Jerusalemer Tagebuch
X 2022 -
X 2022 -
27.Januar
ad Bismarck
"Der preußische Ministerpräsident erfreuete sich lange Zeit der gleichen Unpopularität, welche in den Jahren der Vorbereitung ihrer Werke alle Handlungen und persönlichen Eigenschaften von bedeutenden Staatsmännern bertroffen hat."
Karl Hillebrand, Bismarck (Joural des debats 26.Juli 1866)
ad Luhmann
"Immer wieder hört man was von Luhmann und mag das langweilige Zeug nicht selber lesen. Soll ein anderer es tun und herauskriegen, was die alle an der Trantüte finden."
Wolfgang Pohrt, Brief an Norbert Hofmann 15.Januar 1998 (Pohrt, Werke Band 11 Briefe & Mails 1976-2016. Berlin, 2023 S.448)
Heimflug in sieben Stunden. Zigarettenetui verlegt.
25.Januar 2023
Chat GPT
Mit der AI-Textproduktion tritt zunächst die geisteswissenschaftliche wie poetische Textproduktion in ihr Endstadium ein.
Computergenerierte Textkörper, deren Programme von philologischen Alchemisten unter Aufsicht Dr. Frankensteins erschaffen wurden,
werden jede herkömmliche Form der Leistungskontrolle in Schule und Hochschule obsolet machen.
Der quasselindustrielle Komplex wird in abshebarer Zeit vollautomatisiert sein.
"Künstliche Dummheit" (H. E. Dohrendorf) kommt zu sich selbst.
Typus Erich von Kahler heute an der Universität undenkbar. Unter all den sauren und sauertöpfischen Westentaschenmandarinen würde selbst seinesgleichen versauern.
Tickets eingetroffen. 10 Krawatten unauffindbar.
24.Januar 2023
Lessings verschollenes Fragment "Über betörende Weiber" (um 1760) aufgetaucht. Bereite Edition vor.
Heidelberg, den 4. September 1805
Ich bin so unruhig um Dich und kann es gar nicht erwarten, bis ich Nachricht von Dir habe. Wäre nicht die wunderliche Hexerei des Geldes in der Welt, oder vielmehr, verstünde ich sie nur besser, so brauchte ich nicht lang zu warten, sondern ginge gleich, sie selbst zu holen.
Sophie Mereau an Clemens Brentano
"Frühstück bei Tiffany" von 1961 wiedergesehen. Capote war bekanntlich mit Audrey Hepburn als Holly Golightly nicht einverstanden gewesen. "Er hatte Dom Perignon bestellt" - sc. die Monroe - "und Rotkäppchen" - sc. die Hepburn - "bekommen", meinte meine Frau trocken.
"bei jedem bezahlvorgang schnurrt die vage aufmerksamkeit zu einem konzentrierten glutkern zusammen"
Robert Holunder ("Allgemeine Einführung in die Betriebswirtschaftslehre / Kreditwesen IX" / Vorlesung WS 2012/13
ich war zu oft im lidl,
sah viele waren neu,
und als ich sie bezahlte,
brach mir das herz entzwei.
Luigi Pareysons "Wahrheit und Interpretation" (dt. Meiner 2022) eingetroffen. Kann ich hier nicht mehr durchsehen. Handgepäck.
22.Januar 2023
appendix probi
lass vielen alles angedeihn,
und allen vieles still verzeihn,
lass von dem brotlaib mir ein stück,
und gib die pfandflasche zurück,
lass niemals fünfe gerade sein,
und reib dich nicht mit humbug ein,
lass selten vor der tür die schuh,
falls doch, lass ich dich gern in ruh.
21.Januar 2023
Sprache, Wahrheit und Hans Faverey (Études germaniques - N°3/2022)
Pedell entdeckt die Multidisziplinarität by proxy:
Gesendet: Samstag, 21. Januar 2023 um 10:46 Uhr
Von: "ralf frodermann" <ralf.frodermann@gmx.de>
An: andre.kieserling@uni-bielefeld.de
Cc: holunder@uni-bockwurst.edu
Betreff: Ihr beitrag in frankfurter allgemeine sonntagszeitung 22.januar 2023
guten tag herr prof. kieserling,
besten dank für Ihr o.a. kurzreferat eines offenbar redundanten soziologischen beitrags zur "interdisziplinarität"
und ihrer vermeintlichen karrierenachteile, nimmt man sich ihrer als wissenschaftler zu
innig an.
doch von welchen "wissenschaften" und von welchen geldwerten positionen in ihnen sprechen wir?
gewiss nicht von den quasselindustriellen modulen der universitäten und akademien, als da sind soziologie, philosophie,
pädagogik, kunstgeschichte, bis hinunter zu gender-studies, post-colonial-studies usw. usw.
kein mathematiker wird doch dadurch irgendwelche nachteile erleiden, wenn er sowohl in der
MATHEMATICAL REVIEW wie auch in MIND publiziert, d.h. die ergebnisse seiner "interdisziplinären"
arbeit möglichst flächendeckend an den mann zu bringen sucht. (mathematikerinnen dito)
und kein adjunkt der kosmologe wird unter seinen kollegen als nicht satisfaktionsfähig gelten, der zuweilen im ARCHIV FÜR MUSIKWISSENSCHAFT über bartoks MIKROKROSMOS veröffentlicht.
Ihr banaler satz:
"Jemand, der teils in meiner eigenen und teils in einer anderen Disziplin
publiziert, wird dadurch nicht zu einem für mich unverständlichen Wesen" (ibid)
vermutete unsereins übrigens eher in flauberts "Bouvard und Pecuchet".
hochachtungsvoll
Ralf Frodermann
20.Januar 2023
Unser Forschungsfreisemester neigt sich dem Ende zu. Philander von der Lindes de charlataneria eruditorum fürs Sommersemester vorzubereiten! Proseminar über Kants Zweckbegriff (Zweck-Mittel-Umkehr usw.) Vorlesung Ewiges Alter, Cicero, Jean Amery, Noberto Bobbio / alle zehn Semester derselbe Kram, merkt keiner. Schlaflos geschlafen. Übermütige Gattin in den Kissen. Champagnerflaschen sämtlich ausgelaufen.
19.Januar 2023
Über Goethes Lied und Gebilde wäre viel zu sagen, mehr noch zu beschweigen. Mein Kollege Walter Milchsack verwechselt in seiner jüngsten Arbeit zu dem Gedicht einmal mehr Interpretation mit Destillation. Unmöglich können wir seinen Beitrag in unseren Sammelband zum Text aufnehmen. Muss ihm das schonend beibringen. Seine Arbeit über Michael Lindener (1520-1562) war auch nur eine Mischung aus Prätention und Hochstapelei, immerhin passend, d.h. dem Lindener angemessen.
Gelehrte Bittgesuche (Aby Warburg)
Hamburg, 13.VI.1908
An die Direction der
Herzoglichen Bibliothek
zu Wolfenbüttel
Ich bitte sehr ergebenst mir mitteilen zu wollen, ob der Codex 277. A Extr.
außer den von D`Ancona (Arte 07.30) publizierten zwei Miniaturen auch
andere Abbildungen aufweist und ob die Hs. in dem gedruckten Cat(talog)
der H(erzoglichen) B(ibliothek) beschrieben ist.
Hochachtungsvoll
Dr. A. Warburg
(Archiv für Geschichte des Buchwesens 77 2022 S.132)
18.Januar 2023
Das Ende von Joseph Conrads "Herz der Finsternis" beschwört bekanntlich das Grauen. Das poetische Grauen Durs Grünbein beschwört in der FAZ vom 17.Januar 2023 - vetriebenenlyrisch - Das Entsetzen. Solchem Unfug kann nur mit Heinz Erhardt Bescheid erteilt werden: "Man muß sogenannte Schachtelsätze, die als Unart vieler Dichter, die teilweise sogar noch leben, weil man vergessen hat, sie totzuschlagen, gelten, meiden."
Traum von einem Museum. In jedem Raum historische Bürotechnik. Jene der 20er Jahre, jene der 80er Jahre usw. Rohrpost versus FAX, Mail versus Fernschreiben usw. Wache auf inmitten Tizians äffischer Laokoon-Parodie.
