Burgen, Sex & Abenteuer

Band 2

...

Die Nachmittagsrast hielten sie am Waldrand, wo Maja drei Forellen über einem kleinen Feuer an Zweigen garte. Sie, als Knappe, durfte schließlich angeln, was ihrem Ritter völlig ehrenwidrig gewesen wäre. Sie hatte flugs ein Grasbüschel aus dem Uferbewuchs gezerrt und tatsächlich ein paar Regenwürmer in der feuchten Erde gefunden. Die gefräßigen Fische hatten den Köder sofort angenommen und waren Maja buchstäblich in die Hände geschwommen. Sie warf sie einfach auf die Wiese, damit sie auch nicht zufällig entkommen konnten. „Ihr seid geschickt“, staunte Georg, weil die ganze Prozedur nicht einmal zwanzig Minuten gedauert hatte. „Vor allem aber hungrig“, lachte Maja, ihm zwei der garen Forellen reichend. „Not macht bekanntlich erfinderisch. Alles, was größer als ein Hase ist, lasse ich mit Freuden Euch, auf dass Ihr es erlegt.“ „Man würde uns der Wilderei anklagen.“ „Ich weiß. Deshalb habe ich auch mehrmals geschaut, dass Sträucher die Sicht verdecken, als ich die Fische fing. Möchte lieber nicht wissen, wem sie gehören.“ Sie bedeckte die Reste mit Erde. „Ohne diese Mahlzeit wäre ich sicher vom Pferd gefallen. Mir war schon übel vor Hunger. Die zwei Eier und das winzige Stück Brot zu Mittag haben den Hunger eher angefacht, als ihn zu stillen.“ Ritter Georg war es ähnlich ergangen, nur war er zu stolz, das zuzugeben. Umso dankbarer war er gewesen, als sein Knappe die Initiative ergriffen und für einen vollen Magen gesorgt hatte. Nach einer Stunde zogen sie gemächlich weiter, die direkte Nähe aller Burgen meidend. Die Gegend war wildromantisch und schien meilenweit unbewohnt zu sein.

Maja genoss den langsamen Ritt am Fuße der Dolomiten entlang. Die Felsen glänzten fast schneeweiß in der Sonne. Dieser Flecken Land schaffte es immer wieder, sie komplett in einen Bann zu ziehen, aus dem es kaum ein Entrinnen gab. Die Unterhaltung war in den letzten beiden Stunden fast ganz zum Erliegen gekommen und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.

Die von Georg drehten sich vor allem um einen sicheren Schlafplatz, denn bis zur nächsten größeren Siedlung würden sie es nicht mehr schaffen. Er hatte keine Ahnung, ob man den Bewohnern der abgeschiedenen Höfe trauen konnte. Vielleicht wäre es im Wald ja sogar sicherer. Maja vertraute ihm. Sie würde jede seiner Entscheidungen diesbezüglich akzeptieren. So schaute er mit Sorge nach dem Stand der Sonne.

„Georg! Hört Ihr das?“ Maja hatte ihn am Arm gepackt und die Worte in höchster Erregung gezischt.

Von ihrem seltsamen Verhalten alarmiert, spitzte er die Ohren. Das asthmatische Schnaufen passte zu keinem Tier, das er kannte. Zudem kamen die Geräusche nicht vom Boden. Ihre drei Pferde bewegten unruhig die Ohren. Da fiel etwas Großes von den Ästen herab, den Ritter vom Pferd zerrend. Maja hatte ihr Pferd zurückgerissen und wurde um Haaresbreite verfehlt.

„Raubgesindel!“, schrie sie, zog ihren Dolch und stach auf den Angreifer ein, der damit wohl nicht gerechnet hatte. Ihr Pferd ging auf die Hinterhand und verpasste ihm zusätzlich einen Hufschlag mitten ins Gesicht. Er ließ von ihr ab und rannte um sein Leben.

Georg lag, benommen vom Sturz auf den Rücken, am Boden. Der zweite Räuber kniete mit erhobenem Dolch auf seiner Brust, bereit zuzustoßen. Maja riss, vom Pferd gleitend, das kurze Schwert aus der Scheide und zog es ihm in einer halben Drehung durch den Hals. Zuckend sackte der Geköpfte zusammen. Maja zerrte ihn von Ritter Georg herunter.

Sofort versuchte sie herauszufinden, welche Verletzungen Georg erlitten hatte und ob sie ihm noch werde helfen können. Da schlug er endlich die Augen auf.

