Japan in der deutschen Popmusik

(Autor: Till Weber)

1. Japan in deutschsprachigen Liedern

2. Japan-Bilder in deutschsprachigen Musikvideos

3. Japanischstämmige Interpreten deutschsprachiger Lieder

4. Liste der Titel und Video-Links

1. Japan in deutschsprachigen Liedern

Japan ist wie viele andere Länder seit Jahrzehnten in der deutschen Populärmusik präsent, allerdings oft als Träger romantisierender Stereotype und Klischees, und zwar sowohl in Texten als auch in musikalischen Akzenten sowie bildlich in Videoclips.

Die Japanwelle in Deutschland begann mit dem „Sukiyaki“-Song der Blue Diamonds („Beim SukiSukiyaki in NagaNagasaki, da sah ich sie und vergaß alle Frauen der Erde“, 1963), einer Coverversion von „Ue o muite arukō“ von Sakamoto Kyū, dem einzigen japanischen Song, der es jemals in den USA auf Platz eins der Hitparaden schaffte.

Auch 1963 verwendete Jacqueline Boyer in „Mitsou“ Japan als exotische Kulisse einer dem Zeitgeschmack entsprechend sehr biederen Liebesgeschichte: „Es war am Fudschijama im Kirschenparadies. Er war aus Yokohama und fand sie einfach süß.“ Begriffe wie „Laternenfest“ und „Lotuszeit“ werden einer generisch ostasiatisch anmutenden Musik beigesellt. Dieselbe Mischung aus Liebeslied, „exotischen“ Zutaten und Musikelementen funktionierte auch bei Boyers Hits „Hongkong Mädchen“ (1964) und „Little Little China Girl“ (1965). Zeitgenössische deutsche Japanklischees waren noch so unspezifisch, dass auch andere ostasiatische Settings in derselben textlichen und musikalischen Art verwendet werden konnten. Es ging einfach um „süße asiatische Mädchen“, die von der Interpretin kokett und „niedlich“ besungen wurden.

Toni Sailer ergänzte die Japan-Klischees 1965 um die Geisha, Kirschblüten und das kleine Teehaus. Wegweisend bei Sailer war der Topos des fremden Mannes, der in Japan von einer Japanerin begehrt wird. Bei Sailer weiß er aber genau, wo er hingehört: „Am Fudschijama blüht kein Edelweiß, drum fahr ich lieber nach Tirol.“

Auch Sängerinnen wie Manuela („Fudschijama-Hama-Kimono“, 1975) bedienen das Stereotyp vom japanischen Mädchen als Objekt der männlichen Begierde. Dieser Bogen reicht bis zu den Flippers („Lotusblume“ 1989; „Sayonara“ 1994; vgl. auch Geschwister Hoffmann: „Der leise Wind vom Fudschijama“ 1998).

Auch in den Neunzigerjahren, als die Informationsmöglichkeiten über das „exotische“ Japan viel größer waren, interessierte sachliche Richtigkeit nicht bei der Ausmalung der fernen Kulisse. In „Sayonara“ heißt es beispielsweise: „In Okinawa war es Frühlingszeit, als ich als Fremder hierher kam. Ich tanzte nur mit ihr beim Blütenfest, hielt sie verliebt in meinem Arm.“ In Okinawa findet die Kirschblüte bereits Ende Januar statt, also mitten im japanischen Winter.

Eine Variante der Projektion westlicher Sehnsüchte auf Japan und seine schönen Frauen bietet Dschinghis Khan („Samurai“, 1979), in der ein tapferer Samurai, also ein Held in historischem Setting, mit seinem Schwert Kämpfe bestehen muss, um die Tochter des Kaisers aus den Klauen ungenannter Finsterlinge zu retten, eine seit der griechisch-römischen Antike urtypische Konstruktion. Musikalisch ist dieses Lied, wie die anderen genannten, mindestens genauso stark in China verankert wie in Japan; offensichtlich unterstellte man, dass tatsächliche japanische Musiktraditionen (z. B. Koto-Musik, Shakuhachi, Noh-Gesang, Biwa, auch Taiko-Ensembles) nicht genug eigenständigen Erkennungswert für das deutsche Publikum besaßen. Deshalb ergänzte man das westliche Lied auch um andere „fernöstliche“ Elemente und verquickte alles zu einem allgemeinen, künstlich-„ostasiatischen“ Sound.

