Band 14

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Band 14

Conrad H. von Sengbusch

and 14

Zeitzeugen des Alltags:

Werft, Schiffe, Seeleute, Funkbuden

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Mützelfeldwerft Cuxhaven

Conrad H. v. Sengbusch

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Jahrgang '36

Werft, Schiffe, Seeleute, Funkbuden

Jugend in den "goldenen 1959er Jahren"

Schiffselektriker in Cuxhaven

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Band 14 - Band 14 in der gelben Reihe "Zeitzeugen des Alltags"

zu beziehen bei

Jürgen Ruszkowski, Nagelshof 25 , D-22559 Hamburg

Tel.: 040-18090948 - Fax: 040-19090954

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Inhaltsverzeichnis:

Vorwort des Herausgebers

Vorwort des Verfassers

Jugend in den „goldenen“ 1950er Jahren

Jahrgang ’36

Ein Tag von „48 Stunden“

Schulzeit in der DDR, Zeulenroda/Thür., 1950

Konfirmation, 1950

Schulabschlussprüfungen, 1950

Der Neubeginn in Westdeutschland, 1950-1953

Berufsfindung und Stellensuche, 1953

Berufsstart als Praktikant, 1953

„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, 1. Lehrjahr, 1953/1954

Die Gesellen und ihre Eigenarten

Heiligabend 1953 auf der Werft

In der Lehrwerkstatt

2. Lehrjahr, 1954/1955

3. und 4. Lehrjahr, 1955/56

Cuxhaven in den Jahren 1950-1956

Amateurfunk-Hobby

Urlaubszeit und Ferienreisen, 1954/1956

Deutschlandtour 1954 per Rad

Per Anhalter in Dänemark und Schweden, 1955

Stockholm hin und zurück per Rad, Anhalter und Bahn, 1956 154

Studium in Kiel, 1956/1959

1. bis 3. Semester, ein harter Einstieg!

In der Buntmetallgießerei, 1957

Kartoffelernte

Ein netter Ausblick

Arbeiter zur Aushilfe im Eiswerk, 1957

3. Semester

Per Anhalter in den Vogesen und in der Schweiz, 1957

Resturlaub in der Schweiz, 1957

Nach dem „Bergfest“ das 4. und 5. Semester

Als Werkstudent im Schwarzwald, 1958

Hilfsarbeiter beim Straßenbau

Hilfsarbeiter beim Fliesenleger

Das 5. Semester und Exkursionen, 1958

Auf Exkursion in Westdeutschland (I), 1958

Auf Exkursion in Westdeutschland (II), 1958

Auf Exkursion in Westdeutschland (III), 1958

5. Semester und Staatsexamen, 1958/1959

Auf Stellensuche in der Industrie, 1959

Laboringenieur in Hamburg, 1959

Essen und Speisen – Sitten und Gebräuche, 1958

Rundfunkgeräte-Entwickler in Osterode/Harz, 1960

Seefahrtgeschichte: Vom „KFK 142“ zum Angelkutter „Hela

Der lange Lebensweg des „KFK 142“ von 1942 bis heute

Dankadresse

Literaturangaben

Verzeichnis der abgebildeten Schiffe

Bildquellen

Verzeichnis der Bilder

Leserreaktionen zu den „Seemannsschicksalen“

Buchempfehlungen Seemannsschicksale – Adressen

Buchempfehlungen Zeitzeugen des Alltags

insgesamt 227 Seiten

Leseprobe aus Band 14:

Praktikant, das war im Gegensatz zu heute kein leichtes Brot! Gearbeitet wurde grundsätzlich ohne jede Bezahlung. Auf der Werft galt das Motto: „Der Praktikant ist in unserem Betrieb nur auf der „Durchreise“. Ihm geht es nur um die Bescheinigung, die er zum Studium benötigt. Wenn er später sein „Patent“ hat, wird er uns schikanieren. Also, Leute, schont ihn nicht, und lasst ihn schuften bis zum Umfallen.“ Für die letzten zwei Worte galt auf der Werft eine andere, drastischere Sprachregelung, die ich hier nicht wiedergeben möchte, das aber nur der Vollständigkeit halber... Jedenfalls war diese Aussage die einhellige Meinung der Werftarbeiter bis zum Meister. Und damit sind wir schon beim besagten 1. April 1953.