„Maja …“

„Ganz ruhig. Mir ist nichts geschehen. Könnt Ihr Euch bewegen?“

„Ich glaube schon.“ Ächzend winkelte er die Beine an und fasste nach der hingehaltenen Hand.

Maja zog ihn auf die Füße, wo er noch einige Sekunden schwankend stehenblieb, sich auf ihre Schulter stützend. Sein Blick glitt zur Seite, wo die kopflose Leiche in ihrem Blut lag.

„Habt Ihr ihn …?!“

„Ich war so frei, bevor er das Gleiche mit Euch machen konnte.“ Sie half ihm, sich auf den Boden zu setzen, dann wischte sie mit Grasbüscheln das Blut von ihren Waffen, die sie sofort wieder an ihren Gürtel steckte. „Den anderen muss ich wohl auch etwas gröber erwischt haben. Zudem hat ihn mein Ross übel zugerichtet.“ Sie klopfte dankbar den Hals des Braunen. „Mich hat wohl mein sechster Sinn gerettet. Ich habe den Braten geradezu gerochen.“

Georg stemmte sich auf die Füße, schloss Maja in die Arme und küsste sie heiß und innig. „Ihr habt nicht nur einen Wunsch frei!“, rief er, sie so fest haltend, als wolle er sie nie mehr loslassen.

„Ich werde es mir gut merken“, lachte sie. „Im Augenblick wäre ich schon froh, doch noch ein Haus zu finden.“

Georg quälte sich aufs Pferd. „Ich auch.“

Maja nahm dem Toten noch rasch Waffen und all jene Dinge ab, die sie auf ihrer Reise gebrauchen konnten, dann ritten sie trotz einbrechender Dunkelheit weiter. Möglicherweise steckte ja noch mehr zwielichtiges Gesindel im Wald. Georg hätte keine Nachtwache übernehmen können und Maja war sich ziemlich sicher, nicht noch einmal zwei kräftige Männer durch glücklichen Zufall besiegen zu können.

Irgendwann schälte sich die Silhouette eines Häuschens aus dem Dunkel, ein Hund schlug an und drei Männer schwenkten Laternen, um besser sehen zu können. Sie leuchteten an den beiden Reitern hinauf, die zielstrebig auf sie zuhielten.

„Oh, mein Gott! Ihr seid doch nicht etwa auch überfallen worden?“, rief einer, beim Anblick der beiden blutverschmierten Männer.

„Auch?“, fragte Georg ungläubig.

„Ja, ja. Vor einer Weile ist hier ein Mann angekommen, der ist auf übelste Weise zugerichtet worden, um an sein Eigentum zu kommen“, erhielt er zur Antwort.

Georg wechselte einen schnellen Blick mit Maja, die kaum merklich nickte.

„Wo ist er jetzt?“, wollte Georg wissen.

„In der Scheune. Er wird sicher schlafen. Ich bringe Euch zu ihm.“

Ritter Georg stieg vom Pferd. Maja gewahrte aus den Augenwinkeln, wie ein dunkler Schatten aus besagter Scheune huschte und Fersengeld gab. Sie spornte ihr Pferd an, packte den Flüchtigen am Schlafittchen und riss ihn einfach um. „Ach, wen haben wir denn da?! Bindet ihn mit Stricken! Und ja hübsch fest! Mordbube, dachtest du wirklich du entkommst ungestraft?“

Keiner wagte, zu widersprechen. Einer stellte seine Laterne ab, um den Befehl der beiden hohen Herren auszuführen. Denn, dass der Ritter seinen Knappen gewähren ließ, konnte nur heißen, dass dieser von nicht minderem Adel war und diverse Vollmachten seines Herrn genoss.

„Ich habe diesen Kerl so gezeichnet, als er mit seinem Kumpan im Wald auf leichte Beute gelauert hat“, erklärte Knappe Maximilian. „Dem anderen ist der Raubzug nicht so gut bekommen. Hab ihm seinen Kopf vor die Füße gelegt.“

Mit offenen Mündern starrten die Männer den zierlichen Knappen an, als dessen Ritter bestätigend nickte. Zwei Frauen kamen aus dem Haus, um die Fremden zu begrüßen und sie hereinzubitten. Einer der Männer kümmerte sich um die Pferde der Reisenden.