15.Januar 2023
Nach einer Ausflugswoche zurück im Hotel. Am Sinai gebadet und gebrütet. Sichtung der eingelaufenen Zeitungen etc. Allermeistes unerquicklich. Untaugliches unverdauliches, Darm als Hirn. Gedächtnis doch Müllhalde?
Zu Durs Grünbeis Gedicht Ameisenstraßen in der FAZ 10.Januar 2023 ("Apocylocyntosis gefällig?" fragten wir im November 2000 in unserem Brief an einen deutschen Dichter den Grünbein anlässlich seiner "Epistel an einen englischen Arzt" FAZ 14.11.2000 und fragen, antwortend, wir erneut.)
Ein jeder lern seine Lektion!
So wird es wohl im Hause stohn.
Christian Gotthilf Salzmann, Ameisenbüchein oder Anweisung zu einer vernünftigen Erziehung der Erzieher
Man muss nicht Christopher Caudwells Studie über die Grundlagen der Poesie Illusion und Wirklichkeit studiert haben, um mit dem Ameisenblödsinn des erbarmunsgslosen Nichttalents Grünbein keine Umstände zu machen.
Ratlosigkeit als Cliffhanger, Methode Ekphrasis,
Einbahnstraße Willkür, Durs am Wendehammer,
Auf den Lebensmitteln vom Vortag der Aufkleber:
Rette mich! Wer rettet die Ameisensackgasse?
Ameise im Parkvebot. Brotpreise / Eisstation Ameise.
"Und fast selbstverständlich ist es, daß ein Mensch
kein Hut ist" Christopher Caudwell, Studien zu einer
sterbenden Kultur. (1938) dt. Dresden, 1973 S.165.
Drei neue Anzüge gekauft. Hosen fühlen sich besser an als die Röcke.
8.Januar 2023
Pedell Frodermann / consilium abeundi fällig! Nachfolge mag sich schwierig gestalten. "Wer aber unnütze Kinder erzeugt,
was möchtest du anderes sagen, als daß er sich Mühsal
schuf und viel Gelächter seinen Feinden."
Sophokles, Antigone (646f.) Übs. N. Zink
3.Januar 2023
"Muss Kunst moralisch sein?" fragt bräsig-bissig die "Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft" (Heft 67/2 2022) auf dem Titelblatt sich und ihre Leserschaft. Nein, würde ich denken, ebenso wenig wie ein Steak durch sein muss oder ein Gaul lahm bzw. eine Frau hässlich.
In Thomas Valentins Schülerroman "Die Unberatenen". Feuerzangenbowle plus Wedekind.
Moderata Fonte.
Sehr glücklich, hier zu sein. Alle Nachrichten aus Deutschland bizarr bis stupid. Meine Gattin lehnt die Lektüre deutscher Gazetten seit Neujahr ab, vermutlich einer ihrer Vorsätze für 23. Lernt neuerdings Hebräisch, während ich mein Latein und Griechisch vergesse.
Gute Küche. Wenig Rotwein. Termin Zahnarzt.
1.Januar 2023
"Die Klitoris denken", Buch von Cahterine Malabou,dt.2021. Expedition zum G-Point?
Pedell Frodermann offenbar trotz Urlaub im Dienst:
Gesendet: Sonntag, 01. Januar 2023 um 15:04 Uhr
Von: "ralf frodermann" <ralf.frodermann@gmx.de>
An: andre.kieserling@uni-bielefeld.de
Cc: holunder@uni-bockwurst.edu
Betreff: Ihr beirag in der frankfurter allgemeinen sonntagszeitung 1.januar 2023
sehr geerhter herr prof kieserling,
besten dank für Ihren o.a. beitrag, der uns leser, wie immer im angenehmen tonfall
des kundigen thebaners, über den stand der soziologischen dinge informiert.
heuer referieren Sie aus einer arbeit zweier amerikanischer kollegen, die sich
der empirischen erforschung der zusammenhänge zwischen zeitungssterben, sozialklatsch,
journalismus sowie der allgemeinen verwahrlosung und em sozialen sittenverfall
widmet.
schon in der ära des frühen liberalismus war die vorstellung vom journalismus als "vierter gewalt",
aufklärungsagentur, öffentliche kritik usw. nichts als naives wunschdenken bzw. propaganda,
die in der folgezeit von balzac über gustav freytag (sein einschlägiges lustspiel "die journalisten"
wurde just vor 170 jahren uraufgeführt) bis karl kraus hinreichend seiner korruptibilität
überführt wurde.
seitdem muss jede form des journalismus prinzipiell als kompromittiert gelten.
zur illustration für den vermeintlichen ersatz journalistischer tugendwächter durch sozialklatsch,
der bei betschwestern landet, führen Sie aus:
"Wenn der Fabrikdirektor seine Arbeiter nicht schlecht behandeln kann, ohne dass wenig
später auch seine christlich denkende Gattin davon erfährt, kann dies die Arbeitsgerichte
merklich entlasten." (ibid.)
ein solches beispiel scheint eher der welt der hedwig courths-mahler zu entstammen, aber gewiss nicht
der arbeitsweltlichen realität postfordistischer gesellschaften, deren trusts und monopole sich längst
auf eine fulminante krise einzurichten begonnen haben.
fabrikdirektoren gibt es nicht einmal mehr im ohnsorg-theater und ob es mit den christlich denkenden
gattinen je weit her war, mag eva braun gewusst haben.
kurzum: tritt sozialklatsch an die stelle des journalismus, kann das nicht die arbeitsgerichte entlasten,
sondern allenfalls die arbeit des begriffs. dieser arbeit, nicht dem wohlfeilen geschwafel, sollte sich die soziologie
wieder zuwenden, will sie nicht endgültig obsolet werden.
beste grüsse
Ralf Frodermann
25.12.2022
Mein Leben kann noch viele Stunden währen.
Ernst Blass, Dezembermarsch
Noch eine Weihnachtsgeschichte:
Gesendet: Samstag, 24. Dezember 2022 um 09:25 Uhr
Von: "ralf frodermann" <ralf.frodermann@gmx.de>
An: Boris.Holzer@uni-konstanz.de
Betreff: Ihr beitrag in frankfurter allgemeine sonntagszeitung 25.12.2022
sehr geehrter her prof.holzer,
besten dank für Ihre o.a. ausführungen zur phänomenologie des weihnachtsfestes gelegentlich
einer älteren arbeit von caplow, die Sie kurz referieren.
über die funktion der gabentische am heiligen abend wäre vermutlich von marcel mauss
entschieden mehr und interessanteres zu erfahren gewesen als von dr.caplow.
Sie notieren abschliessend:
"Der Weihnachtscode dient aber nicht dazu, die perönlichen Beziehungen
reaistisch darzustellen, sondern sie bestmöglich in Szene zu setzen."
Freilich dient der "Weihnachtscode" auch dazu, persönliche Beziehungen "realistisch", besser: kohärent darzustellen,
zuweilen sogar auf sehr phantastische Weise. Ebenso kann er dazu dienen, unpersönliche, unwillkommene usw. geräuschlos zu ignorieren - durch nichtschenken.
frohe weihnachten!
Ihr
Ralf Frodermann
22.12.2022
Champagnerfrühstück (Taittinger). Alle Einladungen angenommen. Werden wir kaum schaffen, doch in Entschuldigungen in letzter Minute, statt Absagen in erster, sind wir geübter.
Über dem Nirgendssein spant sich das Überall!
Rilke
wenn du mit gläsernen blicken mich häutest,
vor meinen augen mein leben missdeutest,
dann und nur dann sei dir zugestanden:
alle logieren in todesbanden.
21.12.2022
Germania
"Die Leute dort sind aber - wer es nicht erfahren hat, wird es kaum glauben - bei all ihrer Wildheit äußerst verschlagen, ein Volk von geborenen Lügnern." Velleius Paterculus, Historia Romana II, 118 (1) Das bekanntlich keine aussprechen kann, ohne sie nicht auch zu glauben.