Frage ich meinen Bio-Taschenrechner, dann meldet der mir für den damaligen Mittwoch die folgenden Daten: Körperlich – flau, gefühlsmäßig – harmonisch und geistig – kreativ. Wie im Horoskop war da ein bisschen Wahrheit enthalten, besonders, was „körperlich – flau“ anbetrifft. Wer beginnt schon einen neuen Lebensabschnitt völlig unbeteiligt?

Es war ein Arbeitstag, und wir mussten auf der Hut sein. Der Meister und die Gesellen wollten ihre Gaudi haben und hatten schon die Fallstricke für die „greenhorns“ ausgelegt, um uns „Neue“ in den April zu schicken.

Wir „Neuen“, das waren Heinz Sch. (14), Uwe S. (15), Joachim v. G. (16) und ich, Conrad H. v. S. (17). Pünktlich um 07.00 Uhr hatten wir uns zum Dienstantritt bei dem Meister der E-Werkstatt zu melden. Für die Arbeitskleidung, bestehend aus einem blauen Overall, einer Mütze und festem Schuhwerk hatten wir selbst zu sorgen, wie uns zuvor mitgeteilt wurde.

Meister L. lässt sich mit wenigen Worten kaum beschreiben, aber ich habe bei ihm viel gelernt, und da er schon lange nicht mehr unter uns weilt, will ich objektiv sein. Er war ein Original, ein Hüne von Gestalt, etwa zwei Meter groß, sehnig und hager, das war seine äußere Statur. Wie viele große Menschen, ging er stets ganz leicht nach vorne gebeugt, immer auf der Hut, sich nicht an den Decksbalken und den niedrigen Schotten der Durchgänge auf den Schiffen den Kopf zu stoßen. Der „harte Hut“ der heutigen Werftarbeiter war damals noch unbekannt. Sein ebenso hageres Gesicht war geprägt von einer riesigen Nase. Die kleinen, zurückliegenden, listigen Augen, versteckt hinter buschigen Augenbrauen und zeitweise einer dunklen Hornbrille, sahen alles! Seine Haut war faltig, ledern und von dunklem Teint, den langen Hals zierte ein herausquellender Adamsapfel, und aus dem stets offenen rot karierten Flanellhemd lugte eine tierische Behaarung. Seine mächtigen Pranken, die hart zupacken, aber auch blitzschnell Ohrfeigen verteilen konnten, rundeten das äußere Erscheinungsbild ab. Meister L. trug zur Sommer- und Winterszeit eine fladengroße Marineschirmmütze, und wo einst das Hoheitszeichen befestigt war, schmückte nun das rot-weiße Werftabzeichen die Kopfbedeckung. Auch seine Kleidung blieb über Jahre gleich: Er hatte eine rote und eine grüne Cordstoffjacke. Das war der „Parka“ der frühen 50er-Jahre. Als Hose kannte ich bei ihm nur die dunkelblaue Marine-Klapphose mit dem „40er-Schlag“.

Meister L.´s Sprache war das Plattdeutsche in der Variante, wie sie im „Nassen Dreieck“ zwischen Cuxhaven, Bremerhaven und Stade gepflegt wurde, und man tat gut daran, sich ebenso auszudrücken. Es erleichterte den Umgang mit der Kundschaft der Fischer und Küstenmotorschiffer ungemein. Anderenfalls konnte es vorkommen, dass die Fischer uns zum Meister zurückschickten mit der Bemerkung „Mit em köönt wi ni snacken“.

