---Zur aktuellen Situation der Abfallwirtschaft (2009)

Müllverbrennung

Zur aktuellen Situation der Abfallwirtschaft in Deutschland

Autor und Kontakt: Dr. rer. nat. Hartmut Hoffmann Schlesienstr. 8 91217 Hersbruck Zusammenfassung: Eine realistische Sicht auf die aktuellen Abfallprobleme ist eine Voraussetzung zu ihrer Lösung. Merkwürdigerweise werden erreichteFortschritte, z.b. bei der Energieeinsparung, und der volkswirtschaftliche Nutzen nicht erkannt. Einige Probleme werden intensiv diskutiert, andere hingegen kaum wahrgenommen. Es ist zweifellos in den letzten Jahrzehnten viel Positives geschehen. Angesichts der zuweilen zu beobachtenden Meinungen, es müsse möglichst viel Abfall verbrannt werden, muss Sorge getragen werden, dass erreichte Fortschritte nicht aufs Spiel gesetzt werden. Schlüsselwörter: Nutzen der Abfallwirtschaft, Energieeinsparung, getrennte Abfallsammlung, Abfallmengenprognosen ————————————— Falsche Wahrnehmung der Thematik Abfall Die Wahrnehmung der Probleme mit dem Abfall ist in unserem Land auf mehrfache und zuweilen eigenartige Weise verzerrt: 1. Weil Umweltschutz angeblich etwas ganz Teures ist, werden von vielen vor allem die Kosten gesehen, z.B. für die Müllabfuhr oder für die Sammlung der Leichtverpackungen. Welchen Nutzen die Abfallwirtschaft bringt, wird meist übersehen, mehr noch, es wird der breiten Öffentlichkeit nicht vorgerechnet. Dabei gibt es wenige Bereiche des Umweltschutzes, bei dem über die Vorteile für die Umwelt hinaus der volkswirtschaftliche Nutzen so hoch ist wie bei der Abfallwirtschaft. Nicht zu vergessen ist der Beitrag der Abfallwirtschaft zur Außenhandelsbilanz in Höhe von 3,7 Milliarden € pro Jahr, nach Angaben des Instituts der Deutschen Wirtschaft (HENGHUBER 2006), und bei der Schaffung von Arbeitsplätzen, nach einer Studie des UBA sind es rd. 110.000 (KNAPPE 2007), ohne die Arbeitsplätze bei der Restmüllentsorgung und der Verwaltung. Die betriebswirtschaftliche Sichtweise überlagert wie so oft die volkswirtschaftliche. 2. Abfälle werden in Deutschland von den Haushalten recht sorgfältig getrennt, wobei es sicher noch Verbesserungsbedarf gibt. Zuweilen fehlt es an präzisen Informationen, und immer wieder werden die Menschen verunsichert. In einigen Teilen Deutschlands kommen dann auch mäßige Ergebnisse heraus, aber das gilt auf keinen Fall für das ganze Land. Widersinnig ist dabei auch, dass einzelne Probleme bei der Entsorgung der Kunststoffverpackungen dazu herhalten müssen, die getrennte Sammlung generell madig zu machen. Die getrennte Sammlung von Biomüll, Altpapier, Altglas und Metallen hat stets recht gut funktioniert, auch in schwierigen Zeiten, als z.B. der Preis für Altpapier sehr niedrig war. Denn die Verbrennung war auch damals teurer als die stoffliche Verwertung. Nun kann eine Plastikflasche für Getränke zwar nicht wieder zu einer Plastikflasche für Getränke eingeschmolzen werden, jedenfalls nicht mit einer Verwertungsquote von 100 %. Aber das behauptet auch kein ernstzunehmender Mensch. Trotzdem lässt sich dieses Material wieder verwerten, nur eben für einen anderen Anwendungsfall. Wichtiger wäre es, darauf hinzuweisen, dass Ärgerlich ist natürlich, dass die Verwertungsquote bei Verpackungsabfällen aus Kunststoff nach der Verpackungsverordnung nur 36 % zu betragen braucht. Diese Quote wird seit einigen Jahren erfüllt, inzwischen angesichts des Preisanstiegs für diese Sekundärrohstoffe sogar übererfüllt. Trotzdem darf der Rest verbrannt werden. Es ist aber unredlich, diese Tatsache als Beweis für die Sinnlosigkeit der getrennten Sammlung herzunehmen. Redlich wäre, eine höhere Quote für die stoffliche Verwertung zu fordern. 