Der junge Luther
ebook:
Band 95 in der gelben Reihe
Heinrich Boehmer:
Der junge Luther
Teil 1 – bis 1518
neu aufgelegt von Jürgen Ruszkowski
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ISBN 978-1548092320
Dieser Band enthält die Neuauflage eines Klassikers der Luther-Forschung. 1925 erschien dieses Buch im Flamberg-Verlag, Zürich, 1952 bei Koehler & Amelang in Leipzig. Heinrich Boehmers Texte bieten einen hervorragenden Einblick in Martin Luthers Leben, seine Entwicklung und sein Wirken. – Von seiner akademischen Lehrtätigkeit, die Boehmer von Leipzig, wo er sich 1898 habilitierte, über Bonn (1903) und Marburg (1912) wieder nach Leipzig (1915) zurückführte, wirkte begreiflicherweise die an der Heimatuniversität am tiefsten und nachhaltigsten. Wie viele seiner Hörer haben später Einzelheiten und Eindrücke aus seinen Vorlesungen erzählt, als hätten sie sie gestern aufgenommen. Ungewöhnlich groß war darunter der Kreis von Studenten nichttheologischer Fakultäten, die manchmal semesterlang Boehmers Kirchengeschichte hörten, gefesselt durch die erdrückende Fülle seines Wissens, den Mut zum eigenen, oft scharfen Urteil und das in andringendem Ernst und drastischem Witz sich bekundende Temperament. – Da kein Copyright mehr besteht und es dieses Buch nur noch antiquarisch gibt, lege ich es zum Luther-Jubiläumsjahr – wegen des Umfanges der Texte in zwei Teilen – neu auf.
Leseprobe:
Martin Luthers erste Jugend
In den kurfürstlichen Amtsdörfern am Westrande des Thüringer Waldes war im 15. Jahrhundert eine wirtschaftlich und rechtlich besonders gut gestellte Klasse der ländlichen Bevölkerung ungewöhnlich stark vertreten: die sogenannten Erbzinsleute. Diese Erbzinser waren, wie schon ihr Name andeutet, noch alle den kleinen geistlichen und weltlichen Herren des Werratales zinspflichtig, aber da der Zins, den sie zu entrichten hatten, nicht an ihrer Person, sondern an den Grundstücken haftete, die ihren Vorfahren einst von jenen Herren als Erblehn überlassen worden waren, und sie nicht hinderte, ihre Güter nach Gutdünken zu veräußern oder zu Vererben, so bildeten sie schon seit dem Hochmittelalter einen Stand freier Grundbesitzer und hatten tatsächlich nur mehr einen einzigen Herrn: den Kurfürsten. Der Kurfürst griff jedoch vor Erlass der Amtsordnung von 1513 nur selten in die dörfliche Selbstverwaltung ein. Sie konnten somit in ihrem Dorfe auch meist ganz ungestört alle Rechte einer „herrschenden Gemeinde“ üben: den Schultheiß und die anderen Dorfbeamten ernennen, Ortsgesetze erlassen, Geldbußen verhängen, die Gemeindekasse verwalten und, was die Hauptsache war, unter Ausschluss der völlig rechtlosen unfreien Hintersiedler, die höchstens ein Haus und einen Garten besaßen, oft aber nur sogenannte Einlieger waren, die Nutzung der Gemeindewälder, -felder, -weiden, -gewässer usw. unter sich verteilen. Danach begreift man, dass es ihnen in der Regel keine Mühe machte, die von dem Kurfürsten ihnen auferlegte Steuer von einem Gulden für jedes Gespann Zugvieh aufzubringen, und dass sie gar nicht selten in der Lage waren, sich ein paar Pferde und etliche Knechte zu halten. Sie wären aber doch wohl alle im Laufe der Zeit in den Stand der Hintersiedler hinabgesunken, wenn sie nicht grundsätzlich nur untereinander geheiratet und ihre Güter stets ungeteilt auf den jüngsten Sohn vererbt hätten. Die älteren Söhne mussten infolgedessen, wenn sie nicht in ein anderes Gut einheiraten konnten oder Zeit ihres Lebens dem Jüngsten als Knecht dienen und auf die Gründung einer eigenen Familie verzichten Wollten, immer außerhalb des Dorfes ein Unterkommen suchen. So erreichte man es, dass die Zahl der spannfähigen Höfe und der zur herrschenden Gemeinde gehörigen Familien Jahrhunderte hindurch sich ungefähr gleichblieb. Aber für die Familien selbst hatte dies Verfahren doch recht schwere Nachteile. Sie starben zwar nur selten ganz aus, aber sie verloren in der Regel schon nach mehreren Generationen ihr Stammgut und entschwanden für immer aus dem Dorfe.