„Seid Ihr beide verletzt?“, fragte der Hausherr, Ritter und Knappen von Kopf bis Fuß musternd.

„Nur mein Herr“, erklärte Maximilian. „Auf ihn erfolgte der Angriff aus dem Hinterhalt am heftigsten. Könnt Ihr mir Arznei für seine Wunden verkaufen, die da sind: Prellungen, Stauchungen, Schürfwunden und ein oberflächlicher Dolchstich?“

„Ich bringe Euch, was Ihr benötigt. Meine Schwiegertochter wird das Blut aus Euern Kleidern waschen“, bot die Bäuerin an, worauf ihr Maja die Umhänge reichte.

Maja legte eine Goldmünze auf den Tisch. Sie wusste, dass Georg dafür wahrhaft königliche Behandlung bekommen werde. So standen auch Augenblicke später Speise und Trank auf dem Tisch und Georg bekam ein Bett in einer Kammer im Haus. Der Knappe erhielt zwei Schaffelle, damit er sich komfortabel auf den Boden legen konnte, um nah bei seinem Herrn zu sein.

Georg überlief ein wohliger Schauer, als Maja die Salbe auf seinem nacktem Oberkörper verteilte und auch alle jene Stellen streichelte, an denen keine Blessuren zu entdecken waren.

„Ihr habt mir noch immer nicht erzählt, warum Ihr für den Medicus Kopf und Kragen riskiert, indem Ihr mir helft“, beschwerte sie sich halb im Scherz, Georg sein Hemd reichend.

Der zog sie neben sich ins Bett. „Aus dem gleichen Grund, aus dem ich mich ab heute für Euch in Stücke hacken lassen würde, wenn ich Euch damit vor dem Tod bewahren kann. Er hat mir bei einem Turnier das Leben gerettet, als mich alle schon aufgegeben hatten. Irgendwie war es ihm gelungen, das fast erloschene Lebenslicht wieder anzufachen.“

„Ich vermute, der heutige Sturz vom Pferd hat alte Verletzungen wieder aufbrechen lassen“, murmelte sie.

„Genau so fühlt es sich an“, gab Georg zu. „Ihr werdet mich jetzt sicher für einen Schwächling halten.“

„Ganz bestimmt nicht. Ich weiß selber, wie es ist, wenn einem das Wetter in die Knochen fährt.“ Sie massierte ihren Ellbogen, der bei Kälte und jedem Wetterumschwung heftig ziepte. „Hab früher immer über die Alten gelacht, wenn sie über ihr Zipperlein klagten – heute liegt es mir fern, sie darum zu verspotten. Aber das kann wohl nur nachvollziehen, wer selbst betroffen ist.“ Sie kuschelte sich an, wünschte eine gute Nacht und schlief in kürzester Zeit ein.

Georg hielt sie fest im Arm und ließ noch einmal vorüberziehen, was er in der kurzen Zeit mit ihr erlebt hatte. Es war wohl das erste Mal, dass er eine Frau nicht als Last oder Spielzeug betrachtete. Dieses, so verletzlich wirkende, zarte Geschöpf hatte wie eine Bestie zugeschlagen, als es um Leben oder Tod ging.

Dass sie anders war, als alle anderen Frauen, hatte ihm schon Meister Fabian berichtet. Sie schien Dinge zu wissen, die weit über das hinausgingen, was die besten Gelehrten kannten. Er hatte sie ja mit eigenen Ohren Worte sprechen hören, die ihm völlig fremd waren. Und dann diese seltsame Beinkleid, das sie trug … ein Stoff, den er noch nie gesehen hatte …

Am Morgen hatte Georg keineswegs vergessen, was ihm am Abend durch den Kopf gegangen war. Maja lag noch immer an seiner Seite, ihre Hand ruhte auf seiner Brust. Erfreut, nicht nur davon geträumt zu haben, lächelte er.

Sie blinzelte völlig verschlafen. „Wie geht es Euch?“

„Mit der wundervollsten Frau an meiner Seite, hervorragend!“

„Soviel zum Ego“, schmunzelte sie. „Und was sagt der Körper?“

„Der hält sich zurück, um Euch keinen Kummer zu machen. Ich glaube, die Weiterreise dürfte kein Problem sein. Wir nehmen Euern Gefangenen mit, den wir in Brixen dem Gericht übergeben werden. Vielleicht springt eine kleine Belohnung heraus, die uns nur recht sein kann.“

Mit allen guten Wünschen der Bauersleute und frischem Proviant machten sie sich etwas später auf den Weg. Den Delinquenten hatte Georg bäuchlings quer über dem dritten Pferd verschnürt, damit der nicht die geringste Chance hatte, zu türmen. Das Gewimmer und Schmerzgeschrei, weil er die Stricke etwas fester gezogen hatte, interessierte keinen.

