Montag, 4. Juni - Warmfahren

Endlich der erste Fahrtag. Wir peilen ca. 10:00 Uhr für die Abfahrt an und sortieren die Ausrüstung, Manuel und Blahwas entfernen überflüssige Topcase-Träger und wir laden die Navis mit der geplanten Tour. Die heutige Route umfasst 263 Kilometer Richtung Nord-Westen und führt auch ein Stück durch die Emilia-Romagna.

Die Wettervorhersage für die kommenden Tage ist sehr durchwachsen, es sind immer wieder Schauer angesagt, aber heute soll es trocken bleiben. Ich bin Optimist und lasse die Regenkombi im Zelt, zweifle aber, ob ich das nicht bereuen werde.

Was sich schon am Vortag bei der ersten Fahrt zum Supermarkt angedeutet hatte, bestätigt sich im Laufe des Tages immer wieder. Die überall zu findenden Schilder bezüglich des Straßenzustands sind ernst zu nehmen. Die Straßen sind in einem denkbar schlechtem Zustand. Schlaglöcher, endlose Flickenteppiche und Absenkungen sind eher die Regel, als die Ausnahme. Damit lässt sich aber umgehen, wirklich schwierig ist allerdings der Asphalt selber, der auch bei Trockenheit durchgehend sehr glatt und rutschig ist. Wir haben in der nördlichen Toskana alle immer wieder mit Rutschern zu kämpfen. Das kennen wir so aus anderen Regionen nicht. Von rastenschleifender Fahrweise ist hier dringend abzuraten. Dafür entschädigt die tolle Landschaft und das zu dieser Jahreszeit geringe Verkehrsaufkommen.

Am Passo di Praderena weist uns Blahwas auf eine Offroad-Abkürzung hin, die ein paar Kilometer weiter wieder auf die Route führt. Tremor und ich wollen es versuchen, Manuel winkt sofort ab, immer noch von seiner letzten Offroad-Erfahrung in den Cevennen einschließlich Leck-geschlagenen Ölwanne traumatisiert, meidet er jegliche Schotter- oder Offroad-Wege.

Hätten wir diesmal auch besser gemacht, denn der erste Teil des Weges ist durch sehr grobes altes Pflaster, feuchter Wiese und und zunehmendem Gefälle geprägt. Als wir dann im Wald auf einen dichten Belag aus nassem Laub treffen, dem unsere Straßenreifen nichts mehr entgegen zu setzen haben, beschließen wir umzudrehen. Wir kommen so gerade noch die Steigung wieder hoch und erreichen die Straße.

Mir fällt auf, dass etwas fehlt. Wo ist meine Sonnenbrille? Mir schwant, dass ich die bei der letzten Pause auf dem Koffer abgelegt und vergessen habe. Ich fahre einen Kilometer zurück, in der Hoffnung, dass sie nur herunter gefallen ist. Und tatsächlich finde ich sie wieder, allerdings ist sie unter die Räder gekommen. Meine forensische Analyse ergibt, eindeutig, dass sie von einem Conti Road Attack 3 überrollt wurde und dann schwer verletzt zurück gelassen wurde. Klarer Fall von Unfallflucht. Die Eingrenzung des Täters wird allerdings dadurch erschwert, dass wir alle den gleichen Reifen fahren.

Alle Wiederbelebungsversuche scheitern und ich muss sie schweren Herzens beerdigen.

Am Passo di Pratizzano legen wir eine Pause ein und genießen die tolle Aussicht. Manuel nutzt im Urlaub jede Gelegenheit für ein neues Instragram-Foto seiner MT07.

Dort steht auch ein Gedenkstein für zwei gefallene Partisanen, die im April '45 bei der Befreiung Italiens von den Faschisten gefallen sind. Ich will mir gar nicht vorstellen, was die Familie der beiden Vettern empfunden hat, als man ihnen die Nachricht ihres Todes überbracht hat. Sowas lässt mich immer an der Menschheit insgesamt zweifeln. Einige der wenigen Spezies auf Erden, die sich gegenseitig systematisch umbringen.

So eine Gedenktafel reicht mir schon vollkommen aus, um den Wahnsinn des Krieges zu begreifen. Einen Besuch in einer KZ-Gedenkstätte würde ich vermutlich nicht ertragen können. Was für eine Verschwendung von Leben.

Das Wetter wird jetzt zunehmend schlechter und wir bekommen die ersten Regentropfen ab und die Straßen werden immer rutschiger. Am Passo del Lagastrello beschließe ich, die zwei folgenden Stichstraßen zu zwei Passknackerpunkten auszulassen und mich auf die Suche nach einem Café zu machen. Wir vereinbaren, dass ich vorfahre und im nächsten Café warte. Am Ristorante Il Capriolo Di Meloni Stefano angekommen (die Italiener können einfach gut klingende Namen) bemerke ich, dass der Kleber, mit dem meine Smartphone-Halterung an eine Trägerplatte geklebt ist, offensichtlich nicht hitzefest ist und beginnt sich abzulösen. Das ist mit etwas Sekundenkleber schnell behoben.

Kurze Zeit später treffen die drei begleitet von einer größeren Gruppe deutscher Harley-Fahrer ein und wir gönnen uns Chips und Getränke.

Wir fahren weiter Richtung Carrara und Massa und man sieht überall entlang des Weges Gewerbetriebe, die mit riesigen Marmorblöcken handeln. Leider lädt das Wetter weiterhin nicht zum verweilen ein. Wir werden zwar nicht wirklich nass, aber es fährt sich schon ziemlich verkrampft auf den glatten Straßen.

Wir kreuzen heute mehrfach die Linea Gotica, eine Verteidigungslinie der deutschen Wehmacht gegen die alliierte Invasion aus Süd-Italien. Wir finden eine Gedenktafel für einen Partisanen - Adriano Tardelli "Das Bajonett" - der Juden, Homosexuelle, Roma und Widerstandskämper durch diese Linie geschmuggelt hat und 1945 von den Faschisten hingerichtet wurde.

Von Massa aus, geht es Richtung Castelnuovo di Garfagnana, eine Strecke, die mir der Besitzer des Campingplatzes wärmstens empfohlen hat. Wir kommen an einem Marmorsteinbruch vorbei, bei dem mir ein großes aus dem Fels geschnittenes Portal auffällt, dass ich bei schönerem Wetter auf jeden Fall wieder besuchen möchte. Auch die Straße verspricht bei trockenem Wetter höchsten Fahrspaß.

Wir beenden den Tag diesmal zu viert in der Pizzeria am Campingplatz mit Pizza und Pasta. Wir kommen noch mal auf die letzten Urlaube zu sprechen und Johannes lässt nicht unerwähnt, das Tremor und ich bei der Stella Alpina unsere Motorräder beide einmal aus Unachtsamkeit abgelegt hatten (im Stand wohlgemerkt). Eine Spitze, die sich am nächsten Tag zu unser beider Befriedigung noch rächen sollte.

Wir studieren noch die Wetterlage und beschließen aufgrund des zu erwartenden Sonnentages, die Route ans Meer zu nehmen. Die wird uns zudem erneut durch das vielversprechende Tal von heute Nachmittag führen.