Allein einer jener alten Erbzinserfamilien ist es trotzdem gelungen, sich bis ins 20. Jahrhundert in ihrem Stammdorf und auch in ihrer Klasse, der Klasse der mittleren Gutsbesitzer, zu behaupten: der Familie der Luder oder Lüder zu Möhra, eine Stunde nördlich von Salzungen. Sie besaß in Möhra 1536 ganze fünf Höfe. Aber auch in den Nachbardörfern war sie in jener Zeit so verbreitet, dass Martin Luther, als er im Mai 1521 von Eisenach nach dem Rennstieg fuhr, den Eindruck hatte: sein Geschlecht nehme „fast die ganze Gegend ein“. Wir dürfen daraus wohl schließen, dass die Luders damals schon seit Jahrhunderten in diesem alten Grenzgebiet zwischen Thüringen und Franken ansässig waren. Sicher bezeugt ist allerdings vor 1500 auch in Möhra nur derjenige Zweig der Familie, dessen Haupt um 1480 der Großvater des Reformators, Heine Luder (gest. um 1510), war. Dieser Heine Luder und seine Frau, die erst 1521 hoch betagt in Möhra starb, hatten nachweislich vier Söhne: Groß-Hans, Klein-Hans, Veit und Heinz. Heinz hatte als Jüngster die Anwartschaft auf den väterlichen Hof. Veit heiratete in einen anderen Hof ein. Groß-Hans aber entschloss sich spätestens im Herbst 1483, mit seinem jungen Weibe Margarethe, geb. Lindemann, aus Eisenach und seinem erstgeborenen Söhnchen Vaterland und Freundschaft für immer zu verlassen und in den Kupferbergwerken der Grafschaft Mansfeld, auf die er wohl durch die Bergleute in den damals eben neu erschlossenen Kupfergruben bei Möhra hingewiesen worden war, sein Glück als Bergmann zu versuchen. Er wandte sich zunächst nach dem Hauptorte der Grafschaft, Eisleben. Dort wurde ihm am 10. November 1483 gegen Mitternacht in dem kleinen Hause der Langen Gasse, an dessen Stelle sich heute die Lutherschule erhebt, ein zweiter Sohn geboren, den er nach der Sitte der Zeit am folgenden Morgen im Turmgeschosse der benachbarten Peterskirche von dem Pfarrer Bartholomäus Rennebecher nach dem Heiligen des Tages auf den Namen Martin taufen ließ.
Leseprobe:
Die Romfahrt (1510 – 1511 * * *)
Die Lage der katholischen Kirche zu Beginn des 16. Jahrhunderts ähnelt in mancher Hinsicht den Zuständen in Preußen vor der Katastrophe von Jena. Das Gefühl, dass eine Reform an Haupt und Gliedern nötig sei, ist überall vorhanden. Auch an Reformprojekten und Reformversuchen fehlt es nicht. Aber nur in Spanien bleibt man dabei nicht schon im ersten Anlauf stecken. Anderwärts sind die Widerstände zu groß. Durchaus versagt vor allem immer die maßgebende Stelle, die Kurie.
Es ereignet sich gar nicht selten, dass die Päpste Reformbeschlüsse, die sie eben gutgeheißen haben, selber sogleich übertreten und vereiteln. Die hohe und die niedere Politik, der Krieg, die Kunst, die Musik, die Jagd, die Komödie, der Karneval interessieren sie mehr als alle Reformen. Für die geistlichen Obliegenheiten ihres Amtes haben sie kein oder doch kein ausreichendes Verständnis mehr.
