Die Drachen des Aurëus

Band 4

...

Das Drachenheer

In der Elfenwelt flogen Pyron und Vulkanus gerade eine gemeinsame Patrouillerunde, als etwas Großes wie aus dem Nichts genau vor ihnen auftauchte, und sie fast vom Himmel fegte.

„Oh, hab ich wohl ein neues Tor entdeckt“, hörten sie es kichern und rissen erstaunt die Augen auf.

„Bella!“, riefen beide, worauf die kleine Dame breit grinsend im Rüttelflug in der Luft stehen blieb. „Jawohl, in einem Stück und in voller Lebensgröße.“

„Hast du Blitz getroffen?“, fragte Pyron.

„Muss das nicht heißen: Hat dich der Blitz getroffen?“, lachte sie fröhlich. „Doch, doch, wir haben uns getroffen. Kommt rasch mit, was ich zu sagen habe, müssen alle hören!“ Sie drehte bei und ließ sich im Sturzflug Richtung Festplatz am See fallen.

Als die Freudenbezeugungen über ihre Rückkehr etwas abebbten, bat sie um Ruhe und begann mit einem Satz, der alle elektrisierte: „Auf Triga herrscht Krieg!“ Dann erzählte sie fast eine Stunde lang, was in den vergangenen drei Tagen geschehen war und dass Blitz bei den Triganern geblieben war, um sie vor neuem Bösem zu bewahren. „Wir brauchen Hilfe, um Lars und ganz Triga zu retten!“, rief sie und schaute bittend in die Runde.

„Die sollt ihr bekommen“, erwiderte Viola. „Wir stellen das beste Heer auf, das wir im Elfenland haben.“

Bella schaute zu den großen Drachen auf und Viola nickte. „Ja, kleine Lady, alle Drachen werden gemeinsam in den Kampf ziehen.“

„Alle Drachen?“, fragte Ruby zaghaft.

„Alle!“, bestätigte Viola. „Du wirst die Aufgabe haben, die Ruine mit dem fliegenden Kürbis zu bewachen.“

Bella atmete dankbar auf. Ruby wäre in einem ernsthaften Kampf nicht findig genug gewesen. Aber auch bei dieser leicht erscheinenden Aufgabe, konnten Feinde nahen, die es in die Flucht zu schlagen galt.

„Auf in die Schlacht, kleine Feldherrin!“, rief Pyron. „Wir folgen dir!“

Nacheinander stiegen die Riesen in den klaren blauen Himmel und zogen in langer Reihe hinter Bella her. Zuerst die Weibchen, dann die Männchen. Pyron fungierte als Schlusslicht, um alle im Auge behalten zu können.

Äolus rieb sich die Hände. „Ich denke, diesmal kriegt Ares richtig die Jacke voll. Dass ich sowas mal erleben würde, unglaublich! Ihr habt doch hoffentlich nichts dagegen, wenn wir ein bisschen mitmischen?“

„Ganz bestimmt nicht“, schmunzelte Viola. „Boreas macht sich soeben kampfbereit. Ein bisschen Aufwind für die Drachen und ein bisschen Gegenwind für Ares und die Zwerge sollten schon sein.“

Aurëus nickte amüsiert. „Und falls irgendeiner anzweifelt, dass Bella eine vollwertige Wächterin ist, den lege ich eigenhändig übers Knie und bläue ihm die Antwort ein.“

Marc stupste ihn mit dem Ellenbogen an. „Hättest du jemals gedacht, dass die Drachen des Aurëus-Clans als Heer ausziehen, um eine fremde Welt zu retten?“

„Weder das noch, dass sie von einem halbwüchsigen Weibchen in die Schlacht geführt werden“, gab Aurëus zu. „Ich bin mächtig stolz auf unsere Bella.“

Und die hatte inzwischen das Tor wiedergefunden und ließ sich von der Luftsäule nach oben tragen. Magmatus half am Ausgang Ruby, die zwischen Zephyra und ihm flog, in der Luft zu bleiben, als der scharfe Gegenstrom einsetzte. Als alle Triga erreicht hatten, führte Bella den Trupp geradenwegs dahin, wo ein freudiges Wiehern ertönte.

Bella war noch dabei, den Triganern alle Drachen namentlich vorzustellen, als die Windmänner erschienen. Blitz tänzelte aufgeregt. Mit so viel Unterstützung sollte es gelingen, das kleine Volk zu befreien, Lars zu retten und Ares eine Lektion zu erteilen, die der garantiert nie mehr vergessen werde.

Mit Hilfe der Triganer zeichnete Boreas eine Karte des kleinen Landes auf den Boden, markierte die wenigen Orte, den Verlauf der Bergketten und die bekannten Schlupflöcher der Zwerge. Blitz und Bella fügten Wasserläufe und Teiche hinzu.

