---Die Chance, die aus der Kälte kommt

Kryo-Kunststoff-Recycling: Die Chance, die aus der Kälte kommt

Autor: Prof. Dr. med. Harry Rosin, Erkrath, bei Düsseldorf

Zusammenfassung:

Die Verbrennung von alt-Elektronik ist die gefährlichste Quelle von Dioxinen und anderen halogenorganischen

Giften. Der Export dieser Abfälle zur Deponie in ärmere Länder, wie nach Nigeria, ist

schändlich. Die einzige gute Möglichkeit, Elektronikschrott ordnungsgemäß aufzubereiten, ist das

Recycling bei tiefen Temperaturen, das Kryo-Recycling. Die dafür preiswerteste und effizienteste

Tiefkältetechnik und mechanische Verfahrenstechnik werden beschrieben.

Schlüsselwörter: Flammschutzmittel, Dioxine/Furane, Kohlenwasserstoff-Tiefkälte-Recycling von Alt-

Kunststoffen und -Elektronik

—————————————————— Vorgeschichte

1989/90, als sich die ersten Abfallberge aus alten Computern angesammelt hatten, bereitete die Vorstellung Sorge, dass dieser

Elektronikschrott verbrannt werden müsste. Die Kunststoffe von Elektronikteilen enthielten damals oft bromierte Flammschutzmittel

und dadurch einem Bromanteil von bis zu 8 Gew.-Prozenten. In Anwesenheit katalytisch wirkender Metalle, wie

Kupfer und Silber, musste die Verbrennung solchen Materials zu einer erschreckenden „Giftküche“ werden. Das Unglück von

Seveso, im Jahr 1976, war noch in guter Erinnerung.

Bei Normaltemperatur bietet sich keine Alternative zur Verbrennung an, denn Ausdruck in einer Leiterplatine z.B. sind

Kunststoffe und Metalle so eng miteinander verschweißt, dass eine saubere Separierung praktisch kaum möglich ist. So kamen

Herr Dr. Hans Preisendanz und ich zur Suche nach einer preiswerten,

umweltfreundlichen Tiefkältetechnik, denn Ausdruck jede Stoffart hat bei tiefen Temperaturen einen charakteristischen

Kälteschrumpfungsgrad. Metalle schrumpfen anders als Kunststoffe. An den jeweiligen Grenzflächen treten bei tiefen

Temperaturen Spannungen auf und wenn dann eine Mühle genügend Druck ausübt, trennen sich die einzelnen Stoffarten an

ihren Grenzflächen sauber voneinander. Bei tiefen Temperaturen werden thermo-plastische (unzerbrechliche) Kunststoffe und

Elastomere auch spröde und brüchig wie Glas, also leicht feinkörnig zermahlbar.

Einschlägige Erfahrungen lagen mit flüssigem Stickstoff als Kältemittel vor, z.B. als Cryogen(r)-Verfahren der Fa. Messer

Griesheim. Flüssiger Stickstoff kann aber nur in einem offenen System angewandt werden und ist daher für das Recycling einfacher

Massenkunststoffe oder Alt-Reifen oder Elekronikschrott zu unwirtschaftlich. Innovationen auf dem Gebiet der Kältetechnik,

der Mahltechnik und der Sortiertechnik mussten das Konzept der Tiefkälteanwendung vor allem preisgünstig machen.

Dieses Ziel und damit die industrielle Anwendungsreife und Anwendungsbreite unseres sog. Kryo-Recyclings (kryos= gr. Eis,

Frost) sind weitgehend erreicht.

Das Kryo-Recyclingverfahren für Alt-Kunststoffe, Alt-Gummi und Verbundmaterial wie Alt-Elektronik füllt mit Hilfe der neuen

Kohlenwasserstoff-Kältetechnik den „weißen Fleck“ im Kreis der etablierten Recyclingströme.

Von einer Recyclingquote, die sich bei Metallen, beim Glas und Papier wirtschaftlich längst bewährt hat, ist echtes stoffliches

Kunststoffrecycling weit entfernt. Dabei sind Thermoplaste und Elastomere für die hochwertige Wiederverwendung geradezu

prädestiniert. „Sortenreine“ Recyclate - durch Kälte-Versprödung und Material-schonende Feinmahlung wiedergewonnen -können

-bei etwa gleicher Qualität wie Primärware -zu einem viel günstigerem Preis angeboten werden.

