"Ein gut gemixter Apercu, mit oder ohne Nachgeschmack, darf auf keiner Tagung fehlen.
Hier ein Beispiel:
Neusprech im 18. Jahrhundert / Bescheidener Vorschlag zur Entsaftung einer Lesefrucht
Die Sprachkritik ist so alt wie das Nachdenken über die Sprache überhaupt. Sie besagt, daß die Sprache immer und mit Notwendigkeit hinter dem Denken zurückbleibt.
Harald Weinrich, Linguistik der Lüge (1966)
Welche Veränderung in unserm Hause! Alles ist metamorphosiret! Kein Bedienter, kein Bauer darf meinen Oncle mehr gnädiger Herr, oder die alte Kunigunde gnädiges Fräulein nennen; sondern Sir und Lady müssen sie sprechen. Viele fragen den Magister um die Bedeutung dieser Titel; und dieser ist allemal bereitwillig, ihnen zu erklären, wie die Wörter a radice haben. Sein Dorf heist nicht mehr Kargfeld, sondern N. hall. Wir hatten am Montage alle Mühe, ihn darzu zu bringen, daß er einen Brief annahm, auf welchen noch a Kargfeld gesetzt war. Wiganden hat er umgetauft und Jeremias genennet. Der feinste Einfall ist die Auszierung eines alten Ganges, welchen er nunmehro mit dem prächtigen Namen einer Bildergallerie beehret hat.
Johann Karl August Musäus, Grandison der Zweite oder die Geschichte des Herrn von N. (Erster Teil, Neunter Brief) 1760
Zubereitung:
Texte mit Blicken heiß abspülen, d.h. memorieren.
Leichte Modulation dazu geben, ebenso Witzschnitz.
Pausenlime, mit viel Schaum auffüllen. Einige Tropfen Kohäsion.
Dekorieren mit Augenschliessen. Evtl. Hände falten.
Mit Wortlöffel (im Beipiel: Weinrichs Linguistik der Lüge) servieren."
Hildegard von Hohenthal: Von Grandison zu Obermann.
Briefromane im Mailzeitalter.
#bockpress# 2021 (Fußnote 3 S.788)
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"Auch könnte man sich fragen, warum in aller Welt der Kapitalismus überwunden werden muss.
Fragt sich im Modus Konjunktiv der Soziologe Johannes Berger in einem Symposiumsbeitrag zu Thomas Pikettys Kapital und Ideologie (dt. 2020) in der Soziologischen Revue (Bd. 44 Heft 1 2021).
Das nenn' ich Seufzersoziologie.
Wie gesagt, und ich kehre zu ernsthaften Dingen zurück, der gesäte Jargon Wittgensteins - vergl. Ende von Vorlesung XXX
seiner Vorlesungen über die Grundlagen der Mathematik 1939 in Cambridge (Was ich säe, ist höchstwahrscheinlich ein bestimmeter Jargon) ist nicht aufgegangen.
Dafür eine andere, ungleich üblere Jargonsaat, ich spreche von der Neusprechsaat, die Wittgenstein in den erwähnten Vorlesungen, hier Nummer XXIV, voraussah:
Gegen die Möglichkeit, Schwarz als Rötlichgrün zu bezeichnen, spricht einfach folgendes. Wir können uns vorstellen, daß jemand es so nennt, aber man kann alle möglichen Gründe anführen, die gegen eine solche Praktik sprechen, denn sie würde auf die Konstruktion eines entschieden unpraktischen Systems hinauslaufen. (ibd.)"
Prof. Dr.. Christian Freiherr von Auchjauche,
Interpellationen. Soziologie der Sprache. Einführungsvorlesung. (Zooming 13. Juni 2021)
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"Das eben ist die Frage nach der Universität, meine Herrschaften.
Theodor Gottlieb von Hippel, dessen Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber von 1792 vielleicht noch unbekannt ist,
profilierte jene folgendermaßen:
Vortrefflich für jeden, der Lust und Liebe zum Ding' hat, und doch so ziemlich ohn Jammer und Schad', für den, der es nicht hat.
In Hippels Lebensläufe nach Aufsteigender Linie nebst Beylagen (1778-1781), die Hegel noch schätzte und die heute, mangels Kenntnis, nicht einmal mehr verachtet werden können, finden wir das Blatt, aus dem wir zitierten.
