Donnerstag, 7. Juni - Italienische Fahrstunde

Wie am Vorabend geplant, fahren Tremor und ich heute noch einmal Richtung Meer, während Blahwas und Manuel weitere Passknackerpunkte sammeln.

Diesmal packen wir die Badesachen ein, um uns gegen Mittag in das Mittelmeer zu stürzen. Wir starten wie am Dienstag in Richtung Castelnuovo di Garfagnana und von dort aus über den Passo del Vestito nach Massa. Die Strecke ist einfach genial zu fahren und macht auch beim dritten Mal riesig Spaß.

In Massa tanken wir an der SB-Säule. Eine gute Wahl stellen wir fest. Das Preisschild für die Service-Säulen wiest 33 Cent / Liter Aufpreis aus. Das ist ordentlich, um eine Zapfpistole in den Tank zu halten. Von Massa nach La Spezia nehmen wir diesmal die Autobahn, um uns die zeitraubende Fahrt durch die Orte entlang der Küste zu sparen. Direkt am Meer kann man nur an wenigen Stellen fahren, daher macht das nichts.

Wir fahren am Marine-Hafen Arsenale Militare Marittimo di La Spezia vorbei in Richtung Porto di Portovenere. Auf dieser Strecke hat man einen tollen Blick über La Spezia und den Marine-Stüzpunkt. Es gibt wohl schlimmere Orte, an denen man als Soldat stationiert sein kann.

Am Porto di Portovenere legen wir eine Pause ein. Tremor hat viel Vertrauen in die Rechtschaffenheit der Einwohner und Touristen, denn er lässt seine SR-Kamera in seinen Gepäcktaschen am Motorrad zurück. Die Nerven hätte ich nicht.

Wir sehen ein etwas seltsames feuerrotes Boot, vermutlich ein U-Boot für Touristen. Wir sitzen in der Nähe einer Boot-Tankstelle und vergleichen die Spritpreise. Für Boote gibt es keine Steuervergünstigungen, der Sprit ist gleich teuer, nur die Schläuche der Zapfsäule sind länger und dicker. Ein teuere Vergnügen bei Preisen jenseits von 1,61€ / Liter.


Wir nehmen wieder die Küstenstraße in Richtung Norden durch den Parco Nazionale delle Cinque Terre. Die Straße und der Ausblick sind ein Traum und zudem zu dieser Jahreszeit auch noch leer. Das ist echt schwer zu überbieten. Wir drehen eine Schleife zurück nach La Spezia und fahren auf direktem Weg nach San Torenzo an den Strand. Wir parken unsere Motorräder. Meins steht vor einer von 10 Säulen für eBikes. Ich schaue mich um, aber auch vor den anderen Säulen stehen ausschließlich Benziner. Wird schon nicht abgeschleppt werden.


Badezeit! Das Mittelmeer ist schon erstaunlich warm, bestimmt auch begünstigt durch die relativ flache Bucht. Wir duschen das Salzwasser ab und lassen uns lufttrocknen. Beim Einpacken spricht uns ein Motorradfahrer a.D. aus Mönchengladbach an, der mit seiner Tochter im Auto durch Italien kreuzt, dem man aber anmerkt, dass er uns beneidet. Nach einem kurzen Gespräch über unsere Touren entspann sich folgender Dialog:

"Fahrt ihr eigentlich mit einem Motorrad?"

"Nee, wieso?"

"Weil ich da vorne nur ein deutsches Motorrad gesehen habe."

"Doch, doch da stehen zwei, aber dazwischen stehen noch zwei, drei andere."

"Eine KTM habe ich gesehen. Was fährst du?"

"Eine GS."

"Eine GS hätte ich aber bestimmt gesehen!"

"Hmpf. Die steht bestimmt noch da (*daumendrück*)."

"Na dann gute Fahrt!"

"Danke, auch so (leise: Womit denn eigentlich?)"

Nach einigen bangen Augenblicken, erblickte ich sie genau da, wo ich sie abgestellt hatte. Ist der blind? Warum macht der mich so nervös? Egal, ich bin erleichtert und es geht einen Kilometer nach Lerici, einem sehr schönes kleines Städtchen. Dort gibt es auch das erste italienische Eis in diesem Urlaub. Warum schmeckt Pistazieneis eigentlich nur in Italien nach Pistazien? In Deutschland schmeckt es nur wie es aussieht: Grün.

Unterwegs sehen wir einen kleinen roten Flitzer, mit dem man Parkplatzsorgen vergessen kann und ein cool aussehendes eBike.