——————————————— Technische Lösung

Drei verfahrenstechnische Innovationen senken die Betriebskosten des Kryo-Recyclings und erhöhen die Qualität der Recyclate im

Vergleich zu den konventionellen Verfahren:

die neue Tieftemperatur-Kältetechnik: Diese nutzt die drei Naturgas-Kältemittel Propan+Ethan+Methan nicht

in jeweils getrennten Kreisläufen wie bei konventioneller Kaskadentechnik, sondern wie beim Öko-Kühlschrank „Greenfreeze“

als Mischung in einem Ein-Kreis-System. Der Hauptkompressor muss nur den Druck von 15 bar zur

Verflüssigung von Propan leisten. Die kaskadenartige Temperaturabsenkung erfolgt ohne zusätzliche Energieaufnahme

durch fraktionierte Verdampfung der Kältemittel im Nebenschluss. Das bei -161°C verdampfende Methan kühlt

den Mahltunnel, in den die handtellergroß vorzerkleinerten Alt-Kunststoffe -Reifen oder Elektronikteile -über eine

Schleuse eingebracht werden. Um die Verdampfungsenthalpie der drei Gase optimal auszunutzen, werden sie nach dem

Gegenstromprinzip zur jeweiligen Vorstufe zurückgeführt. Als Gemisch erreichen sie über einen Roots-Vorverdichter wieder

den Hauptkompressor mit einer technisch günstigen relativ hohen Sauggastemperatur.

Damit der Mahltunnel sehr kompakt gebaut werden kann, wird die indirekte Kaskadenkühlung des Mahlguts noch um

eine direkte Kühlung nach dem Heat-Pipe-Prinzip im Tunnel ergänzt. Diese beschleunigt den Wärmeübergang und sorgt

für eine direkte kontinuierliche Abfuhr der Friktionswärme vom Mahlgut. Im Vergleich zum alten Cryogen(r)-Recycling mit flüssigem

Stickstoff sinken die Betriebsmittelkosten auf ca. 1/10. Der Kostenvorteil erweitert die wirtschaftliche Anwendungsbreite wesentlich.

die neue Mahltechnik im Kältetunnel: Das nicht schockgekühlte, sondern sukzessiv versprödete Material gerät zwischen

die zentralen Arbeitswalzen, die nur partiell in den kompakten Tunnel ragen. Der Anpressdruck wird durch außen liegende Stützwalzen

verstärkt. Das Walzengerüst ähnelt dem in der Metallurgie und Zementindustrie bewährten Sendzimir-Gerüst. Die

Walzenführung reagiert jedoch elastisch auf störende Brocken oder falls das Mahlgut sich vor dem Walzenspalt störend aufbaut.

Die gewünschten Korngrößen sind variabel einstellbar -bis zur Mehlfeinheit ! Störstoffe, wie anhaftender Schmutz oder

Schwerstoffe, wie Metalle und Mineralien, werden parallel zum Mahlprozess über Windsichtung oder Siebe abgeführt. Gegen

Staubexplosionen, z.B. bei Feinmahlung von Alt-Reifen, schützt das o.g. direkte Kühlsystem. Es verhindert auch die sekundäre

Oxidation der Polymerketten an den interkristallinen Bruchstellen. Die Rieselfähigkeit des Mischpulvers am Ende des

Mahlprozesses wird über spezielle Stiftmühlen gewährleistet.

die neue Trenn- und Sortiertechnik: Schon im Kältetunnel beginnt die Serie verschiedener, hintereinander geschalteter

Trenn- und Sortierverfahren, die über Rollbänder miteinander verbunden sind. Im Kältetunnel wird z.B. der Vorteil genutzt,

dass die altbekannte elektrostatische Trennung nach dem ESTA-Verfahren nicht durch leitfähiges Wasser beeinträchtigt

wird. Weitere Methoden entsprechen z.T. dem hochentwikkelten Stand der Technik, z.B. beim Cryoclass®-Verfahren der

Fa. Messer-Griesheim, das „On-line-Klassierung mit scharfen Trenngrenzen für höchste Ansprüche und bei hohen Durchsätzen“ erreicht. Innovative Verfahren verbessern die Feinsortierung von Mischpulver, das zahlreiche Materialsorten enthält. Eine

hohe Sortenreinheit und eine hohe Materialschonung mit aktiver Oberfläche des Feinkorns sind möglich.

