Sonntag, 10. Juni - Auf Rossis Spuren

Für die Tour am heutigen Tag steht ein Reisebericht aus der Motorrad Pate. Wir werden uns in die Region begeben, in der der Doktor aufgewachsen ist, fahren gelernt und Rennen in Serie gewonnen hat. Das heißt wir besuchen die Grand-Prix-Strecke von Misano, baden in der Adria, besuchen Rossis Ranch und sein Eiscafé in seiner Heimatstadt und werden auch sonst noch einiges mitnehmen. Die Strecke hat es aber mit knapp über 400 Kilometern auch in sich. Gerade Strecken kommen praktisch nicht vor. Aber der Reihe nach.

Manuel hat sich die Route im Vorfeld angeschaut und den Passo Fangacci als Offroad-Pass ausgemacht, den er nicht fahren will. Er sucht sich eine Umgehung und wir vereinbaren einen Treffpunkt in Badia Prataglia. Er fährt 20 Minuten vor uns los, damit wir etwa zeitgleich dort ankommen. Der Offroad-Pass erweist sich später zwar als harmlose Schotterautobahn, Manuel sollte aber trotzdem richtig liegen.

Wir machen uns auch auf den Weg und steuern den ersten Passknackerpunkt an. Ich habe die Strecke im Vorfeld mit Kurviger.de geplant, was uns allerdings an einigen Stellen auf sehr kleine Wege führt, wie wir im Laufe des Tages noch einige Male feststellen werden. Direkt zu Beginn geht es einen ziemlich steilen kleinen Weg bergauf. Nach wenigen hundert Metern steht ein Schild, das den Weg in vielen italienischen Worten, die wir nicht verstehen, als gesperrt ausweist. Allerdings ignorieren wir solche Schilder in der Regel und schauen erst einmal, ob es nicht doch geht. Also fahren wir weiter, der Weg wird erheblich grober und wird zum engen Single-Trail. Rechts des Weges stehen hohe Büsche, die unversehens aufhören. Ich konzentriere mich ganz auf den Pfad, bis mein Blick ganz leicht nach rechts geht, wo eben noch Buschwerk war. Ich sehe Abgrund. Sehr tiefen Abgrund. Hier hat es einen Erdrutsch gegeben und es ist nur noch ein halber bis ein Meter breiter Trampelpfad übrig. Anhalten ist unmöglich. Jetzt bloß nicht nach unten schauen und die nächsten 20 Meter nicht vom Weg abkommen, da ist das rettende Ende des Erdrutsches zu sehen.

Der Pfad hält und einer nach dem anderen erreicht das rettende "Ufer". Zeit zum Nachdenken oder die Hintermänner zu warnen gab es nicht. Man war schon drüben, als man die Gefahr wirklich realisiert hatte. Uns wird ein wenig schlecht bei dem Gedanken an den Abgrund. Das nächste Sperrschild wird definitiv genauer gelesen.

Ein paar hundert Meter weiter erreichen wir wieder asphaltierte Straße. Nach zwei Kurven halte ich, um auf die beiden zu warten. Nichts passiert. Hm, mal nachsehen. Ich rolle die beiden Kurven zurück und sehe wie Tremor am Übergang zum Asphalt seine SMC abgelegt hat. Immerhin schafft er es wieder, dass nur die KTM fällt er aber nicht. Das ist schon ein wenig artistisch.

Die Schutzbügel für die Hebel werden neu ausgerichtet und wir können weiter fahren.

Damit steht es Blahwas 1, Tremor 2, ich 2, Manuel immer noch 0.

Dann geht es erst zum Passo Fangacci, dem Offroad-Pass, der sich jedoch als völlig harmlos herausstellt. In Badia Prataglia treffen wir Manuel an einer Tankstelle wieder. Er ist auch gerade erst vor ein paar Minuten angekommen, weil es Sonntag ist. Und Sonntags in den Bergen Italiens bedeutet vor allem eins: Radrennen. Die gibt's hier überall und wir werden noch einigen begegnen. Angst machen mir dabei die Abfahrer, die sich todesmutig den Bremsen verweigern und schon mal auf die Gegenfahrbahn abtreiben. Aber diesbezüglich bleibt heute alles im grünen Bereich.

In einer Ortschaft ist aber erst mal Pause angesagt. Die Polizei hat eine Straße für ein Radrennen gesperrt, auf der in lockerer Folge ein Fahrer nach dem nächsten mit hoher Geschwindigkeit von einem Berg in den Ort geschossen kommen. Es stehen schon einige Autos und Motorräder in der Schlange.

Ein italienischer Autofahrer nutzt die Gelegenheit, als der Carabiniere den Wartenden den Rücken zudreht und fährt an uns vorbei und will die gesperrte Straße hoch fahren. Das würde vermutlich in einer Katastrophe enden. Doch der Carabiniere bemerkt den Fahrer und faltet ihn lautstark zusammen. Der fährt kleinlaut an die Seite und setzt ein Stück zurück und rammt ein wartendes Motorrad, das zum Glück aber nicht umfällt. Der Besitzer ist entsprechen begeistert und das Palaver beginnt.