Unser Meister war auch einem guten Schluck nicht abgeneigt, womit er aber gut umgehen konnte und was sich kaum vermeiden ließ. Auf der Werft bot sich dazu reichlich Gelegenheit. Unser internationales Publikum hatte roten Wodka aus Polen, Genever aus Holland, Aquavit vom Feinsten aus Dänemark und guten schottischen Whiskey, den die Isländer mitbrachten. So gab es dann immer irgendeine Gelegenheit, auf den Havaristen irgendetwas zu bereden. Hatte sich der Meister im Allgemeinen unter Kontrolle, so konnte er aber zeitweise auch zum Despoten werden, wenn die Proben zu reichlich ausgefallen waren. Dann konnte er unkontrolliert aufbrausen und warf uns Brocken an den Kopf, die dem untersten Level der nicht zimperlichen Werftsprache entlehnt waren. Zeitweise begegnete er uns aber durchaus auch mit väterlichen Regungen, die aber an seiner Autorität nie zweifeln ließen, so dass niemals auch nur einen Hauch von Vertrautheit oder menschlicher Nähe aufkam. So gab es Momente, in denen er über eine gute Portion an norddeutschem Mutterwitz verfügte, den niemand diesem Bärbeiß zugetraut hätte. An ihm war vielleicht ein Segelschiffskapitän des 19. Jahrhunderts verloren gegangen, und so wählte er zu seinen Altgesellen und Vorarbeitern ähnlich knorrige Naturen aus.

Meister L. war fortan unser „kleiner Gott“, der uns voll in der Hand hatte und dem wir uns bedingungslos zu unterwerfen hatten. Eine eigene Meinung zu vertreten, das bedeutete „Meuterei“ und war von vornherein schädlich.

So klingen mir seine Begrüßungsworte für uns Lehrlinge noch in den Ohren:

· „Ich will aus Euch ja nur anständige Menschen machen!“

· „Wer klaut oder aufsässig ist, fliegt raus!“

· „Wo kein Schnee liegt, wird im Laufschritt gegangen!“

· „Wenn ich den Klingelknopf drücke, hat der am nächsten stehende Lehrling sofort bei mir zum Befehlsempfang zu erscheinen!“

· „Meinen Raum betritt der Lehrling ohne Mütze!“

· „Bin ich nicht in meinem Raum und klingelt das Telefon, dann hat der am nächsten stehende Lehrling sofort das Gespräch anzunehmen und mich so lange auf dem Werftgelände zu suchen, bis ich gefunden und informiert bin!“

Eine Personenrufanlage gab es natürlich nicht, und der Meister hinterließ nie, wohin er ging. So suchten wir ihn oft eine Stunde und mehr, klapperten die Messen und Eignerkammern der Havaristen ab oder durchstöberten die Fischkutter. Oft klopften wir an Türen, hinter denen sich Besatzungsmitglieder gerade in inniger Umarmung mit einem Mädchen vergnügten und bekamen prompt die Tür ins Kreuz oder saftige Flüche entgegengeschleudert. Hatten wir dann endlich den Meister bei einer Whiskey- oder Wodkaprobe gefunden, dann reagierte er oft unwirsch, so dass wir uns schleunigst verzogen.

Den vorläufig letzten Spruch zur Begrüßung hätte ich fast vergessen:

· „Am Montagmorgen liegen hier die Berichtshefte vor, sauber in 75°-DIN-Schrift geschrieben, Einweisung beim Budenviz! Und sollte ich jemals einen von Euch mit einer Zigarette im Maul sehen, dann schlage ich sie ihm so tief in den Hals, dass sie nicht mehr herausguckt.“

Raue Sitten kommen da auf uns zu, vermerkten wir im innerlichen Zwiegespräch.

Von nun an war ich mit meiner Blechmarke, die mir morgens der Pförtner gegeben hatte, für die Werft die Nummer „594“ und für die Gesellen „Adenauer“. Was konnte ich dafür, dass meine Eltern mich einst „Conrad“ nannten?

Nach der „Begrüßung“ durch den Meister wurden wir den Gesellen zugeteilt. Das Verfahren ähnelte dem in der Schule, wo die sportlichen Asse die Mannschaft aufstellen und dabei alle Schüler erfassen müssen. Auf der Werft wurde der Aspirant danach taxiert, wie er dem Gesellen fortan dienlich sein konnte, also nach Körperbau, Alter, Gesicht, Sympathie und Englischkenntnissen.