Diesen „panasiatischen Ansatz“ präsentierte Dschinghis Khan 2005 bei der Aufführung des „Samurai“ auch optisch mit einer sehr aufwändigen Bühnenshow in Russland, in der reichlich chinesische und mongolische Elemente in Kostümen und Akrobatik zu erkennen sind, aber nur wenig japanische.

Die japanischen Männer kommen allerdings auch nicht zu kurz: Andrea Jürgens besingt 1981 den heimwehkranken „Japanese Boy“ als Gegenbild zum starken Samurai: „Weine nicht mein Japanese Boy“ – Er „steht völlig hilflos im Großstadtverkehr, denn er fand den Weg nach Hause nicht mehr“.

Während der ästhetische Wert dieser Lieder als umstritten angesehen werden kann, haben sie doch didaktische Relevanz. Im interkulturell orientierten Fremdsprachenunterricht werden Klischees und Stereotype häufig thematisiert, und in diesen deutschen Liedern sind Japan-Klischees in großem Umfang zu finden, textlich wie musikalisch. Durch die Konfrontation der japanischen Lernenden mit diesen Bildern werden sie angeregt, sowohl ihr Selbstbild als auch das eigene Bild von Deutschen und Deutschland zu reflektieren. Letzteres ist in Japan durchaus nicht frei von Deutschland-Stereotypen, die sich etwas weniger in der Musik, aber erkennbar in Manga, Fernsehprogrammen und der Volksmeinung finden. Ein kleines Projekt kann die Lernenden anregen, diese Deutschland-Klischees zu sammeln, zu systematisieren und mit den deutschen Japan-Klischees aus den Liedern zu vergleichen, um letztlich zu erkennen, wie wenig solche Bilder mit der Wirklichkeit zu tun haben.

2. Japan-Bilder in deutschsprachigen Musikvideos

Japan-Klischees sind auch in Videos einiger deutscher Interpreten zu finden, bei denen der Text und die Musik keine spezifischen Aussagen über oder Anklänge an Japan enthalten, Bilder aber zusätzliche Interpretationshilfen liefern sollen.

Der Text von Farin Urlaubs „Sonne“ (2005) beschreibt das schmerzliche Fehlen einer Frau. Im Video sieht man, wie sie von Zuhause Abschied nimmt und später überfallen und ermordet wird. Das ganze Video ist in historisierender japanischer Optik inszeniert, deutlich inspiriert von Kurosawa-Filmen und „Last Samurai“ (2003). Der Sänger erscheint als Schwert schwingender Samurai, der auf seinem Rachefeldzug die Mörder tötet. Das Lied wird so von einem eher abstrakten traurigen Liebeslied zum Samurai-Rache-Actionspektakel, gewinnt also eine neue Dimension: Es erklärt, wie es zum Verlust kam und dem besungenen fortgesetzten Leiden, das anscheinend auch die erfolgreiche Rache nicht lindern kann. Der Text schildert lediglich die innere Situation, während sich das Video auf einen äußeren Handlungsablauf beschränkt; beide ergänzen sich also. Die Wahl des historisch-japanischen Settings ist insofern nachvollziehbar, als dass mit dem Samurai eine männliche, physisch starke und zum Töten bereite Figur für die Darstellung des drastischen äußeren Handlungsablaufs zur Verfügung steht; andererseits würden ein Westernheld oder ein Ritter hier wohl ähnlich gut funktionieren.

Wesentlich weniger überzeugend ist ein „exotisches“ Video von Nevada Tan („Vorbei“, 2007). Hier werden in einem koreanischen (sic!) Filmdorf zwar Ninja, Kendo, Katana und Koto aktionsreich geboten, die im Text vermittelte Rückschau auf eine vergangene Liebesbeziehung scheint aber kaum eine Beziehung zum Video und gar keine zu Japan zu haben.