„Es ist zu erwarten, dass in allen Felsspalten und Grotten Sklaven gehalten werden, die für die Zwerge unter Tage Erz schürfen müssen“, bemerkte einer der Triganer.

„Das herauszufinden, ist unsere Aufgabe“, erklärte Boreas. „Und zwar vorrangig. Wir werden noch in der nächsten Stunde ausfliegen und jeden Quadratmeter der Berge unter die Lupe nehmen.

Bella nickte. „Wir werden nichts unternehmen, bis ihr wieder da seid, es sei denn, man griffe uns an. Wir werden bis dahin auch auf dem Boden bleiben, um nicht gesehen zu werden.“

„Weise Worte kleiner Drache“, lobte Boreas.

Ein paar Minuten später tanzten fünf Staubteufel aus dem Hof und im nächsten Moment rauschten die Wälder, weil die Winde kräftig Tempo machten. Die Drachen ruhten inzwischen aus. Bella und Ruby genossen es, von den beiden kleinen Mädchen gekrault zu werden. An die großen Drachen, wie auch an Blitz, traute sich niemand ganz nahe heran.

Mit Einbruch der Dunkelheit waren die Winde wieder da und berichteten von drei Höhlen, in denen mehrere hundert Triganer zusammengepfercht dahinvegetierten.

„Es sind viele Kinder darunter, die besonders leiden“, klagte Euros an. „Ich habe gesehen, wie die Zwerge einen Mann mit der Kristallwaffe berührt haben, weil er zu schwach zum Arbeiten war. Er erstarrte im Bruchteil eines Wimpernschlags zu Eis.“

„Wir müssen die Zwerge herauslocken“, überlegte Bella laut. „Aber so, dass der Lockvogel nicht auch vereist wird. Sieht aus, als müsste ich das tun. Ihr Großen seid doch hervorragende Zielscheiben.“

„Wir verwandeln aber vorher die Berghänge in Rutschbahnen, damit die Zwerge die Macht des Eises selber auch zu schmecken bekommen“, schlug Zephyra vor. „Dann können die Männer zuschlagen und mit Feuer die kleinen Mistkerle pulverisieren.“

„Blitz und die Windmänner setzen wir auf Ares an“, lachte Bella. „Bin ich auf das dumme Gesicht gespannt! Wir müssen ihn irgendwie zwingen, das Versteck preiszugeben, wo sie Lars gefangen halten.“

„Falls er noch lebt“, murmelte Vulkanus.

„Wenn nicht“, funkelte Zephyra, „schließe ich Ares in einen Eisblock ein, den ich via Luftpost zum Nordpol der Menschenwelt schicken werde und wenn ich dafür selber Lars‘ Ballon bis dorthin ziehen muss!“

„Wir sollten starten“, riet Bella und alle Kämpfer machten sich bereit. Sie tupfte ihre Schwester mit der Nase an. „Halt die Ohren steif und das Areal von Zwergen und Wölfen rein.“

„Ich werde mir die größte Mühe geben“, versprach Ruby, der davonfliegenden Meute nachschauend.

Da ahnte noch keiner, was im nahen Wald lauerte. Die Triganer zogen sich alle gemeinsam in den Keller eines Hauses zurück, vor dem Ruby Wache halten sollte. Sie sah die Drachen hinterm Wald verschwinden, drehte sich um und schaute in den aufgerissenen Rachen eines riesigen Wolfs, der sich lautlos angeschlichen hatte. Ruby fasste instinktiv zu, erwischte den Wolf am Hals und zerfetzte ihm mit ihren scharfen Krallen die Halsschlagader. Sie ließ ihre Beute fallen und flüsterte: „Ja, genau, das ist wie auf der Jagd. Ich muss lauern, zufassen, zubeißen und ausweichen, wenn sich einer wehrt. Dann wird es auch was, andere zu beschützen.“

Dass dieses Prinzip funktionierte, mussten in den nächsten Stunden noch sieben weitere Wölfe erfahren. Dann ging endlich die Sonne auf und die Triganer lugten zur Tür heraus.

„Hat jemand Lust auf einen warmen Pelz“, gähnte Ruby, auf den Haufen toter Wölfe zeigend und sich mitten auf dem Hof zum Schlaf zusammenringelnd.

„Aber immer!“, schmunzelten die Triganer. Die Männer zogen den Wölfen die Pelze ab, wie es ihnen von den Windbrüdern erklärt worden war, die Kadaver selber legten sie in den Schatten, denn es war zu erwarten, dass der Schwarm Drachen und vor allem Ruby sehr hungrig sein würden. Für die Windmänner stellten sie frisches Brot und Marmelade bereit. Für Blitz war alles im Garten frei, was fressbar war. Selbst wenn er die Zierpflanzen anknabbern sollte, wäre das für niemanden ein Ärgernis gewesen. Die Krieger kehrten erst gegen Mittag heim und wirkten überaus zufrieden. Ruby wachte von dem plötzlichen Tohuwabohu auf und präsentierte ihre Beute.