Solche Reformbestrebungen begegnen uns zu jener Zeit auch in dem Augustinereremitenorden, und zwar sind es nicht zuletzt die Ordensgeneräle, die hier für eine Erneuerung der alten Zucht eintreten. Schon der als erbitterter Gegner Savonarolas bekannte General Mariano da Genazzano war in dieser Richtung mit Eifer tätig. Er wurde aber noch weit übertroffen von einem jüngeren Ordensgenossen, der ihm besonders nahegestanden hatte und nach mehreren sehr kurzen Generalaten im Juni 1506 für mehr als ein Dutzend Jahre die Leitung des Ordens übernahm: Egidio Canisio von Viterbo. Allein es ging Egidio im Grunde genau so wie seinen Vorgängern. Die Konventualen, d. h. die Vertreter der laxeren Praxis, hatten in der Regel nicht die mindeste Lust, sich reformieren zu lassen, und die reformierten Kongregationen, deren es 1507 schon ganze neun gab, machten ihm, weil sie befürchteten, ihre Privilegien zu verlieren und ihre Sondergewohnheiten bedroht glaubten, alle möglichen Schwierigkeiten und vereitelten dergestalt gerade seine größten und aussichtsreichsten Pläne. Ein charakteristisches Beispiel dafür sind die inneren Kämpfe in der sächsischen Kongregation in den Jahren 1507 bis 1512.
Um der Reformbewegung in Deutschland einen weiteren Spielraum zu eröffnen, hatte Egidio Ende 1506 oder Anfang 1507 mit dem Generalvikar der Kongregation, Johann von Staupitz, ausgemacht, dass Staupitz neben seinem Vikariat zugleich die Leitung der Ordensprovinz Saxonia übernehme und dann als Provinzial allmählich die verfallenen Augustinerkonvente dieser Provinz reformiere. Am 15. Dezember 1507 erwirkte denn auch Staupitz von dem deutschen Legaten Kardinal Carvajal eine Bulle, die ihn ermächtigte, mehr als zwanzig nichtreformierte Klöster der Provinz Saxonia mit der sächsischen Kongregation zu vereinigen, und den Erzbischof von Magdeburg und die Bischöfe von Bamberg und Freising anwies, jeden Widerstand gegen diese Maßregel eventuell mit Gewalt zu unterdrücken und jedem etwaigen Opponenten das Recht zu versagen, an den Papst zu appellieren. Der Versuch, die Kongregation für diesen Plan zu gewinnen, schlug zunächst fehl. Daher zog es Staupitz vor, die Bulle vorerst nicht zu publizieren. Erst als ihn der General am 26. Juni 1510 zum Provinzial von Saxonía ernannt und unter Androhung schwerster Strafen die Mitglieder der Kongregation wie der Provinz zum unbedingten Gehorsam gegen ihn verpflichtet hatte, wagte er ein Vierteljahr später, am 30. September 1510, die Bulle zu veröffentlichen. Zweiundzwanzig von den neunundzwanzig Konventen der Kongregation erklärten sich daraufhin mit der Union einverstanden. Aber sieben, an der Spitze die beiden größten und einflussreichsten, Nürnberg und Erfurt, beharrten bei ihrem Widerspruch. Die Erfurter schickten den Dr. Nathin und den Pater Luther nach Halle, um durch Vermittlung des Dompropstes Adolf Prinzen von Anhalt von dem Erzbischof von Magdeburg eine „Vorschrift“, d. h. die Erlaubnis zur Appellation, zu erlangen. Sie wurden von dem Erzbischof jedoch sicher abgewiesen. Alsdann reisten die beiden wohl im Auftrag ihres Konventes gleich weiter zu der Konferenz, zu welcher der fränkische Distriktsvikar Simon Kayser die opponierenden Konvente eingeladen hatte. Diese Konferenz fand wahrscheinlich im Augustinerkloster zu Nürnberg statt. Sie beschloss trotz des ausdrücklichen Verbotes der Bulle und ohne die dazu nach den Statuten der Kongregation nötige Genehmigung des Generalvikars Staupitz einzuholen, an den Papst zu appellieren und zu dem Zwecke zwei Brüder nach Italien zu senden. Der eine dieser Brüder war wohl einer der älteren, mit dem Geschäftsgang der Kurie schon vertrauten und des Italienischen hinreichend mächtigen Patres des großen Nürnberger Konventes, der andere Martin Luther. Wir dürfen hieraus wohl schließen, dass Bruder Martin einer der eifrigsten Sprecher der Opposition war. Aber da er erst siebenundzwanzig Jahre zählte und in Rom nicht Bescheid wusste, so war er sicher nicht, wie Cochlaeus behauptet, von der Konferenz zum litis procurator, d. h. zum Anwalt der sieben Konvente, ausersehen, sondern nur dem litis procurator, wie es die Regel gebot, als sogenannter socius itinerarius (Reisebegleiter) beigegeben.