Bei dem Auswahlverfahren hatte ich Glück und landete bei dem Altgesellen Hans M. Hans war ein älterer Ostpreuße des Jahrgangs „05“, wie man damals sagte. Er hatte in seiner Jugend noch bei einem Krauter auf dem Lande das Klempnerhandwerk erlernt und sich später für das daraus hervorgegangene Elektrohandwerk entschieden. Mit seinen 48 Jahren war er über alle Maßen gealtert, ein faltiger, asketenhafter Typ mit grimmigem Humor und einem Gesicht, wie der Indianer auf der damaligen „Red Rock“-Zigarettenpackung. Hans war stets mehr Pessimist als Optimist. Sein einziges Kapital trug er stets bei sich: Es waren seine Goldzähne, die Ober- und Unterkiefer vollzählig ausfüllten. Lächelte Hans ausnahmsweise einmal, dann blitzte es aus seinem Mund. Eigentlich war er zu bedauern, denn Frau und Tochter hatten ihn verlassen, und er lebte nun in einem schäbigen Zimmer über einer Kneipe in der Nordersteinstraße. Sein „Zuhause“ war tagsüber und im Nachtdienst die Werft. Hatte er Tagesdienst, dann ging er abends auch gerne mal ein Bier trinken, und an Sonntagen traf man ihn mit Sicherheit an der „Alten Liebe“, der Anlegestelle der Ausflugsdampfer. Er war ein tiefsinnig denkender Mensch mit vielen Lebensweisheiten, und es machte ihm sichtlich Freude, aus sicherem Abstand das Treiben und Verhalten der Menschen in der Masse zu beobachten. Diese Verhaltensweisen kombinierte er mit seinen Kriegserlebnissen und braute daraus philosophische Erkenntnisse zusammen, die er mir dann in kurzen, prägnanten Sätzen mit auf den Lebensweg gab. Zwei seiner Sätze blieben mir in Erinnerung:

· „Im Leben dreht sich alles ums Verborgene!“

· „Man kann einem Menschen nur so weit trauen, wie man ihn kontrollieren kann!“

Im Russischen ist letzterer Spruch nicht ganz unbekannt und heißt dann

· „Mit dem Bären halte Freundschaft, doch halte auch stets die Axt bereit!“

Im Umgang mit anderen Kollegen war Hans M. zurückhaltend. Durch seine kauzige und eigenbrötlerische Art kam man auch nur schwer an ihn heran. Hatte man aber erst mal sein Vertrauen, dann war er auch Lehrlingen gegenüber durchaus zugänglich. Mein Verhältnis zu ihm war von Anfang an gut, weil ich aus dem Baltikum stamme. Meine Heimatstadt Riga kannte er aus der Zeit vor dem Krieg und war auch während des Krieges dort stationiert. Für ihn fing Deutschland ohnehin erst in Ostpreußen an, und es zählten für ihn nur Deutsche, die dort oder noch östlicher geboren wurden. Allen anderen Landsleuten gegenüber verhielt er sich reserviert und hatte eine besondere Abneigung gegen Schlesier, Sachsen, Saarländer und Dänen. Letztere hatten ihn in Kopenhagen bespuckt, als er sich in geordneter Marschkolonne nach Deutschland absetzte. Dabei benutzte er Dänemark nur als Durchgangsland und war vorher nie dort gewesen. So behandelte man Hans nur einmal, und er wusste immer zu verhindern, auf einem dänischen Havaristen eingesetzt zu werden.

Am liebsten arbeitete Hans M. als Solist, denn er konnte sich anderen nicht unterordnen. Was er liebte und was man an ihm schätzte, das war eine grundsolide und saubere Handwerksarbeit. Pfusch hatte unter seinen prüfenden Blicken keinen Bestand. Da konnte er fuchsteufelswild werden und den unglücklichen Lehrling bis in alle Ewigkeit verstoßen.

