Die Sagenerzählerin und der Bronzeschmied

Was bisher geschah


Als sich Rosalie, die Geschichtenerzählerin aus dem 21. Jahrhundert, und Bernhard, der angesehene Schmied aus der Bronzezeit, zum ersten Mal begegneten, hatte sie ihm in seiner Welt nach dem Angriff eines Wildschweins das Leben gerettet.

Beim zweiten Treffen führte sie das Schicksal im Nerviatal des 13. Jahrhunderts zusammen und erneut half Rosalie Bernhard auf die Beine, der einem Mordanschlag in seiner Zeit nur knapp entkommen war. Jemand hatte versucht, ihm die Gurgel durchzuschneiden, um an sein Hab und Gut zu kommen.

Cavaliere Luciano, ein junger Ritter aus dem Gefolge des Admirals Oberto Doria, auf dessen Grund und Boden Rosalie in der Ruine einer Ölmühle Zuflucht gesucht hatte, und der sie mit allen Mitteln unterstützte, akzeptierte schließlich auch Bernhard. Luciano wusste, dass er selbst an die Traditionen seiner Familie und die politischen Erfordernisse gebunden war, und nie hätte mit Rosalie leben dürfen.

Die Frau aus der Zukunft stürzte ihn in ein Wechselbad der Gefühle. Ein steter Reigen aus Liebe, Eifersucht und Anbetung. Wobei der letzte Punkt so deutlich überwog, dass er alles tat, um ihr das Leben zu erleichtern. Und dazu gehörte auch, dass er sie schließlich, aus reinen Vernunftsgründen, für Bernhard frei gab.

Das hielt ihn aber nicht davon ab, die Mühle weiter auf- und ausbauen zu lassen. Ganz im Gegenteil! Mit einem kräftigen Müller an Rosalies Seite würden auch reichlich Steuern und Abgaben an ihn, den Eigentümer, fließen. Und dann gab es ja auch noch Sepp, den betagten Alpenländer, der den beiden fleißig in der Mühle und beim Übersetzen unter die Arme griff.

Bernhard, froh, überlebt zu haben und bei Rosalie zu sein, trauerte seiner hohen Position als Oberhaupt der Siedlung in seinem alten Leben kein bisschen nach. Hier konnte er Dinge bestaunen, die er nie für möglich gehalten hätte und nur aus Rosalies Berichten kannte. Nach der ersten Führung durch Mühle und Olivenhain versprach er, jede Anweisung seiner geliebten Retterin sofort zu befolgen.

„Du sollst aber nicht handzahm werden“, schmunzelte sie.

Bernhard hielt irritiert inne. „Ich will nur sagen, dass ich dich in allem als Lehrerin für mein neues Leben betrachte. Du kennst dich in dieser Zeit wenigstens ein bisschen aus. Und du stehst unter dem Schutz mächtiger Herren. Ohne dich wäre ich ein Nichts in dieser Zeit.“

„Geht mir ähnlich“, murmelte Sepp. „Rosalie ist so etwas wie meine Familie. Sie hat mir eine wichtige Aufgabe gegeben und mir gezeigt, dass ich etwas wert bin. Es macht Spaß, für sie zu arbeiten. Sie sagt nie böse Worte. Nicht einmal, wenn Paul, der Kolkrabe, Unsinn macht.“

Bernhard nickte. „Der Kleine wird mir bestimmt noch gram sein, weil ich ihn damals aus Unwissenheit verletzt habe. Dabei tut es mir aufrichtig leid.“

„Schenk ihm ein Bröckchen Käse“, schlug Sepp vor. „Damit kannst du dich ganz schnell einschmeicheln, den mag er nämlich sehr.“

Rosalie nickte vergnügt. Ihr spukte natürlich gleich wieder im Kopf herum, dass es Käse schon seit der Mittelsteinzeit gegeben hatte, und dieser Bernhard demzufolge bekannt sein musste, selbst wenn er ihn vielleicht anders nannte. So war es Bernhard tatsächlich nach wenigen Worten klar, was Sepp meinte und er beschloss, dem guten Rat zu folgen.