Nach einem der schwülen Hitze geschuldetem sehr kurzen Rundgang durch den Hafen und entlang der Promenade machen wir uns auf den Weg Richtung Campingplatz. Dazu müssen wir erst mal rund 30 Kilometer an der Küste entlang durch den Berufsverkehr. Da es immer eine gute Idee ist sich als Tourist mit den Sitten und Gebräuchen des Gastlandes vertraut zu machen, auch um nicht unnötigerweise mit den Hütern des Gesetzes in Konfliktgespräche verwickelt zu werden, hängen wir uns an ein einheimisches Pärchen auf zwei 125ern, die in die gleiche Richtung fahren. Uns war die italienische Fahrweise in den Grundprinzipien zwar bestens vertraut und kam unseren eigenen inneren Überzeugungen und Werten sehr entgegen. Allerdings handelte es sich bei dieser Fahrt um einen professionellen Desensibilisierungskurs in Sachen kreativer Linienwahl und Auslegung von Geschwindigkeitsempfehlungen. Anders kann man die aufgestellten Schilder nach dem Kurs nicht mehr betrachten.

Ich fasse mal die Grundregeln des italienischen Zweiradverkehrs zusammen:

An Ampeln werden Zweiräder selbstverständlich nach vorne einsortiert. Das ist bei allen Verkehrsteilnehmern akzeptiert. Wenn die eigene Spur bzw. Spuren mit Autos zugestellt sind, wird zuerst auf die Motorradspur gewechselt. Diese Spur ist exakt so breit wie das sich gerade darauf befindliche Motorrad plus jeweils 5 cm rechts und links. Die Mitte der Motorradspur wird durch eine zumeist durchgezogene (manchmal auch unterbrochene) Linie markiert. Der gemeine deutsche Verkehrsteilnehmer könnte diese Linie als Mittellinie zweier gegenläufiger Fahrspuren fehlinterpretieren. Dem ist selbstverständlich nicht so. Hier lässt sich prima fahren. Sollten Motorradfahrer der Gegenrichtung die gleiche Spur benötigen, wird die Spur automatisch (kleines Wortspiel) auf die doppelte Breite erweitert und das Grüßen gleicht mehr einem Abklatschen, ob der geringen Entfernung.

Sollte die reguläre Spur für Autos physikalisch betrachtet zu eng sein, um die zusätzliche Motorradspur aufzunehmen, wird diese gänzlich auf die Gegenspur verschoben. Das funktioniert selbst bei entgegenkommenden Bussen, wenn man sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Der für Ausländer wie uns erstaunlichste Aspekt dieser evolutionär deutlich höher entwickelten Verkehrssozialisierung ist die Tatsache, dass niemand auch nur auf die Idee kommt, sich in seinem Recht beschnitten zu fühlen, sondern einfach etwas Platz lässt. Wenn wir unsere Fahrt in einer deutschen Stadt wiederholen würden, wäre das ein Hupkonzert erster Güte geworden, zudem wären einige Sicherungen der Autofahrer und deren Lichthupen durchgebrannt. Man stelle sich vor, ich würde einen Kölner Busfahrer im Berufsverkehr auf seiner Spur entgegenkommen. Würde der Platz machen, in dem er ein Stück weiter rechts fährt? Vermutlich hätte ich innerhalb von Minuten das SEK auf den Fersen. Während der halben Stunde Fahrt (in Deutschland würde man es vermutlich als Amokfahrt bezeichnen) hat sich nicht ein einziger italienischer Verkehrsteilnehmer gestört gefühlt. Da hier alle aufeinander Acht geben, ist das gefühlt nicht gefährlicher als bei uns. Die Geschwindigkeit richtet sich ausschließlich nach der aktuellen Verkehrs- und Gefährdungslage und nicht nach den bunten Schildern am Rand, die hier eigentlich blau mit weißer Schrift sein müssten.

Meinem Tacho zu Folge sind die Geschwindigkeiten auf den roten umrandeten Schildern in Meilen pro Stunde angegeben, dürfen aber großzügig überschritten werden. Das ist natürlich davon abhängig, ob man die örtlichen Radarfallen kennt. Die fest installierten Blitzer sind gut sichtbar und zu weit über 90% nicht bestückt und obendrein zugeklebt oder mit Sprühfarbe verschönert. Mobile Laserfallen sind mir nicht aufgefallen, allerdings schon einige Verkehrskontrollen, die aber ausschließlich Autos kontrolliert haben. Das ist natürlich nicht repräsentativ. Vielleicht haben wir einfach Glück gehabt. Wer weiß was noch per Post kommt.

Wir haben uns am Ende der Fahrt an einer Ampel bei den beiden Fahrlehrern bedankt und verabschiedet und betrachten uns verkehrstechnisch ab sofort als vollständig integriert.

Zurück geht es über die SP9 durch die Galleria del Cipollaio, einen längeren schnurgeraden Tunnel auf 900 m in Richtung Campingplatz. Da wir morgen den Campingplatz wechseln, werden Blahwas' und Manuels Motorräder verladen und der Pavillon abgebaut und verstaut. Für morgen ist schlechtes Wetter angesagt und die beiden frotzeln schon ein wenig, dass die Fahrt morgen kein Spaß wird. Wir werden sehen. Wir verbringen den letzten Abend in unserer Stammpizzeria am Platz, wo man ehrlich ein wenig traurig scheint, dass wir morgen abreisen. Mir geht es genau so.