4.5 Grenzen und Probleme

Trotz aller Vorteile sind drei Hauptprobleme nicht von der Hand zu weisen, wenn auf die Rieger-Punktewertung zurückgegriffen wird:

Ø Messaufwand für den Veranstalter

Die Verbände, die bei den jeweiligen Meisterschaften als Veranstalter fungieren, sind gezwungen, eine vielfach höhere Zahl an Messgeräten anzuschaffen und zu überwachen, als dies bisher der Fall ist. Bei einem Zehnkampfwochenende sind nicht mehr ein Windmesser für die Sprints und einer für die Sprünge ausreichend, sondern je nach Zeitplan und antretender Altersklassen mindestens vier. Zusätzlich müssen digitale Thermo- und Hygrometer angeschafft werden, was mit spürbarem finanziellen Aufwand verbunden ist.

Ø Punkte für nicht erbrachte Leistungen

Findet ein Zehnkämpfer ungünstige äußere Bedingungen vor, erhält er bekanntlich nach der neuen Punktewertung Zusatzzähler. Anders ausgedrückt, bekommt er somit insgesamt Punkte für eine Leistung, die er gar nicht erbracht hat. Unter Umständen kann dies sogar so weit führen, dass er bei derartigen Bedingungen Punkteleistungen vollbringt, zu denen er nur bei optimalen Verhältnissen in der Lage wäre. Sprintet er etwa bei 18°C und 1,0m/s Gegenwind bei einer unter Wasser stehenden Bahn eine Zeit von 11,00s, so rieseln auf ihn so viele Bonuspunkte herab, dass er bei Normbedingungen für die gleiche Punktzahl 10,74s hätte laufen müssen. Das individuelle Potenzial des Athleten wird damit allerdings gerechter bewertet.

Ø Relativierung des Freiluftcharakters

Schon immer fanden Zehnkämpfe unter freiem Himmel statt. Etwaige negative Auswirkungen auf die Punktzahl aufgrund eines nasskalten Wochenendes sind für die Zehnkämpfer zwar ärgerlich, dies gehört zu einer Freilustsportart aber einfach dazu. Durch eine Miteinbeziehung der äußeren Verhältnisse in die Punktewertung wird sozusagen ein Zehnkampf in einem riesigen überdachten Leichtathletikstadion simuliert, was aber für Zehnkämpfer und Zuschauer die Abhängigkeit von Wetterbedingungen verringert und die Aussicht auf ein faires Ergebnis erhöht.

Exakt vor der gleichen Thematik standen auch die Verantwortlichen der FIS vor der Einführung des neuen Wertungssystems beim Skispringen (siehe 4.). Man entschied sich dafür, dieses System zunächst bei einigen Wettkämpfen zu testen, bevor es verbindlich in das Reglement aufgenommen wurde. So wurde während dieser Testphase bei den olympischen Winterspielen im kanadischen Vancouver im Jahr 2010 auf die alte Bewertungsmethode zurückgegriffen[1]. Weil sich das System bei sämtlichen Testwettkämpfen bewährte, wurde es schon in der darauffolgenden Saison bei sämtlichen Weltcups und Meisterschaften eingesetzt. Die Entscheidung fiel zugunsten der neu gewonnenen Fairness, wobei zuvor genannte Probleme sehr schnell in Vergessenheit gerieten. Genau so sollte auch die Umsetzung der Rieger-Punktewertung im Zehnkampf vollzogen werden. Sie könnte zunächst bei einigen Meetings getestet werden, beispielsweise beim alljährlichen Mehrkampfmeeting im baden-württembergischen Bernhausen Ende Mai 2012. Die olympischen Sommerspiele sollen, wie beim Skispringen auch, zunächst noch ohne die neue Wertung auskommen. Nach einer erfolgreichen Analyse der Wettkampfergebnisse müsste dann durch die IAAF vor Beginn der Saison 2013 eine Erklärung zur verbindlichen Nutzung des neuen Punktesystems abgegeben werden. Dies könnte neben dem Zehnkampf der Männer auch für weitere anerkannte Mehrkämpfe und Wertungen geschehen, was im folgenden Kapitel genauer beschrieben wird.

[1] vgl. [15], FIS (2010), S.80