Tatsächlich enthalten die Bilder der Videos ebenso Klischees wie die oben vorgestellten Texte und musikalischen Elemente, und zwar speziell das vom tapferen Samurai und seiner schönen Frau. Sie sind also zur interkulturellen Hinterfragung geeignet. Die interessante Idee von Urlaubs Video zu „Sonne“, innerlich und äußerlich scheinbar nicht zusammengehörende Aspekte zu vermitteln und dabei eine ganz andere Kultur als die des Sängers, seines Textes und der Musik ins Bild zu setzen, regt an, in eigenen kleinen Projekten Dinge interkulturell zu verbinden, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen.

3. Japanischstämmige Interpreten deutschsprachiger Lieder

Zu den erfolgreicheren deutschsprachigen Hip-Hoppern gehört der 1985 in der Nähe von Düsseldorf geborene Blumio, eigentlich Fumio Kuniyoshi. In „Hey Mr. Nazi“ (2009) setzt er sich intelligent mit Leuten auseinander, die in ihm „einen kleinen Ausländer, der so riecht wie ein Tier“ oder „ein dummes Schlitzauge, einen Scheiß-Reisfresser“ sehen. Aber Blumio stinkt gar nicht und er will „nicht nur Reis fressen“, sondern manchmal auch eine Bockwurst. Er räumt ein, dass es Rassisten unter Deutschen wie unter Ausländern gibt und lädt „Mr. Nazi“ auf seine Party ein, um ihm seine Kultur zu zeigen („Das hier sind Sushi und Technik, Mangas und Origami, ich kenn das seit meiner Geburt“). Hier treten moderne Japan-Klischees ironisch gebrochen auf; der Text wirbt für das Ideal einer Gesellschaft, in der Nationalität und Aussehen nicht entscheidend und Stereotype ungültig sind.

In „Der letzte Samurai“ (2012) knüpft er an Mr. Nazi an und gibt sich wesentlich weniger versöhnlich, stattdessen droht er den Rassisten ironisch als „der Japse des Bösen, der letzte Samurai“, der „in der linken Hand das Schwert, in der rechten Hand das Mic“ hält. Ein letztes Mal fletscht er „blutrünstig die Zähne. Dann erspar ich mir den Stress für mein zukünftiges Leben.“ Textlich und unterstützt durch ein Intro von tatsächlich japanischer Musik greift er klassische Japaner-Klischees auf (der Samurai, aber auch der „böse Japse“, wie er in amerikanischen Kriegsfilmen oft dargestellt wird). Interessant ist auch die Passage: „Ein paar Japaner halten mich für einen Vaterlandsverräter, weil ich auch mit Koreanern chill, doch Mama sagte, jeder Mensch ist gleich“. Blumios Appell an Toleranz geht also auch an die „eigenen“ Leute.

Auch der Name von Blumios 2008 gegründetem eigenem Label („Japsensoul“) reflektiert ironiegesättigt seine Beschäftigung mit der eigenen Identität in der deutschen Gesellschaft. Blumio singt übrigens auch auf Japanisch, und zwar mit derselben Ironie über Deutschland und Japan: Nihonzaru (2012) („Boku wa Doitsu no Nihonzaru“; auf Deutsch etwa: „Ich bin ein deutscher Japanaffe“ oder „Ich bin der Japanaffe Deutschlands“). Dieses Lied eignet sich sehr zur Übersetzung ins Deutsche durch die Lernenden und auch zum gemeinsamen Musizieren und Singen; natürlich können die Länder auch durch andere (und andere Klischees) ersetzt werden. Vielleicht dichtet auch jemand eine eigene Strophe hinzu, in der die Klischees deutlich offen gelegt werden? (Schreibanlässe/Kreatives Schreiben).

