Non sequitur
Über desultorischen Geist / Ein Stichwort zur geistigen Situation der Zeit
Mentalisten alten Schlages hatten noch einen Begriff von den Bedingungen, unter denen sich das menschliche Bewusstsein seine Wirklichkeit konstruiert. Doch die Zeit der Modelle ist vorbei. Negative Dialektik, Logik des Zerfalls, unzählige Leitbilder, dystopische Realabstraktionen, Zeitalter der Angst, wohin man sieht!
Quasselbuden wie Mc Kinsey Deutschland polstern das proklamierte, selten geglaubte positive thinking und seine derivaten Ideologien weiterhin, nicht ohne Mulmigkeit zu erzeugen, aus, indem si e etwa in einer aktuellen Studie –„ Wettbewerbsfaktor Fachkräfte 2011“- urbi et orbi vermelden: „Das Zeitalter hoher Arbeitslosigkeit geht zu Ende“.
Vorher geht allerdings erst das Zeitalter der Aufklärung, nunmehr auch auf der Benutzeroberfläche, dem Alltagsleben, zu Ende, um einem digressistischen zu weichen. Argumentationslogik, Stringenz und Kohärenz von Gedanken- und Beweisführung haben ausgedient. Die zwei aristotelischen Analytiken, Magna Charta formallogischen, falsifikationsresistenten und wahrheitsorientierten, abendländischen Denkens, sind Makulatur. Tertium datur!
Selbst small talk ist gegen Widersprüche immun: „Rot steht Ihnen wirklich gut!“ – „Ja, nicht wahr, gelb ist nämlich auch meine Lieblingsfarbe.“
Amorphe Gespräche, Gespräche ohne Gegenstand, ohne Struktur, ohne Anfang und Ende, ohne rationalen Aggregatzustand, Gespräche, die in niemandes Erinnerung bleiben oder zu neuen oder auch nur zu einer Fortsetzung alter taugen, bilden zunehmend die Regel innerhalb kommunikativer Vorgänge. Mit Implikationen ist eben sowenig länger zu rechnen wie mit allusiven Dialogstrategien. Alles, was gesagt werden kann, kann ungesagt bleiben.
Dem Wort, das auf die Goldwaage gehört, wird heute objektiv der Bescheid erteilt, man müsse es dorthin nicht legen. Der Schluss, der aus diesem Befund zu ziehen wäre, käme einer Kapitulationserklärung dieser Zeit vor dem Geist gleich. Also wird er nirgends gezogen.
(Leseprobe aus: R. Frodermann, "Im Rücklicht der Gegenwart / Inventionen I" Berlin, 2012
corrigendum)
„Als Totgeburt fiel er aus der Presse und fand nicht einmal soviel Beachtung, um wenigstens unter den Eiferern ein leises Murren zu erregen.“
David Hume über sein Buch "Ein Traktat über die menschliche Natur"
"..., denn Invention ist, in der Tat, ein vorsichtiges Eintauchen in die Negation, die außerhalb des Systems liegt, von einer fest im System verankerten Position aus."
Glenn Gould, Rat an eine Abschlussklasse.
dt. Reclam 2017 (Freiheit und Musik. Reden und Schriften.. S.9)