„Schau an, was unser kleiner Tollpatsch zuwege gebracht hat!“, staunte Pyron, Ruby liebevoll mit dem Kopf anstupsend. „Diese Viecher sind nicht gerade klein zu nennen.“

Ruby strahlte. „Ich teile mir mit Bella eine Mahlzeit, das andere könnt ihr alles haben. Und nach dem Essen müsst ihr erzählen, wie es euch ergangen ist.“

Das Brechen der Knochen, als die Drachen ihre Zähne in die toten Wölfe schlugen, war bis ins Haus zu hören und jagte den Triganern einen kalten Schauer über den Rücken. Kaum zu glauben, dass die beiden Drachenschwestern, mit denen die Kinder so gern schmusten, in Minutenschnelle ein so großes Tier verschlingen konnten.

„Darf ich mir noch einen Kürbis zum Nachtisch holen?“, bat Bella, als die Mutter der Mädchen vorm Haus erschien.

Die schüttelte amüsiert den Kopf. „Aber natürlich! Wir werden keinen Hunger leiden. Auf der Wiese wachsen doch auch noch wilde Früchte.“

„Ach, dann hole ich mir lieber so einen. Ich muss euch doch nicht ausräubern, wenn es auch anders geht.“ Bella schwebte mit einem eleganten Satz über den Zaun und suchte laut schnüffelnd nach den begehrten Leckereien. Ruby folgte ihr sofort. Für einen Nachtisch war im Magen immer Platz. Blitz war auch schon da. Er hatte bereits ein paar Früchte mit den Hufen zerstampft, um an das schmackhafte Innere zu gelangen. Die Drachenschwestern vertilgten lieber das, was er übrig ließ, als neue Früchte zu ernten. Schließlich wusste niemand, wie lange der Kampf gegen die Zwerge dauern würde.

Als die drei von der Wiese zurückkamen, begann Zephyra zu erzählen, was in der Nacht geschehen war. Sie hatte, bevor sie sich paarweise auf die Suche machen wollten, den halben Gebirgszug mit einer mehrere Zentimeter dicken Eisschicht überzogen. Durch die plötzliche Kälte waren die Zwerge aus ihren Schlupflöchern gekommen, um nachzuschauen, was da gerade geschah. In der Annahme, ihre Kameraden seien bereits auf der Jagd nach neuen Opfern, waren sie sträflich leichtsinnig. Sie trugen ihre Waffen mit den Kristallspitzen nach oben und Bella rasierte diese mit einem gezielten Feuerstrahl glatt ab, indem sie im Tiefflug auf die Zwerge zuraste. Während die Drachenmänner den Zwergen den Garaus machten, eilten Zephyra und Bella zur nächsten Grotte weiter, um das Spiel zu wiederholen. Auch hier gelang es ohne Mühen, die verhassten Zwerge zu vernichten. An der dritten Grotte auf der Rückseite des Berges, dauerte es mehrere Stunden, die Zwerge aus dem Berg zu treiben. Ohne die Windmänner wäre es wohl sogar völlig unmöglich gewesen.

Natürlich hatten die Zwerge so die Gelegenheit gehabt, Ares zu informieren, und es war nur eine Frage der Zeit, wann der auf Triga erschiene. Zudem konnte der finstere Kriegsgott zu jeder beliebigen Stunde eintreffen, da er ja nicht an die Dunkelheit gebunden war. Und noch eine schlechte Nachricht gab es für die Triganer: Die Drachenkämpfer hatten nicht einen einzigen Wolf zu Gesicht bekommen. Die mussten wohl alle in den Wäldern stecken, um den Triganern aufzulauern.

„Wie viele es von denen gibt, wissen wir nicht“, gab Zephyra zu. „Wie dem auch sei ... wir haben die gefangenen Triganer befreit. Bis auf Lars, von dem fehlt weiter jede Spur.“

Blitz begann auf der Stelle zu tänzeln, er legte die Ohren an, schnaubte und scharrte mit den Hufen. Zephyros tippte Boreas an und deutete nach oben, wo sich mehrere Wolken um ein Zentrum zu drehen begannen, das immer finsterer wurde. „Er kommt.“

Die Triganer verschanzten sich im Haus, die Drachenkämpfer machten sich bereit, die Winde lösten sich auf und lauerten im Hinterhalt. Da fuhr auch schon der Kriegsgott mit seinem Streitwagen herab. Bella nutzte die günstige Gelegenheit, weil Ares auf die großen Drachen fixiert war, mit einem kurzen Feuerstoß Zügel und Riemen seines Gefährtes in Brand zu stecken. Der Zügel riss, die Pferde scheuten, der Wagen schleuderte und Ares flog zum wiederholten Mal in hohem Bogen heraus. Obwohl ihm gewaltig der Schreck in die Glieder gefahren war, rollte er geschickt ab, sprang mit gezogenem Schwert auf und wollte Bella zu Hackfleisch verarbeiten. Seine Rosse versuchten, mit den Hufen auf die anderen Drachen loszugehen.