Wohl noch vor Mitte November 1510 brachen die beiden Patres von Nürnberg auf und wanderten zunächst in nicht allzu langen Tagemärschen nach Ulm. Von Ulm zogen sie wahrscheinlich auf der von den Nürnberger Kaufleuten damals viel benutzten Straße durch Oberschwaben und die Westschweiz über den Septimer auf Mailand zu. Wie sie dann von hier aus über den Apennin gelangten, wird sich kaum je mehr feststellen lassen. Sicher ist nur, dass sie von Florenz aus die alte Kaiserstraße einschlugen, die über „Siena und Ronciglione nach Rom führt. Der Winter von 1510/11 war in Ober- und Mittelitalien ungewöhnlich schlecht. In Rom regnete es von Ende Oktober bis Anfang Februar fast ununterbrochen. In Bologna lag am 2. Januar tiefer Schnee, am 6. herrschte heftiges Schneetreiben, am 13. ein förmlicher Schneesturm und dazu eine fast unerträgliche Kälte. Auch in Süddeutschland und in den Alpenländern wandert es sich in diesen Monaten nicht eben angenehm. Aber eine Unannehmlichkeit, die für den heutigen Reisenden sehr lästig werden kann, war unseren beiden Reisenden erspart: sie brauchten kaum je lange nach einem passenden Nachtquartier zu suchen. Denn da sie sicherlich von ihren Oberen mit litterae testimoniales (Ausweisen) versehen worden waren, so konnten sie unterwegs überall in den Augustinereremitenklöstern Station machen.
In Italien blieben sie, wie es scheint, meist in den Konventen der lombardischen Kongregation, die mit den deutschen Observanten 1505 eine Art Kartell geschlossen hatte. In Mailand besaß diese Kongregation zwei Klöster, Santa Maria dell’ lncoronata und Santa Maria de Castro, in Florenz den von Lorenzo Magnifico erbauten prachtvollen Konvent von San Gallo unweit der Porta San Gallo, in Rom Santa Maria del Popolo.
* * *
Martin Luther soll nach einer lange Zeit herrschenden Forschungsmeinung etwa im Oktober/November 1510 als Begleiter eines älteren, namentlich nicht bekannten Mönches von Nürnberg nach Rom gewandert sein. Dabei hätten die Reisenden die Alpen im Winter überqueren müssen. Gegen Ende März 1511 dürfte Luther dieser Rekonstruktion zufolge, die im Wesentlichen auf Heinrich Böhmer basiert, nach Nürnberg zurückgekehrt sein. Luther selbst habe nämlich laut Böhmer fast immer das Jahr 1510 als Beginn der Romreise angegeben. Die Datierungen von Philipp Melanchthon, Cochläus und die des augustinischen Ordenshistoriographen Felix Milensius, die alle das Jahr 1511 anführen, versucht Böhmer hingegen als unglaubwürdig darzustellen.
Im vorliegenden Artikel wird die unter dieser Prämisse anzunehmende Reiseroute Martin Luthers nachvollzogen. Die Vorgeschichte wird dabei älteren Forschungsannahmen, z.B. denen von Böhmer, folgend dargestellt, die als Anlass der Reise eine Berufung beim Papst Julius II. im Auftrag der renitenten Reformklöster vermuteten, denen Luther angehörte.
Da ein solcher Protest nicht nachzuweisen ist und der Reiseanlass aus ordenspolitischer Sicht wenig plausibel erscheint, geht eine neuere Untersuchung von Hans Schneider von einer Abreise Luthers erst ein Jahr später von Wittenberg (nicht Nürnberg) im Auftrag seines Mentors Johann von Staupitz aus und datiert die Ankunft in Rom vor Ende November 1511. Die schwer zu bewältigende Alpenüberquerung im Winter wäre damit gar nicht notwendig gewesen. Die Rückreise von Rom hätte zu Jahresbeginn 1512 stattgefunden. Bald danach, im Mai 1512, nahm Luther an einer Ordensversammlung in Köln teil, auf der ein Kompromiss in der strittigen Unionsfrage geschlossen wurde, die durch die Reise geklärt werden sollte, was die Hypothese einer späteren Reisedatierung stützt. Die Hintergründe der abweichenden Rekonstruktion sind im Abschnitt über die Vorgeschichte unten kurz skizziert; anschließend wird der Reiseweg allerdings unter der Voraussetzung der älteren Annahmen inklusive des abenteuerlichen Alpenübergangs rekonstruiert.
