Der Spiegel des Aurëus

Band 1

(Teil 1 zum Roman)

...

Luigi schüttelte unmerklich den Kopf. Wenn Galantha, die man kaum von Stella unterscheiden konnte, deren Mutter war, dann konnte man Marc eindeutig als Riesenglückspilz bezeichnen. Bevor der Wirt noch lange über die Elfen nachdenken konnte stand ein Gast am Tresen. Luigi schaute auf. Der ältere Herr hatte gerade die Kristallelfe im Regal erspäht. Ein Lächeln flog über sein Gesicht. Mit einem leichten Nicken in Richtung der Figur bat er: „Würden Sie wohl so liebenswürdig sein, mich an ihren Tisch zu bringen?“

Luigi kam nicht dazu eine abschlägige Antwort zu geben, denn der Fremde setzte fast flüsternd hinzu: „Ich weiß, dass Marc, Thomas und die beiden Elfen hier sind.“

„Ich möchte sie trotzdem erst fragen“, erwiderte Luigi, den Mann neugierig musternd. „Aber bitte! Sagen Sie ihnen Aurëus sei angekommen.“

Luigi verschwand hinter dem Raumteiler, während der Fremde zufrieden noch einmal die funkelnde Kristallfigur betrachtete. Marc kam persönlich, um Aurëus an den Tisch zu bringen. Er rief Luigi zu. „Ich habe ihm versprochen, dass er hier den besten Espresso der ganzen Stadt bekommt.“

Alle begrüßten den Zauberer herzlich. Aurëus bekam große Augen. „Meine Güte, ich hätte die beiden Frauen sicher erst auf den zweiten Blick wieder erkannt. Sie sehen einfach hinreißend aus.“

Luigi erschien mit dem Tablett. „Einmal Espresso a la Luigi.“

„Marc, du hast nicht übertrieben“, seufzte Aurëus, als er wenig später den ersten Schluck nahm. „Es ist ein Hochgenuss.“

Luigi freute sich über dieses Lob. Immer wieder kam er zu ihrem Tisch, um entweder die neuen Bestellungen aufzunehmen oder an der Unterhaltung teilzuhaben. „Ich überlege die ganze Zeit schon, woher ich ihr Gesicht kenne. Sind sie nicht `Mister Goldman´ aus der Zaubershow?“, sprudelte er plötzlich heraus.

„Hmm, der bin ich“, bestätigte Aurëus.

„Herrlich! Mich hat Ihre Kaffee-Fontaine in der Tasse sehr beeindruckt“, erklärte Luigi strahlend.

„Diese?“ Aurëus tippte mit dem Finger auf die Oberfläche des heißen Espresso. Sofort sprudelte ein kleiner Springbrunnen mitten in der Tasse, der genau am Rand des Gefäßes wieder zurücklief.

„Ach du lieber Himmel!“ Luigi schlug die Hände vors Gesicht. „Ich glaube ich träume. Wenn ich nicht genau gesehen hätte, dass Stella auch solch verrückte Sachen kann, dann würde ich mich noch heute in der Klapsmühle anmelden.“

Aurëus winkte lachend ab. „Es gibt verrücktere Sachen.“ Er tippte die Spitzen der beiden Zeige- und Mittelfinger zusammen.

Alle schauten ihn fragend an.

„Keine Sorge sie kommt schon“, murmelte der Zauberer.

„Sie?“ Thomas zog die Augenbrauen zusammen. „Welche S i e?“

Ein helles Funkeln blitzte auf.

„Meine Elfe!“, rief Luigi in namenlosem Schreck.

Tatsächlich, das kristallene Figürchen schwirrte quer über ihren Tisch, zog eine elegante Kurve und verschwand wieder im Regal.

„Sie kommen auch aus der Elfenwelt???“ Der Italiener musste sich setzen.

Aurëus schmunzelte amüsiert. „Lassen wir diese Frage als Antwort gelten.“

„Sind Sie ein Elf?“, fragte Luigi.

„Nein. Solche wie mich nennt man bei euch Zauberer“, sagte Aurëus leichthin.

Ein Zug des Begreifens huschte über Luigis Gesicht. „Dann sind Sie der, bei dem Marc damals Fenster geputzt hat.“

„Richtig.“ Aurëus ließ sich noch einen Espresso bringen.

Luigi servierte das Gewünschte. Dann wandte er sich an Marc. „Mario hat für heute Abend zwei Plätze bestellt. Ich habe ihm nicht gesagt, dass ihr wieder da seid und hoffe, dass das in eurem Sinn war.“

„Aber ja“, strahlte Thomas. „Dann ist die Überraschung umso größer. Wann kommen sie denn?“

„Zwanzig Uhr.“

Marc schaute auf die Uhr. „Da bleibt genügend Zeit für ein kleines Schläfchen.“

„Oh ja schlafen. Ich bin auch furchtbar müde.“ Stella unterdrückte mühsam ein Gähnen.

Marc bezahlte die gesamte Rechnung. Aurëus versprach, nun öfter einmal in der Pizzeria vorbeizuschauen, was Luigi veranlasste seiner Kristall-Elfe zuzuzwinkern.

„Wir sehen uns also heute Abend.“ Thomas stieg bei seiner Wohnung aus dem Taxi.

„Versprochen?“, fragte Stella.