Blahwas macht mich darauf aufmerksam, dass wir nicht die gesperrte Straße hoch fahren müssen, sondern schräg links abbiegen können. Dazu müssen wir aber die Straße überqueren. Ich starte den Motor uns signalisiere dem Carabiniere, dass ich nicht wahnsinnig geworden bin und das gleiche versuche wie der italienische Autofahrer, sondern nur abbiegen möchte. Er schaut sehr genervt, lässt uns aber dann passieren. Irgendwie lustig hier.

Wir fahren auf sehr schönen flüssigen Strecken weiter, als ich vom Navi auf eine schmalere Straße geleitet werde. Leider nicht das erste Mal, dass uns Kurviger auf sehr kleine Nebenstrecken umleitet, obwohl nicht mal kurvige Strecken ausgewählt wurde. Allerdings muss man zur Ehrenrettung von Kurviger sagen, dass man anhand des Straßentyps nicht auf die Breite und den Zustand schließen kann. Hier stößt auch die manuelle Planung anhand von Karten an ihre Grenzen. Zudem plant Kurviger die Einführung einer Routenoption "Schnellste Route", die es bisher so nicht gibt.

In der Folge entzünden sich immer wieder Diskussionen über die unterschiedliche Routenberechnung der verschiedenen Navis. Am Nachmittag werde ich Blahwas vorfahren lassen, in der Hoffnung, dass sein Navi anders routet, was aber unter dem Strich nur zu geringfügigen Änderungen bei der Route führt. Vermutlich wird man nicht umhin kommen, die Routenplanung mit Satellitenaufnahmen zu optimieren, was aber auch nicht immer einfach ist. Google-Street-View ist auf vielen Nebenstrecken in ländlichen Gebieten nicht verfügbar.

Wir fahren durch eine grandiose Landschaft in Richtung San Leo, dessen Festung Fortezza di San Leo schon von weitem auf dem Felsen zu sehen ist. Leider haben wir keine brauchbaren Fotos mit nach Hause gebracht. Das bedeutet natürlich, dass ich hier noch einmal hin muss. Was muss, das muss.

Wir erreichen San Marino und pausieren in einem Cafe direkt hinter der Grenze. Wir hören Zweitaktergeräusche näher kommen. Blahwas zückt geistesgegenwärtig sein Smartphone und erwischt den hiesigen GP-Renner bei einer Vollgas-Fahrt in kompletten VR46-Ornat.

Die Piaggio Ape (Ital. "Biene") erfreut sich in Italien großer Beliebtheit:

Auszug aus Wikipedia zur Piaggio Ape:

"In Italien dürfen Jugendliche dieses Fahrzeug mit 50 cm³ schon mit 14 Jahren fahren. Es besteht ein großes Interesse, die Ape 50 cm³ aufzustylen und den Motor illegal zu tunen. Oft wird dazu der gesamte Motorblock bearbeitet und ein Rennmotor mit 102 cm³ oder 133 cm³ eingesetzt. Die italienischen Tuningbetriebe Polini und Malossi stellen dazu viele Motorteile sowie Zylinder her. In einigen Bergregionen Italiens gilt unter Jugendlichen der Besitz einer mit Spoilern, Sportauspuff und ähnlichem auffrisierten Ape als besonders imageträchtig. Mitunter erinnern diese Fahrzeuge an kleine Pickups."

Das ist der erste Beweis, dass wir tatsächlich auf Rossis Fährte aufgenommen haben. Wir werden noch einige dieser aufgebrezelten Renner sehen. Nächster Halt ist Misano. Leider ist hier heute kein Rennbetrieb und wir müssen uns mit einem Gruppenfoto zufrieden geben.

Dann geht es Richtung Küste und dort auf der SP44 durch den Parco Naturale del Monte San Bartolo. Mein Plan war, hier irgendwo an der Küstenstraße in die Adria zu springen. Was ich allerdings übersehen hatte: Die Küstenstraße führt entlang einer Steilküste meist 100 Meter und mehr über dem Meeresspiegel. Bei fast 30 Grad relativiert sich die Aussicht auf Abkühlung durch den zu erwartenden schweißtreibenden Rückweg.

Also wird die Route erweitert und wir fahren direkt nach Pesario an den Strand. Wir springen aus den Klamotten, die Badesachen sind natürlich dabei - wir sind ja lernfähig. Nur Manuel hatte sich eine leichte Erkältung zugezogen und will nicht ins Meer. Die Adria ist erwartungsgemäß noch wärmer als das Mittelmeer vor La Spezia, aber es bringt die erhoffte Abkühlung. Ganz schön viel Betrieb hier. In der Hauptsaison würde ich um diesen Strand einen großen Bogen machen.

