Der Gründertag ist ein Paradox, denn weder die Gründer, die hier gefeiert werden sollen, noch das Volk, dass sie zu feiern hat, ist sonderlich an diesem Tag interessiert. Er ist die Idee einiger mittelrangiger O Kosh, die, mit einem gewissen Budget ausgestattet und darauf aus, ihre Namen unter ihren Meistern bekannt zu machen, den einfachsten Weg gegangen sind – einen Tag der inhaltsleeren Lobhudeleien auf den kleinsten gemeinsamen Nenner der Zufluchtskultur. Das Volk würde die Feierlichkeiten wahrscheinlich einfach ignorieren (und Zwang als Mittel ist der Magokratie fremd) wenn sich nicht folgender Kernbrauch etabliert hätte:
Am Gründertag zeigen die Bewohner der Zuflucht den Gründern ihren Dank für die vielen Geschenke, die ihnen diese Weisen so großzügig gewährt haben. Die Gründer allerdings selbst sind an den Feierlichkeiten nur wenig interessiert – zu sehr ist ihr Blick auf die Jahrhunderte ausgerichtet. Stellvertretend für sie gehen die O Kosh, meist Eminenzen mittleren Ranges, unter das Volk und nehmen Ehrbezeugungen entgegen. Im Gegenzug erhält das Volk (nur wenig) symbolische Repräsentationen dieser Geschenke. Wohlstand, Sicherheit und Frieden der Zuflucht werden durch Geld, wertvolle Süßwaren und andere Delikatessen sowie Figurinen, die den allegorischen Frieden oder, Wohlstand darstellen, repräsentiert. Es hat sich rasch gezeigt, dass besonders die O Kosh, welche Geschenke nicht nur symbolischem Werts verteilen, am meisten von ehrerbietigen Bürgern aufgesucht werden.
Die offiziellen Traditionen sind:
Der Umzug
Diejenigen O Kosh, die sich besonders hervortun wollen, machen auf sich aufmerksam, indem sie, aus eigenen Mitteln finanziert, einen Ehrenzug anführen, bei dem einer oder mehrere der Gründer vom Volk mit Dankesbezeugungen beschieden werden. Die entsprechende Eminenz kann dabei auf politisches Kapital hoffen, wenn sie so deutlich ihre Loyalität zur Zuflucht und ihre offensichtlichen Führungsfähigkeiten unter Beweis stellt. Selbstverständlich wird der Umzug umso größer, je mehr (vorgeblich symbolische) Geschenke in das Publikum geworfen werden, meist in Form von Münzen, kleinen Leckereien, mitunter auch wertvollen Figurinen (die häufig recht schnell eingeschmolzen werden). Ein besonders frivoler, aber sehr wirkungsvoller Akt ist es, nicht nur Figuren der Gründer sondern auch einige einer Meisterperson, der man besonders schmeicheln/schleimen will, unter das Volk zu bringen.
Die Darbietungen
Von Seiten der Bürger etwas aufwendiger ist der Brauch, eine bestimmte Eminenz entweder in ihrem (an diesem Tag offenen ) Haus oder in einer eigens dazu eingerichteten Stätte auf einem größeren Platz aufzusuchen, und ihr öffentlich Ehrbezugungen für die Gründer zu präsentieren, die sie repräsentiert. Üblich sind Bilder, Zeichnungen, (gelegentlich auch selbstverfasste) Gedichte, Lieder, kleine Kunstwerke und Handwerksstücke von ... variabler Qualität. Im Gegenzug erhalten sie, ähnlich wie beim Umzugsbrauch, mehr oder minder wertvolle Geschenke, die die Großzügigkeit der Gründer darstellen sollen. Es sollte offensichtlich sein, dass diejenigen Eminenzen, die besonders wertvolle „symbolische“ Geschenke verteilen, auch besonders viel Besuch bekommen. Es ist ein sehr beliebter Trick, dafür die eigenen Kinder vorzuschicken, deren Fähigkeiten (beziehungsweise der Mangel daran) von der Eminenz natürlich wohlwollend bewertet werden muss. Auch hier gilt, je größer der Andrang umso mehr politisches Kapital kann sich das Mitglied der o Kosh davon erhoffen. Wenn eine Eminenz einen Status erreicht hat, an dem sie derlei Geprunke nicht mehr nötig zu haben glaubt, macht sie sich oft einen Spaß daraus, an deisem Tag tatsächlich nmur symbolische Geschenke zu verteilen, als Beweis ihrer Erhabenheit über niedere politische Taktik. Diese Art von kalkuliertem Traditionsbruch funktioniert aber auch nur dann, wenn die angenommene Macht der entsprechenden Eminenz tatsächlich inzwischen so hoch ist (und auch nur beim ersten Mal). Es heißt, dass der Hohe Rat diese Art von öffentlichem Intrigantentum und offenem Populismus auch deswegen toleriert, weil es die O Kosh dazu zwingt, sich zumindest einmal im Jahr mit den Wünschen und dem Denken des Volkes auseinanderzusetzen und so unter Beweis zu stellen, dass sie den Wert des Lebens auch weiterhin kennen.