Neuere Biographen Luthers haben die neue Rekonstruktion teils übernommen und ausdrücklich gewürdigt, halten teilweise aber auch an älteren Darstellungen fest, ohne das Datierungsproblem zu erörtern.
https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Luthers_Romreise
Den bedeutenden Beitrag zur historischen Lutherforschung stellte Schneider nach über zehnjähriger Forschung und Auswertung bislang unbekannter, neuer Quellen im Jahr 2009 vor. Es ist ihm gelungen, die historischen Hintergründe von Martin Luthers Romreise 1511/12 (die bislang ein Jahr früher angenommen wurde) im Kontext der damaligen inneren Auseinandersetzungen im Augustinerorden aufzuhellen und eine neue Chronologie der Reise zu rekonstruieren. Schneiders Hypothese, die den bisherigen Forschungsstand zu dieser durch Quellen nur schlecht erschlossenen Lebensphase Martin Luthers revolutioniert hat, wirkt sich nicht nur auf die genaue Datierung der Reise aus, die korrigiert werden muss, sondern ist auch für die Einordnung von Luthers Position in den Richtungskämpfen innerhalb seines Ordens und für die Bewertung seines Verhältnisses zu seinem Lehrer und Förderer Johann von Staupitz bedeutsam. „Luder wäre dann nicht, wie man früher meinte, als Vertreter von Konventen, die im Streit mit dem Ordensgeneral Staupitz lagen, dorthin aufgebrochen, sondern als dessen Parteigänger. Hierzu passt jedenfalls, dass ihn der Weg nach der Rückkehr bald an die Seite von Staupitz führte.“ Ulrich Köpf hat die Neudatierung der Romreise als „wichtigsten Beitrag zur biographischen Lutherforschung aus den letzten Jahren“ bezeichnet.
https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Schneider_(Theologe)
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Luther selbst nennt freilich keines dieser Klöster, er erwähnt unter den vielen Herbergen, in der er auf der Hin- und Rückfahrt gerastet hat, überhaupt nur eine: die reiche Benediktinerabtei am Po, die 36.000 Dukaten jährlicher Einkünfte besaß und davon ein ganzes Drittel „auf die Gastung verwendete“. Damit ist wohl die Abtei San Benedetto Po bei Mantua gemeint, von deren Gastfreundschaft die Romfahrer jener Tage gern Gebrauch zu machen pflegten.
Das Jahr 1510 neigte sich wohl schon seinem Ende zu, als unsere Wanderer endlich die viel besungene Stelle der alten Via Cassia erreichten, wo man zuerst die ewige Stadt vor sich sieht. „Bei diesem Anblick“, erzählt Luther später, „warf ich mich zu Boden und sprach: sei mir gegrüßt, heiliges Rom!“ Nicht lange darauf passierten die beiden Brüder die Porta del Popolo und wandten sich dort linker Hand nach dem Eingang des Augustinerklosters Santa Maria del Popolo. In diesem Kloster nahmen sie für die Zeit ihres Aufenthaltes in Rom Wohnung.
Wohl gleich am nächsten Tage meldeten sie sich ordnungsgemäß in San Agostino bei dem Ordensprokurator und ersuchten ihn, die Appellation der sieben Klöster weiterzubefördern.
Rechtlich lag der Fall so klar, dass der Prokurator die Brüder sogleich hätte abweisen und wieder nach Hause schicken können. Allein, da der General sich ganz persönlich für die von ihnen vorgetragene Angelegenheit interessierte, so hielt er es allem Anschein nach für angezeigt, erst mit diesem Rücksprache zu nehmen. Auch Egidio dachte selbstverständlich nicht daran, die Appellation zu genehmigen. Aber er wollte die Appellanten doch auch nicht vor den Kopf stoßen, sondern vielmehr dem Streit in der Kongregation ein Ende machen. Daher ließ er wahrscheinlich erst dann die Brüder abschlägig bescheiden, als er sich entschlossen hatte, den deutschen Bruder Johann als Friedensstifter nach Deutschland abzuordnen. So dauerte es allem Anschein nach ungefähr vier Wochen, ehe die Brüder die erbetene Antwort erhielten und die Rückreise antreten konnten.
