Der Nixen-Clan

Band 1

...

»Wenn es dein Wille ist, die Nacht bei mir zu schlafen, dann müssen wir deine Haare trocken bekommen.« Ein Griff ins Regal und schon fauchte der Fön mit mäßig warmer Luft. »So etwas darf niemals in die Nähe von Wasser«, schärfte ihr Bernd noch einmal ein, während er ganz selbstverständlich ihre blonde Mähne bearbeitete. Jana wäre ausgerastet, hätte er auch nur den scherzhaftesten Versuch gewagt, sich ihr mit dem Fön zu nähern. »Dein Haar trocknet ungewöhnlich schnell«, staunte er, packte das Gerät wieder weg und nahm Adaia auf die Arme. »Halte dich gut fest, auf der Treppe wird es eng.« Die Nixe schlang ihm die Arme um den Nacken. Da war es wieder, das Gefühl diesen biegsamen Körper streicheln zu müssen, wie Bernd mit leisem Lächeln bemerkte. Er freute sich auf die Nacht neben ihr. Sie auf dem Schoß, auf der Bettkante sitzend, ließ er sich langsam umsinken. Einen Augenblick lang spürte er ihre festen Brüste auf der Haut, als sich die offene Pyjama-Jacke selbstständig machte. Tief durchatmend half er ihr, sich auf der ungewohnten Schlafstelle für die Nacht einzurichten. Mit den Worten: »Gute Nacht und sag mir sofort Bescheid, wenn du wieder ins Wasser möchtest«, löschte Bernd das Licht. Einen Augenblick später fühlte er, wie sich Adaias Hand zu ihm vortastete, die seine fest umklammerte. Mit einem Lächeln in den Mundwinkeln schlief er rasch ein. Als er im Morgengrauen erwachte, lag die Nixe fest an ihn geschmiegt, ihr Kopf ruhte an seiner Schulter und ihre Hand auf seiner Brust. Ihre ruhigen Atemzüge deuteten an, dass sie noch ganz fest schlief. Die trockene Umgebung schien ihr nicht viel ausgemacht zu haben. Also schloss er wieder die Augen, um die Nähe dieses märchenhaften Wesens, welches es eigentlich gar nicht geben durfte, mit allen Sinnen zu genießen. Dieses fröhliche Geschöpf hatte seine Pläne für die nächsten Wochen in einem einzigen Augenblick völlig umgekrempelt und allen Dingen einen neuen Sinn gegeben. Er hoffte, dass sie auch dann noch bei ihm bleiben würde, wenn ihre Wunden wieder völlig verheilt sein würden.

Darüber lässt sich reden, wisperte es in seinem Kopf.

»Erwischt! Du bist also doch schon wach!«, schmunzelte er.

»Und ich habe wunderbar geschlafen«, berichtete Adaia mit leuchtenden Augen.

»Die erste gute Nachricht des Tages.« Bernd hauchte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Lippen. Adaias Wangen färbten sich leicht rosa. Überrascht-fragend schaute sie ihn an.

»Wenn eine Frau mit einem Mann ins Bett geht, dann bedeutet das bei uns normalerweise, dass sie Sex mit ihm haben und sich möglicherweise auf eine dauerhafte Beziehung einrichten möchte«, erklärte er schmunzelnd. »Frauen erwarten dann, dass man ihnen Aufmerksamkeit und viele Zärtlichkeiten entgegenbringt, indem man miteinander schmust, kuschelt, sich liebkost und so weiter und so weiter. Verstehst du?«

»Nicht einmal die Hälfte«, gab Adaia zu. »Was ist Sex?«

»Ach, hab doch glatt vergessen, dass du einige Begriffe nicht kennst oder ganz anders.« Bernd rieb sich das Gesicht. »Sex ist zum Beispiel das, was du unter Paarung verstehst.«

»Und ich hatte ganz vergessen, dass Menschen immer Paarungszeit haben! Dann hättest du also, wenn ich keine Nixe wäre, gestern Abend…?«

»Aber ganz bestimmt!«, rief Bernd lachend. »Und heute früh und immer, wenn du auch gewollt hättest. Bei so einer hübschen Frau wird jeder Mann schwach.«

Obwohl Adaia beinahe dunkelrot anlief, musste sie auch lachen. »Mir gefällt, dass du ehrlich bist. Und wenn ich ehrlich sein soll, dann…«. Statt den Satz zu beenden, beugte sie sich über ihn und küsste ihn so leidenschaftlich, dass ihm richtig heiß wurde. Dann blinzelte sie mit beiden Augen. »Trägst du mich ins Wasser?«

»Sofort, mein Schatz!«

»Kann man eigentlich auch kuscheln, wenn es mit dem Sex wegen technischer Probleme nicht klappt?«, fragte Adaia unvermittelt.