Fast wäre ich an diesem ersten Arbeitstag doch noch über einen Fallstrick gestolpert, aber das „Ambossfett“, das ich aus dem Magazin holen sollte, kam mir doch etwas spanisch vor.

Die ersten Wochen im Praktikantendasein fingen gleich hart an. Geschenkt wurde mir nichts. Ich war der einzige Praktikant. Aber hart arbeiten, und keinen Pfennig zu verdienen, ist das heute noch vorstellbar? Die Lehrlinge der 20er-Jahre hatten es noch schlechter, wurde ich aufgeklärt, da mussten die Eltern noch wöchentlich vier Mark an den Lehrherrn zuzahlen. Andernfalls hätte der Meister den Lehrling gar nicht erst genommen!

Meine ersten Erfahrungen waren, dass der Verschleiß an Berufskleidung auf der Werft doch beträchtlich war. Mein einziger Overall war schnell von den Spritzern der Batteriesäure durchlöchert und die Kreppsohlen der ausgedienten „Samba“-Schuhe, die ich 1950 in Berlin erhielt, durch das Gasöl auf den Flurplatten so aufgeweicht, dass sie zu pfannkuchenartigen Fladen wurden. Unter diesen Umständen waren meine Eltern froh, dass ich nach einem halben Jahr der Bewährung von der Werft großzügig als Lehrling übernommen wurde. Fortan erhielt ich 35 Mark im Monat.

„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, 1. Lehrjahr, 1953/1954

Arbeitsmäßig ging es so an: Wir begannen mit einfachen handwerklichen Tätigkeiten. So waren „Sonnenbrenner“ zu reparieren. Das sind die großen, transportablen, schwarzen Emailleschirmlampen, die auf der Innenseite einen weißen Reflektor haben. Sie wurden mit 300- oder 500-Watt-Glühlampen bestückt und überall auf der Werft eingesetzt, wo es etwas zu beleuchten gab. Zum Reparaturgut gehörten auch Verteiler, Kraftkabel (Drehstromkabel), Verlängerungskabel, Schweißkabel, Kabellampen, Bohrmaschinen und die Unterstützung des Betriebselektrikers bei der Installation und dem Auswechseln von Leuchtstoffröhren. Auf der Werft herrschte ein ungemein rauer Betrieb, und entsprechend viele Reparaturen fielen an. Ein oder zwei Mann in unserer E-Werkstatt waren ständig mit solchen Arbeiten ausgelastet.

Mit den Gesellen gingen wir auch schon mal an Bord der Havaristen. Die stets wechselnde Umgebung, der Umgang mit Seeleuten aus aller Welt und die oft nicht dokumentierte Technik, die dennoch unter Zeitdruck repariert werden musste, waren für mich bunt und aufregend. Gefragt war hier eine Kombination aus Fachwissen, Einsatzfreude und zeitweise auch Englisch. Mit einem erfahrenen Gesellen war das auch zu schaffen.

Natürlich bekamen wir Lehrlinge im ersten Jahr nicht immer die sauberste Arbeit zugewiesen. Unbeliebt war z.B. die Gewinnung von Bindedraht. Dieser wurde benötigt, um bei den Marinekabeln, wie wir sie verlegten, einen galvanisch gut leitenden Übergang zwischen dem äußeren Stahlgeflecht und dem innen liegenden Bleimantel zu bekommen. Dazu wurden mehrere Windungen des verzinnten Bindedrahtes, ausgehend vom Bleimantel und übergehend auf das Stahlgeflecht, aufgebracht und mittels einer TINOL- oder Lötlampe und Zinn verlötet. Anfang und Ende des Bindedrahtes wurden trickreich verdrillt und dann mit den Stopfbuchsenverschraubungen mittels kleiner Gewindeschrauben verbunden.