Bruder Martin hatte somit, obgleich er nach den Ordensstatuten auch als Gast in Santa Maria del Popolo tagtäglich den ganzen Chordienst mitzumachen hatte, doch Zeit genug, mit den Mirabilia urbis Romae, dem Pilgerführer jener Tage, in der Hand, sich die Ewige Stadt anzuschauen...
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Band 96 - Der junge Reformator Luther - ist in Arbeit und wird demnächst erscheinen
Hier eine Leseprobe daraus:
Wie der Ablass, so war in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters auch der Bann in der Praxis der kirchlichen Behörden aus einem reinen Straf- und Disziplinarmittel zu einem Mittel der kirchlichen Finanz- und Erwerbspolitik geworden. Wer den Zehnten oder irgendeine der sehr vielen anderen kirchlichen Abgaben nicht pünktlich entrichte, der wurde, auch wenn er seine Zahlungsunfähigkeit nachweisen konnte, ohne Gnade gebannt. Ließ er auch den zweiten Zahlungstermin verstreichen, ohne sich zu rühren, dann wurde der Bann auch auf seine Familie ausgedehnt, d. h. auch sein Weib und seine Kinder von den Sakramenten, er selber aber auch von allen „ehrlichen Gesellschaften“, als Hochzeiten, Kindtaufen, Leichenschmäusen, von Kauf, Verkauf und allem sonstigen geschäftlichen Verkehr ausgeschlossen und, wenn er starb, ohne Glockengeläut und Segen wie ein Tier in ungeweihter Erde eingescharrt. Führte auch diese sogenannte Aggravation oder Verschärfung des Bannes nicht zum Ziel, dann wurden beim nächsten Zahlungstermin alle Orte, die der „Bänniger“ betrat, mit dem lnterikt belegt, d. h. der Bann auch auf alle seine Nachbarn und Mitbürger ausgedehnt. So wurden die armen „Leute“ schließlich meist doch gezwungen, „sich über Vermögen mit den Offizialen zu vertragen oder mit ihren Kindern davonzugehen und landläufig zu werden“. Die Zahl dieser um Schuld und Geld gebannten Personen war überall sehr groß. Ihren Höhepunkt erreichte sie immer in den beiden Erntemonaten August und September, in denen der große Zehnte fällig war. Da flogen, um mit Luther zu reden, die Bannbriefe wie die Fledermäuse gleich zu Hunderten umher. Eine ebenso große Rolle spielten Bann und lnterdikt jetzt in den unaufhörlichen Kämpfen der geistlichen Korporationen um ihre zahlreichen wirtschaftlichen und politischen Vorrechte. Wollte der Rat einer Stadt z. B. einem solchen Institut, also etwa einem Dom- oder Stiftskapitel oder einem Kloster nicht zollfreie Einfuhr von Bier und Wein und freien Ausschank dieser Alkoholika in den geistlichen Gebäuden gestatten, oder wagte ein Fürst oder Stadtrat einen auf handhafter Tat betroffenen Missetäter geistlichen Standes zu verhaften und abzustrafen, dann griff die Kirche sofort zu Bann und Interdikt (Ausschluss aus der Gemeinschaft), auch wenn der Malefikant (Übeltäter, Deliquent) bloß die sogenannte erste Tonsur, also noch keine geistlichen Weihen besaß und das Recht jener geistlichen Korporationen, Bier zu brauen und Schenken zu halten, erst gerichtlich festgestellt werden musste. Die Klagen über diese Missbräuche bildeten überall den hauptsächlichsten Gegenstand des geschäftlichen Verkehrs zwischen weltlichen und geistlichen Obrigkeiten. Aber der Versuch, sie zu beseitigen, hatte noch nirgends zu einem durchgreifenden Erfolg geführt, weil die Kirche nicht gewillt war, auf dies ungemein wirksame und für sie höchst bequeme Zwangsmittel zu verzichten.