Der Schuss ging komplett nach hinten los, denn Bella spie kurze Feuergarben auf die Klinge seiner Waffe, die sich so extrem erhitzte, dass sie der Gott fallen lassen musste, wollte er nicht die Hand einbüßen. Die anderen Drachen wehrten sich ebenfalls mit Feuer und versengten den Pferden derart Mähnen, Schweife und Fell, dass Blitz in lautes Wiehern ausbrach, welches überdeutlich schadenfrohem Gelächter glich. Die halbnackten Pferde sahen aber auch wirklich bemitleidenswert komisch aus. Während die männlichen Drachen die Pferde vertrieben, widmeten sich die Damen dem wütenden Kriegsgott. Ruby krallte sich das Schwert und verscharrte es in der Erde. Bella versperrte den Weg ins Haus. Zephyra hauchte unbemerkt Ares‘ Beine an, die sofort ihren Dienst versagten. Da stand er nun, einen Dolch in der erhobenen Hand und konnte sich hüftabwärts nicht mehr rühren. Zornig schleuderte er die Waffe auf Zephyra, ohne sie zu treffen, denn Euros Luftstrom lenkte sie haarscharf an ihr vorbei.

„Nun, Meister Wüterich, was tust du jetzt?“, fragte Zephyra mit zusammengekniffenen Augen.

„Ich werde dir den Hals umdrehen!“

Zephyra brach in schallendes Lachen aus. „Dass du ein Aufschneider bist, weiß ich nicht erst seit heute. Hast dir wieder mal die falschen Spielkameraden ausgesucht, als du über Triga hergefallen bist. Ich mache dir einen Vorschlag, den du dir gut überlegen solltest: Du gibst mir Lars und ich taue dich wieder auf.“

Ares‘ hämisches Grinsen ließ das Drachenweibchen kalt. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Sie blies noch ein Eiswölkchen auf ihren Gefangenen. Nun konnte der völlig entsetzte Gott nur noch den Kopf drehen.

„Du wirst Lars nie bekommen“, stieß er gehässig aus. „Den habe ich in die Unterwelt zu Hades gebracht. Und was der einmal hat, gibt er nicht mehr heraus.“

Zepyra zuckte mit den Schultern. „Dann wirst du ihm gleich für alle Zeiten Gesellschaft leisten.“ Sie öffnete den Rachen und hauchte einen dunkelblauen Energieball in die Luft, den sich die unsichtbaren Windmänner gegenseitig zubliesen, ohne dass es Ares merkte. Zephyra bewegte ihre Klauen in der Luft, als dirigiere sie die tödliche Kugel.

Plötzlich schnippte sie mit den Krallen, der Ball zerplatzte und Zephyra ging ganz nah an Ares heran. „Kopf abbeißen macht viel mehr Spaß. Vor allem wenn die Knochen so schön knacken.“ Sie öffnete erneut die Kiefer, als wolle sie Maß nehmen.

„Du ... du kannst mich nicht einfach fressen! Ich bin ein Gott!“

„Pühhhh!“ Zephyra winkte ab.

„Ich ... ich bin der Sohn von Zeus!“

„Ein ziemlich missratener.“ Zephyra nahm ihm den Helm ab und schien noch einmal Maß zu nehmen.

„Hades wird mich rächen, der ist nämlich mein Onkel.“

„Glaube ich nicht, der ist ja nicht mal wirklich ein Olympier, den wird sich Zeus schon zurechtlegen.“

Ares sah alle Hoffnungen vernichtet und wurde still.

Zephyra tippte ihm mit der Kralle auf die Brust. „Einen einzigen Pluspunkt bekommst du, weil du nicht um den Leben winselst, obwohl du weißt, dass du keine Chance mehr hast. Ich gebe dir, von dieser Minute an, fünf Tage. Innerhalb dieser Frist wirst du mir Lars auf die Windinsel bringen. Tust du es nicht, werde ich dich jagen und zur Strecke bringen.“ Sie begann, ihn mit ihrem heißen Drachenatem aufzutauen.

Kaum konnte sich der Gott wieder bewegen, streckte er befehlend die Hand gegen Blitz aus, weil er ihn als Reittier haben wollte. Der kam auch sofort heran, aber nur, um Ares kräftig in die Finger zu beißen und mit erhobenem Kopf gemächlich auf seinen Platz zurück zu tänzeln. Im selben Moment war Ares verschwunden.

...