Den Bindedraht gewannen wir aus den verseilten Adern von altem, ausgeschlachteten Marinekabel. Die mageren Jahre der Vorwährungszeit lagen erst fünf Jahre zurück, und die Leute waren es noch gewohnt, zu improvisieren und mit einem Minimum an Material auszukommen. Ein Kabelrest wurde zwischen zwei Schraubstöcken eingespannt und mit dem Kabelreißer das Stahlgeflecht auf der ganzen Länge, meistens Enden von zwei oder drei Metern Länge, aufgerissen. Dann wurde der Bleimantel mit dem Kabelmesser eingeritzt, abgezogen und schließlich die Isolation entfernt. Lag dann die verseilte Kabelseele frei, dann ließen sich einzelne Drähte über die ganze Länge abstreifen. Diese Drähte wurden anschließend einseitig in den Schraubstock gespannt und leicht in der ganzen Länge gestreckt, so dass sie gerade wurden. Zum Schluss wurden die Drähte zu kleinen Vorratsringen von etwa 10 cm Durchmesser aufgeschossen und dem „Budenviz“, damals Ernst K., für sein Handlager übergeben. Der „Budenviz“ war ein Geselle, der ständig in der Werkstatt war, der das Handlager führte und Material für die Reparaturen auslieferte, der aber auch der Verbindungsmann zum Meister war und die Lehrlinge betreute, wenn sie in der Werkstatt eingesetzt wurden. Bleibt an dieser Stelle noch zu erwähnen, dass es für die Arbeit an den Kabeln, die mit vielen „Fleischhaken“ am teilweise beschädigten Stahlgewebe übersät waren, natürlich keine Lederhandschuhe gab!

Nicht gerade beliebt war auch das Auswaschen und Füllen der großen NiFe-(Nickel-Eisen)-Sammler, auch als Stahl-Akkumulatoren bezeichnet, die als Notstromversorgung auf den Schiffen eingebaut waren. Das „Auswaschen“ musste sehr überlegt geschehen und wurde nur angewandt, wo es unumgänglich war, weil sich dabei die Platten voll Wasser sogen. Füllte man dann neue Lauge ein, wozu wir einen Gummieimer und einen Krug aus dem gleichen Material benutzten, dann konnte es sein, dass die Laugendichte nicht mehr stimmte. Günstiger war es in jedem Fall, gleich wieder mit Lauge aufzufüllen. Dann war die geforderte Dichte von mindestens 1.18 (min. 1,16, max. 1,20) auch zu erreichen, und man ersparte sich das erneute Ausgießen der verdünnten Lauge und das Wiederauffüllen mit konzentrierter. Durch die Ladung erhöht sich nämlich kaum die Konzentration. Das sind Erfahrungen, die man selbst gemacht haben muss.

Bei diesen Stahl-Akkumulatoren wurde also nicht einfach erneuert, sondern gepflegt und erhalten, solange es nur irgendwie ging. Die alte Kalilauge gossen wir damals in einen Zementbottich, wo sie über Bleirohre im Abfluss „entsorgt“ wurde. Durch Überladung aufgeblähte Zellen wurden wieder zusammengepresst. Neue Lauge wurde aufgefüllt und die Zellen wieder geladen. Wir lernten damals, dass man mit 1/10 der Kapazität in Ah auflädt und die Dichte der Lauge prüft um festzustellen, wann der Ladevorgang beendet ist. Zwischendurch wurden an Bord die großen Stahlbehälter, in welche die Batterien eingesetzt wurden, sauber entrostet, mit roter Mennige vorgestrichen und dann mit Asphaltlack „konserviert“, wie der Werftmann sagt. Wo es nötig war, wurden die Anschlusskabel neu mit Ölgewebeleinen umwunden und mehrfach mit Isolierlack zusätzlich bestrichen. Schließlich wurden alle Brückenverbindungen zwischen den Elementen wieder hergestellt und die Leitungen zum „Zellenschalter“ angeschlossen. Der Zellenschalter bot die Möglichkeit, bei Bedarf bei teilentladener Notbatterie noch einige zusätzliche Zellen zuzuschalten, so dass die Betriebsspannung für die angeschlossenen Geräte wieder stimmte. Die Batteriearbeiten an NiFe-Zellen hatten die üble Nachwirkung, dass es sich trotz der Gummihandschuhe nicht vermeiden ließ, dass etwas Lauge an die Hände kam. Die Haut weichte dabei auf, fühlte sich zunächst seifig an, wurde dann papierdünn und schmerzte elendig.

