Was ist Kunst? Üblicherweise heißt es, Kunst sei nicht definierbar. Markus Gabriel legt in "Die Macht der Kunst" meines Erachtens eine überzeugende Wesensanalyse vor. Ich folge ihr in dieser knappen Skizze sehr lose. Seine Definition lautet:
Kunstwerke sind radikal autonome, notwendig interpretierte Individuen
Nehmen wir als Beispiel eine Zeichnung. (Alles, was sonst unter den Begriff Kunst fällt, gehört ebenfalls dazu – das sollte im Verlauf der Beschreibung deutlich werden.)
Ein Aspekt der Zeichnung ist das Papier mit den Pigmenten darauf. Man kann sich aber ebenso eine Bronzestatue, ein Musikstück, ein Tanztheater oder ein Konzeptkunstwerk vorstellen – stets braucht es ein solches „Etwas“. In der philosophischen Fachsprache, die sich hier leider von der Alltagssprache unterscheidet, nennt man das ein Individuum – etwas Bestimmtes, Besonderes, vereinfacht gesagt. Jedes Kunstwerk ist durch seine Komposition (Zusammenstellung) individuiert, wodurch es sich von anderen Kunstwerken unterscheidet.
Dieses Etwas – im vorliegenden Fall also das Papier mit der Farbe – ist jedoch keineswegs schon für sich allein das Kunstwerk. Es ist entscheidend, diesen Punkt zu sehen.
Weitere Aspekte kommen hinzu. Wichtig ist: Das Kunstwerk setzt sich selbst die „Regel“. (Nicht etwa der Künstler! Inwiefern das überhaupt möglich ist, wird hoffentlich im nächsten Punkt deutlich.) Dies ist die berühmte Autonomie der Kunst. Gabriel spricht von der radikalen Autonomie, um sie von der Autonomie im ethischen oder sittlichen Sinne abzugrenzen. Das ist jedoch ein begriffliches Detail, das wir hier nicht weiter vertiefen müssen.
Ein weiterer Aspekt ist die „Aufführung“. Um sich vorzustellen, was damit gemeint ist, kann man die Zeichnung probehalber als eine Art Notation wie in der Musik betrachten. Der Betrachter bzw. die Betrachterin muss diese Notation gewissermaßen auf der inneren Bühne zur Aufführung bringen. Einiges davon geschieht automatisch, anderes verlangt bewusste Anstrengung oder Vorstellungskraft. (Gabriel spricht daher auch von einer Interpretation – in Anlehnung an den Musikbegriff. Was man im Alltag unter Interpretation versteht, nennt Gabriel dagegen Deutung.)
Wichtig ist zu erkennen: Diese „Rezeption“ oder „Betrachtung“ – eigentlich also Aufführung bzw. Interpretation – steht dem Kunstwerk nicht einfach gegenüber, sondern ist ein konstitutiver Teil des Kunstwerks selbst. Wir sind gewissermaßen immer mit im Bilde, und das Bild ist nicht ohne uns. (Die Betrachtung eines Kunstwerks ist also ontologisch etwas ganz anderes als die Betrachtung eines Baumes.)
Wichtig: Der Text ist vorläufig, ich plane noch ihn zu präzisieren.