Die Feinmahlung ermöglicht es, die Körner aus der oft veränderten, verbrauchten Oberfläche der Kunststoffteile von den

im Inneren liegenden zu separieren, die noch aus völlig intakter Grundmasse bestehen. Auch nach jahrelangem Gebrauch

sind Kunststoffabfälle i.d.R. nur unmittelbar an der Oberfläche verbraucht. 60-80 % der Masse bleiben intakte Grundmasse.

Sie kann nach gut entwickeltem Stand der Chemietechnik recompoundiert werden. Die Formmasse gleicht dann qualitativ

der von Primärware. Sie ist nur sehr viel preiswerter, weil das Kryo-Recycling etwa 40-mal weniger Energie verbraucht als die Neusynthese.

————————————————————— Ausblick

Eine Gruppe von Wissenschaftlern und Ingenieuren, die die Prognosen des zerstörerischen Klimawandels frühzeitig ernst

nahm, bereitete das Kryo-Recyclingverfahren dezentral sehr weitgehend für den industriellen Einsatz vor.

Die Ingenieur- und Naturwissenschaften haben das Kryo-Recycling anlässlich mehrerer Vorträge geprüft und für gut befunden, z.B.

Verein Deutscher Ingenieure (VDI), Verband der Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik (VDE) und Gesellschaft Deutscher

Chemiker (GDCh) (ROSIN 1998, ROSIN 2000). Es gilt nun, die etwa 12-jährige Entwicklungsphase in einer großtechnischen

Pilotanlage zu realisieren und zu optimieren.

Leider steht dem Kryo-Recycling immer noch der Wille der Müllverbrennungs-Lobby entgegen, den ganzen Globus mit

Müllverbrennungsanlagen (MVAs) aus Deutschland zu überziehen. Gegen die Erwartung dieses globalen Geschäftes lässt sich

ein Konkurrenzverfahren kaum durchsetzen.

Allmählich werden die Vorteile des Kryo-Recyclings in der Energiebilanz und im Preis aber immer attraktiver.

Die Summe der vom Kryo-Recycling aufzubereitenden Abfälle beträgt ca. 20 Mio. t/Jahr. Das entspricht dem Rückgang der Steinkohleförderung

von 47 Mio. t im Jahr 1997 auf 26 Mio. t jetzt. Die Wertschöpfung aus den hochwertigen Abfällen wäre deutlich

höher als bei Kohle! Die Zahl neuer Arbeitsplätze in Deutschland, die sich durch den Stofferhalt selbst finanzieren, liegt bei ca. 40.000 !

Die Vermeidung der Kunststoff-Verbrennung und damit der Müllverbrennung wäre nicht nur wichtiger Gesundheitsschutz,

sondern hätte viele ökologische und ökonomische Vorteile. In Kombination mit verbesserter biologisch-mechanischer Aufbereitung

kontaminierter Bioabfälle in technisch verbesserten Biologisch-Mechanischen-Aufbereitungsanlagen (BMAs) (siehe

den Beitrag von Bittel & Rosin zu Klärschlamm in diesem Heft ab S. XX ff.), wäre ein Verzicht auf Müllverbrennung möglich

-zum Wohle unserer Gesundheit, unserer Volkswirtschaft, des Weltklimas und der Natur allgemein. Die Evolution auf Erden

könnte positiv fortschreiten, die unnötigen thermischen und chemischen Emissionen einer globalen Müllverbrennung würden

ihr nicht den Rückwärtsgang aufzwingen!

Nachweise ROSIN, H. (1998): Chancen, die aus der Kälte kommen. Vortrag: VDI, VDE zu Göttingen, Göttingen 19.02.1998. ROSIN, H. (2000): Der Schlüssel zur globalen Kreislaufwirtschaft. Vortrag: GDCh, VDI, VDE und Göttinger Colloquium für Fragen in Wissenschaft, Technik und Ethik, Göttingen 30.11.2000. http://www.umwelt-medizin-gesellschaft.de | 21 | 3/2008

thema ......müllverbrennung ...... müllverbrennung ...... abstract The incineration of electronic waste is the most dangerous source of dioxins and other halogenated toxins. The export of that waste to poor countries, as to Nigeria, is shameful. The only good possibility, to treat electronic waste properly, is the recycling at cryogenic temperatures. A new hydrocarbon cryo recycling of plastics is described. Key words: Flame retardants, dioxins/furans, hydrocarbon cryo recycling of plastics and electronic waste