„Versprochen.“ Thomas hauchte ihr noch einen Kuss auf die Wange. Er sah dem Taxi lange hinterher, bevor er die Treppe zu seiner Eigentumswohnung im zweiten Stock hinaufstieg. Hier sah alles genau so aus, wie an jenem Tag, an dem er das Haus verlassen hatte. Oder doch nicht? Thomas fühlte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten. Vorsichtig drückte er die Klinke zu seinem Arbeitszimmer herunter, öffnete die Tür einen Spalt und erstarrte. Neben seinem Schreibtisch stand eine Ritterrüstung. Genau jene, in der er gegen die Zwerge in den Kampf gezogen war. Thomas blies geräuschvoll die Luft aus. Fast liebevoll strich er mit der Hand über das Relikt aus einer längst vergangenen Zeit. Aurëus Macht musste gewaltig sein, wenn er dieses Ding unbemerkt hierher bringen konnte. Thomas war viel zu müde um weiter darüber nachzudenken. Er stellte seinen Wecker, legte Hemd und Hose über eine Stuhllehne, schlüpfte ins Bett und schlief auf der Stelle ein.

Marc nahm den Frauen die Jacken ab. Stella verschwand wie der Blitz in ihrem Zimmer. Als Marc noch einmal nach ihr sehen wollte war sie bereits eingeschlafen.

Galantha legte vorsichtig die ungewohnte, aber äußerst bequeme Kleidung ab. Etwas unschlüssig betrachtete sie Decke und Kissen auf dem Bett.

„Komm zu mir. Ich wärme dich ein bisschen.“ Marc schlug seine Decke zurück. Galantha ließ sich langsam auf die Matratze nieder, kuschelte sich an Marc, der ihr die Decke fürsorglich umlegte. „Ist das herrlich weich und warm. Ich glaube daran werde ich mich ganz schnell gewöhnen“, flüsterte sie, glücklich die Augen schließend.

Luigi sichtete seine Obst- und Nektarbestände im Lager. Alles was extra süß und zudem noch saftig war, stellte er gesondert. Seiner Wunschliste für den Lieferanten fügte er Position um Position hinzu. Von seinem Büro aus rief er Antonio an. Er gab seine Wünsche durch.

„Bist du noch da?“, fragte er nach dem dritten Wunsch, weil sich Antonio nicht mehr meldete.

„Doch, doch. Ich bin nur am überlegen, wem du den ekelhaft süßen Kram andrehen willst. Hast du Feinde, die du loswerden willst?“, quäkte es aus dem Hörer.

Luigi verdrehte die Augen. „Du sollst nicht denken, du sollst liefern und zwar heute noch.“

„Aber andere Wünsche hast du nicht?“, schnaufte Antonio.

„Doch, einen hab ich noch. Du solltest das reife Obst von meiner Liste einzeln mit Hand auswählen, wenn du auch in Zukunft mein Stammlieferant sein möchtest.“ Luigi legte mit breitem Grinsen den Hörer auf. Antonio würde toben, aber auf ihn war Verlass. Fröhlich vor sich hin pfeifend klappte Luigi sein Bestellbuch zu, gab in der Küche noch ein paar Anweisungen, dann legte er sich für anderthalb Stunden im Hinterzimmer aufs Ohr. Schließlich würde es wieder ein langer Abend werden.

Marc kam mit wenig Schlaf zurecht. Er war nach einer dreiviertel Stunde topfit. Nur brachte er es nicht übers Herz Galantha zu wecken, die noch immer eng angeschmiegt lag. Er lauschte ihren ruhigen Atemzügen. Marc hatte keine Eile, sogar überhaupt keine Eile, als er daran dachte, diese Zweisamkeit für alle Ewigkeit genießen zu können.

Ein anderer hatte weniger Ruhe. Thomas warf sich in seinem Bett hin und her. Ein völlig wirrer Traum hielt ihn umfangen. Schon beim Aufwachen hatte er ihn komplett vergessen. Er wusste nur noch, dass es irgendwie um Milena und Stella gegangen war und … ach weiß der Fuchs was. Nun lag er zwar wach, aber völlig konfus in seinem Schlafzimmer. Er hatte tagelang verbotene Früchte genascht und keine Ahnung wie er es Milena beibringen sollte, falls sie irgendwie Wind von der Sache bekommen würde. Andererseits hätte er lieber die Verbindung mit Stella offiziell gemacht. Die Geheimnisse, die sie umgaben, verliehen einfach der Fantasie Flügel. Das sogar in jedweder Weise.

Als er endlich im Bad angekommen war hätte er am liebsten sein Spiegelbild gewürgt. „Du verdammter schwanzgesteuerter Idiot“, warf er ihm entgegen. Dann hockte er sich zerknirscht auf den Rand der Badewanne und brütete finster vor sich hin. Schließlich merkte er selber, dass hier eine verstandesgemäße Entscheidung völlig für den Eimer war. Überdies hatte er nur noch vier Tage Urlaub, dann bräche der Alltag über ihn herein und die anstehende Entscheidung käme wohl von ganz allein.

Thomas raffte sich endlich auf. Als er seinen Lieblingsausgehzwirn aus dem Kleiderschrank nahm war die Laune schon wieder deutlich besser. Er freute sich auf einen netten Abend mit seinen Freunden und eine lange Nacht mit Stella. Dieses fast zerbrechlich wirkende Geschöpfchen hatte ihm in den letzten Tagen eingeheizt, dass er schon fast süchtig nach ihr geworden war. Ihm fielen seine Worte aus dem Bad ein. Mit einem breiten, sehr genüsslichen Grinsen schloss er hinter sich die Wohnungstür.

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