Die Magier von Tarronn

Band 1

Band 1

...Das gleißende Licht schien sie begleitet zu haben. Ringsum blendendes Weiß und klirrende Kälte. Selbst Imset fiel es schwer, sich zu orientieren. Mit dem furchtbaren Schneesturm hatten die Männer nicht gerechnet. „Weg können wir nicht, und wenn wir hier bleiben erfrieren wir“, sprach Imset. „Was willst du denn dann machen?“, fragte Safi missmutig. „Als Kinder haben wir auf Tarronn im Winter Schneehäuser gebaut. Das könnten wir hier auch versuchen.“ „Ich kenne weder Winter noch Schneehäuser“, maulte Safi. „Jetzt hör auf zu nörgeln und hilf einfach mit. Mir ist auch nicht gerade warm“, herrschte ihn Imset unwirsch an. Aron hatte schon begonnen, die Handgriffe von Imset nachzuahmen. Bald war eine kleine Mauer aufgeschichtet, die wenigstens den Sturm abhielt. Am Ende saßen sie in einer kleinen Höhle, die sogar Temperaturen um den Nullpunkt zuließ. „Tut mir leid, dass ich an deinen Worten gezweifelt habe“, sagte Safi und tippte Imset an. „Ist schon vergessen. Ich habe dich ja auch ziemlich angeblafft.“ „Wie geht es denn nun weiter?“, wollte Aron wissen. „Die Eierschalen werden kaum von allein zu uns kommen.“ „Egal was kommt, ich versuche, die Schalen energetisch zu orten.“ Imset setzte sich in den Lotossitz und schloss die Augen. Nach einer Weile rutschte er unruhig hin und her. „Verdammter Mist, mir friert hier fast der Hintern fest.“ Er verwandelte sich in einen Drakonat. Jetzt schien der Energiefluss keine Störung mehr zu erfahren. Nach ein paar Minuten stand die Richtung fest. „Da lang geht es, wenn der Sturm nachgelassen hat. Die Reste stammen noch aus einer Zeit, wo hier kein Eis war. Hoffentlich liegen sie nicht zu tief im Boden.“

Fast zwei Tage mussten sie warten, ehe sie die Minihöhle verlassen konnten. Der Drakonat ging voran und räumte wie ein Bulldozer den Schnee beiseite und irgendwann hatten sie den richtigen Platz gefunden. Nun mussten sie in die Tiefe. Imset stieß ein genervtes Fauchen aus, wütend schickte er Druckwellen in den Schnee, dass sich riesige Wehen um sie herum auftürmten. Die beiden Atlan gingen in Deckung. Die Augen des Drakonat begannen bereits, gefährlich zu flackern. Die Freunde hofften inständig, dass er nicht die Beherrschung verlor.

„Ah, wer sagt es denn. Da ist schon der Untergrund zu sehen“, hörten sie nach einer Weile Imsets Stimme und kamen herbei.

„Und wo sind die Schalen?“, fragten beide gleichzeitig, nachdem sie einen Blick in die Grube geworfen hatten.

„Irgendwo da unten“, sprach Imset und stampfte mit dem Fuß auf.

Safi hatte gerade noch etwas sagen wollen, als es abwärts ging. Imset hatte versehentlich die Decke einer Höhle eingetreten. Die Landung kam unerwartet und war heftig. Imset hatte sein Panzer geschützt, die beiden anderen hielten sich diverse Körperteile und fluchten, wie die Kesselflicker.

„Tut mir Leid, Männer. Ich glaube, sogar mir frieren hier die Instinkte ein.“ Er half ihnen auf die Beine und begann, ihre Wunden zu heilen. So viel Zeit musste sein. Alles andere hätte tödlich für sie enden können. Endlich kamen sie dazu, sich genau umzuschauen. Es war ein ganzes Höhlensystem, in dem sie gelandet waren. Der Drakonat hob den Kopf und witterte. „Da lang.“

Ohne Kommentar folgten ihm die beiden. Sogar hier unten bedeckte eine glänzende Eisschicht die Wände und den Boden. Immer öfter blieb Imset stehen und peilte die Richtung. „Wir sind fast am Ziel.“ Seine Stimme hallte mit mehrfachem Echo durch das Tunnelsystem. Noch zwei, drei Kurven, dann standen sie vor einem schimmernden Berg zusammen gefrorener Eierschalen.