Die heutige Strecke ist erst zur Hälfte geschafft, daher bleibt wenig Zeit für ein ausgiebiges Sonnenbad und wir nehmen Tavullia, Rossis Heimatort, ins Visier. Dort betreibt The Doctor ein Eiscafé und eine Pizzeria. Kurz vor Tavullia biegen wir zu Rossis Ranch ab, auf der er mit den Fahrern seines Moto2-Teams und weiteren Nachwuchsfahrern trainiert und Spaß hat. Doch leider ist Sonntag auch hier geschlossen, zumal der Zutritt des Privatgeländes untersagt ist.

Unverrichteter Dinge fahren wir weiter in den Ort und parken vor dem Eiscafé.

Wir gönnen uns ein Eis auf der Terrasse. Ich bestelle mir Pistachio, Straciatella und Yellow46 (natürlich gelb und lecker). Manuel hat seins für die Nachwelt im Bild festgehalten.

Danach geht es in den Fan-Shop. Hm, die Yamaha wäre ja auch nicht schlecht.

Ich beschränke mich jedoch auf eine preiswertere aber gut durchdachte Investition, um meine GS auf das höchste Level zu heben. Fast nicht wieder zu erkennen.

Ich verstehe zwar kaum italienisch, aber ich bin mir sicher, dass die Startnummer 46 in Italien gleichbedeutend mit einem Überholverbot ist. Wer es missachtet wird mindestens von allen Italienern ausgebuht oder mit gelben Rauchbombem beworfen.

Die Pizzeria öffnet leider erst in einer Stunde. Eigentlich wollten wir schon direkt nach der Mittagspause am Strand anschließend etwas essen. Unterwegs deute ich auf eine geöffnete Pizzeria, doch Blahwas möchte erst in die Nähe des Campingplatzes, um nicht im Dunkeln über die Pässe fahren zu müssen. Die Versys hat ein bescheidenes Licht.

Hmpf, ich habe Hunger und dann werde ich unleidlich. Aber gut, fahren wir halt erst zurück.

Unterwegs fliegt mir noch ein Insekt unter dem Sonnenvisier durch direkt ins Auge und ich muss eine neue Kontaktlinse einsetzen. Meine Laune wird dadurch nicht besser.

Aber ich werde durch die traumhafte Landschaft mehr als entschädigt.

Gegen Abend legen wir noch einen etwas kuriosen Tankstopp ein. Wie üblich verteilen wir uns an die SB-Säulen. Ein Passant deutet Manuel an, dass er an dem zentralen Terminal bezahlen muss. Manuel interpretiert das allerdings so, dass er an einer Service-Säule steht und wechselt die Säule. Wir finden uns am Terminal ein und ich wähle meine Säule und bezahle mit Karte. Als die Säule freigeschaltet ist, stelle ich fest, dass die Zapfpistole für Super mit einem kleinen Vorhängeschloss gesichert ist und man dort nur Diesel tanken kann. WTF? Ich rufe den anderen, die noch am Terminal stehen zu, dass die Säule gesperrt ist, doch die antworten nur, dass die frei gebucht ist und ich tanken solle. Ich kläre sie auf und sie erleben das gleiche Schicksal an ihren Säulen. Wir suchen die Tankstelle nach nicht abgeschlossenen Super-Zapfstellen ab und finden immerhin 2 von 10 Säulen die funktionieren. Natürlich ist eine davon genau die, die Manuel zuerst angefahren ist. Logisch. Nachdem natürlich auch einige Karten abgelehnt wurden sind wir am Ende dennoch alle wieder mit Sprit versorgt.

Die Suche nach einer Pizzeria gestaltet sich etwas schwierig. Die erste ist voll besetzt, die zweite, für die wir einen 2 Kilometer weiten Umweg den Berg hoch gefahren sind, ist von einer geschlossenen Hochzeitsgesellschaft belegt und in die dritte gehen wir nach einem Blick ins innere gar nicht erst rein. Unsere Motorradklamotten würden unter den in Abendgarderobe anwesenden Gästen doch etwas auffallen. Alle sind etwas angenervt, doch 10 Minuten später sitzen wir in einer guten Pizzeria (aller guten Dinge sind vier - oder 46) mit lockerer Atmosphäre und leckerem Essen.

Auf dem Rückweg schalte ich zu dem schon recht hellem Fahrtlicht noch mein Fernlicht hinzu. Ich habe beide H7-Birnen durch Xenon-Brenner ersetzt und die machen die Nacht zum Tag. Auf einer Landstraße taucht ein Carabiniere mit einer Kelle auf und mich überkommen reflexartig Schuldgefühle, obwohl wir nur locker nach Hause bummeln. Es ist aber nur eine Unfallstelle, vermutlich ein Wildunfall, und er bedeutet uns langsam zu fahren. Scheint aber nichts ernstes passiert zu sein. Der letzte Kilometer zum Campingplatz geht über einen Schotterweg, der uns nach dem langen Tag noch einmal ein wenig Konzentration in der Dunkelheit abverlangt. Man will sich ja nicht noch auf den letzten Metern hinpacken.

Es war eine lange aber schöne Tour, für die man sich besser zwei Tage Zeit nimmt, um sich alles in Ruhe anzusehen.