Danach begreift man, wie die Wittenberger aufhorchten, als Luther zum erstenmal in einer Predigt am 14. März 1518 es wagte, auch „dieser Katze die Schelle anzubinden“ und sich zürnend gegen das „Spiel“ wandte, „das man jetzt um geringer Sachen willen mit dem Bann anrichte“. Aber was den anderen Leuten der größte Anstoß war, die Verwendung des Bannes zu finanziellen Zwecken, das interessierte ihn, genau wie bei dem Ablass, erst in zweiter Linie. Als größter Schade erschienen ihm auch bei diesem Missbrauch die verheerenden Folgen, die er für das sittliche und religiöse Leben hatte: die Verwirrung der Gewissen durch die überstrenge Ahndung kleiner äußerer Übertretungen und die laxe Behandlung der schwersten sittlichen Verfehlungen, insbesondere wenn der Angeklagte ein Geistlicher oder ein wohlhabender Mann war, vor allem aber die schweren Skrupel und Ängste, in die gerade die ernster gesinnten Frommen gerieten, wenn sie selbst oder einer ihrer Angehörigen ungerechterweise in den Bann getan wurden. Denn der Glaube, dass der„Bänniger“, wenn er im Bann sterbe, der Seligkeit verlustig gehe, war noch nicht erschüttert und wurde durch die feierlichen Riten bei der Verkündigung des Bannes, Auslöschen der Lichter, Glockengeläut usw., von der Kirche absichtlich genährt und wach erhalten.
Einen schicklichen Anlass, die Skrupel und Ängste wegen solcher ungerechter Bannsprüche einmal gründlich zu behandeln, gab dem Reformator der vorgeschriebene Text des Sonntags Exaudi, Joh. 15, 26 ff.: „Sie werden euch ungerechterweise in den Bann tun.“ lm Anschluss an diesen Text führte er am 16. Mai auf der Kanzel der Wittenberger Stadtkirche aus: Der Bann bedeute immer nur Ausschluss aus der äußeren Kirchengemeinschaft, nicht Ausschluss aus der inneren Gemeinschaft der Gläubigen, die auf dem einen Glauben, der einen Liebe, der einen Hoffnung beruht. Die Versetzung in diese Gemeinschaft wird nicht durch Menschen bewirkt, daher kann man aus ihr auch nicht durch die Willkür eines anderen Menschen, sondern nur durch die eigene Sünde und Missetat ausgestoßen werden. Die Erregung über die Tyrannei der Offiziale, die schon öfters zur Ermordung dieser Beamten geführt hat, wird sofort nachlassen, wenn das Volk hört, dass dieselben auch durch den Missbrauch ihrer Gewalt nicht Schaden, sondern nur Nutzen stiften können. Denn Unrecht leiden schadet der Seele nicht, sondern ist ihr stets zum Heil. „Wirst du ungerechterweise um der Wahrheit oder Gerechtigkeit willen gebannt, dann darfst du ja nicht aufhören, das zu tun, weswegen du solche Gewalttat erleiden musst. Stirbst du darüber ohne Sakrament und wird dein Leichnam in ungeweihter Erde verscharrt oder gar wieder ausgegraben und ins Wasser geworfen, wohl dir! Selig ist, wer in solch ungerechtem Bann dahingeht. Denn, weil er der Gerechtigkeit treu geblieben ist, wird er die Krone des Lebens erlangen.“ Die Predigt machte insbesondere auf die Juristen und Theologen einen gewaltigen Eindruck. Es schien Luther daher gut, über das gleiche Thema in nächster Zeit eine öffentliche Disputation zu halten. Aber der Bischof von Brandenburg kam ihm wieder dazwischen. Auf die Kunde von seinem Vorhaben sandte er sofort einen expressen Boten nach Wittenberg, um ihn zu ersuchen, die Disputation zu vertagen, und da auch die Freunde für Aufschub waren, so fügte er sich.