Weihnachtsgeschenke. Grüße an Ja- und Neinsager. Honorarverträge verlängern. Bürodinge. Neue Sekretärin?
19.12.2022
Überstrapazierte Zitate
Manche Zitate sind tot zitiert. Wer etwa noch Oscar Wildes Utopie/Landkarten-Bonmot zum Besten gibt, gilt schlechterdings als jemand ohne Geschmack, Wildes unwürdig.
Ebenso geschmacklos sind jene, die Prousts Madeleineepisode herauf beschwören, zuletzt Frauke Rüdebusch in einem Beitrag für "Der Sprachdienst" 6/22 S.261. Degoutant.
"Onomasiologie der Dummheit"
Die Weiber haben die Hoffnung längst aufgegeben, dass der Mann, geht er überhaupt noch zu ihnen, die Peitsche nicht vergessen möge. Toxische Männlichkeit hieß einmal Virilität und pflegte noch den abstoßendsten alten Jungfern, akademischen Mann- und Flintenweibern sowie tugendhaften Betschwestern und anderen Trutschen den Atem zu rauben.
Herrenkonfekt und Tee mit Gattin.
Aus der Psychopathologie und Sozialmedizin ist der Begriff des Aggravierens geläufig. Er wäre für die Soziologie dieser Zeit fruchtbar zu machen.
17.12.2022
Stupor mundi
"Lektüren zu Goethes Spätwerk" lautet der Untertitel zu Ernst Osterkamps Aufsatzsammlung "Sterne in stiller werdenden Nächten", Frankfurt, 2023. An germanistischen Fachkräften herrschte noch nie Mangel. Sie unterzubringen, nicht sie zu finden, ist das Problem geblieben.
Gipsbüste zu Lebzeiten / Pirmin Stekeler-Weithofer 70
Wolfram Gobsch und Jonas Held haben ihrem philosophischen Lehrer
Pirmin Stekeler-Weithofer ein Kuckucksei ins Nest gelegt, das schlechthin
als unbebrütbar gelten dürfte:
Gobsch/Held (Hrsg.): Orientierung durch Kritik. Essays zum philosophischen Werk
Pirmin Stekeler-Weithofers. Hamburg, 2021.
Drei andere Stekeler-Weithofer - Schüler, Leander Berger, Jakob Kümmerer und Max Stange,
haben eben einen Band mit Aufsätzen Stekeler-Weithofers (Das Wissen der Person. Eine
Topographie des menschlichen Geistes. Hamburg, 2022), versehen mit einer huldigenden
Einführung, publiziert.
Unter den vergessenen und zu vergessenden Schulen - Göttinger Hegel-Schule, Konstanzer Schule
Erlanger Schule etc. - ist die Leipziger Hegel-Schule Pirmin Stekeler-Weithofers wohl die jüngste.
Seit Eduard Gans ist die orthodoxe Hegel-Schule immer wieder renoviert worden.
Heute, unter ihrem Baumeister Stekeler-Weithofer, werden morsche Stellen ausgebessert,
alte Sickergruben geleert und neue Handläufe montiert.
Einem ihrer Zentralorgane entnehmen wir die folgende Blüte:
"Wenn Liebe sich zwischen zwei Menschen schiebt (sic),
entsteht eine Spannung, eine Verbindung zwischen zwei Subjekten."
Carmina Röger in: Leipziger Schriften. Eine Sammlung philosophsicher Texte.
3. Ausgabe Leipzig, 2020 S.61.
Wichtigtuerinnen solchen Schlages wird man selbst dann ihr Handwerk nicht legen können,
wenn sie begriffen haben, dass, wer von Marx nicht reden will, von Hegel besser schwiege.
Lit.:
14.12.2022
Poetische Skatologie
Vor zweihundert Jahren schrieb Grabbe sein Lustpiel "Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung":
Darin setzte er der Aufgeblasenheit deutscher Dichterlinge in der Gestalt des Poeten Rattengift
ein bis auf den heutigen Tag sehenswertes Denkmal.
Doch das nur nebenbei.
In der zweiten Szene des zweiten Aktes sehen und hören wir dem Dichter beim Dichten zu:
Rattengift (sitzt an einem Tische und will dichten).
Ach, die Gedanken! Reime sind da, aber die Gedanken, die Gedanken! Da sitze ich, trinke Kaffee, kaue Federn, schreibe hin, streiche aus, und kann keinen Gedanken finden, keinen Gedanken! – Ha, wie ergreife ichs nun? Halt, halt! was geht mir da für eine Idee auf? – Herrlich! göttlich! eben über den Gedanken, daß ich keinen Gedanken finden kann, will ich ein Sonett machen, und wahrhaftig dieser Gedanke über die Gedankenlosigkeit, ist der genialste Gedanke, der mir nur einfallen konnte! Ich mache gleichsam eben darüber, daß ich nicht zu dichten vermag, ein Gedicht! Wie pikant! wie originell! (Er läuft schnell vor den Spiegel.) Auf Ehre, ich sehe doch recht genial aus! (Er setzt sich an einen Tisch.) Nun will ich anfangen! (Er schreibt.)
Sonett.
Ich saß an meinem Tisch und kaute Federn,
So wie – –
Ja, was in aller Welt sitzt nun so, daß es aussieht wie ich, wenn ich Federn kaue? Wo bekomme ich hier ein schickliches Bild her? Ich will ans Fenster springen und sehen, ob ich draußen nichts Ähnliches erblicke! (Er macht das Fenster auf und sieht ins Freie.) Dort sitzt ein Junge und kackt – Ne, so sieht es nicht aus! –
Lange vor Rattengift war die ordniäre, degoutante Natur schon einmal einem Poeten und schöner Seele in die mimetische Parade gefahren:.
Im Hermaphroditus des Antonio Panormita lesen wir im ersten Buch (XL) ein Gedicht mit dem Titel An Crispus, bei dessen Loblied der Autor durch einen scheißenden Bauer unterbrochen wurde.
(Wir zitieren aus der zweisprachigen Ausgabe, Privatdruck Leipzig 1908. Sie erschien 1986, abermals in Leipzig, als Nachdruck. Hier: S.57)
11.12.2022
"Die ruhmvollen Blumenkohl-Ohren des Pionios von Smyrna", 64.Stück aus Reinhold Merkelbachs "PHILOLOGICA. Ausgewählte Kleine Schriften." (Teubner 1997). Auch kleine Dinge können uns entzücken.
Ich will viel lieber still zu den Büchern und zu meinem Grammophon
heimgehn.
Jakob Haringer, Portrait
föhnfughetta
föhnte der grünbein durs noch in irgendeiner seiner
schriften den hamster, liess ihn föhnen von
einem lyrischen ich in einer seiner schriften
- oder das meerschwein -, so die schreibschulab-
solverntin sirka elspaß ihre wimpern /
"ich föhne mir meine wimpern. gedichte." suhrkamp
2022. in der faz (10.12.2022) von einem schmock
zur "beeindruckens eigenständige(n) Stimme" inmitten
der "aktuelle(n) poetischen Vielfalt" erklärt.
auf der rolltreppe fahren die handgriffe
immer etwas schneller als man selbst*
(s.elspaß, ich föhne mir meine wimpern 2022 s.19)
auf der rolltreppe gibt es keine handgriffe,
auf der rolltreppe gibt es läufige handläufe.
die poetische impotenz der schreibschuleleven
wird übertroffen nur noch von jener kritischen ihrer
lobhudler und tristen westentaschenpanegyriker im
kostüm bankrotter journaille.
*Frau Elspaß lässt in Fettdruck drucken, was ihr offenbar ganz besonders wichtig
bzw. solcherart Markierung bedürftig dünkt.
Erwin Aberfett: ich versohle mir meinen hintern. gedichte über gedichte. (in progress #bockpress# 2022ff.)
10.12.2022
Buchgeschenk erhalten: The Gentle Art of Philosophical Polemics. Selected Reviews and Comments von Joseph Agassi (1988).
Der Berliner Slavist Wasserscheidt stellt in der "Zeitschrift für Slavische Philologie" (Heft 2 / 2022) die nicht üble Frage "Sind Einzelnomina-Fragen Sprechakte? Und wenn ja, welche?"
