Die Tochter der Sagenerzählerin

...

„Wir könnten auch Nachwuchs bekommen“, erwiderten die Müllersleute im Chor.

„Oh.“ Antonio riss die Augen auf, hob beide Zeigefinger und schlug vor: „Dann solltet ihr schleunigst heiraten, ehe es dumme Sprüche gibt.“

„Er hat recht“, murmelte Rosalie. „In diesem Zeitalter wäre das dringend angebracht.“

Sie steckten sofort die Köpfe zusammen, um eine möglichst einfache Hochzeit zu planen.

„Es nutzt alles nichts, wir müssen nach Isolabona“, seufzte Rosalie.

Am nächsten Morgen versorgten sie die Tiere und trabten los. Die Männer saßen auf den Eseln und Rosalie auf dem Karren, den eines der Tiere zog. Mit dem Geistlichen der kleinen Kapelle waren sie sich schnell einig.

Als Rosalie einen größeren Betrag für die Gemeinde stiftete, stand für den Samstag der gleichen Woche der Termin für die Trauung fest. Spätestens als sie ein Fass Wein für die Feier in der Mühle kauften, verbreitete sich die Neuigkeit wie ein Lauffeuer. Auch, dass all die eingeladen waren, die zu den Geschichtenabenden in die Mühle kamen.

Natürlich schickte Rosalie Antonio auch mit einer Einladung zur Burg.

„Der Admiral ist nicht zu Hause“, erklärte der junge Mann mit bedauernd erhobenen Händen.

„Schade“, murmelte Rosalie. „Na wenigstens weiß er Bescheid, wenn er die Einladung später liest.“

Zwei Tage vor dem großen Ereignis kamen die Reiter der Spinola zurück, um in der Mühle zu rasten. Antonio beeilte sich, die Pferde zu versorgen, Bernhard holte ein Fässchen Bier herbei und Rosalie servierte schmackhafte Fischsuppe mit viel Gemüse.

„Ihr bereitet ein Fest vor?“, fragte der Anführer erstaunt.

Bernhard nickte. „Unsere Hochzeit am Samstag. Seid so gut, das Cavaliere Luciano zu berichten.“

„Ich werde es nicht vergessen!“, bekam er zur Antwort. „Er hat sich schon gewundert, warum dir die hübsche Müllerin nicht schon lange das Ja-Wort gegeben hat.“

„Alles zu seiner Zeit“, schmunzelte Bernhard.

Paul saß still auf dem Regal und beobachtete die vielen Fremden. Dass sich große Dinge taten, sah er, und dass sie gut waren, spürte er.

Rosalie wollte natürlich mehr über den Sohn ihres Wohltäters wissen. „Wie heißt der Kleine?“

„Vincenzo und er hat genau so schwarzes Haar wie sein Papa! Er lässt ihn von zwei Leibwächtern schützen.“

Auf den fragenden Blick erfuhr sie: „Seit Meloria ist ein weiterer Spinola einigen ein Dorn im Auge.“

„Ach ja, ich vergaß.“ Rosalie zog die Augenbrauen zusammen. Es wurden nicht selten Kinder eliminiert, um die siegreichen Feldherren und deren Familien besonders tief zu treffen.

Am frühen Nachmittag ritten die Männer weiter, um noch vor Einbruch der Nacht Dolceacqua zu erreichen, wo sie auf der Burg übernachten wollten. Den Müllersleuten war es recht, denn sie hatten genug für das Wochenende vorzubereiten.

Auf Fleisch werde man verzichten müssen. Es gab nichts, was man hätte schlachten können. Die Ziegen waren trächtig, der Bock werde nicht schmecken, die Eier der Hühner brauchte man, genau wie die beiden Esel. Kaufen ging auch nicht. Keiner hatte jetzt etwas feil. Rosalie zeigte wortlos auf den Fluss. Statt sich wegen des Essens selber verrückt zu machen, legte sie lieber die Festtagskleidung bereit, Bernhard schliff seinen Lieblingsdolch.

Am Freitagmorgen, die Sonne war noch nicht einmal richtig aufgegangen, riss Paul die drei mit ohrenbetäubendem Gekreische aus ihrem Tagewerk.

„Gütiger Himmel! Was ist denn los?!“ Antonio stürzte dem Raben nach auf den Hof. Im Bruchteil eines Wimpernschlags war er im Bilde, was Paul so aufregte – Hufschlag und Räderrumpeln.

„Wer ist denn um diese Zeit schon unterwegs?“, murmelte Rosalie, denn die eisenumspannten Holzräder machten einen Höllenlärm auf dem steinigen Weg.