„Die Fledermäuse fressen aber auch hier Käfer und Mücken?“, fragte er vorsichtshalber. Schließlich hatte er in der Bronzezeit erlebt, dass Rosalie für Pauline, das Große Mausohr, Krabbeltiere gefangen hatte, als das verletzt war und nicht selber jagen konnte. Pauli, die Mittelmeer Hufeisennase, würde sicher das Gleiche verspeisen, auch wenn sie völlig anders aussah.

„Ja, das ist richtig“, bestätigte Rosalie. „Die beiden vertragen sich auch recht gut. Sie fliegen immer gemeinsam auf die Jagd und kehren auch zusammen wieder zurück. Bald werden sie in einem Nebengelass ihre verdiente Winterruhe halten, falls sie es nicht vorziehen, dies auf der Burg der Doria zu tun.

Der Herr der Burg, ammiraglio Oberto Doria, hat es, auf meine und die Bitte von cavaliere Luciano, unter Strafe gestellt, in seinen Mauern die Fledermäuse zu behelligen.“

Bernhard schaute sie fragend an, wegen der beiden fremden Begriffe.

Rosalie seufzte. „Das ist die Sprache, die wir beide lernen müssen, wenn wir dazu gehören wollen. Was ein ammiraglio ist, muss ich dir später erklären, es gibt nichts, womit ich es wirklich vergleichen könnte. Da sind Dinge, die du gesehen haben musst, um es zu begreifen. Hab Geduld und Vertrauen.“

„Zu wem könnte ich jemals mehr Vertrauen haben, als zu dir?“, murmelte Bernhard. „Wenn die Erklärung so schwer ist, dann muss es etwas wahrhaft Großes sein.“

Rosalie seufzte noch einmal. „Zumindest den cavaliere kann ich dir erklären. Es ist ein Ritter, ein Mann in Kleidern aus Eisen.“

„Ich erinnere mich“, erwiderte Bernhard. „Du hast den Halbwüchsigen davon erzählt. Und ich habe gesehen, dass dein Gönner etwas aus Eisen über dem Hemd getragen hat. Cavaliere – Ritter. Ich werde es mir merken. Und wie sagt man bitte und danke?“

Rosalie lacht hellauf. „Du, das sind Begriffe, die vielen Menschen in meiner Zeit völlig verloren gegangen sind!“

Bernhard kratzte sich am Bart. „Verstehe ich nicht.“

„Ich auch nicht“, grinste Rosalie. „Zumal der Mund nach dem Wort ja auch allein wieder zu geht.“

Bernhard schaute Sepp so verzweifelt an, dass der auch noch zu kichern anfing. „Rosalie ist anders, als alle Leute, die ich kenne. Gewöhne dich einfach daran. Man muss nicht alles verstehen, was für sie völlig normal ist. Das ist“, er begann an den Fingern abzuzählen, „600, 700, nein sogar 800 Jahre weit weg! Von heute“, setzte er noch schnell hinzu, um anzudeuten, dass Bernhard wirklich von übervorgestern war, wie es Rosalie im Scherz ausgedrückt hatte.

„Trotzdem bekommst du jetzt eine ordentliche Antwort auf deine Frage“, versprach Rosalie. „Bitte heißt prego und danke gracie.“

Bernhard wiederholte ihre Worte fehlerfrei und sie blinzelte ihm zu: „Molto bene! Also sehr gut. Ich beherrsche aber weder die Grammatik noch wirklich die Gesprächsführung“, erklärte Rosalie mit einem Blinzeln.

„Die was???“ Bernhard und Sepp rissen gleichzeitig die Augen auf.

Rosalie winkte lachend ab. „Vergesst einfach, was ich gesagt habe. Ich bräuchte Stunden, um es euch auch nur annähern zu erklären.“

„Schon geschehen“, grinste Sepp, während Bernhard stumm den Kopf schüttelte.

„Solange Sepp ganz brav übersetzt, ist alles gut“, fügte sie mit einem schelmischen Blinzeln hinzu.

Sepp warf einen Blick auf Paul, der unruhig von einem Bein auf das andere trat. Rosalie entging das nicht.

„Ja, ich kümmere mich sofort darum, dass etwas auf den Tisch kommt. Ich hätte Maroni anzubieten. Ich brauche dringend ein warmes Essen.“

„Sie werden nicht reichen“, warf Sepp ein.