Antwort Radio Eriwan: Ja! Sie zählen zu jenen Illokutionen, die wir "negative Ratifizierungen" nennen würden. Sie geben zum Ausdruck, dass der jeweils vorausgegangene Sprechakt weiterhin erklärungsbedürftig ist.
Es (!) sei der Ordnung halber eingeschaltet:
Gesendet: Samstag, 10. Dezember 2022 um 14:34 Uhr
Von: "ralf frodermann" <ralf.frodermann@gmx.de>
An: andre.kieserling@uni-bielefeld.de
Cc: holunder@uni-bockwurst.edu
Betreff: Ihr beitrag in der FAS 11.12.2022
guten tag herr prof. kieserling,
besten dank für Ihren o.a. hinweis auf den suhrkamp-band karl mannheims zur kultursoziologe "soziologie der intellektuellen",
hier: auf einen darin enthaltenen beitrag mannheims zur "freischwebenden intelligen" der tuis, wie brecht despektierlich bis denunziatorisch
den stand der intellektuellen, der sich in schöner regelmässigkeit an der realität blamierte und blamiert, zu nennen pflegte.
als wasserträger des zeitgeistes und geübter pseudo-sophist weiß man, was Sie wissen:
"Das Zeitalter der Klassen und der Klassenparteien, dem Mannheims Text angehört, liegt längst hinter uns.
An der Mobilität der politischen Ansichten auch bei Immobilität der ökonomischen Lage finden wir
darum nichts Erstaunliches mehr." (ibid.)
welcher einsicht sich eine solche behauptung verdankt, bleibt unerfindlich. sollte sie mehr sein als
pure propaganda, wäre das erklärungsbedürftig.
vgl.
https://www.kosmoprolet.org/de/28-thesen-zur-klassengesellschaft
wer es über sich bringt, ordinäre armut mit "Immobilität der ökonomischen Lage" sprachlich abzubilden und damit zu camouflieren,
hat alles recht auf den orwell-preis des jahres 2022. die rede von bourgeois und citoyen liegt in der tat längst hinter uns.
best
ralf frodermann
PS:
und wer übrigens das verhältnis mannheims zur kritische theorie zu bestimmen sich veranlasst sieht,
bleibt auf helmut dubiels prinzipieller feststellung verwiesen, wonach "mannheims wissenssoziologie
den vertretern der kritischen theorie gerade in den kernpunkten ihres selbstverständnisses
als kontrastfolie ihrer positionellen selbstdefinition diente."
h.dubiel: ideologiekritik versus wissenssoziologie: die kritik der wissenssoziologie
in der kritischen theorie.
in:
Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Band LX / 2 1975 S.223
auf den einschlägigen text adornos aus dessen band PRISMEN hinzuweisen, scheint überflüssig.
7.12.2022
Nach der Regression des Bücherwurms zum Würmchen kommt der Kalauer zu neuen Unehren. "die ibisse des kranykus", der Edelkitschfeder Jan Wagners entglitten, bietet heute die FAZ ihrer Leserschaft zum Morgentee. Karoline Stöhr lässt grüßen. Heinz Erhardt hätte das besser gemacht. Ungefähr so:
Die Schabe im Ohr
O traurig ist's auf dem Ohr zu liegen,
Wenn es rauschend weltet im Weit,
Da möchte man lieber die Motten kriegen,
Und dann bliebe immer noch Zeit.
Unter jedem Kissen funkelt ein Wort,
Das zischt und singt vom Hobel des Lebens,
Zermalmt und baut auf einen jeglichen Ort.
Hier die Späne zu zählen wäre vergebens.
Leihwagen bestellt. Ausfahrt mit Doktoranden. (Holbein-Streit).
6.12.2022
Zigarren und ein Smokinghemd im Schuh.
Neues zu den beiden berühmten Briefen des jüngeren Plinius an Tacitus über den Versuvausbruch von Pedar W. Foss. Las eine Rezension in Bryn Mawr Classical Review von Frau Dr. Margot Neger (Universität Zypern). Bedankung!
"Die Lösung einer mathematischen Gleichung oder dergleichen hat mich stets weniger beglückt als die Lesung eines George-Gedichts oder die einer Wilamowitz-Parodie eines George-Gedichts. Ist Mathematik unter den gegeben Bedingungen ohnehin nicht bloß eine Haltung?" - Gestern Abend ein alter amerikanischer Mathematiker mir gegenüber an der Hotelbar.
5.12.2022
Gesendet: Samstag, 03. Dezember 2022 um 09:30 Uhr
Von: "ralf frodermann" <ralf.frodermann@gmx.de>
An: Boris.Holzer@uni-konstanz.de
Cc: holunder@uni-bockwurst.edu, Matthew.feinberg@Rotman.utoronto.ca
Betreff: Ihr Beitrag in Frankfurter allgemeine Sonntagszeitung 4.12.2022
guten Tag Herr Prof. Holzer,
besten Dank für Ihren o.a. Beitrag.
Sie referieren einen Artikel Ihrer kollegen
Feinberg, Simpson und Willer zum "Effekt des Extremen
auf die Akzeptanz des Moderaten".
Im englischsprachigen Bereich mag solche Forschung unter soziologen
noch angezeigt sein, in Deutschland ist sie ganz überflüssig.
hierorts hat man erlebt, dass die Radikalen unter den nationalsozialisten
hier und da zwar für Stirnrunzeln sorgten, aber insgesamt doch
der Bewegung keinen Schaden zufügte, im Gegenteil (sauerteigfunktion).
viel wichtiger als solche Forschung dürfte heute jene sein, die sich
dem Effekt des moderaten auf die Akzeptanz des extremen annähme.
Best
Ralf Frodermann
Noah auf Ithaca
Sind erst die Schergen von den Nachen
Und fließt der Schnaps gekühlt ins Maul,
Dann schau ich dem geschenkten Gaul
Gewiss nicht in den Rachen.
Über die "Ehe als Waren-Termin-Geschäft" (H. E. Dohrendorf) informieren in der heutigen FAZ drei Luzerner Kollegen.
3.12.2022
Schreibende Paare, auch Ehepaare. Von Levin Schücking und Louise von Gall bis herunter zu den Strittmatters (Erwin und Eva). Ausarbeiten. Bachmann, Frisch auslassen.
Dath erinnert heute in der FAZ an Joachim Lambek. Denken, danken, Zahl, tale.
In der FAZ vom 27.10.2022 hatte der Poet und Poetologe Jan Wagner im "Club-der-toten-Dichter"-Ton von seinen diversen Lesungen in Schulen berichtet. Lyrischen Seelenbeschälern wie Wagner und anderen ist keine Phrase zu armselig, um aus ihr nicht eine noch umfangreichere zu machen. Handlungsreisende in Sachen Lyrik usw. waren immer lächerlich. Und vor fremden Kindern oder Erwachsenenen zu sitzen und vorzulesen, wie unser Kollege Erwin Aberfett unlängst aus seinem neuen Gedichtband "Tittenmonster. In/Aus den Oberstübchen der Chefärzte", ist doch wohl ein Unding.
Wo, wenn nicht hier, sollen des Stolzes und der Wahrheit Tugend,
Die danach lechzen, auf den Strich zu gehn,
Ihre verdorbenen Seiten schütteln über eine Jugend,
Die zügellose ältere Herrn zu gerne gezügelt will sehn.
W.B.Yeats ("Angesichts der Nachricht, dass die Studenten unserer neuen Universität in die Empörung über unmoralische Literatur eingestimmt haben")
30.11.2022
Friedrich Wilhelm Wagners Grotesken "Jungfrauen platzen männertoll" (1920) vorgetragen. "Der müde Mond" und "Episode" machten gute Wirkung. Dem expressionistischen Furor der Texte ist mit äusserster Zurückhaltung der Deklamation zu begegnen.
Wollte einer die Metapherngeschichte der "Mich der frommen Denkungsart" schreiben, er müsste einen Exkurs zu Johann Christian Edelmanns "Die Begierde nach der vernünftigen lautern Milch" (1744) einschalten. Ich würde das Werk Dialektik der Milch nennen".