„Die sind ja riesig! Und viele sind das!“ Safi konnte es kaum fassen. „Gab es denn wirklich einmal solche Drachen?“ Er breite die Arme aus, um etwas unendlich Großes zu umreißen.

Imset nickte. „Im Gegensatz zu Letan, sind dieses hier wohl auch bloß Zwerge gewesen.“

„Du machst Witze!“

„Ich? Keineswegs. Ich habe ihn gesehen – dort im Kristall. Ich weiß genau, wovon ich rede.“ Der Drakonat hatte wieder dieses wilde Flackern in den Augen. Safi und Aron sahen sich an, ihnen wurde langsam unbehaglich zumute. Nie zuvor war ihnen Imset derart unheimlich gewesen. Imset hatte sich bereits dem Auftauen des Eises gewidmet. Er blies seinen heißen Atem über den Schalenberg. Es knisterte und klirrte zwischen den Schalen, dann hielt er den ersten Splitter in der Hand. Er hob ihn hoch über seinen Kopf und stieß ein tiefes Grollen aus. „Jaaa, das ist die Magie der Urdrachen! Damit muss das Werk gelingen!“

Aron und Safi hatten erschreckt die Köpfe eingezogen. Imset wandte sich zu ihnen um. „Legt mir eure Arme um den Hals, einer von vorn, einer von hinten. Na macht schon!“, trieb er sie an, als sie nicht sofort reagierten. Er spürte ihre Angst, nur konnte er darauf jetzt keine Rücksicht nehmen. „Gut festhalten.“ Sein anfängliches Fauchen steigerte sich bis zum Raubtiergebrüll, was den beiden Atlan schrecklich in den Ohren gellte. Der ganze Hügel aus Schalen wurde durcheinander gewirbelt. Safi erkannte bald, dass sich dieser spiralförmige Wirbel um Imset drehte, der mit ihnen genau im Zentrum stand. Plötzlich stieß Imset seinen gellenden Drachenschrei aus. Von da an wusste Safi nichts mehr.

Als er zu sich kam, lag er im Gras am See und neben ihm Aron, der ebenfalls in einem jämmerlichen Zustand war. Ihre Gefährtinnen knieten mit sorgenvollen Gesichtern neben ihnen. Deutlich sah man noch die Spuren der Tränen. Von Imset weit und breit keine Spur.

„Was ist passiert? Wo ist Imset?“ Safi versuchte, aufzustehen. Ihm war schwindlig und der Schädel brummte, wie ein Bienennest.

„Bleib liegen.“ Merit drückte ihn zurück. „Die Magier kümmern sich um ihn. Keiner weiß, was passiert ist …“ Sie kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Aus der Grotte drang das Brüllen eines Raubtieres.

„Ich muss zu ihm!“ Safi wollte sich losreißen.

„Musst du nicht!“ Merit wurde energisch. „Außer Neri traut sich keiner in seine direkte Nähe.“ Leise setzte sie hinzu. „Er erkennt uns nicht einmal mehr.“

Safi und Aron sahen sie entsetzt an.

Solon und Talos standen am Rande der Grotte. Der tobende Drakonat ließ sie nicht einen Schritt näher an sich heran. Die blitzenden Reißzähne und die sichelscharfen Krallen hielten sie auf Distanz. Neri stand in wenigen Schritten Abstand und sprach leise auf den Tobenden ein. Ihre Stimme schien ihn etwas zu beruhigen. Immer wieder drang ein gefährliches Fauchen aus seinem Rachen, wenn sein Blick auf die beiden ratlosen Männer fiel. Imsets Zustand wollte sich einfach nicht bessern. Langsam, ganz langsam, um ihn auf keinem Fall zu reizen, tastete Neri nach den Schulterspangen ihres Gewandes. Der Drakonat beobachtete sie dabei sehr genau. Sie öffnete die Verschlüsse und ließ das Gewand vorsichtig zu Boden gleiten. Dann ging sie langsam, mit ausgebreiteten Armen, die ihm zeigten, dass sie keine Waffen trug und völlig schutzlos war, auf ihn zu. Das grausame Leuchten in Imsets Augen verschwand. Sie drückten jetzt eher Neugier und Interesse aus. Dann gewahrte er den Lotos der Isis an ihrem Hals. Er schien plötzlich in sich hinein zu lauschen. Neri machte den letzten Schritt und legte mit klopfendem Herzen ihren Kopf an seine Brust. Das Udjat und der Lotos berührten sich und ein Funken des Erkennens huschte über seine Gesichtszüge. „Neri.“ Er hauchte zärtlich ihren Namen und schloss sie in die Arme. Leise verließen die Magier die Grotte.

