Tag 8
Sicherlich hätte mir mehr Schlaf gut getan wenn ich am Anfang des Tages gewusst hätte was dieser Tag für mich bringt. Nachdem ich allein in der 10x4 Meter großen Küche mit einem beinahe genauso großen Esstisch gefrühstückt hatte ging es heute dann bereits um 06:30 Uhr mit dem Fahrrad los.
Großer Vorteil war das angenehme kühle Wetter am morgen. Es blieb zwar auch bis Mittag ziemlich bewölkt, aber dennoch war es ziemlich heiß. Da man aber lange keine direkte Sonne hatte war es natürlich viel erträglicher. Im Hinterkopf habe ich aber bereits am morgen die Entscheidung vom gestrigen Abend das ich 30 Kilometer mehr fahren muss als ursprünglich geplant. Naja...
Bereits nach den ersten Kilometern kamen die ersten Berge. Kaum oben fuhr man auch schon wieder runter. Dieses Auf und Ab kostete mich einiges an Kräften die mir am Ende des Tages dann fehlten.
Dies setzte sich so bis Arezzo durch. Nach den ersten 30 Kilometern hatte ich schon ca. 430 Höhenmeter, und die verbleibende Strecke bis zu Ziel die mir mein GPS Tacho immer anzeigte wurde gefühlt kein bisschen weniger. Ich hatte etwas bedenken ob ich mein geplantes Ziel heute wirklich erreichen würde. Der gestrige Tag hatte mich ziemlich strapaziert, und der heutige geht gleich so weiter.
Kurz nach Arezzo habe ich mich dann gefreut. Es gibt hier einen Radweg entlang am Chiana Kanal.
Den Sentiero della Bonifica (Die Route der Trockenlegung). Dieser etwa 70 lange Abschnitt führt entlang des Chiana Kanals bis nach Chiusi. Großer Vorteil ist das man bei diesem Abschnitt kaum Höhenmeter bewältigen muss. Es sind mehr oder weniger geschenkte Kilometer. Redete ich mir zumindest selber ein, um die Stimmung etwas zu heben.
In Wirklichkeit war es bereits nach 1 Stunde und ca. 20 Kilometer komplett langweilig geworden. Keine Frage, von der Landschaft her war es wirklich sehr schön, aber irgendwie war es dann doch immer das gleiche. Für mehr Abwechslung hätte man dann doch in die angrenzenden Orte fahren müssen. Als Zeitvertreib begann ich Strohballen auf den Feldern an der Strecke zu zählen. Dazu kam dann auch die Sonne wieder raus und gab ihr bestes. Das gute war allerdings das selbst an diesem langen einsamen und kaum genutzten Streckenabschnitt genügend Trinkwasserstellen vorhanden waren. Ein riesen großer Vorteil bei der glühenden Toskana Sonne!
Als ich dann in Chiusi ankam waren es noch rund 40 Kilometer nach Orvieto.
Orvieto war das ursprüngliche Planungsziel das ich aber am Tag zuvor selber um 30 Kilometer erweitert habe. Also waren es ab hier noch rund 70 Kilometer bis zum eigentlichen Ziel. Nur gut das ich nur bereits 95 Kilometer hinter mir habe. Was soll ich sagen.. selber Schuld!
Der Chiana Kanal und die Toskana sind mittlerweile Geschichte. Ab jetzt bin ich in Umbrien unterwegs. Endlich kommt wieder etwas Abwechslung auf der Strecke. Im weiteren Verlauf verlasse ich Fabro Scalo und komme nach ca. 5 Kilometern an eine Brücke über die Autobahn.
Dann kommt wieder so ein Moment den man auf solchen Touren nicht gebrauchen kann: Die Brücke ist nur eine schmälere Nebenbrücke (12 Tonnen) hier irgendwo im nirgendwo. Die Brücke ist auf beiden Seiten mit Baustahlmatten komplett verschlossen worden, und ein Betreten verboten Schild -zumindest an den Symbolen erkennbar- wurde angebracht.
Na toll... und jetzt? Den Text auf dem Schild kann ich nicht lesen da es nur auf Italienisch verfasst ist. Der Übersetzer funktioniert nicht, da ich in dieser Gegend keinen Empfang habe. Ich überlege zurück zu fahren oder einen Alternativweg zu finden. Durch den Umstand das ich keinen Empfang habe, ist dies aber nur bedingt möglich. Wenn ich mich so umsehe wäre es egal wie ich fahre, es wären immer sehr steilere Berge und eventuell würde ich Gefahr laufen das ein Weg in einer Sackgasse endet. Außer eben über diese Brücke. Meine Laune hält sich aktuell in Grenzen. Dazu ist es noch stechend heiß und weit und breit keinerlei Schatten, das man mal in Ruhe überlegen könnte.