Neuralgie. Nikotinkarenz. Ausflug nach Tel Aviv.
28.11.2022
O what is Life? & and what is Man? And what is Death?
William Blake, Jerusalem
"Der Griesgram oder die Geschichte vom Topf" (Querolus sive Aulularia). Yannick Brandenburg (Wuppertal) kündigt mit seiner Dissertation zugleich eine Neuedition der spätantiken Komödie an.
Das verlorene Pils /
Notiz über weltliche Libation an Kiosken
Der verlorene Wein / Paul Valery (dt. R. M. Rilke)
Einmal hab ich (ich weiß nicht mehr unter
welchen Himmeln), als Opferung
an das Nichts, in das Weltmeer hinunter
Wein geschleudert in einem Schwung ...
Wer verlangte deinen Verlust,
Tropfen? Hieß es ein Seher gut?
Oder hat nur mein Herz so gemußt,
meint ich, den Wein vergießend, Blut?
Gleich und schon wieder wie immer
klärte durchscheinender Schimmer
vor mir das Meer, drin es rötlich verrinnt...
Weg der Wein, doch die Wellen sind trunken!...
Und da sah ich den herberen Wind
von Gestalten der Tiefe durchwunken...
Dürrenmatts Der Hund im Bett gelesen. Eine Art diplomatischer Vertretung Franz Kafkas in der Schweiz.
Zweck der sog. Geisteswissenschaften heute ist Nachweis ihrer Notwendigkeit. Zuletzt mit Aplomb: Martus, Spoerhase: Geistesarbeit. Eine Praxeologie der Geisteswissenschaften. Suhrkamp 2022.
26.11.2022
Posteingang:
Gesendet: Freitag, 25. November 2022 um 15:37 Uhr
Von: "ralf frodermann" <ralf.frodermann@gmx.de>
An: holunder@uni-bockwurst.edu
Cc: detering@phil.uni-goettingen.de
Betreff: Schillerlocken (Stilübungen en miniature / für den Gebrauch in der gymnasialen Oberstufe /788)
Die Langweile auf Erden
Eine Lectura Deteringis mit Sören Kierkegaard
"Langeweile ist der dämonische Pantheismus."
Kierkegaard, Entweder/Oder. (Die Wechselwirtschaft. Versuch
einer sozialen Klugheitslehre)
Am Schluß seiner Übung in einer Art soteriologischer Hermeneutik mit Humorbordüre
entfährt dem Autor Heinrich Detering der Satz:
"Es ist ein Lichtstrahl, der humoristisch zwinkert."
Heinrich Detering: Das Lachen im Himmel. Eine Lectura Dantis mit Thomas Mann
Dante Jahrbuch Band 97. 2022. S.79.
Ein Lichtstrahl zwinkert nicht humoristisch, sondern gar nicht. Ein Lichtstrahl
funkelt.
(Detering heute in der Frankfurter Anthologie auch lau über seinen, will sagen von ihm übersetzten Whitman. Brief an Ernst Ulkig.)
Axel Honneth hat einmal mehr Hegels Befund, wonach der kapitalistische Produktionsprozeß
den großen Erzieher welthistorischen Maßstabs darstellt, reformuliert. (Deutsche Zeitschrift für
Philosophie. 5/2022)
Im Licht der "Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie" von Marx nehmen sich
Honneths feuilletonistische Darlegungen zu "Hegels Analyse der Marktwirtschaft" relativ dürftig aus.
Es kommt einem vor, als sei Hegels Rechtsphilosophie erst letzte Woche aus der Druckerei
gekommen. Dass man seine Werke am Leitfaden ihrer Rezeptionsgeschichte zu interpretieren
hat, war schon besser bekannt gewesen.
Gegen Honneths nicht ernst zu nehmenden, halb-informierten Quark wirken die Ausführungen Gerhard
Scheits in seinem neuen Buch "Mit Marx. 12 zum Teil scholastische Versuche zur Kritik der
politischen Ökonomie" (2022) tatsächlich erhellend.
Wetterleuchten über der Stadt. Sternbild Orion? Lieder Muskatbluts.
25.11.2022
A. W. Schlegels Briefwechsel mit seiner Bonner Haushälterin Maria Löbel gelesen. Dokument professoraler Humanität.
"Die primäre Funktion des So-Sagens ist die phatische." Wolfgang Kemp heute in der FAZ. Das sitzt und trifft und hat noch Spiel.
Goethe gegen Tugendterror und Arbeit:
»Wär ich ein häusliches Weib und hätte, was ich bedürfte,
Treu sein wollt ich und froh, herzen und küssen den Mann.«
So sang, unter andern gemeinen Liedern, ein Dirnchen
Mir in Venedig, und nie hört ich ein frömmer Gebet.
Goethe, Venezianische Epigramme (72)
Aber hüte dich wohl, daß nicht ein schändlicher Rückfall
Dich zur Arbeit verleite
Goethe, Erste Epistel
Sorgenfreie Tage, schamerfüllte Tage.
Einladungen zum Wochenende.
21.11.2022
Obwohl vor Jahren aus der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft (oder Deutschen Dante-Gesellschaft?) ausgetreten (oder ausgeschlossen?), erhalte ich immer noch deren Jahrbuch. Band 158 2022 im Posteingang. (nota bene: Meine Übertragung von Philip Massingers "Eine neue Weise alte Schulden zu bezahlen" von 1633 den Herausgebern demnächst übersenden!)
undinggedicht für Heinz Erhardt
niemals hing die kiefer
schiefer,
manche meinten sogar
tiefer,
als just in jenem augenblick,
da stumme äxte fällten ihr
genick.
20.11.2022
non desperandum est:
Gesendet: Sonntag, 20. November 2022 um 13:36 Uhr
Von: "ralf frodermann" <ralf.frodermann@gmx.de>
An: andre.kieserling@uni-bielefeld.de
Betreff: Ihr beitrag in frankfurter allgemeine sonntagszeitung 20.11.2022
sehr geehrter herr prof. kieserling,
verbindlichen dank für Ihre Ihr o.a. kurzreferat eines beitrag von horbach, breit und mamelund
zum handling universitären wissenschaftsbetrugs etc. in Science and Public Policy 3 / 2019.
in einer gesellschaft wie der gegenwärtigen führt die kritische basisfiktion "alle sind kriminell"
vermutlich recht weit in die unterhölzer gesellschaftlicher erkenntnis.
aus ihrer kriminalliteratur plus SOPRANOS u.ä. dürfte in aller regel mehr über ihren objektiven zustand zu erfahren sein
als aus ihren soziologischen usw. selbstbeschreibungen, welche zumeist nur konformistisches ratifizieren.
vgl. h. e. dohrendorf über das "imperfekte verbrechen":
https://www.ca-ira.net/verlag/buecher/ausgabe-15/
https://www.ca-ira.net/verlag/buecher/ausgabe-16/
moralische aspekte sind irrelevant bzw. nur akademischer natur.
s. harry g. frankfurt: alternative möglichkeiten und moralische verantwortung. dt. reclam 2019
vermutlich ist das der grund dafür, weshalb studien wie die von Ihnen vorgestellte (insbesondere deren magere ergebnisse) substanzlos,
heuristisch unbefriedigend und insgesamt redundant wirken.
mit freundlichen grüßen
Ralf Frodermann
19.11.2022
Mit welchem Recht machen sie ihre Angriffe? Wie können sie in ihrer Raserei das Land anderer Leute antasten? Wieso reißen sie das eine nieder und plündern und rauben das andere, indem sie dem Frevel dieser Taten noch den Frevel hinzufügen, sich mit ihren Taten zu brüsten!
Libanios, Rede für den Erhalt der heidnischen Tempel (54) gr./dt. Tübingen, 2011 S.75
Was wir reden, wenn es aufhört zu gewittern
zur Lyrik Thilo Krauses
die Verlängerung der Hölderlinie
geh aber nun
und grüße die schöne latrine
zu thomas rosenlöchers Gedicht "die Verlängerung" und
frieder von Ammons deutung desselben in FAZ 19.11.2022
G.eich hat mit seinem pennäler-Gedicht "latrine"
nicht die "deutsche lyriktradition" in den schmutz
gezogen, indem er "urin" auf "Hölderlin" reimt,
wie der lyrikologe erschüttert von Ammon meint,
sondern allenfalls kalauernd in den Schritt gefasst.
