Dienstag, 5. Juni - Sonne, Strand & Marmor
Heute wachen wir mit dem für Italien gebuchtem Wetter auf. Strahlender Sonnenschein und von Wolken keine Spur. So soll es sein. Daher werden die luftigsten Klamotten angezogen und die Regenklamotten bleiben, wo sie hingehören. Wobei es mir für immer ein Rätsel bleiben wird, wie Manuel es in der schwarzen Textilkombi selbst bei höchsten Temperaturen aushalten kann, und sich auch in Pausen nicht der Jacke entledigt. Ich bin da eher italienisch veranlagt und fahre schon mal nur im T-Shirt. Nur an Flip-Flops mag ich mich nicht richtig gewöhnen. Ohne Mesh-Jacke, Aramid-Jeans und Mesh-/Lederstiefel würde ich jämmerlich eingehen.
Unsere Tour startet in Richtung Castelnuovo di Garfagnana und von dort aus in das Tal mit den Steinbrüchen in Richtung Massa / Carrara. Die Strecke hält was sie gestern versprochen hat und verwöhnt mit flüssigem Kurvengeschlängel und toller Landschaft. Wir lassen aufgrund des glatten Asphalts Vorsicht walten, zumal die Straßen durch die Marmor-Transporter an Einfahrten zu Steinbrüchen ein wenig weißlich gepudert sind. Die LKWs sind schon beeindruckend, wenn sie uns mit einem einzigen großen Steinquader in der Größe eines kleinen Containers auf der Ladefläche begegnen. Die Zurrgurte, mit denen die Quader befestig sind, wirken allerdings eher als Alibi-Schutz. Das ist etwa so, als würde man den Gurt im Auto durch einen Wollfaden ersetzen.
Einen ersten Stopp legen wir an einem kleinen Stausee ein und genießen die Landschaft.
Ich fahre vor, um das gestern entdeckte Portal nicht zu verpassen. Et voilà es steht auch heute noch an seinem Platz. Den Steinbruch erreicht man durch das Portal und findet an den Wänden das eine oder andere Kunstwerk auf den Marmor gemalt. Eine bessere Fotokulisse kann man sich nicht ausdenken.
Hier will man eigentlich nicht so schnell wieder weg, aber heute lockt die Küste und so brechen wir wieder auf. Wir erklimmen den ersten Pass, bei dem die Zufahrt zu einem Steinbruch stilgerecht mit großen Marmorblöcken abgestützt wird. man hat's ja. Wir posieren für das erste Gruppenfoto. Beim Losfahren passiert das, wovor schon Salomo in der Bibel warnte: "Hochmut kommt vor dem Fall!" Blahwas' Motorrad verliert plötzlich dramatisch an Höhe und nimmt eine entspannte Liegeposition ein. Aber es ist nichts passiert und wir helfen der Maschine wieder in eine würdigere Stellung. Tremor und ich können nicht umhin und fragen mit breitem Grinsen im Gesicht "Hattest du nicht gestern Abend noch voller Stolz....". Aber lassen wir das. Wir nehmen es als Bereicherung für unseren Reisebericht gerne mit. Das soll auch nicht der letzte Fauxpas von uns gewesen sein. Nur einer wird sich der Gruppendynamik entziehen und keine Beiträge zu unserer Heldensaga beisteuern. Aber zu seiner Verteidigung sei jetzt schon gesagt, dass er die Urlaube zuvor durchaus schon vorgelegt hatte.
Wir erreichen nach einer Vielzahl von Kurven Massa und die Küste zieht uns in ihren Bann. Unser nächstes Ziel ist La Spezia. Wir meiden die Autobahn und fahren über die Landstraße, die allerdings praktisch nur innerorts verläuft. Wir überholen großzügig Auto um Auto, was hier niemanden stört, und kommen ganz ordentlich voran. Wir werden etwas später im Urlaub noch in die tieferen Geheimnisse eingeweiht werden, wie man sich als Motorradfahrer in Italien angemessen verhält. Aber dazu später mehr.
Wir verlassen die Toskana und sind jetzt schon in Ligurien. Auf Höhe von San Torenzo zieht es mich zum Meer und ich bedeute den anderen, doch eine Pause am Strand einzulegen. Trotz etwas verwirrender Beschilderungen bezüglich Sperrungen der Uferstraße, von der aber Motorräder ausgenommen sind, finden wir schnell die Uferpromenade und parken in den reichlich vorhandenen Parkplätzen für Roller und Motorräder. In einem Café erkundige ich mich, ob die Sitzplätze mit Sonnenschirmen und musikalischer Untermalung gegenüber der Straße direkt am Strand zum Café gehören und wir dort bedient werden. "Naturalmente, la prego di sedersi." oder so ähnlich klingt hervorragend und wir lassen und nieder. Urlaub! Die Bedienung ändert den n nervendem Techno in entspannende etwas, dass ich mal als italienischen Reggae einordnen würde. Perfetto!