Bernhard wiegte erstaunt den Kopf. „Der Reiter neben dem Wagen trägt das Wappen der Doria und so, wie es aussieht, wollen sie zu uns.“

Paul postierte sich auf dem Brückengeländer. Falls das Fuhrwerk wirklich die Brücke passierte, wollte er es inspizieren. Wenig später traf Bernhards Prophezeiung ein, die Pferde bogen auf die Brücke ein und der Kolkrabe flatterte auf einen der geladenen Säcke, aus dem es verführerisch duftete.

„Hat sich der schwarze Racker doch genau das Beste herausgesucht!“, lachte der berittene Begleiter, die Müllersleute grüßend. „Der Admiral schickt euch nämlich ein paar Kleinigkeiten, damit zur Hochzeitsfeier alle satt werden. Sieht ganz so aus, als käme halb Dolceacqua auch hierher.“

Das Beste, wie es der Mann genannt hatte, war ein riesiger Sack voller Schinken und Würste, den Antonio gleich vor Paul in Sicherheit brachte.

„Du wirst schon nicht verhungern“, grinste er, weil der Rabe zeterte, als ginge es ihm ans Leben.

„Verrückter Vogel!“, kicherten die Männer aus der Burg. „So was wie dich, könnten wir auch gebrauchen, dann könnten wir uns den Turmwachdienst sparen.“

„Ja, wir sparen uns auch den Hund“, grinste Bernhard. „Er hat euch schon gemeldet, da wart ihr noch Meilen weit weg.“

„Und was passiert, wenn sich jemand nicht durch Geschrei vertreiben lässt?“

Bernhard zeigte breit lächelnd auf die Pelzbesätze an Rosalies Umhang. „Drei Marder, zwei Füchse. Mit dem Schnabel sollte sich keiner anlegen.“ Er kraulte Paul, der sich auf seiner Schulter niedergelassen hatte, sanft am Bauch.

„Krahhhahahahaaaa!“, imitierte Paul menschliches Lachen, seinen Schnabel an Rosalies Pelzstücken reibend.

„Er wird die Feier besonders genießen“, schmunzelte sie. „Überall kann man Futter abstauben und Schabernack treiben. Das tut er ja sowieso am liebsten.“

„Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass wir hier bleiben und morgen die Mühle bewachen?“, fragte der Reiter. „Ihr nehmt das Fuhrwerk, um nach Isolabona zu kommen.“

„Nein, hast du nicht“, staunte Bernhard.

Antonio half, die Pferde auszuspannen und zu versorgen. Rosalie überlegte einen Moment, dann schnappte sie Sichel und Messer, um immergrüne Zweige zu schneiden, aus denen sie Girlanden für den Wagen binden wollte. Antonio ging ihr zur Hand, während sich Bernhard um das leibliche Wohl der Männer kümmerte, indem er mit ihnen einen Becher Wein leerte.

„Sie kann es wohl kaum erwarten“, schmunzelten Obertos Männer, weil Rosalie ein Tempo vorlegte, dem Antonio kaum folgen konnte.

Bernhard blinzelte: „Da sind wir mindestens zwei.“

Antonio wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Aufpassen, dass ich alles richtig mache und gleichzeitig übersetzen, kann ganz schön anstrengen!“

„Wobei die beiden doch schon recht gut allein zurecht kämen“, stellte einer fest, weil Bernhard keine Mühe gehabt hatte, sich mit ihnen zu unterhalten, als Rosalie und Antonio Zweige holten.

„Antonio ist ja auch ein guter Lehrer“, lobte Rosalie. Sie wollte noch etwas hinzufügen, als erneut Hufschlag von Isolabona her ertönte.

„Ziemlich viel los hier draußen“, staunte Bernhard. Und noch mehr, weil der Besuch des Boten ihm galt. Der Mann übergab ihm ein gesiegeltes Schriftstück, tränkte sein Pferd und galoppierte zurück.

„Mach es auf!“, forderte Rosalie, weil es Bernhard unschlüssig zwischen den Fingern drehte.

„Erst mal schauen, von wem es überhaupt kommt“, sagte der Schmied, das Siegel nach oben drehend. „Oha. Zwei Wappen.“

„Nun lass dich doch nicht so lange bitten!“, rief Rosalie neugierig und auch die anderen machten lange Hälse.

Antonio bekam riesengroße Augen, als er es zuerst auf Italienisch und dann auf Deutsch vortrug. Luciano und Oberto hatten bestimmt, Bernhard wegen seiner Herkunft als Adligen einzustufen. Immerhin war er der Häuptling einer großen Siedlung gewesen. Das Schriftstück war praktisch ein Ritterschlag, denn er durfte sich ab sofort Cavaliere Bernhard nennen.