Von von Ammons intertextuellen Behauptungen
geht so wenig reiz
aus wie von rosenlöchers datschengedicht im
muckertremolo, das namedropping des
Münchener lyrikfachwirts (celan, eich, voltaire)
macht's nicht besser, mir anderen Worten:
"Als ein Tauber diese Geschichte las, behauptete
er, es sei nicht richtig von den Blinden gewesen,
von der Farbe zu reden, doch er beharrte auf seiner
Meinung, daß von der Musik zu reden
ausschließlich tauben Menschen zustehe."
Voltaire, Wenn Blinde von der Farbe reden
(letzter Satz)
18.11.2022
der, der die, die das dass verkehrt schreiben
eines besseren belehrt,
ist wert,
dass man ihn ehrt.
Alte Weise
a.k.a. bullshit
der (m,w,d), die (m,w,d) der (m,w,d) das (m,w,d)
genus (m,w,d) macht (m,w,d) schwer (m,w,d), bleibt (m,w,d)
nichts (m,w,d) als (m,w,d) zu (m,w,d) tragen (m,w,d) den (m,w,d) kasus
(m,w,d) hinterher (m,w,d).
und jetzt sag "Die vierte Ekloge des Vergil"
von Peter Hacks auf, sonst, das verspreche
ich dir, geb dir mein verficktes Charlie-
Bukowski-Ehrenwort drauf, sonst wieder-
holst du diese Klasse und das wäre sowieso
besser.
16.11.2022
Philosophischer Ramschnachschub
"Darauf hinzuweisen, dass immer noch viele Menschen Nietzsche und Spinoza lesen, kann keine ausreichende Antwort darauf sein, warum die Rezeption und deren Behandlung noch immer aktuell sein sollen." Jean Yhee: Konfliktfähig. Die politische Streitkultur in Nietzsches Spinoza-Rezeption. Meiner 2022 S.14
Welche Leber kann einen solchen Unfug vertragen? Meine nicht. Darauf hinzuweisen, dass viele Getränke gestern abend ungetrunken blieben, kann kein hinreichender Grund dafür sein, sie heute morgen nicht zu trinken.
Im Gespräch mit der Jerusalem Post gestern erwähnte ich den Umstand, dass das in Deutschland notorische, sog. Gendern mancherorts, insbesondere in historischen Darstellungen, degoutant und überdies so unüberbietbar töricht wie fehl am Platz wirke. Als Beispiel führte ich einen Satz aus Michael Wildts "Die zerborstene Zeit. Deutsche Geschichte 1918-1945" (2022) an, den ich dem Kapitel 10 (Holocaust in Lemberg) entnahm: "Von Mitte November bis Mitte Dezember sollten alle Lemberger Jüdinnen und Juden in mehreren Phasen in das nördliche Stadtviertel Zamarstynow umziehen." (ibid. S. 413 Lizenzausgabe bpb 2022).
Gedichte Charles Bukowskis.
14.11.2022
Echtermeyer, Der Große Conrady, Der Ewige Brunnen - heilige Dreifaltigkeit der lyrischen Ladenhüter.
"herausragend-kraftvoller Autor wie Rolf Dieter Brinkmann" - im Ton des VHS-Lesekreis-Direktors kommt einer daher, der eine Art Bastelanleitung für Gedichte unter die Leute zu bringen such: Dirk von Petersdorff, Wie schreibt man ein Gedicht? Warum der gutgemeinte Blödsinn bei Reclam und nicht bei IKEA erschien, bleibt unerfindlich. Jedenfalls blieb es einmal mehr dem deutschen Professorenlyriker vorbehalten, die lyrische Gattung auf das Niveau erlernbaren Kunsthandwerks (Kreatives Schreiben) herunter zu bringen und damit der Banausie neue Echoräume zu erobern. (Derartiges Schrifttum hat sich übrigen nolens volens an Glenn Goulds unvergessenem Kabinettstückchen How to write a Fugue zu messen und messen zu lassen.)
Heike Monogatari meiner Frau geschenkt.
Storm-Jahrbuch 70 2021. Demandt über Storms Sinnspruch. - Adnoten!
13.11.2022
Was ist erquickender als schöne Brust-Granaten,
Worinnen Milch und Blut zur Kühlung hingerathen.
Celander
Allen Studentenromanen Freimund Zuschauers ist das gleiche, o.a., heterosexuelle Motto voran gestellt. Alle sind seinem Mann gewidmet.
Gesendet: Samstag, 12. November 2022 um 09:44 Uhr
Von: "ralf frodermann" <ralf.frodermann@gmx.de>
An: Boris.Holzer@uni-konstanz.de
Cc: Schnabel@cornell.edu, holunder@uni-bockwurst.edu
Betreff: Ihr Beitrag in Frankfurter allgemeine Sonntagszeitung 13.11. 2022
Guten Tag Herr Prof. Holzer,
Besten Dank für Ihren o.a. Beitrag.
Ihr kurzreferat einer in Social forces publizierten arbeit
von dr.Schnabel - im wesentlichen handelt es sich dabei offenbar
um eine sozialempirische Fußnote zu Durkheims bekannter,
religionssoziologischer Analyse "die elementaren Formen des
religiösen Lebens" von 1912 - erinnert u.a. an marx' "opiatthese".
im Kontext funktionalistischer Deutungen religiösen Lebens oder
"ungeglaubren Glaubens" (Adorno) sei an eine andere, von marx stammende Bestimmung
der Religion erinnert: er nennt sie den "Geist geistloser Zeiten".
dass solcher Ungeist mittlerweile nicht bloß religiöser observanz
zuzurechnen ist, ist alle Tage, nach manchen Zuschriften zu
urteilen, die uns erreichen, in vielen geistes- und
sozialwissenschaftlichen Hörsälen zu erleben.
mit freundlichen Grüßen
Ralf Frodermann
11.November 2022
Sogenannte philosophische Kontroversen muten heute lächerlich an. Spätestens seit der Schelling-Eschenmayer - Kontroverse nahm die Luft ständig ab, heute ist sie längst raus. Wo raus? Aus dem Bezirk des Ernstes.
Ebenso lächerlich die Vorstellung, einer wollte sich heute einen Nietzscheaner oder Schopenhauerianer oder dergleichen nennen. Er würde zu Recht als Narr gelten.
"Die Sprachen der Ironie und die Sprachen des Ernstes lassen sich nicht fein säuberlich sortieren", behauptet das Editorial der "Zeitschrift für Ideengeschichte" ( Winter 2022). Wichtiger als solche Phrase: Maurice Blanchots "Ernst der Ironie".
Der wackere Schulmann Karl-Wilhelm Weeber wirbt neuerlich für sein geliebtes Latein: "Schöner schimpfen auf Latein", lautet der Titel seines eben bei Reclam erschienenen Bändchens. Man spürt die Absicht des Hobbyaischrologen und ist verstimmt. Auch durch den Hintereingang der popuären Schimpfrede führt kein Weg mehr nach Arkadien. An die Stelle der toten Sprachen , samt ihrer je eigentümlichen hatespeech-Soziolekte, sind längst die untoten getreten.
10. November
Manche Ehen erinnern an Städtepartnerschaften, die es gar nicht geben kann: eine zwischen Babylon und Berlebeck etwa.
Emily Posts Benimmbuch (Etiquette) erschien vor hundert Jahren. Als alle Etikette schon zweihundert Jahre tot war.
accessus ad opus
Rezensionskollaps in der heutigen FAZ: "Die Allerschaffende, wieder" - so erschüttert, bedeutungshuberisch und dämlich hebt die Lobeshymne eines Schmocks auf einen neuen Gedichtband ( "Leuchtende Schafe" Gedichte. Mit einem beigelegten Plakat. 2022) Ulrike Almut Sandigs an.
