, dass es ihm den Schädel spaltete.

Im Bruchteil eines Wimpernschlags war Crazy Blue zur Stelle, begutachtete die verkrümmte Leiche in ihrem Blut und meinte lakonisch: „Oh ha, rote Brühe hatten wir noch gar nicht. Steht dir aber gut. Na, wenigstens hab ich meinen Auftrag erfüllt, dich sicher in meine Welt zu bringen.“ Dann sprang er kopfüber in den Abfluss, um nach neuen Opfern auszuspähen.