Die Volksbräuche
Für das einfache Volk ist der Gründertag, nebst schamloser Schnorrerei, in erster Linie ein Frühlingsfest. Tatsächlich war dieses nun nur noch Historikern bekannte Fest zuerst da – die ersten O Kosh, die sich einen Namen mit einem eigenen Fest machen wollten, hatten es einfach umgedeutet. Von den alten Bräuchen aber haben sich noch viele erhalten. Vor allem in der Zuflucht werden typisch ländliche Fruchtbarkeitsriten gefeiert, Zuchttiere prämiert, junge Männer und Frauen mit Symbolen der Jungfernschaft und der Ehefähigkeit geschmückt, grüne Äcker mit Wein gesegnet und dergleichen mehr. Einige Traditionen sind aber auch für, sagen wir mal, eine diplomatische Delegation im Feld geeignet.
Der freie Tanz
Bei diesem Brauch spielen einer oder mehrere Muskikanten auf einem großen Feld auf. Männer und Frauen stehen sich gegenüber. Nach offizieller O Kosh-Lesart wird durch diesen Tanz die Freiheit in der Zuflucht und der Wohlstand gefeiert, tatsächlich aber ist es vor allem ein guter Vorwand für junge Frauen und Männer, sich abseits wachsamer Augen und unter offeneren Umständen näher zu kommen. Es soll auch schon die eine oder andere Einladung für ein abendliches Stelldichein dabei geflüstert worden sein. Getanzt wird nach den Vorgaben des Vorsängers, der seine Anweisungen so gestaltet, dass sein Publikum keine Schwierigkeiten hat, ihnen zu folgen – ein gutes Auge auf die körperlichen Fähigkeiten ist hier Pflicht. Da aber gewisse Grundfertigkeiten beim Volk zum guten Ton (und zu den Eigenschaften eines geeigneten Partners) gehören, sieht man vor allem vor dem Fest überall kleine Grüppchen von Jungs und Mädels, die ungelenk üben.
Der König der Bohne
Bei dem dem Tanz folgenden Festmahl wird vom Koch in dem für alle zubereiteten Essen (zumeist eine Art süßer Brei, es hat aber auch schon opulentere Essen gegeben) in einer Schüssel eine kleine, rohe Bohne versteckt. Wer sie findet, wird für einen Tag zum Festkönig erhoben. Er darf alle Arten von (unsinnigen) Anweisungen erteilen, wird stets als erster bedient und sollte vom jeweils anderen Geschlecht mit Bevorzugung behandelt werden (dies jedoch wird nicht immer eingehalten). Zu fortgeschrittener Stunde ruft ein König, der beliebt bleiben will, zum großen Gelage. Hierbei hat er sich großzügig und spendierfreudig zu zeigen. Er muss sich jedoch vorsehen: Am anderen Tag, beim Katerfrühstück, wird über die Regentschaft des „Königs“ Gericht gehalten und hat er nicht gut regiert, so folgt eine andere Tradition – das große, matschige Eier- (und Tomaten-) –werfen.
Findige Köche wissen genau, in welcher Schüssel die Bohne landet.