Das "Zehnkampfschaf", Nr. 9 des Zyklus "Sport und Tiere" unseres Pedells, kommt mir in den Sinn:
https://sites.google.com/site/universitaetbockwurst/schreibwerkstatt-ehem-syndikat-für-prosa-nachschub/sport-und-tiere-svend-fleuron-käfig
Der untunliche Versuch, Frau Sandig zur Dichterin zu promovieren, wirkte in Heft 3 2018 der Oxford German Studies bereits unpassend. Beim neuerlichen Anlauf, einer bedeutungslosen "Profiteurin der Mediokrität" (H. E. Dohrendorf) geldwerten Respekt zu verschaffen, wendet man sich aus Takt der Kaschnitz zu.
Ausflug ans Meer. Gegrillte Rübchen. Stabschrecken im Bad.
7.November
Stilübung 1
Ja, soll denn weinen vor der Zeit,
wer noch kein Unglück hat erlitten,
was ohne Zweifel seiner harrt? -
Für heute sei es abgestritten,
für morgen sei es aufgespart.
Christoph Wilhelm Hufelands Schriften "Der Schlaf und das Schlafzimmer in Beziehung auf die Gesundheit" sowie "Über die Vergiftung durch Branntwein" waren 1802 erschienen. Unser Universitätsverlag bringt beide Kuriosa in Kürze als Weihnachtsgabe des Verlages heraus. Mit dem Geleitwort hänge ich übel nach. Herrje.
Blättern im "Almanach aus dem Verlag C. H. Beck / Der Aquädukt 1763-1988". Thomas Nipperdeys wehmütige Erinnerungen an ein "Bildungsbürgertum", dem auch er entstammte. Vieles Kluge mehr. Zu Versen aus Goethes Pandora. Über Adornos Beziehung zu Arnold Hauser. Klimakrise und Thomas Manns "skandalöse Unbildung". Verklungenes, vergilbtes Tun.
Sätze ohne Odem
"Unsere Seele ist so eingerichtet, daß sie das Widersprüchliche nicht wollen kann, weil sie es nicht denken kann", sagt Georg Simmel in seiner neunten Kant-Vorlesung. (Gesamtausgabe Band 9 S.130) Stimmt das noch?
Oder das: "und es wird eine Zeit kommen, da die Nation selbst sich jeder unwissenden, unanständigen, Regellosen Kritik als eines ihr zugefügten Schimpfs schämet." J. G. Herder, Kalligone (2)
"Was zu Ende geht, ist nicht der Kapitalismus, sondern nur seine liberale Phase. Ökonomisch, politisch und kulturell wird es in Zukunft für die Mehrzahl der Menschen immer weniger Freiheiten geben." Friedrich Pollock, Bemerkungen zur Wirtschaftskrise. (1935)
Thorsten Müllers Aufsatz "Ökologie und Arbeit als Fetisch. Der Green New Deal stellt ein zuverlässiges Corollarium zu Pohrts einschlägigen Analysen der Grünen dar. ISF ( Hrsg.): Ein Lichtlein für die Toten. Flüchtlingsabwehr, Klimaschutz, Corona. Freiburg, 2022 S.65ff.
5.November
Lese meiner Frau aus den Samstagzeitungen vor.
Bedeutungshuberisches Salbadern Durs Grünbeins in der heutigen FAZ über das vermeintliche Arcanum seiner Herkunft: "Damals kam es mir vor, als sei mein ganzes bisheriges Leben ein einziger langer Tag gewesen, an dem ich nach etwas suchte, das ich nicht finden konnte." "Das wird vermutlich sein Verstand gewesen sein", meinte sie trocken.
Festschrift der Internationalen Carl-Loewe-Gesellschaft zu ihrem 30-jährigen Bestehen eingegangen. Dachte erst an Freimaurer-Loge.
Essen, trinken, baden. Tag ohne Lektüre. Viele Briefe. Neuer Füller. Tinte (blau und schwarz).
4.November 2022
"Ok Boomer" - Woke Klatsche.
Schreib- und Nachttisch:
Jacksons "Das verlorene Wochenende". Und das "Anagenge". Krisenspecial "Exemplaria" Vol. 34 No. 3 2022.
"No shit Sherlock" - Evidenzbasierte Klatsche.
"Das Urbild der Menschheit" von Krause wieder da (Meiner 2022). Im Vorwort spricht der Herausgeber von "philosophischer Schaffenskraft" (S. IX ibid.)
Auch unter Philosophen scheint die Butzenscheibenschreibe wieder stark im Kommen. (Vgl. auch zu Krause "European Journal for Philosophy of Religion" Vol.14 No.2 2022)
30.Oktober
Aus dem Umkreis der Bitt- und Bettelschriften, der Suppliken, stammt die Textsorte "Bewerbungsschreiben". In der Sache hat einer, wie nicht anders zu erwarten, kulturhistorisch auf den Schivelbusch geklopft:
Gesendet: Samstag, 29. Oktober 2022 um 20:16 Uhr
Von: "ralf frodermann" <ralf.frodermann@gmx.de>
An: andre.kieserling@uni-bielefeld.de
Cc: Timo.luks@geschichte.Uni-giessen.de
Betreff: Ihr Beitrag in Frankfurter allgemeine Sonntagszeitung 30.10.2022
Sehr geehrter Herr Prof. Kieserling,
Verbindlichen Dank für Ihren o.a. Beitrag, im wesentlichen eine freundliche
Anzeige des schönen Buches "in eigener Sache. Eine Kulturgeschichte der Bewerbung" (2022)
von Timo luks.
Unter arbeitssoziologischen Gesichtspunkten dürften kulturhistorische Untersuchungen (a la Hermann Glaser etc.)
wie Jene des Historikers Luks allenfalls kulinarische Bedeutung haben und können als gut und schön
gelten wie andere Kulturgeschichten, der Pediküre, der awkwardness, des Fahrstuhls usw. Usw.
in Zeiten von bewerbungscoaching etc. Dürften Romane wie "Schule der arbeitslosen"
von Joachim Zeller oder Donald Westlakes "die Axt", Film von costa gavras, einen
auch soziologischen Erkenntnisgewinn ermöglichen, der über das bloß kulturhistorisch-interessante
Oder drollige und pittoreske weit hinausgeht.
best
Ralf Frodermann
Universität Bockwurst / "Die unbedingte Universität" / Mentem alit et excolit
28.Oktober
Kollege Dr. Johann Theodor von Tschesch schickt Manuskript seiner Antrittsvorlesung: Poetischer Pointillismus / Zu Liliencrons Gedicht Der Handkuß. Der junge Kerl gefällt mir, werde ihm als Gegengabe meine Flickengedichte (für Bliemchen) zukommen lassen. Scheint ein Organ für Sprache zu haben, nicht bloß einen linguistischen Verdauungstrakt.
Avoid loud and aggressive persons, they are vexations to the spirit. - Die Worte Max Ehrmans aus dessen Gedicht Desiderata gestern im Kopf, sitzend unter lauter ruhigen und freundlichen Menschen und diese Atmosphäre als wohltätig empfindend. Lärm als index falsi usw.
Gattin leider seit Tagen unwohl. Hält sich tapfer. Alle Einladungen zum Wochenende abgesagt. Lese ihr aus Casanova und Persius' Satiren (3) vor. Epiktet später.
26.Oktober 2022
Peter der Pflüger / Über schwulen Expressionismus
Ganz neue Blume? Hat man die schon werden sehen?
Die Welt trottet zum selben Stall?
Ist da aber etwas schwebend zwischen uns,
das plötzlich einen anfällt,
wie Pest Bauer und Herrn schlägt: Dann lieber doch,
sich verkriechen, betäuben,
schreien: Nicht ich, nicht ich!
Ehe es einen ansteckt. Sind wir nicht gesattelt
mit Lederglaubensartikeln,
die Sturm und Wetter überdauern?