Für den DaF-Unterricht bieten sich Blumios Lieder inhaltlich sehr an. Der junge, in Deutschland aufgewachsene Japaner ist eine Person, die japanische Studierende sehr interessieren kann. Die Szenen des Alltags in Deutschland sind ungeschminkt und in beiden Sprachen geschildert; Blumio kommentiert kritisch Aspekte Deutschlands aus japanischer Sicht, die sich selten in Lehrbüchern oder Reiseführern finden. Der interkulturell orientierte Unterricht sollte zur kritischen Reflektion einladen auch über den Alltag von Nicht-Japanern in Japan und die dort anzutreffenden umgekehrten Stereotype, Vorurteile und Schwierigkeiten. Aus sprachdidaktischer Sicht ist leider die Einschränkung zu machen, dass Blumios Texte wie viele des Hip Hop-Genres umfangreich und mit ihrer Idiomatik und Ironie für die Grundstufe A zu anspruchsvoll sind (vgl. dazu Auswahlkriterien von Musik).

Die Electronica- und Funky Club Music-Gruppe Torpedo Boyz (seit 2004) hat Wurzeln in Berlin, Tokyo und Hiroshima. „Ich bin Ausländer (Leider zum Glück)“ (2010) gehört zu den wenigen von Sänger Daisuke auf Deutsch vorgetragenen Titeln. Auch hier werden Japan-Klischees in Text und Videobild ironisch gebrochen. Die Aufmachung der Bandmitglieder macht es unmöglich zu erkennen, wer hier ein Ausländer ist, und das ist auch kaum wichtig, wenn die Welten sich so vermischen wie bei Daisuke: „Die Currywurst ist lecker / Doch ich esse lieber Reis / Ich wohne in einer Wohnung / In Berlin-Mitte / Ich arbeite als Sushi-Koch / Bestellen Sie was bitte“. Der Stolz auf die eigene Herkunft wie auch, etwas relativiert, die Freude am neuen Leben im Ausland (in Berlin) wird schon im Titel artikuliert.

„Ich bin Ausländer (Leider zum Glück)“ ist für eine Didaktisierung ab A1 geeignet schon wegen des relativ kurzen und vokabelmäßig von Vokabular und Grammatik her nicht zu anspruchsvollen Textes, der sehr klar artikuliert wird (mit demselben Akzent, den japanische Deutschlerner auch mitbringen). Der Text führt des Sängers japanische Identität, die er gar nicht aufgeben will, mit einer kritischen Betrachtung der Wahlheimat Berlin zusammen. Er kann sich nicht für eine der beiden Welten entscheiden („Ich gehe irgendwann nach Japan zurück / Vielleicht bleibe ich auch hier“). Das Lied regt Deutschlernende an, sich mit der Möglichkeit des Lebens im Ausland zu beschäftigen, indem sie Vorzüge und Nachteile sammeln, um eigene Reflexionen zu ergänzen und sich auszutauschen (vgl. Didaktisierung 1).

(LINK 1: Didaktisierung 1 TB, Schwerpunkt: Wortschatz und Sprechanlässe)

(LINK 2: Didaktisierung 2 TB, Schwerpunkt: Interkulturelles und Sprechanlässe)

Ebenfalls auf Deutsch und Japanisch singt der Autor, Liedermacher und Moderator Ryo Takeda (Johannes Ryo Herms), der Wurzeln sowohl in Deutschland als auch in Japan hat.

4. Liste der Titel und Video-Links

Blue Diamonds: Sukiyaki (1963)

Jacqueline Boyer: Mitsou (1963)

Jacqueline Boyer: Der Mond vom Fudschijama (1968)

Toni Sailer: Am Fudschijama blüht kein Edelweiß (1965)

Manuela: Fudschijama-Hama-Kimono (1975)

Dschinghis Khan: Samurai (1979)

Andrea Jürgens: Japanese Boy (1981)

Roy Black: In Japan geht die Sonne auf (1986)

Die Flippers: Lotusblume (1989)

Die Flippers: Sayonara (1994)

Geschwister Hoffmann: Der leise Wind vom Fudschijama (1998)

Farin Urlaub: Sonne (2005)

Nevada Tan: Vorbei (2007)

Blumio: Hey Mr. Nazi (2009)

Blumio: Der letzte Samurai (2012)

Blumio: Nihonzaru (2012)

Torpedo Boyz: Ich bin Ausländer (Leider zum Glück)