»Ja, natürlich, jederzeit.«

Sie lächelte amüsiert. »Guuuuuut zu wissen«, und rieb ihre Wange an seiner Schulter.

Vorsichtig ließ er sie in die Wanne gleiten, wo sie sofort für einige Minuten untertauchte. Er beendete die Morgentoilette in dem Moment, als Adaia wieder auftauchte. »Hmm, du duftest«, stellte sie sofort fest. »Was ist das?«

»Rasierwasser.« Er hob die Flasche.

»Locken Männer damit Frauen an?«

»Manchmal schon und oft genau die Falschen.«

Adaia lachte übermütig. »Du musst bestimmt ganzen Schwärmen davoneilen.«

»Meinst du?«

»Na klar! Du siehst gut aus, bist ein netter Kerl, da müssen die doch ganz wild werden, wenn du auch noch so anziehend riechst.«

»He, he, he! Das ist ja gleich ein ganzer Sack voller Komplimente.«

»Voller Wahrheiten«, erwiderte sie mit großen strahlenden Augen.

»Wir müssen jetzt erst einmal einer ganz anderen Wahrheit ins Auge schauen, nämlich der, wie es deiner Flosse heute geht.« Kritisch betrachtete Bernd die Wundränder. »Offenbar war es gut, dass du auf dem Trockenen geschlafen hast. Es sieht viel besser aus als gestern. Auch die Risse und Abschürfungen an deinen Armen und Händen haben sich geschlossen.«

»Das liegt sicher am sauberen Wasser«, vermutete die Nixe. »Im offenen Meer wäre jetzt garantiert eine dicke schleimige übelriechende Schicht auf meiner Flosse.«

»Habt ihr keine Ärzte?«, fragte Bernd überrascht.

»Wir haben Heiler, aber ich komme so ja nicht zu ihnen. Ohne Flosse derart tief zu tauchen, ist fast nicht möglich. Außerdem kennst du dich mit Meereslebewesen ganz gut aus. Schließlich verbringst du sehr viel Zeit im Wasser und beobachtest, was geschieht. Du wirst schon das Richtige tun.«

»Hoffentlich«, murmelte Bernd. »Wenn es in drei Tagen nicht grundlegend besser aussieht, dann muss ich jemanden zu Rate ziehen, der sich mit Medikamenten für Meeresfische wirklich gut auskennt.«

»Oh nein!«, hauchte Adaia. »Niemand darf wissen, dass es mich überhaupt gibt.« Verzagt klammerte sie sich an Bernd Arm.

»Das lässt mich ja auch zögern, obwohl ich ihm bisher immer voll vertrauen konnte. Warten wir noch drei Tage, dann müssen wir eine Entscheidung treffen.« Sein nachhaltiges Magenknurren erinnerte ihn daran, dass es langsam Zeit wäre, sich um das Frühstück zu kümmern. Unverwandt starrte Adaia die Kaffeemaschine an, deren Blubbern und dunkler Inhalt der Glaskanne ihr nicht geheuer vorkam.

»Das willst du wirklich trinken? Sieht ja furchtbar aus!«

Lachend erwiderte Bernd: »Ohne dieses Gebräu am Morgen wird es ein ganz schlechter Tag. Du möchtest sicher Saft oder Mineralwasser haben.«

»Hab beides noch nicht probiert. Im Meer komme ich ohne zusätzliche Flüssigkeit aus. Saft klingt aber gut und macht neugierig.«

Rasch sichtete er seine Vorräte und holte eine Flasche Sanddornsaft. »Naturtrüb und aus meinen eigenen Früchten, von den Sträuchern da draußen, gemacht«, erzählte er, mit dem Kopf zum Fenster deutend.

»Du hast den selber gemacht?«

»Ja. Es sind nicht viele Flaschen, aber eigene Ernte schmeckt besonders gut.«

Nickend pflichtete Adaia bei. »Geht mir auch so. Der Tang aus der eigenen Plantage ist immer der beste.«

»Was soll ich dir zu essen bringen, fällt mir bei diesem Thema gerade ein. Brötchen und Ei sind bestimmt zu fremdartig für dich.«

»Aber das heißt nicht, dass ich sie von vornherein ablehne. Ich werde kosten und sagen, was am Ende auf den Teller kommt«, entgegnete Adaia ganz entschieden. »Bei uns wird auch gegessen, was der Gastgeber zubereitet.«

»Versuchen wir es«, schmunzelte Bernd. Mit solch brauchbaren Ansichten würde das Zusammenleben mit ihr sicher kein Problem werden.

...