Auch die schweren 180-Ah-Bleiakkumulatoren hatten wir zu warten. Sie wurden für die Notbeleuchtung, FT-Anlagen usw. benötigt. Wir wuchteten sie aus den Maschinenräumen der Kutter, Küstenmotorschiffe und Dampfer, balancierten sie von Reling zu Reling, dann mit mehreren Leuten hinauf zum Kai und schließlich in den „Akkuraum“. Wenn wir Glück hatten, dann waren die schwarzen Hartgummi-Batteriegehäuse heil und hatten keine Risse. Es kam aber auch vor, dass solche Batterien Säure verloren und tropften. Dann waren garantiert am nächsten Tag wieder ein paar Löcher in den Drillichstoff des Overalls gefressen, und Mutter bereitete schon die nächsten Flicken vor. Im Akkuraum folgte dann wieder die gleiche Prozedur: In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde mit allen Mitteln versucht, Akkumulatoren solange wie möglich zu erhalten. Da wurden dann auch noch neue Platten und Separatoren (isolierte Trennwände zwischen den Platten) eingesetzt und alles wieder mit Asphalt vergossen. Diese Arbeit blieb uns erspart, auch mit dem giftigen Kleesalz wurde nicht mehr gearbeitet, das die Akkumulatoren noch etwas auffrischen sollte. Wir beschränkten uns damals auf das Auswaschen der Batterien, wobei der Schlamm, der sich am Boden absetzt und die Zellen kurzschließt, entfernt wurde. Nach heutigen Maßstäben würden solche Akkumulatoren gleich ausgemustert werden, damals wurden die Zellen aber mit Destillat ausgewaschen, gleich darauf neu gefüllt und in einem langen Ladevorgang nochmals aufgefrischt. Die Sammler erfüllten dann noch für ein paar Reisen ihren Zweck. Nach dem Laden und der Überprüfung der Kapazität mit dem „Zellenprüfer“ ging die ganze Tour wieder zurück an Bord.

Wo sich etwas dreht oder bewegt, da gibt es Verschleiß, und so hatten wir viel mit Generatoren und Motoren jeglicher Größe zu tun. Der Ein- und Ausbau dieser Aggregate war Knochenarbeit. Besonders in den engen Maschinenräumen der Fischkutter mussten wir sehr einfallsreich sein: Mit seemännischer Finesse, Hubzügen, Blöcken und der Hilfe von stehendem und laufendem Gut, wurden die schweren Elektromaschinen durch enge Niedergänge an Bord gehievt, um dann mit der zweirädrigen „Schott´schen Karre“ über holperiges Kopfsteinpflaster zur Werkstatt gebracht zu werden. Der Umgang mit dieser kippeligen Karre wollte gelernt sein, und man musste höllisch aufpassen, dass einem die E-Maschine nicht von der Ladefläche rutschte.

In der Werkstatt begannen wir mit dem Zerlegen der Maschinen. Mit dem Körner wurden die Positionen der Lagerschalen und der Bürstenbrille markiert. Dann wurden die Elektromaschinen in ihre Einzelteile, wie Anker, Lagerschalen, Lager, etc. zerlegt. Die Einzelteile kamen dann in große Blechwannen. Die verdreckten Wicklungen und Lager wuschen wir mit Testbenzin und trockneten danach mit Pressluft. Wir lernten dabei, wie Kugellager geprüft werden, indem wir den inneren Ring zwischen Daumen und Zeigefinger nahmen und sorgfältig beim Durchdrehen fühlten, ob vielleicht eine Kugel gebrochen war oder ob z.B. ein Sandkorn den Lauf beeinträchtigte. Weiter durfte zwischen Außen- und Innenring kein Spiel vorhanden sein. Man konnte das Drehverhalten der Lager auch kurzzeitig mit Pressluft prüfen. Damit war die Prüfung beendet. Defekte Lager wurden ersetzt, da die Überholung der E-Maschinen zeitaufwendig war. Da wurde nicht gespart. Die Stator- und Rotorwicklungen bekamen einen neuen doppelten Isolierlack-Anstrich. Bei gleicher Gelegenheit wurden auch die Kohlen erneuert. Zwischendurch war Hans M. aktiv geworden und drehte den Kollektor ab, um die durch die Kohlen eingelaufenen Rillen zu entfernen. Die einzelnen Lamellen des Kollektors waren mit MIKANIT gegeneinander isoliert. Unsere Aufgabe war es nun, diese Zwischenstege von etwa 0,50 bis 1,00 mm Breite „auszustechen“. Dafür gab es ein spezielles Sägeblatt. Wehe dem Unglücksraben, der dabei ausrutschte und die frisch überdrehten Lamellen verkratzte!