3. Widersprüchlich ist auch, dass in der Abfallhierarchie die Abfallvermeidung stets obenan steht, auch im bundesdeutschen Kreislaufwirtschaftsgesetz und in den Landesabfallgesetzen. Aber als es um gesetzliche Regelungen ging, die Mehrwegsysteme zumindest im Getränkebereich zu erhalten, versuchten einflussreiche Interessengruppen, vor allem die großen Handelsketten, jede Maßnahme in diese Richtung zu hintertreiben. Mit juristischen Schritten, mit teuren Kampagnen, die in der Öffentlichkeit Verwirrung stiften sollten, sollte die eigene egoistische Haltung knallhart durchgeboxt werden. Es kann doch nicht ernsthaft bestritten werden, dass die Wiederverwendung von Gegenständen ein wichtiges Element der Abfallvermeidung ist, und Mehrwegsysteme sind ein klassisches Beispiel für Wiederverwendung. ÖkoBilanzen zeigen, dass die Mehrwegflasche gegenüber der Einwegflasche deutliche ökologische Vorteile aufweist. Wer Mineralwasser in 1 Liter Einwegflaschen kauft, belastet das Klima viermal stärker als der Käufer von Mehrwegglasflaschen (SCHONERT et al. 2002). Vermeiden von Abfall vermindert nicht nur das Müllaufkommen. Sehr wichtig sind auch die indirekten Effekte durch die vermiedene Produktion der Gegenstände, wie die Verringerung der Luft und Abwasserbelastungen und die Einsparung bei Wasser, Energie und Rohstoffverbrauch. Nicht zu vergessen die vielen Arbeitsplätze, die im Getränkehandel von den Mehrwegsystemen abhängen. Aber das war den einflussreichen Interessengruppen völlig gleichgültig. Auch hier überlagerte die betriebswirtschaftliche Sichtweise wieder einmal die volkswirtschaftliche. 4. Zu Zeiten steigender Strom und Gaspreise, die ja nicht nur private Haushalte, sondern auch zahlreiche Unternehmen treffen, erscheint es nahe liegend, sich um eine preiswertere Energieversorgung zu kümmern. Nun wurde vielen Unternehmen als Lösung die Stromerzeugung durch die Verbrennung irgendwelcher Abfälle empfohlen. Das rechnet sich natürlich nur, wenn an der Rauchgasreinigung gespart wird. Kaum zu verstehen ist dabei die Haltung mancher Wissenschaftler, die solche Konzepte unterstützen und dabei übersehen oder verschweigen, dass die stoffliche Verwertung von Abfällen im Hinblick auf den Umgang mit den begrenzten Ressourcen erheblich effizienter ist als die thermische, gerade auch im Hinblick auf Energierohstoffe. Es wird in der Diskussion oft übersehen, dass bei der Verbrennung nur ein Teil des Heizwerts zurückgewonnen wird, während durch die stoffliche Verwertung von Abfällen erhebliche Mengen an Energie einzusparen sind, nämlich die zur Neuproduktion der Waren aus Primärrohstoffen. Im Vergleich dazu verbraucht das Recycling erheblich geringere Mengen an Energie. Auch bei Abfällen wie Altpapier und Altkunststoff hat Recycling diese Vorteile, und für metallische und mineralische Abfallfraktionen gilt dies natürlich sowieso. 5. Bei der Diskussion um neue Abfallverbrennungsanlagen wird immer wieder behauptet, die Rauchgasreinigung wäre inzwischen so effektiv, dass die Abgase nahezu völlig schadstofffrei wären. Nun hat es in den 1990erJahren zwar deutliche Fortschritte bei der Rauchgasreinigungstechnik gegeben. Obwohl diese Fortschritte noch nicht ausreichend sind, lässt sich sagen, dass es Verbrennungsanlagen gibt, deren Rauchgase die Grenzwerte der 17. BImSchV (2003) deutlich unterschreiten. Bei Neuanlagen wird jetzt aber an der Rauchgasreinigung gespart; die gesetzlichen Grenzwerte werden im Normalbetrieb nur noch knapp eingehalten, schon bei geringeren Störungen überschritten. Trotzdem wird immer mit den wenigen Verbrennungsanlagen argumentiert, bei denen die Grenzwerte der 17. BImSchV deutlich unterschritten werden können, auch wenn der Bau einer derartigen Rauchgasreinigung überhaupt nicht geplant ist. Wie unsinnig die Behauptung ist, die Abgase „moderner Abfallverbrennungsanlagen“ seien nahezu völlig schadstofffrei, zeigt sich am klarsten bei den Stickoxidemissionen: Bei der Verbrennung von 100.000 t Müll dürfen rund 110 t Stickoxide ausgestoßen werden. Selbst effektive Entstickungsanlagen schöpfen den Grenzwert etwa zu einem Drittel aus, als ob 35 t Stockoxide so gut wie nichts wären.