Georg nahm den Faden zum vergangenen Abend auf: „Woher hattet Ihr die seltsame Münze?“

„Kriegsbeute“, entgegnete Maja leise. „Die beiden Gauner hatten reiche Ernte gehalten, bis wir ihnen das Handwerk legten. Der Fiorino stammt sicher von einem Kaufmann, den sie um Gulden und Leben erleichtert haben. Ich habe den Inhalt der Geldkatze an mich genommen und nur ein paar Kupfermünzen zurückgelassen.“ Sie schob ihren Umhang ein wenig zur Seite, um ihm einen Blick auf einen prallgefüllten, auffallend großen Geldbeutel zu geben, den sie in einen seitlich aufgeschnittenen ledernen Trinksack geschoben hatte, wodurch er für Uneingeweihte auch als Wassersack erschien.

Ritter Georg schüttelte stumm den Kopf. Sie überraschte ihn immer wieder. Aus den unmöglichsten Situationen zog sie einen Vorteil, der ihnen beiden von Nutzen war. „Ihr seid der beste Weggefährte, den es geben kann!“

„Heißen Dank, mein hoher Herr.“ Maja deutete, wirklich erfreut über das Lob, ein Verbeugung an. „Euer ergebener Knappe tut, was immer er kann.“

Am Nachmittag musste es nicht mehr weit bis nach Brixen sein, denn die Wege wurden zunehmen voller. Unzählige Augenpaare musterten die beiden Reiter mit ihrem Gefangenen, der wahrhaft jämmerlich aussah. Als sie die Stadtmauer passierten, fragte Ritter Georg sofort nach dem Sitz des Gerichtes und bekam zuvorkommende Auskunft.

„Es hat sich einiges verändert, seit ich das letzte Mal hier war“, stellte Maja fest, nachdem sie sich lange umgeschaut hatte.

„Ihr kennt die Stadt?“ Georg schaute Maja verblüfft an.

„Nur von der Durchreise“, schränkte sie sofort ein. „Damals habe ich völlig vergeblich versucht, einen Labello-Stift zu kaufen. Am Ende habe ich Babycreme genommen, um die wunden Lippen einigermaßen zu beruhigen.“

„Dann wart Ihr also im Winter hier?“

„Nein, bei 30 Grad im Schatten. Die aufgeplatzten Lippen hatte ich der Klimaanlage des Reisebusses zu verdanken.“

Georg starrte sie an, als habe sie den Verstand verloren, oder vielmehr, als werde er ihn gleich verlieren. „Was ist ein Stift? Was eine Klimaanlage? Von einem Reisebus habe ich auch noch nie gehört!“

Maja zuckte zusammen. Die Erinnerungen waren ihr versehentlich verbal entglitten. „Wenn ich es Euch wirklich erkläre, lasst Ihr mich vielleicht als Hexe verbrennen“, raunte sie.

Georg packte sie fest am Oberarm. „Kein Wort weiter, solange wir in der Stadt sind!“, wisperte er zurück. „Sonst versohle ich Euch die Kehrseite, mein Herr Knappe!“

Wenig später war er froh, dass sie sich wortgewandt aus jeder Affäre ziehen konnte. Der Richter der Stadt hatte es nämlich für merkwürdig befunden, dass ein Knappe, der nicht mehr ganz so jung zu sein schien, mit erstaunlich heller Stimme sprach.

„Wisst Ihr, hoher Herr, ich hatte als Knabe einen sehr bedauerlichen Unfall … na ja … der Sprung von einem Baum endete rittlings auf einer Mauer … muss ich Euch ganz genau erzählen, was der Doktor gesagt hat?“ Dabei knetete Maximilian die Hände, als sei es ihm furchtbar peinlich, Details preiszugeben.

„Nein, das müsst Ihr nicht. Ich bin auch so im Bilde“, bekam er zur Antwort und atmete erleichtert auf. Georg musste sich mühsam das Lachen verbeißen. Maja hatte es wirklich faustdick hinter den Ohren.

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