Es gibt zahlreiche Berichte und Beobachtungen, dass manche Betroffene eine zum Teil sehr gravierende Verschlechterung ihres Zustandes hinnehmen müssen.
Bei manchen ist ein Auslöser bekannt, beispielsweise ein operativer Eingriff, ein Infekt, eine starke emotionale Belastung, bei vielen passiert dies scheinbar grundlos.
Für viele ist im Rückblick aber feststellbar, dass sie zu lange versucht haben, die Symptomatik im Griff zu behalten, sie haben sich über Wochen und teils Monate ständig überlastet. Teils passierte das ohne eigenes Wissen und mitunter sogar auf falschen ärztlichen oder therapeutischen Rat hin. Die Erwartung, dass man nur mit ausreichend Training und gutem Willen wieder fit und leistungsfähig werden kann, hält sich hartnäckig. Für die allermeisten Erkrankungen trifft dies ja auch zu - für ME/CFS (oder auch “nur” postvirale Fatigue mit PEM (PENE)) kann das fatal sein.
Manche Betroffene halten auch nur deshalb monatelang durch, obwohl sie instinktiv wissen, dass sie schwer krank sind: Sie wissen einfach nicht, was auf sie zukommt, haben Angst vor Auseinandersetzungen mit Ärzt*innen und Krankenkasse oder sie wissen schlicht nicht, wie sie ein Leben ohne Arbeit finanzieren sollen.
Dass Krankheit der häufigste Grund für Armut ist, das ist bekannt - und macht Angst.
Wenn dann die Reißleine gezogen wird, wenn eine Phase der Ruhe und Erholung eintritt (das kann während eines Urlaubes oder nach einer Operation sein, oder auch nach einem physischen oder psychischen Zusammenbruch aufgrund Überlastung passieren), dann merken viele erst, wie schwer krank sie tatsächlich sind und wie begrenzt der eigene Aktionsradius ist.
Und das kann einem wie ein massiver Absturz erscheinen oder wie ein tiefer Fall ins Bodenlose.
Insgesamt ist man diesem leider ausgeliefert, es gibt nichts, was dieses “Absinken auf das derzeitige Krankheitsstadium” aufhalten kann.
Aber es gibt tatsächlich einiges, was jetzt den Zustand verschlimmern kann: und zwar Ankämpfen dagegen.
Es ist nachvollziehbar, dass niemand sich gern und freiwillig in ein Stadium von bsp. Bettlägerigkeit begibt, aber ein Kämpfen dagegen und Versuche, weiterhin aktiv und mobil bleiben zu wollen, führen unweigerlich zu einer weiteren Schwächung und damit zu einem noch tieferen “Absturz”.
Andererseits hilft dieser Absturz auf den Boden der Tatsachen auch, ebendiesen Boden unter die Füße zu bekommen. Um in Bildsprache zu bleiben: Wenn man einmal unten angekommen ist, dann kann es (eigentlich) nur noch aufwärts gehen.
Diese Sätze machen mit Sicherheit Angst, ein Verschweigen finde ich jedoch nicht sinnvoll und eine gegenteilige Behauptung ist in meinen Augen falsches Schüren von Hoffnung. Ich verurteile an dieser Stelle alle selbsternannten Heiler*innen, die behaupten, mit dem "richtigen Mindset" kann die Erkrankung geheilt bzw. die Gesundheit wieder hergestellt werden. Kein "Mindset" behebt die Schäden, die durch die Infektion entstanden sind und zu behauoten, man wäre "selbst schuld, wenn man krank bleibt", ist in meinen Augen medical gslighting in Reinform.
Das bedeutet nicht, dass ich eine positive Grundhaltung unnütz und spontane Remissionen als unmöglich betrachte!
Ich verwehre mich nur dagegen, Menschen einzureden, dass sie es ausschließlich selbst in der Hand haben, wenn sie gesund werden wollen (denn das beinhaltet automatisch ein "du bist selbst schuld" und das ist schlichtweg Quatsch).
Radikale Akzeptanz ist ein eher modernes Wort in Social Media, trifft es meiner Meinung aber ziemlich gut. Meine Oma sagte oft und gerne "es ist halt so" - und das bedeutet für mich das selbe.
Manche Betroffene plagen starke Schuldgefühle, weil alles so gekommen ist, wie es ist.
Und hier bleibt nur, zu sagen: dich trifft keine Schuld!
Als Rat kann ich nur geben (und das wird noch viele Male in diesem Buch kommen): suche den Kontakt zu anderen Erkrankten. Suche dir Personen, denen es ähnlich geht und die verstehen, was gerade mit dir passiert und die dich mit Rat und Zuspruch unterstützen können.