————————————— Tendenzen im Bereich der Abfallwirtschaft Entwicklung des Abfallaufkommens Prognosen für das zukünftige Abfallaufkommen sind immer mit Unsicherheiten verbunden. In Gutachten wird daher oft in verschiedenen Szenarien dargestellt, wie die Abfallmengen sich entwickeln könnten. Dabei werden häufig die Abfallmengen in Abhängigkeit von Bevölkerungsentwicklung und Wirtschaftswachstum prognostiziert. Die Berücksichtigung dieser beiden Faktoren ist aber nicht ausreichend. Erfahrungsgemäß hat die Umsetzung von konkreten Maßnahmen einen deutlich größeren Einfluss. So könnte z. B. durch Müllverbrennung die Verbesserung der Altpapiererfassung die Restmüllmenge weiter zurückgehen, auch wenn das Gesamtabfallaufkommen gleich bliebe. Umgekehrt könnte das Ende der Mehrwegsysteme im Bereich der Erfrischungsgetränke zu einem spürbaren Anstieg des Gesamtabfallaufkommens führen, ohne dass dadurch die Wirtschaft in irgendeiner Weise wachsen würde. Nach Auffassung des Umweltbundesamtes ist davon auszugehen, dass das Gesamtabfallaufkommen bundesweit in den nächsten Jahren trotz Wirtschaftswachstums weitgehend stabil bleiben wird. Die Menge an getrennt gesammelten Wertstoffen dürfte dabei weiterhin leicht steigen, während die Gesamtmenge an vorbehandlungsbedürftigen Abfällen in den kommenden Jahren weiter abnehmen sollte. Für das Jahr 2020 sagt die Prognos AG ein Aufkommen an Abfällen, die einer Vorbehandlung (einschließlich kalter Vorbehandlung in MBA) unterzogen werden müssen, von ca. 20 Mio. t/a voraus. Im Jahr 2005 waren es noch ca. 25 Mio. t (ALWAST 2006). Die Mengen an thermisch zu behandelnden Abfällen sollten nach Ansicht dieses Instituts von ca. 19 Mio. t im Jahr 2006 auf voraussichtlich 16 Mio. t im Jahr 2020 zurückgehen (ALWAST 2007). 16 Mio. t Müll im Jahr, das ist durchaus keine unrealistische Prognose für das Jahr 2020, wenn alles so weiterginge. Damit diese Zahl drastisch reduziert werden kann, hat die Umsetzung von konkreten Maßnahmen zur Vermeidung und stofflichen Verwertung eine hohe Priorität. Es könnte aber schlimmer kommen: Es gibt Bestrebungen, ab 2020 die vollständige Verbrennung des Restmülls vorzuschreiben, natürlich „aus Gründen des Umweltschutzes“. Weil alles biologisch Abbaubare gefährlich sei, müsse es im Feuer unschädlich gemacht werden. Die Reststoffe der Abfallverbrennung sollen zu 100 % verwertet werden, z.B. im Straßenbau, und Deponien würden unnötig (ECOLOGIC 2004). Diese völlig überzogenen Pläne wurden von einer Reihe von Fachleuten allerdings in einer ausführlichen Stellungnahme kritisiert (DOEDENS et al. 2006). Abfall-Importe Seit 2000 ist Deutschland zum Abfallimportland geworden. Der Höhepunkt des Imports genehmigungspflichtiger Abfälle lag im Jahr 2004 bei 6,5 Mio. t, und zwar nicht nur zur Verbrennung, sondern auch zur unbehandelten Ablagerung auf Deponien, was ja noch zulässig war. Seither sind die Importe allmählich um knapp 1 Million auf ca. 5,6 Mio. t pro Jahr zurückgegangen (UMWELTBUNDESAMT 2007). Der geschilderte Trend zu Industrieheizkraftwerken, die derzeit in Billigbauweise in Deutschland geplant werden, würde bei einer Verwirklichung aller Pläne zu massiven Überkapazitäten führen. Deutschland vornehmlich NordrheinWestfalen und SachsenAnhalt würde sich damit zum Abfallentsorgungsland Nr. 1 in Europa entwickeln. Auch Aufgrund der zu erwartenden Überkapazitäten ist zu befürchten, dass künftig vermehrt Abfälle aus dem Ausland nach Deutschland gebracht und hier verbrannt werden. Aus Italien werden ganze Güterzugladungen mit Hausmüll zur Verbrennung importiert. Und es ist schon jetzt klar, dass in der Anlage in Emlichheim (Niedersachsen) überwiegend Abfall aus den Niederlanden und anderen europäischen Ländern verbrannt werden soll. Seit 2005 ist auch ein deutlicher Anstieg der Exporte genehmigungspflichtiger Abfälle zu verzeichnen.Im Vergleich zu den Importen sind die Exporte mit 2 Mio. t immer noch relativ gering, wenn auch damit nicht unproblematischer. ———————————————— Schlussfolgerung Wie soll Europa denn mit der ansteigenden Knappheit an Rohstoffen fertig werden, wenn nicht vor Ort Vermeidungs- und Verwertungsstrategien geplant und durchgeführt werden? Es wird immer noch zu viel produziert und verbraucht! Um im Bild zu sprechen:

