Im lauten, bunten Trubel des Großereignisses Weltausstellung documenta finde ich mich plötzlich bei Discokugel, Bühnenleuchter und Computer in einem Event, im neu-deutschesten Sinne des Wortes, wieder.
Die Palme aus dem Wintergarten wirkt etwas hausbacken – vielleicht bin ich auch im Event-Museum… Ein Museum im Museum, ein Event im Event.
Rechts lese ich auf einer Tafel einen Text von Georges Bataille zur "allgemeinen Ökonomie", der mich in einer heftigen rhetorischen Bewegung, vom Wechseln eines Rades, über die amerikanische Autoindustrie, ins Räderwerk des Sonnensystems schleudert.
Von hieraus betrachten wir die irdische Ökonomie, als deren Ausgangspunkt und Energiequelle Bataille die Sonne benennt. Ziemlich unverblümt erläutert er, dass Ökonomie nicht Effizienz, sondern Verschwendung und Überschwänglichkeit bedeuten sollte.
"Exuberance is beauty" von William Blake ist das Motto des Textes:
"Ich gehe von einer elementaren Tatsache aus: Der lebende Organismus erhält, dank des Kräftespiels der Energie auf der Erdoberfläche, grundsätzlich mehr Energie, als zur Erhaltung des Lebens notwendig ist. Die überschüssige Energie (der Reichtum) kann zum Wachsen eines Systems (zum Beispiel eines Organis-mus) verwendet werden. Wenn das System jedoch nicht mehr wachsen kann und der Energieüberschuss nicht gänzlich vom Wachstum absorbiert werden kann, muss er notwendig ohne Gewinn verloren gehen und verschwendet werden, willentlich oder nicht, in glorioser oder in katastrophischer Form."
(Georges Bataille)
Dieselbe Tafel erläutert mir noch schnell das Morse-Alphabet – und ich begreife langsam die Versuchsanordnung. Nachdem mich Bataille eben gerade ins All geworfen hat, bewegen wir uns jetzt in die entgegengesetzte Richtung: Der Computer zerlegt den Bataille-Text zunächst in Nullen und Einsen, setzt ihn am Monitor wieder zusammen, doch dann spaltet er ihn endgültig in die Bedeutungs-Atome der Morse-Zeichen …
(Letter, Morse-Alphabet und binärer Code. Der Weg weg von der oralen zur globalen Kultur in drei Bildern: Vom Mund in die Hand, von der Hand in den Äther, vom Äther ins All. Vom Hören zum Sehen – bis es einem vergeht? War der Mensch der "Kultur des Mundes" tiefer in seiner Tradition verwurzelt, gefesselt? Zerschlägt die Schrift, die uns erlaubt die Welt zu analysieren, zu zerteilen den Knoten, die Wurzeln? Hat uns das Buch zum Individuum gemacht, zum Einzelgänger, zum ziellosen Wiedergänger? Lösen die Wellen im Äther den Raum auf? Stürzen uns die Satelitten im All in bodenlosen Taumel? Am Anfang war das Wort. Und am Ende?)
Sonnenfinsternis
… einmal kurz, drei mal lang, einmal lang leuchtet der Bühnenstrahler, vom Computer gesteuert, die Kugel mit der Spiegelfassade an: Hunderte von kleinen, Lichtern kreisen auf der Wand und verschwinden, tauchen wieder auf und verschwinden wieder
An der Stirnwand steht die Aureole einer Sonnen-Finsternis ... Womit sich der Kreis zu Bataille wieder schließt und mich im ratlos Bedeutungs-Raum zurücklässt: Zwischen der "ökonomischen" Forderung nach Überschwang und einer Event-Kunst, als weichem Standort-Faktor, tappe ich im Licht, das Bataille soeben in seinem flackernden Rhythmus verschluckt hat.
Stadtwerke Hannover auf der EXPO 20
"Energie spüren – die, die Ihnen am nächsten ist: Ihre Lebensenergie …
Auf unserem Stand auf der EXPO 2000 in Hannover wurde Energie sinnlich wahrnehmbar. Im lauten, bunten Trubel des Großereignisses Weltausstellung fand der Mensch bei uns ein Ruhefeld, wo er Kraft schöpfen und positive Energie tanken konnte. …
Die Licht und Farbverhältnisse in der Kuppel ändern sich fließend. Ununterbrochen changieren Farben und Stimmungen, akustisch untermalt durch fließende Klänge und Töne, die ihren Ursprung in der Ruhe haben. Mal helle "entfernte" Melodien, mal tiefes weiches Beben, Stimmen, Wassergeräusche und sogar Original-Sounds aus Kraftwerken sind in die Klangcollage eingewebt. …"
(Stadtwerke Hannover)