„Dann gibt es eben Maroni und einen Kanten trockenes Brot mit zwei Scheiben Speck“, legte Rosalie fest. „Mehr haben wir nicht. Zum Backen ist es zu spät.“

„Das ist meine Schuld“, flüsterte Bernhard. „Ihr müsst mir nichts abgeben.“

„Noch so ein Spruch und ich werde böse“, rief Rosalie, den Kopf einziehend, weil die Fledermäuse von der abendlichen Jagd kamen, geradenwegs auf ihren Ruheplatz zuflogen und ihr fast noch die Flügel um die Ohren schlugen. „Da draußen ist ein Fluss. Da gibt es Forellen.“

Ehe sie noch etwas hinzufügen konnte, war Bernhard aufgesprungen, hatte sich ihren Fischspeer geschnappt und war ans Ufer geeilt. Noch bevor die Maroni gar waren, kam er vor Freude strahlend mit einer großen Forelle zurück. „Prego!“

„Gracie!“, schmunzelte Rosalie. „Alles perfekt.“ Sie steckte den Fisch am Spieß über die Glut der Kochstelle.

Sepp schüttelte lachend den Kopf. „Das nenne ich schnelle Entscheidung und schnelles Lernen.“

Sogar Paul schien seinen Groll zu vergessen. Der schritt auf dem Tisch zu Bernhard und beäugte ihn eindeutig wohlwollend. Wer Essen herantrug, war immer willkommen. Er duldete es sogar, dass ihn der Schmied am Schnabel berührte.

Jeder bekam den gleichen Anteil von allen Speisen und selbst Paul ging nicht leer aus. Er erhielt den Kopf des Fisches und einige Bröckchen, welche die anderen entbehren konnten. Als Rosalie genug von seiner Bettelei hatte, klopfte sie drei Mal mit dem Fingerknöchel auf den Tisch. Paul suchte schleunigst das Weite. Bernhard staunte.

„Das ist wie mit Hunden“, erklärte Rosalie. „Erzieht man sie nicht sofort, dann tanzen sie einem auf der Nase herum. Und bei einem Kerl mit so einem Schnabel sollte man genau wissen, was man ihm erlaubt und was nicht.“

Paul ritt natürlich der Teufel. Er versuchte, seinen Unmut an den Fledermäusen auszulassen. Und das ging gründlich schief, denn Pauline zwickte ihn mit ihren nadelspitzen Zähnen ins Bein, als er Pauli mit dem Schnabel an der Flughaut zupfte. Mit einem erschrockenen „krahhh, krahhh“, verzog sich Paul auf eine Truhe, um von Weitem zu beobachten, ob nicht vielleicht doch ein Krümelchen unbemerkt zu Boden fiel.

Rosalie kümmerte sich, statt um den Abwasch, lieber um Bernhards Pelzumhang, der noch immer vor der Kochstelle hing. „Er ist trocken“, ließ sie verlauten.

„Dann steht einer Nachtruhe ja nichts mehr im Wege“, gähnte Sepp.

„Doch. Die Kontrolle des Verbandes“, erwiderte Rosalie.

Sie winkte Bernhard heran, um nachzuschauen, ob die Blutungen seiner Halswunde wirklich aufgehört hatten. „Schmerzt es sehr?“, fragte sie teilnahmsvoll.

„Würde ich das zugeben?“, antwortete er mit einer Gegenfrage.

„Wenn ich dich um eine ehrliche Auskunft bitte?“

„Dann es hält sich in vertretbaren Grenzen. Es ist lachhaft zu dem, was der Keiler angerichtet hatte.“ Bernhard folgte Sepp in den Nebenraum, der durch das Herdfeuer mit erwärmt wurde und wo sich beide auf einem Heulager zur Nachtruhe niederließen.

Rosalie lag noch lange wach. Immer wieder dachte sie an die beiden vergangen Tage. Zuerst war ihr Bernhard in Haus gestolpert und dann hatte ihn ihr Luciano unterschwellig als Partner, für Mühle und Leben, empfohlen.

Vielleicht sollte sie ja seinem gut gemeinten Rat folgen, und Bernhard, den sie wirklich mochte, wenigstens signalisieren, dass auch sie nicht ganz uninteressiert war.

Bevor sie weitergrübeln konnte, schlief sie ganz fest ein.