„Ich sehe es mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, seufzte Rosalie. „Einerseits hast du diese Ehre verdient, andererseits hast du nun zu gehorchen, wenn dein Dienstherr zur Waffenschau ruft. Bei Waffenschau fällt mir ein, dass du somit morgen dein wundervolles Schwert tragen darfst.“

„Oh ja! Ich werde es sofort auf Hochglanz polieren!“, rief Bernhard erfreut.

„Cavaliere Bernhard“, flüsterte Antonio ehrlich ergriffen.

„Krahhh?“, machte Paul, mit schief gelegtem Kopf in die Runde schauend. Er konnte deutlich das Feierliche des Augenblicks spüren, wenn er auch nicht wusste, was es bedeutete.

„Du bist jetzt der Torwächter eines hohen Herrn“, schmunzelte Antonio, worauf Paul Bernhard mit dem Schnabel anstupste und ein schmetterndes „Krahhh, krahhh, krahhh!“, hören ließ.

„Genau! Drei Mal hoch!“, lachte Rosalie.

Die Männer des Admirals stimmten ein.

Am Tag der Hochzeit legten alle ihre Festtagskleidung an. Rosalie hatte genäht, gestickt und aus dem Wenigen das Beste gemacht. Bernhard staunte, weil sie, von ihm völlig unbemerkt, seinen Sonntagsstaat ebenfalls mit Pelzbesatz und dunklem Garn verziert hatte, was den großen muskulösen Schmied nun noch respekteinflößender aussehen ließ. Schwert und Dolch komplettierten das Ganze. Die gestickten Ornamente auf ihrer Kleidung glichen den seinen, nur waren sie in Weiß und Grau gehalten.

Selbst Antonio hatte sie bedacht, und noch am späten Abend einige Änderungen an Wams und Umhang vorgenommen, um allen auch nach außen hin zu zeigen, dass der junge Mann der Vertraute eines Ritters war.

„Hast du schon über ein Wappen nachgedacht, Cavaliere Bernhard?“, wandte sich Rosalie kurz vor Isolabona scheinbar ohne Zusammenhang an ihren zukünftigen Gatten.

„Habe ich. Amboss, Schwert und Olivenzweig“, kam es, wie ein Pfeil von der Sehne schnellt. „Ich kenne da eine unglaubliche Meisterin, die kann es mit Antonio ausarbeiten und sticken.“

„Oh, ich glaube, das wird sie mit Hingabe tun!“, rief Rosalie begeistert und Kutscher Antonio nickte heftig.

Die Bewohner von Isolabona und einige aus Dolceacqua standen schon Spalier, als die Brautleute die Kapelle erreichten. Antonio schlüpfte unbemerkt hinein, um dem Geistlichen die wichtigsten Neuigkeiten mitzuteilen. So kam es auch, dass alle wirklich riesengroße Augen machten, als dieser fragte: „Cavaliere Bernhard vom Erlenwald, wollt Ihr Rosalie Wildenstein zum rechtmäßigen Weib nehmen?“

Der Ritter hatte sich sofort gefangen und antwortete mit einem kräftigen: „Sì!“

Rosalie hauchte ihre Zustimmung fast, denn vor Rührung versagte ihr glatt die Stimme.

Der Weg zur Mühle glich einem Triumphzug. Das frisch vermählte Paar strahlte mit der Sonne um die Wette und dem Wagen folgten die schier unzähligen Gäste.

„Wie bist du auf vom Erlenwald gekommen?“, staunte Bernhard.

Antonio schmunzelte: „Du hast doch immer wieder erzählt, dass dein altes Herrschaftsgebiet in einer feuchten Niederung mit unzähligen Erlen lag. Da fand ich es passend, dir diesen Namen zu verleihen.“

„Hast du gut gemacht!“, lobte Bernhard lächelnd.

„Wir können ja auch noch Erlenzapfen mit ins Wappen aufnehmen“, regte Rosalie an. „In der Mitte Schwert und Ölzweig gekreuzt, zwischen Klinge und Zweig der Amboss und unten, zwischen Griff und Zweig drei Erlenzapfen als Herkunftszeichen.“

„Das ist es!“, riefen beide Männer begeistert.

Bernhard blinzelte vergnügt, als sie die Brücke passierten: „Ich glaube, wir sollten uns jetzt aber erst einmal um unsere Gäste kümmern.“

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