Die Viecher sind schuld!

Sina Blackwood

Der Schatz

Phil rennt durch das raschelnde Laub, wirft sich hinein und wälzt sich ausgiebig. Er genießt es, nicht ständig gegängelt zu werden. Nach ein paar Minuten wird es ihm dann doch zu kalt. Er springt auf und schüttelt sich, dass die bunten Blätter nur so davonstieben. Diesen Wald hat er heute zum ersten Mal betreten. Genau genommen, hat er heute überhaupt zum ersten Mal einen Wald betreten. Entsprechend neugierig schaut er sich um. Die wenigen Fichten prangen im satten Grün ihrer Nadeln. Daneben stehen gleich unzählige Buchen mit dicken, im Sonnenlicht grau-silbern leuchtenden, Stämmen. Ein paar Ahorn-Bäume lassen gerade ihre letzten Blätter fallen. Diese segeln beinahe träge dem Boden entgegen. Phil fängt eines in der Luft auf. Mit strahlenden Augen flitzt er los, hüpft und dreht sich im Kreis, glücklich über seinen wundervollen Schatz. Niemand schimpft und so springt er im Freudentaumel auch noch über das leise murmelnde Bächlein. Auf dem anderen Ufer dreht er sich um. Zögernd, ja fast nachdenklich, schaut er zurück. Vorsichtig legt er sein rotgoldenes Ahornblatt ab, balanciert die flache Böschung hinunter und nimmt einen großen Schluck kristallklaren Wassers aus dem Bach. Hmmm! Wie das schmeckt! Phil trinkt, bis sein Bauch einer kleinen Trommel gleicht, klettert wieder zurück und hebt seinen Ahornschatz auf. Unschlüssig bleibt er stehen. Er weiß weder wo er ist noch wohin er soll. Sicher ist nur, dass niemand nach ihm suchen wird. Er kann es tief in seinem Innersten fühlen.

Mit gesenktem Kopf trottet er ziellos weiter. Er hat nicht gelernt, Spuren zu lesen. Durch den Hopser über das Bächlein hat er auch seine eigene Spur verloren. Aber die hätte ihm auch nicht wirklich geholfen.

Hungrig und müde kuschelt er sich schließlich zwischen die gefurchten Wurzeln einer Buche, wo der Wind einen großen Laubhaufen zusammengetragen hat, auf dem er nun seine müden Beine ganz lang ausstreckt. Im Bruchteil eines Wimpernschlags schläft er ein.

Er spürt nicht einmal, dass es mit einbrechender Dunkelheit kälter und kälter wird. Der kleine Körper erstarrt im klirrenden Frost und der Tod streckt langsam seine knochigen Hände aus.

Am Rande der Bewusstlosigkeit dämmert Phil dem Ende entgegen. Er sieht sich im Kreise seiner Geschwister eng an seine Mama gedrückt liegen. Er spürt ihre Wärme. Phil ist glücklich. Nun muss er nur noch dem weißen, geheimnisvollen Licht folgen, dann ist er in einer besseren Welt.

Plötzlich verdecken dunkle Schatten das magische Tor.

„Schau mal, Thomas! Da liegt ein totes Kaninchen!“, hört er eine Frau sagen.

Jemand schiebt das Laub von seinem Körper, fasst mit wundervoll warmen Händen nach seiner Halsschlagader.

„Das ist kein Kaninchen! Das ist ein junger Jack-Russel-Terrier! Mehr tot als lebendig!“, antwortet eine Männerstimme. „Ich stecke ihn vorn in meinen Anorak. Da ist es schön warm. Vielleicht können wir ihn retten.“

Phil fühlt sich emporgehoben.

„Halt durch Kleiner!“, flüstert es genau an seinem Ohr. Dann wird es warm und weich und eine Hand streichelt zärtlich sein Köpfchen.

Nur nicht die Augen öffnen, denkt Phil, dann ist dieser wunderschöne Traum zu Ende. Nur ein seliges, kaum hörbares Schnaufen wagt er, von sich zu geben.

„Ahhh! Da regt sich was!“ Die Stimme des Mannes klingt sehr zufrieden.

„Na, Gott sei Dank!“, seufzt die Frau. „Der Süße ist bestimmt jemandem weggelaufen und hat den Rückweg nicht gefunden.“

„Glaub ich nicht. Siehst du das Restchen Bindfaden an seinem Halsband? Den haben sie ausgesetzt! Verdammtes Pack!“

„Was machen wir mit ihm?“

„Behalten, natürlich! Oder denkst Du, dass ich den süßen Fratz in ein Tierheim stecke?“

„Ohhhh!“

Thomas muss lachen. Lisa braucht kein Wort zu sagen. Ihr strahlender Blick spricht Bände.

Nun öffnete Phil doch ganz erstaunt die Augen.

Thomas drückt ihn vorsichtig an seine Wange. „Willkommen zurück im Leben, kleiner Mann.“