Die Atlan am See erschraken bis ins Mark, als Talos und Solon allein zurückkamen.

„Können wir denn gar nicht helfen?“, fragte Aron verzweifelt.

Solon begann, herzhaft zu lachen. „Ab nach Hause! Ich glaube dabei brauchen die beiden keine Hilfe.“

Talos hielt sich ebenfalls den Bauch, als er die verstörten Gesichter der Freunde sah. „Solon hat Recht. Das bringen sie sicher ganz gut allein. Und der Rest hat Zeit bis morgen.“

Die beiden Magier wandten sich zum Gehen, ohne auch nur die geringste Erklärung abzugeben. Kopfschüttelnd folgten ihnen die anderen.

Horus bekam alle zwei Tage automatisch eine Meldung, in welchem Teil des Universums sich der Transporter gerade befand. Kebechsenef hatte wieder einmal alles zu seiner vollsten Zufriedenheit geregelt. Eigentlich kein Wunder, er hatte bereits in ganz jungen Jahren die Verwaltung des westlichen Sektors des Universums übertragen bekommen. Kebechsenef fand immer einen Weg. Der Kommunikator riss Horus aus seinen Gedanken. Duamutef meldete sich. „Ich habe Aker einen Teil der Südküsten abgehandelt. Um genau zu sein, den ganzen Dafa-Kontinent. Dort sind die Bedingungen etwa wie auf der Atla-Insel.“

„Prima. Ganze Arbeit. Wie hoch war der Preis? Du musstest doch nicht auch …“

Duamutef unterbrach ihn lachend. „Nein, nein. Ich hab von Kebechsenefs Pech gehört. Ich soll Aker nur bei Gelegenheit zwei Apisstiere mitbringen. Er will schauen, ob seine Versuche endlich Erfolg hatten. Wir hören uns später noch mal.“

„Scheiß Genversuche“, murmelte Horus unwillig. Seit der Sache mit Neri hatte er seine Meinung diesbezüglich gründlich geändert. Er trat an die Videowand. Der Computer hatte bereits alle Daten über den Dafa-Kontinent zusammengetragen und als Karte mit Legende an die Wand projiziert. „So, so – der gesamte Dafa…“ Horus vertiefte sich in die Geologie des Areals. Ein Gebirge, lange flache Küstenabschnitte, zwei große Flüsse, mehrere Süßwasserseen. Tektonische Aktivitäten – Null. Temperaturdurchschnitt fünfundzwanzig Grad, Plus-Minus fünf Grad Tagesschwankungen. Raubtiere – keine, Weidetiere – keine, Reptilien – auch keine. „Ziemlich steril, die Gegend“, flüsterte er besorgt. Wenigstens gab es massenhaft Vögel und Insekten. Gefährliche Krankheitserreger – nicht bekannt. Essbare Früchte und Pflanzen gab es jedenfalls in Hülle und Fülle, die noch dazu das ganze Jahr über reiften. Horus wusste genau, warum der Kontinent sich selbst überlassen geblieben war. Es gab dort einfach nichts zu holen. Keine Bodenschätze und nichts, was man nicht woanders hätte leichter bekommen können. Im Großen und Ganzen war er zufrieden, wie die Dinge sich entwickelten. Das Problem mit der Zwischenstation konnte er im Notfall auch anders lösen. Der Transporter konnte als Wohnschiff andocken und die Taris-Station die Notfall-Versorgung übernehmen. Ein paar Tage würde das schon gehen. Ein stechender Schmerz in der Brust ließ ihn jäh zusammenzucken. Die bewusste Stelle an seinem Ankh war derart heiß geworden, dass sie ihm die Haut verbrannte. Was war geschehen? Mühsam zwang er sich zur Ruhe. Jetzt nur nichts überstürzen. Dann legte er sich in seine Schlafnische, um zu meditieren. In tiefer Trance versuchte er, mit Imset oder Neri Kontakt aufzunehmen.