Wenn die Badewanne überläuft, muss zuerst der Wasserhahn abgestellt werden, statt immer breitere Abflussrohre einzusetzen.

Nachweise ----ALWAST, H. (2006): Die Abfallbilanz und Entwicklung in Deutschland ein Jahr nach Deponieende, Vortrag im Rahmen der 9. Mitgliederversammlung der ITAD, Würzburg 19.9.2006. ---ALWAST, H. (2007): Die Abfallbilanz und Entwicklung in Deutschland 2007, Vortrag im Rahmen der 10. Mitgliederversammlung der ITAD, Köln 10.9.2007. ---DOEDENS, H. et al. (2006): MBA und das Ziel 2020, Müll & Abfall 38(3): 120132. ---ECOLOGIC (2004): Strategie für die Zukunft der Siedlungsabfallentsorgung (Ziel 2020). Kurzfassung des Berichts zum FEVorhaben des UBA 201 32 324. ---HENGHUBER, G. (2006): Ein Jahr nach der Zeitenwende Konsequenzen aus der TASi für die Entsorgungswirtschaft, Müll & Abfall 38(10): 522524. ---KNAPPE, F. (2007): Potentialanalyse der deutschen Entsorgungswirtschaft, Umweltbundesamt Berlin/DessauRosslau, Texte 44/2007. ---SCHONERT, M. et al. (2002): ÖkoBilanz für Getränkeverpackungen II/Phase 2, Umweltbundesamt Berlin, Oktober 2002. UMWELTBUNDESAMT (2007): Abfallwirtschaft, Statistik der grenzüberschreitenden Abfallverbringung Basler Übereinkommen, Stand: 28.6.2007; unter: http://www.umweltbundesamt.de/abfallwirtschaft/abfallstatistik/basel.htm [letzter Zugriff: 18.6.2008]. ---17. BImSchV (2003): Verordnung über die Verbrennung und die Mitverbrennung von Abfällen (Neufassung). BGBl. I: 1633.

Aus: www.umwelt-medizin-gesellschaft.de | 21 | 3/2008 Müllverbrennung ...... Abstract The present waste problem can only be solved if looked at in a realistic way. Already achieved progress e. g. the saving of energy and the economic advantage is not being noticed. Some problems are discussed intensively, whereas others are scarcely noticed. During the last few decades a lot of positive action has been done. Attention has to be paid to the danger that already achieved progress could be lost on account of the demand for an increase of waste incineration. Key words: Economic advantage of waste management, saving of energy, separated collection of waste, predicted amount of waste