Normalerweise habe ich bei Pausen in der Toskana immer nur angehalten wenn Schatten oder Trinkwasser vorhanden war. Ansonsten ist es wirklich kaum erträglich gewesen. Hier stand ich nun in der glühenden Sonne vor der verschlossenen Brücke.
Bei genauerer Betrachtung fällt mir auf das die Absperrung schon mal auf die Seite geschoben wurde, und die Baustahlmatte auch schon nicht mehr richtig befestigt ist. Ich vermutete das hier schon des Öfteren Personen (Einheimische?) die Brücke verbotener Weise überquert haben. Dies belegten auch Laufspuren am Boden und zur Brücke hin.
Naja... das kann ich auch. Schnell ist die Baustahlmatte aufgeklappt mein Fahrrad rein geschoben und hinter mir wieder zugeklappt. Auf der gegenüberliegenden Seite das gleiche Spiel. War kein großes Problem. So schnell ist man auf der anderen Seite und fühlt sich als Sieger. Ich habe den weiteren Verlauf keinerlei Gedanken mehr verschwendet was überhaupt auf dem Schild stand, und weswegen die Brücke geschlossen gewesen sein könnte. Ich war nur froh nun keinen eventuell großen Umweg in Kauf nehmen zu müssen.
Wenige Meter nach der Brücke wurde ich dann übrigens mit einem der schönsten Aussichten für diesen Tag belohnt. Etwas entfernt ein im Toskana Stil gebautes Haus mitten in einer Hügellandschaft voller Sonnenblumen. Das Foto ist wirklich einmalig.
Allerdings musste ich dafür anschließend mit einem sehr steilen Berg dafür bezahlen. Aber das war es allemal wert!
Weiter geht's entlang von Feldwegen in den Hügeln von Umbrien. Der Wirtschaftsweg der ab und zu auch neben der Autobahn verläuft ist teilweise in sehr schlechten Zustand. Dafür geht es aber auch endlich mal wieder Bergab. Die Wegbeschaffenheit gibt eigentlich maximal 15-20 km/h Geschwindigkeit her. Trotzdem lass ich mich gut Rollen und fahre gut an die 30 km/h. Wenn ich im nachhinein zurückdenke etwas leichtsinnig.
Ich freue mich als ich endlich wieder auf eine richtige Straße und zurück in die Zivilisation komme. Die letzten Kilometer bis nach Orvieto waren dann nicht mehr so schlimm. Orvieto selbst liegt oben auf einem Berg.
Dies wäre wie gesagt mein ursprüngliches Planungsziel gewesen. Da ich ja aber einen Tag vorher beschossen habe das ich 30 Kilometer anhänge um den letzten Tag zu verkürzen, bin ich nicht extra nach Orvieto hoch, sondern direkt weiter gefahren.
Eigentlich reicht es mir hier. Von den Kräften her merkt man deutlich das nicht mehr viel geht. Ich muss auch gestehen das ich am heutigen morgen schon bemerkt habe, das dies nicht mein Tag wird. Es war der erste Tag wo ich mehr oder weniger einen Durchhänger hatte. Wenn mal allerdings 8 Tage mit diesen Tageskilometern und unter diesen Bedingungen fährt, braucht man sich auch nicht wundern oder gar beschweren. Aber der Wille mein Ziel zu erreichen überwiegt, und so musste ich eben die Zähne zusammen beißen.
Am Himmel beobachte ich schon seit längerer Zeit das vermutlich ein Gewitter aufzieht. Dennoch hilft es nichts. Ich wollte 30 Kilometer mehr fahren, so muss ich das nun auch durch ziehen. Nach einer kurzen Pause setze ich meine Fahrt fort.
Allerdings komme ich nicht weit. Kurz nach Orvieto Scalo wurde der Wind immer stärker und es begann schlagartig zu Regnen. Schnell auf die Seite gefahren und die Regenkleidung angezogen. Dies gestaltete sich etwas schwierig wenn man so verschwitzt ist.
Dann ging es weiter bei normalem leichten Regen. Da es immer noch sehr warm war kam man sich vor wie in einem Schwitzanzug. Einfach nur ekelhaft.
Der Regen wurde zunehmend stärker während ich ein bewaldetes Teilstück fuhr. Jetzt kamen auch nahe Blitze und Donner hinzu. Ich entschied darauf hin etwas zu warten da es mir in dem Waldstück um einiges sicherer schien als auf freier Strecke. Ja ich weiß das Baumkronen oder Äste abbrechen können, aber es erschien mir in meinen Augen sicherer als auf komplett freier Strecke.
Der Regen wurde immer stärker. Obwohl es ziemlich dicht bewaldet war schüttete es wie aus Eimern durch die Baumkronen. Auf der Straße die leicht bergauf ging schoss das Wasser wie ein Bach herab. Der Bach wurde immer höher. Ich habe mich dann wieder aufs Fahrrad gesetzt und habe mich am nächsten Verkehrsschild festgehalten. Der Bach unter mir erreichte eine Höhe bis knapp an die Pedale, und vom Blitz und Donner her war noch kein Ende in Sicht. War das jetzt der Dank für meine 30 Kilometer mehr?