Die Einladung zum Frühstück bei Solon nahmen die Freunde gern an. Neri und Imset erschienen Hand in Hand und beide strahlten tiefe innere Ruhe aus. Der Hausherr drückte die beiden einfach fest an sich. „Es ist erstaunlich, was die Liebe alles vermag.“ Er zwinkerte Imset zu.

„Na das, was er geboten bekam, war ja auch nicht von schlechten Eltern“, witzelte Talos.

Solon knuffte ihn in die Seite. „Alter Lüstling!“

„Aber Recht hab ich doch.“

Die anderen Atlan tappten noch immer im Düstern. Niemand hatte überhaupt noch irgendeine Bemerkung zu ihrer Reise getan und dann so was. Neri und Imset schienen die anzüglichen Bemerkungen nicht im Mindesten zu stören.

„Hätte mal bitte jemand die Freundlichkeit, uns aufzuklären, was hier eigentlich läuft? Ich verstehe immer noch nichts.“ Safi suchte nach Zustimmung bei Aron.

Solon schaute ihn an. „Ich beginne am besten mit den Ergebnissen: Euch geht es wieder gut, wir haben alle überlebt, Imset ist wieder der Alte und Schalen für den großen Rest der Bevölkerung haben wir auch.“

„Und die Details?“, fragte Merit-Amun. „Das ist ein bisschen dürftig, als Erklärung für solche Probleme.“

„Wie weit könnt ihr euch erinnern?“, fragte Imset Safi und Aron.

„Bis zu dem Wirbel aus Energie und Eierschalen. Dann ist alles weg.“

„Könnt ihr euch an meine Worte erinnern, als ich die erste Schale in die Hand nahm.“

„Nicht genau, aber du sagtest etwas von Magie und Urdrachen“, kramte Aron aus seinem Gedächtnis hervor. „Und du warst die ganze Zeit nicht der Imset, den wir kennen. Wir hatten wahnsinnige Angst vor dir.“

„Ja, das habe ich sogar gefühlt. Diese Urdrachen sind die Abkömmlinge von Letan mit den irdischen Drachen.“ Imset kam nicht dazu, weiter zu sprechen. Alle waren aufgesprungen und redeten wild durcheinander. Nur er, Neri und Solon waren auf ihren Plätzen geblieben. Es dauerte lange, ehe wieder Ruhe einkehrte und Imset weiter sprechen konnte. „Diese Eierschalen stammen aus einer Zeit, in der Letan gerade auf die Erde verbannt wurde. Sie haben Spuren seines Kontaktes mit dem Caiphas-Splitter aufgenommen. Meine Magie als Drakonat hat so heftig mit ihnen reagiert, dass ich mich nicht mehr dagegen wehren konnte.“

„Aber warum sind so viele Schalen an einem Ort gewesen, es heißt doch, diese Nachkommen waren alle unfruchtbar?“

„Es ist das Gelege, das der Schwarze selber bewacht hat. Immer neue Weibchen haben immer neue Eier dazu gelegt. So ist dann diese Riesennisthöhle entstanden. Als eure Raumschiffe hier ankamen, hat er den Platz verlassen und ist nie wieder dahin zurückgekehrt. Aber das Böse blieb erhalten. Eis und Einsamkeit haben es konserviert.“ Imset schaute in die Runde. „Diese Urmagie hat auch bewirkt, dass es mir gelungen ist, den ganzen Haufen auf einmal mit in unsere Zeit zu nehmen. Sie ist in der Lage, meine Kräfte ins Grenzenlose zu treiben.“

„Lieber nicht. Mir ist jetzt noch ganz flau, wenn ich an deine Veränderungen denke.“ Safi schüttelte sich. „Aber wie hat Neri es denn nun geschafft, dich wieder zu zähmen?“

Solon erklärte es ihnen.

Safi hob die Augenbrauen. „Äh – ja – dabei hätte ich sicher gestört und ich kann mir durchaus auch Talos’ Begeisterung erklären.“

...