Wir genießen Insalata Caprese bzw. Melone Prosciutto und kühle Getränke. Warum haben wir keine Badesachen mitgenommen? Ich will gar nicht mehr weg, aber wir raffen uns dann doch wieder auf und fahren weiter Richtung La Spezia und dann über die Küstenstraße zum Parco Nazionale delle Cinque Terre. Die Landschaft ist atemberaubend schön und man ist hin und her gerissen, ob man nach der nächsten Kurve wieder anhalten will um die Landschaft und das Meer zu bewundern oder weiter fährt, um noch mehr Landschaft zu entdecken.
Am Passo del Termine drehen wir ab und fahren Richtung Landesinnere. Für mich steht der Entschluss bereits fest, die nächsten Tage hier noch einmal hinzukommen. Wir halten uns gen Osten und erreichen über den Passo dei Solini den wenig spannenden Passknackerpunkt "Bagatello". Der Name ist hier Programm. Die Navis tun sich hier ein wenig schwer mit der Routenberechnung und kommen wie so oft zu unterschiedlichsten Wegen.
Auf den OSM-Karten entdecke ich eine Abkürzung, durch die OSMAnd aber partout nicht routen will. Aber der Weg sieht doch prima aus und ist nicht ausdrücklich verboten! Was weiß das blöde Navi schon. Manuel sieht den gut befestigten Waldweg und winkt ab - Blahwas schließt sich ihm an. Wir vereinbaren eine Tankstelle in Aula als Treffpunkt und fahren los. Der Weg führt bergab und eine erste Stufe nehmen wir locker, die zweite auch noch. Der Weg wird enger. Vor der dritten schon deutlich höheren Stufe zögern wir ein wenig und beraten uns. Zum Wenden ist es schon zu eng. Ach komm' das geht schon und wir fahren weiter. Der Weg wird enger und besteht inzwischen nur noch aus einer ausgewaschenen Rinne. Mist! Welcher Idiot ist auf die Idee gekommen hier herunter zu fahren? Das Vorderrad rutscht schon bedenklich bei gezogener Bremse. Tremor hält dankenswerterweise Abstand, damit er mich nicht abräumt, wenn er stürzt, bzw. nicht in mich rein rutscht, wenn ich mich ablegen sollte. Zurück können wir schon lange nicht mehr. Ich schicke Stoßgebete zum Himmel, dass wir da irgendwie durch kommen. Es geht nur noch in Gänsemarsch weiter. An einem kleinen geraden Stück halte ich und warte auf tremor, der sich aber nicht blicken lässt. Ich überlege ihn zu fragen, ob er Lust hat, mal die Motorräder zu tauschen, glaube aber die Antwort bereits zu kennen.
Ich will gerade absteigen, um nach ihm zu sehen, da höre ich den vertrauten Klang es Einzylinders. Warum hat das so lange gedauert? Tremor sieht ein wenig verschwitzt aus und erklärt mir ausführlich die ballistische Kurve, in der er die KTM in eine etwas ungünstige Position mit der Oberseite bergab im Gebüsch abgelegt hat. Zum Glück wiegt die KTM nur 160 Kg und er konnte sie durch viel Krafteinsatz wieder in die Vertikale bringen.
Auf dem Boden entdecke ich eine ältere Reifenspur von einer Dreckfräse, was mich zumindest hoffen lässt, dass der Weg nicht in einer Sackgasse oder vor einem Abgrund endet. Eine Wahl haben wir nicht, also tasten wir uns weiter bergab bis wir endlich über einen "normalen" Trampelpfad auf eine Straße treffen. Völlig verschwitzt aber SEHR erleichtert nehmen setzen wir die Fahrt wieder fort. Ich bin ein wenig stolz, dass ich die GS ohne Sturz darunter gebracht habe. Aber wozu Hochmut führt haben wir ja heute schon erlebt. Ist nur eine Frage der Zeit - sehr wenig Zeit, wie sich heraus stellen wird.
An der Tanke treffen wir auf Blahwas und Manuel und lassen uns nichts anmerken. Wir berichten in allen Einzelheiten über unseren Husarenritt, lassen nur den unerheblichen Teil mit dem kleinen Missgeschick aus. Wir wollen Blahwas und Manuel schließlich nicht unnötigerweise mit solchen Details belasten.
Auf dem Rückweg nehmen wir noch drei weitere Passknackerpunkte mit und freuen uns auf die Dusche. Tremor spannt noch seine Kette nach, während ich einen Tisch in der Pizzeria reserviere und Brot für den nächsten Morgen bestelle. In der Pizzeria werde ich mit Vornamen begrüßt und die Reservierung ist schon für 4 Personen mit Uhrzeit eingetragen, bevor ich etwas sagen kann. Die sind richtig nett hier.
Für den kommenden Tag wählen wir eine sehr lange Route entlang unzähliger Passknackerpunkte, wobei uns Blahwas einige Abkürzungsoptionen aufzeigt, falls die Tour sich sehr in die Länge ziehen sollte.