Die Universität, so schließen wir aus Hippels Satz, ist der Ort der Indifferenz, will sagen der Ort der Identität von Indifferenz und Differenz."
Prof. Bobby Holunder, Das Ding Universität
Vorlesung 10. Juni 2021
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"Von Franz Overbeck habt ihr vielleicht schon gehört. - Nee, glaub' ich gar nicht!
'Religion, ohne moralische Gewissenhaftigkeit, ist ein abergläubischer Dienst', sagt Kant in seiner Pädagogik-Vorlesung und nennt solchen Dienst 'ein Opiat für das Gewissen'.
Von diesem sensus privatus zum sensus communis, will sagen von Kant zu Marx, ist es dann nur noch eine Stichstrasse."
Dr. Herbert Seltenarm,
Vorlesung "Theologie der Gesellschaft" 8. Juni 2021
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"Hans Ferdinand Maßmann, 1797-1874, bleibt der idelle Gesamtgermanist. Nicht nur begründete er seine Wissenschaft, sondern zugleich den Spott über sie, indem er zu ihrem Gespött wurde.
aber ihn selbst, meinen armen Hanswurst Maßmann, will ich in der öffentlichen Meinung wieder rehabilitieren, indem ich alles, was ich über seine lateinlosigkeit, seine lateinische Impotenz, seine magna linguae romanae ignorantia jemals geäußert habe, feierlich widerrufe.
(Heinrich Heine, Nachwort zum Romanzero)
Hegel schreibt in der Einleitung zu seinen Vorlesungen über die Ästhetik:
In allen diesen Beziehungen ist und bleibt die Kunst nach der Seite ihrer höchsten Bestimmung für uns ein Vergangenes."
(Hegel, Theorie Werkausgabe Bd. 13 S.25 Suhrkamp 1977)
und im Ersten Teil / Die Idee des Kunstschönen oder das Ideal:
Uns gilt die Kunst nicht mehr als die höchste Weise, in welcher die Wahrheit sich Existenz verschafft. (ibid. S.141)
Hegels Sätze vom Ende Kunst sind kein Gerücht, wie gerüchteweise zu hören war, sondern ein Befund.
(Lieber alles andere als dieses Oberprimanergerede. Beckett, Der Namenlose)
Und was ist schon das Ende der Kunst gegen das Ende der Arbeit!"
Erwin Aberfett: Endungen. Über erklärte/s und widerrufene/s Enden.
#bockpress# 2021 (im Druck)
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"'Es giebt aber auch ein Ergötzen an der Dummheit, in welches sich weder der Gifttropfen der Schadenfreude und des Hochmuths, noch der Wermuthstropfen wehmütiger Erinnerung oder der Beschämung hineinmischt, das also eine in jeder Beziehung reine Lust ist. Sie besteht in dem Gefühl, durch das Anschauen der Dummheit gefördert, gescheidt geworden zu sein.'
An die Worte des Halleneser Althegelianers Johnn Eduard Erdmann, seinem Vortrag Über Dummheit von1866 (S.28) entnommen, ist erinnert, wer den jüngsten Wirbel um die geplanten geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Stellenkürzungen an der Universität Halle zur Kenntnis nahm. (vgl. FAZ 4. Juni 2021)
Kollege von Petersdorff plädiert heute, auch in der FAZ, für oder gegen something, mehr analoge statt digitale Präsenz, glaube ich, - zum Glück verzichtet der Jenenser Troubadix mit Pensionsberechtigung auf die gebundene Rede - und läuft schließlich am Ende seines Beitrags so aus: 'Der Hochschulkörper könnte eine Zusatzinjektion von fröhlicher Wissenschaft, von Mut und Zukunftsfreude vertragen.'
Man mag mich insolent schelten, doch ich nenne solchen Schmarrn Narrenschmarrn und könnte nach Lektüre desselben eine Zusatzinjektion von altem Lagavulin, Drambuie und frischem Eiswasser vertragen, d.h. also einen Rusty Nail.
Doch kehren wir zurück zu Anatole France, kehren wir zu seinem Takt, seiner Meisterschaft, seiner Rhythmik zurück."
Prof. Bobby Holunder, Vorlesung "Prosa VII / Anatole France, Joseph Roth" 4. Juni 2021