Nach ca. 15 Minuten war das Gewitter dann durchgezogen und ich konnte endlich weiter fahren. Auf einer Brücke die ich im anschließenden Verlauf überqueren musste stand in vielen großen Pfützen das Wasser. Leider waren ab hier auch wieder einiges Autos unterwegs, und ich überlegte wie ich die Brücke halbwegs trocken überqueren soll. Die Autos erzeugten natürlich Meterhohe Wassersäulen beim durchfahren der Pfützen.
Ich bin dann einfach los gefahren. Hier muss ich die Italiener wieder loben. Jedes Auto hat vor mir abgebremst und ist langsam an mir vorbei, das ich nicht noch mehr nass werde als ich ohnehin schon war. Das hob die Stimmung wieder etwas an.
Einige Kilometer nach der Brücke musste ich erneut anhalten und mich erneut umziehen. Die Wolken hatten sich komplett aufgelöst und es war binnen weniger Minuten wieder glühend heiß geworden.
Die letzten 20 Kilometer bis Attigliano waren ehrlich gesagt nur noch quälend. Auch wenn es von der Strecke her nicht mehr besonders anspruchsvoll war, die Luft war einfach komplett raus. Es war ein Punkt erreicht worden wo alle Kräfte und Reserven komplett aufgebraucht waren.
Dennoch bin ich dann nach knapp 177 Kilometern endlich an meiner Unterkunft angekommen wo wieder die übliche Prozedur von statten ging: Check-In, Fahrrad verstauen, Zimmer, Taschen ausräumen und ausgiebig duschen.
Das gute war das die Unterkunft selbst eine Pizzeria hatte. So musste ich mir nichts zu Essen im Ort suchen. Die Gastwirtin war sehr freundlich und interessierte sich auch für meine Tour. Dies lies mich dann die Strapazen und schlechten Erlebnisse vom Tag etwas vergessen.
Nach dem Essen im Zimmer dann wieder den nächsten und auch letzten Tag der Tour angeschaut. Ich freute mich wie ein kleines Kind das ich 30 Kilometer weniger fahren muss und es dann nur ca. 110 Kilometer werden. Ob das dann wirklich so sinnvoll war im Vergleich wie ich mich am heutigen Tag gequält habe? Das ist Kopfsache. Der Tag heute war abgehakt und ich blickte schon auf morgen.
Allein das zählte.
Ich war etwas aufgeregt. Morgen erreiche ich dann nach 9 Tagen endlich mein geplantes Ziel: Die italienische Hauptstadt Rom!
Allerdings sind es nochmal um die 1000 Höhenmeter die ich bewältigen muss bei einer Strecke rund um die 110 Kilometer. Aber wenn man es bis hier geschafft hat, schafft man das auch noch!
Was stand eigentlich auf dem Schild der gesperrten Brücke?
Da ich hier in Attigliano wieder Zugang zum Internet hatte wollte ich mir das Schild der gesperrten Brücke noch übersetzen lassen.
Dort stand:
"Bei einem Unfall ist ein LKW in die Betonsäule in der Fahrbahnmitte geprallt. Nach den Untersuchungen der Autobahngesellschaft wurde die dringende Anordnung erlassen ein Verkehrsverbot für alle Teilnehmer zu erlassen bis die Statik der Brücke wiederhergestellt wurde."
Auf Deutsch kann man also sagen das die Brücke eventuell Einsturzgefährdend war, und das die Überquerung sehr leichtsinnig war. Aber! Die Brücke war für 12 Tonnen ausgelegt. Ich kann mir durchaus vorstellen das es bedenken bezüglich der Statik bei schweren Fahrzeugen gibt. Wenn ich die Brücke allerdings als Person mit einem Fahrrad überquere lehne ich mich jetzt mal etwas aus dem Fenster und behaupte das dies ohne Bedenken möglich sein müsste.
Ansonsten hätte man ja generell ein Problem das die Brücke jederzeit einfallen könnte. Hier geht es ja dann vermutlich wieder um die Haftungsfrage. Es wird komplett gesperrt, und wer es missachtet ist eben selber schuld.
Im nachhinein kann ich nicht sagen ob ich über die Brücke überquert hätte, wenn ich das Hinweisschild komplett hätte lesen können. Bitte nicht nachmachen!
Überraschung
Durch den Satz: "Werde die schöne Lage hier an der Toskana noch etwas ausnutzen..." hatte ich wirklich etwas Ruhe und es wurden keine Fragen gestellt.
Nun ist es ja auch nur noch eine Tagesetappe bis ich das Geheimnis komplett lüften kann.