Allein unter seiner Kanzel hatten am 16. Mai auch etliche „gräuliche Späher“ gesessen, Sendlinge oder Kreaturen der Dominikaner. Die machten jetzt aus seinen Worten einige in gehässiger Weise zugespitzte Thesen, und diese Thesen verbreiteten sie dann, wo und wie sie konnten. Er erfuhr das ganz zufällig erst mehr als zwei Monate später, als er mit Johann Lang in Ordensangelegenheiten in Dresden weilte. Man betrachtete ihn dort am herzoglichen Hofe bereits mit Misstrauen. Aber da er schon ein so berühmter Mann war, so forderte man ihn doch auf, in der Schlosskapelle am 25. Juli vor dem Hofe – Herzog Georg selbst weilte jedoch schon in Augsburg – eine Predigt über den heiligen Jakobus zu halten. Am Abend sah er sich dann gezwungen, einer Einladung des Hofkaplans Hieronymus Emser Folge zu leisten. Er fand bei demselben eine ganze Anzahl ihm unbekannter Leute vor, darunter einen eifrigen Leipziger Thomisten, den Magister Weißestadt, mit dem er alsbald in ein sehr lebhaftes Gespräch über Aristoteles und Thomas von Aquino geriet. Dass dieses Gespräch hinter der Tür von einem Dominikaner aus Tetzels Vaterstadt Pirna belauscht wurde, ahnte er nicht, auch nicht, dass Emser und Genossen die ganze Zusammenkunft nur arrangiert hatten, um ihn auszuhorchen. Nur eins fiel ihm sehr auf: dass ihm Weißestadt mit jenen angeblich von ihm verfassten Thesen zu Leibe gehen zu können glaubte. Bald nach seiner Rückkehr ins Schwarze Kloster erfuhr er, dass seine Feinde auch in Augsburg mit dieser Fälschung gegen ihn arbeiteten. Daraufhin entschloss er sich sofort, die wichtigsten Sätze jener Predigt, soweit er sie noch im Gedächtnis hatte, aufzuschreiben und als Flugschrift herauszugeben. Aber seine Feinde waren diesmal noch schneller gewesen als er. Sie hatten schon in den letzten Julitagen die gefälschten Thesen mitsamt einem angeblich von ihm herrührenden bitterbösen Epigramm über die Geldgier der Kurie in Augsburg dem päpstlichen Legaten Cajetan in die Hände gespielt, und dieser hatte darauf schon am 5. August das neue Corpus delicti samt einem kaiserlichen Briefe nach Rom gesandt, in dem der Kaiser die Kurie ersuchte, den Bruder Martin Luther, der so verdammungswürdig und ketzerisch nicht nur über die Ablässe, sondern auch über die Kraft des päpstlichen Bannes lehre, unverzüglich zu bannen, zumal zu befürchten sei, dass er mit seinen Ketzereien nicht bloß das unwissende Volk, sondern auch mächtige Fürsten anstecke. Er, der Kaiser, werde nicht verfehlen, das päpstliche Urteil prompt zu vollstrecken. Diese Depesche Cajetans machte begreiflicherweise in Rom einen sehr starken Eindruck. Wenn der Kaiser selbst sich so besorgt äußerte, dann musste der Bruder Martin doch viel gefährlicher sein, als man bisher angenommen hatte. Der Auditor Ghinucci, dem man die gefälschten Thesen und das gefälschte Epigramm vorlegte, konnte diese Ansicht denn auch nur bestätigen. Er erklärte Luther auf Grund dieses neuen Materials für einen notorischen Ketzer und empfahl dem Papst, gegen ihn nunmehr sogleich all die im kanonischen Rechte für solche Fälle vorgesehenen Maßnahmen zu ergreifen. Leo X. ging auch hierauf ein. Am 23. August ermächtigte er Cajetan, in einem sehr umfänglichen Breve (Postquam ad aures), den neuen Ketzer unverzüglich zu verhaften und bis auf weitere Weisung aus Rom sorgfältig zu verwahren. Unter demselben Datum ersuchte er in einem zweiten Breve den Kurfürsten von Sachsen, den „Sohn der Bosheit“ an Cajetan auszuliefern, und in einem dritten den derzeitigen Vorsteher des Augustinerordens, Gabriele della Volta, einen mit allen hierzu nötigen Vollmachten ausgestatteten Ordensbruder nach Deutschland zu entsenden, um den Häretiker und Schismatiker Martinus zu ergreifen, an Händen und Füßen zu fesseln und gefangenzusetzen. Schon zwei Tage später teilte Volta dies Breve dem sächsischen Augustinerprovinzial Gerhard Hecker mit und fügte hinzu, dass auch er Martinus als Rebell wider den Orden nach Rom zitiert habe.
Damit schien Luthers Schicksal besiegelt.
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