Nach diesen Vorarbeiten wurde wieder zusammengebaut. Wälz- und Kugellager wurden zu ¾ mit dem Spezialfett „SHELL FL 4“ gefüllt, bei zu reichlicher Fettgabe wären die Lager sonst heißgelaufen. Nach dem Zusammenbau wurden die Gehäuse gespachtelt und feingeschliffen und zum Schluss mit grauer Marinefarbe gestrichen. Der Beruf des Schiffselektrikers, damals als „Starkstromelektriker“ bezeichnet, war sehr vielseitig. Ein wesentlicher Teil des täglichen Arbeitspensums war reine Schlosserarbeit.

Montags gingen wir zur Berufsschule. Im ersten Lehrjahr waren wir noch zusammen mit Lehrlingen verschiedenster Metall verarbeitender und Elektroberufe. In unserer Klasse waren Wagner, Karosseriebauer, Schiffbauer, Elektriker, Radiomechaniker und andere Gewerbe, um die Grundlagen der Metallberufe zu erlernen. Der Unterricht dauerte 7 Stunden. Verpflegung gab es in der Schule nicht. Für die restlichen 1 ½ Stunden mussten wir wieder zurück zur Werft, um dort weiter zu arbeiten. Täglich wurde die Werkstatt von den Lehrlingen des ersten Jahres aufgeräumt und das eine halbe Stunde vor Feierabend! Natürlich liebten wir diese Arbeit nicht, hatten aber keine andere Wahl. Sie wissen doch noch: Renitentes (aufsässiges) Verhalten galt als „Meuterei“, wurde wie ein Verbrechen geahndet und führte, wie Diebstahl, zum Rausschmiss. Unsere Werkstatt war uralt. Die Werkbänke waren aus dicken, schwarzen Eichenbohlen grob gezimmert, und Eichenbohlen, nur mit breiteren Fugen, bildeten auch den in Jahrzehnten ausgetretenen Bodenbelag. Wehe, wenn am Abend nicht alles sauber gefegt war! Der Meister kontrollierte selbst, nachdem einer von uns die „Fertigmeldung“ abgegeben hatte. Fand er noch irgendeinen übersehenen Kabelrest, dann reagierte er allergisch und beschwerte sich beim „Budenviz“: Der griff sich dann die „Muskiste“, die mit Tausenden von unsortierten Muttern, Schrauben, Unterlegscheiben und sonstigen Kleinteilen aus Reparaturen oder ausgeschlachtetem Gerät gefüllt war und schüttete sie auf dem Boden aus. Was half es, die Gesellen feixten schadenfroh und gingen, wie auch der Meister, pünktlich nach Hause. Wir sollten dann bis 19.00 Uhr bleiben (Feierabend war um 16.00 Uhr), um den ganzen Segen nach Art und Größe zu sortieren. Klar, dass wir, sobald der Meister außer Sicht war, händeweise einen Teil des Schraubenschrotts in den Taschen verschwinden ließen, um ihn auf dem Heimweg im nächsten Gully zu versenken. Das durfte natürlich nicht auffallen, und so achteten wir fortan darauf, dass diese Kiste nie zu voll wurde...

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