Postvirale Fatigue (ggf. bereits nach der Akutphase schon mit erkennbarer PEM) ist komplett kontraintuitiv.
Von klein auf hat man gelernt, dass man sich nur ein bisschen anstrengen muss, um Trainingsziele zu erreichen. Man hat anhand von unzähligen Infekten und Verletzungen, vielleicht auch nach Unfällen, gelernt, dass man stetig trainieren muss und dabei die Messlatte nach und nach höher legen muss, um Fortschritte zu erzielen.
Und genau das funktioniert bei postviraler Fatigue mit PEM nicht.
Betroffene vergleichen PEM (PENE) mit Treibsand: Je mehr man arbeitet und trainiert, umso tiefer sinkt man ein, umso schwerer wird PEM (PENE), umso schneller schreitet möglicherweise die Erkrankung fort und wird chronisch.
Das “Zauberwort” bei postviraler Fatigue mit PEM (PENE) und ME/CFS heißt: Pacing.
Pacing bedeutet: Leben innerhalb der individuellen Belastungsgrenzen.
Pacing bedeutet, die eigenen Energiereserven so einzuteilen, dass man gut über den Tag kommt und am Ende einen kleinen Rest übrig hat, die Energiemenge also nicht komplett ausgeschöpft ist.
Das klingt recht simpel, ist im Alltag aber eine ständige Herausforderung. Die meisten Erkrankten haben das Problem, dass sie – gemessen am vorhandenen Energiehaushalt – zu aktiv sind.
Pacing bedeutet ausdrücklich nicht, dass die Belastungsgrenze nach und nach angehoben und die Belastung gesteigert wird. Weder Training noch Motivation, weder gutes Zureden noch kognitive Verhaltenstherapie können die individuellen Leistungsgrenzen verschieben und die Grunderkrankung heilen.
Pacing bedeutet übrigens auch nicht, nur ab und zu Pause zu machen oder sich komplett aufs Sofa zurückzuziehen und gar nichts zu machen! Daher sind Aussagen von Mediziner*innen nichtig, die behaupten, dass man sich mit Pacing “ins Bett pflegt” oder dass Pacing zu einem starken Abbau der Muskulatur und damit zu Dekonditionierung führen wird.
Im Gegenteil, sinnvolles Pacing kann Beweglichkeit, Kraft und Kondition der Erkrankungsschwere entsprechend erhalten.
Hinzu kommt der nicht zu verachtende Effekt der Belohnung, wenn man Pacing eine zeitlang ziemlich gut hinbekommen hat und sich der Aktivitätsspielraum, den die Erkrankung zugesteht, nach und nach größer wird, wenn Aktivitäten wieder möglich sind, die letztes Jahr noch undenkbar waren oder wenn die Symptomlast insgesamt zurückgeht.
Wie Pacing gelingen kann, dazu findest du im nächsten Abschnitt einige Ideen.
Der Vollständigkeit halber sei hier angemerkt:
Personen, die schwer oder schwerst von ME/CFS betroffen sind, haben oftmals nicht mehr die Chance, sinnvoll zu pacen. Der Funktionsverlust ist dann bereits so groß ist, dass das Befriedigen und Aufrechterhalten der existenziellen Körperfunktionen (Ernährung, Verdauung, Ausscheidung, notwendigste Bewegungen um Druckgeschwüre vorzubeugen, minimalste Hygiene) die Leistungsgrenzen oft ausreizt oder überschreitet.
Der Umgang mit Schwer- und Schwerstbetroffenen ist sicherlich ein eigenes Kapitel wert. Im Moment gelingt es mir noch nicht, das sinnvoll aufzuschreiben. Es gibt aber etliche Handreichungen, bsp. von der ME Hilfe e.V. oder dem Fatigatio e.V..