(Reinhard Goering, Seeschlacht / Tragödie (1918)
Gesendet: Dienstag, 25. Oktober 2022 um 17:09 Uhr
Von: "ralf frodermann" <ralf.frodermann@gmx.de>
An: "Klaus Birnstiel" <klaus.birnstiel@uni-greifswald.de>
Betreff: notiz
restitutio in integrum
Die Wiederkehr des Surealismus im Gewand poststrukturalistischer Literaturtheorie in den 70er und 80er Jahren
trieb im akademischen Merve-Deutschland (West) besonders irrationale Blüten, von deren Aufbrühen
sich vermutlich eine ganze Studentengeneration in ihren akademischen Teestuben kaum erholen konnte.
Robert Weimann (DDR) und Manfred Frank (BRD) erläuterten ihren Studenten usw. die geistige Situation jener Zeit zu jener,
indem sie die frühromantischen Wurzeln jenes dekonstruktiven Betriebs und Spektakels freizulegen suchten.
Klaus Birnstiel erinnterte unlängst in einem Beitrag für das "Athenäum. Jahrbuch der Friedrich Schlegel Gesellschaft"
(30. Jahrgang 2020) daran; Birnstiel, "Durch keine Theorie erschöpft?" Frühromantik und Poststrukturalismus oder Amour fou
in Freiburg im Breisgau, ca. 1978.
Birnstiel schreibt u.a. (S.196 ibid):
Laermanns Anspielung auf den frühromantischen Theologen und
Philosophen Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, die an ein Wortspiel Nietzsches erinnert,
ohne diese Entlehnung kenntlich zu machen, mag in dieser mehr oder weniger geistreichen Polemik als einer unter
vielen Kinnhaken zunächst nicht weiter auffallen.
Warum hätte Laermann eine "Entlehnung" kenntlich machen sollen, die subjektiv vielleicht gar keine war?
Ist doch Schleiermacher ein sprechender Name - wie Frodermann -, nur besser geeigent für pejorative Zwecke.
Das wird - nach Nietzsche - anderen unschwer aufgefallen sein.
(Ist übrigens die Kritik der Rechthaberei selber rechthaberisch oder nur nicht-rechtaberische Rechthaberei, also restitutio in integrum?)
25. Oktober
Aus Goethes Römischen Elegien:
Denn mir bleiben weit mehr die Nebel des traurigen Nordens
Als ein geschäftiges Volk südlicher Flöhe verhaßt.
Neben dem Soldaten Schwejk war mir immer der Abenteurer Eskimo Welzl lieb und wert. Im Jounal Modernism / modernity (Vol. 29 Number 2 April 2022) erinnert der freundliche Kollege Dr. Paris aus New York an ihn. Dankesworte auf den Weg bringen.
Grad und Art der Geschlechtlichkeit eines Menschen reicht bis in den letzten Gipfel seines Geistes hinauf. Und, was Nietzsche sicher mit gemeint hat, bin in den übelsten Sumpf seiner Verstocktheit hinab. Man stelle sich die Gesichter des alten Stechlin, des Senator Buddenbrook oder der jungen Briest vor, wäre der Schweizer Dichter Kim d'Horizon mal in einem ihrer Salons aufgekreuzt.
22. Oktober 2022
Wind. Frühstück draußen. Eier und Humus. Toast.
Vor dem Pedell an keinem Ort der Welt sicher:
Gesendet: Samstag, 22. Oktober 2022 um 10:19 Uhr
Von: "ralf frodermann" <ralf.frodermann@gmx.de>
An: Boris.Holzer@uni-konstanz.de
Cc: p.tornberg@uva.nl
Betreff: Ihr beitrag in der frankfurter allgemeinen sonntagszeitung 23.oktober 2022
sehr geehrter herr prof. holzer,
besten dankf ür Ihre o.a. referat eines aufsatzes k.p. törnbergs zum beitrag digitaler medien zur sozialen polarisierung.
im wesentlichen und prima vista handelt es sich bei törnbergs tentativem versuch wohl um eine fussnote
zu theodor geigers "kritik der reklame", einem werk, das bis dato im kontext seriöser kritk sozialen medienbetriebs
der gegenwart zu wenig konsultiert wird.
in der "klassenlosen klassengesellschaft" gedeiht selbst der diskursive, meist von marx inspirierte spaltpilz nur noch mählich.
man hält ihn lieber klein, giesst ihn nicht oder leugnet ihn mitsamt der antagonistischen gesellschaft gleich ganz: vgl. aktuell
das pseudo-soziologische eleborat der beiden luhmann-pilze - zeitgemässe updates/avater von günter rohrmoser und erwin scheuch - kaube und kieserling,
"die gespaltene gesellschaft" (rowohlt 2022).
ob gruppen in dubiosen "echokammern" sich isolieren, virtuell oder anders oder soziale medien "eine Sortierung von Einstellungen
in großem Maßstab erst (zu) ermöglichen" (Holzer ibid.) - wichtiger ist allemal der befund christoph türkces, wonach sich
die regression der gesellschaft zur stammesgesllschaft bereits deutlich abzeichnet. (c.türcke, digitale gefolgschaft.
auf dem weg in eine neue stammesgesellschaft / münchen, 2019)
hochachtungsvoll
Ralf Frodermann
Universität Bockwurst / "Die unbedingte Universität" / Mentem alit et excolit
https://sites.google.com/site/universitaetbockwurst/
https://sites.google.com/view/universitaetbockwurst
"Das behutsame Sichabschliessen, die Verwandlung der Kommunikation
in unverbindliche Geselligkeit, der Formen wesentlichen Verkehrs
in verschleiernde Konventionen ist immer zugleich ein Absinken des
geistigen Lebens."
Karl Jaspers, Die Idee der Universität
21. Oktober
Material // Vortrag "Luthers Hochzeit" (un-developmental narrative)
Philologischer Anti-Darwinismus oder:
Genealogie des Nicht-Fortgesetzten
Luthers Hochzeit blieb unkomponiert bzw. ungeschrieben.
Um was hätte es sich gehandelt?
Aber keinem Zweifel unterliegt es, dass es sich auch bei dieser »Hochzeit Luther's« um ein Lob der Keuschheit gehandelt haben würde.
Schreibt Nietzsche über den unausgeführt gebliebenen Opernplan Richard Wagners.
Bernd Hamacher untersuchte Thomas Manns Luther-Projekt in seiner 1996 erschienenen Studie
"Thomas Manns letzter Werkplan 'Luthers Hochzeit' ", (Thomas-Mann-Studien Band 15).
A genealogy is a developmental narrative describing how a cultural phenomenon—such as a concept, value, practice, or institution—could have come about.
Matthieu Queloz in:THE MONIST Vol. 105 Issue 4 October 2022
Einkäufe. Zigarren, Zigaretten. Zeitungen. (Fotografie Nabokovs vor einem Kiosk.)
Stefan Georges unendlicher Singsang. Mahlers Revelgen, der Deserteur., ernster Bajazzo.
20. Oktober 2022
Neuer Komfort unter den Füßen. Freunde am Flughafen. Gimlets an der Bar. Großer Bahnhof en miniature.
"schlichthaus"
für Helen Garner
zu Jan Wagners Gedicht "Toastbrot" für Jan Brandt / FAZ 18.Oktober 2022
immer vorm schlichthaus, lungernd,
er und der andere jan, schriften lesend,
f a zetten, humbugen,
falten, bügeln, schlichtsein
schlimmer als brand, brände,
in denen asche zu asche,
staub zu staub zermahlen,
in wassergläsern wässern.
doch was bewog die narren, tau oder traube,
Es dem raymond geuss nachzutun,
sein "Toast" nachzuäffen, in mehltauigen
worten am wortleib sich mästen.
nichts vergessen im heimsuchungshotel
mittlerer versuchungen und das fehlen
des glitzernden klanges der portierglocke
in der lobby nicht missend,
den Blick der barfrau erwidernd,
ich lasse dich nicht, du sättigst mich denn,
die mies geleimten verse der pfuscher
verkehren in veilchen in ihren faces.
Graf: Warum, zur Hölle, seid Ihr so spät?
Ein Lehrer (mit Bola): Verzeiht, mein Prinz - Serenität.
Aus der Operette "Der Hinterlader von Glockenburg" von Bobby Holunder (1971)