Studium

Ohne Worte, ohne Schweigen

Die Wirklichkeit entzieht sich letztlich der begrifflichen Fixierung und damit auch der sprachlichen Beschreibung. Der Umgang mit Sprache und Worten ist deshalb entsprechend knifflig und dem Intellekt einen angemessenen Stellenwert in der Praxis einzuräumen, bietet ein weites Übungsfeld. Das zeigt bereits das Leben des Buddha, der über 45 Jahre lang auf sehr unterschiedliche Weise gelehrt hat, passend zur Verschiedenheit der Schülerinnen und Schüler. Dass bei aller Wertschätzung für die Sprache immer auch eine Gefahr darin liegt, alles mit Worten erklären zu wollen, kommt im Gedicht des japanischen Meisters Daio Kokushi (1235-1308) prägnant zum Ausdruck:

In der Absicht, Blinde anzuziehen,
liess Buddha seinem goldenen Munde
spielerische Worte entspringen;
seitdem sind Himmel und Erde
überwuchert mit dichtem Dornengebüsch.

Lehrmethoden und Lehrstile

Der Begriff Studium umfasst ein breites Bedeutungsfeld, auch innerhalb der buddhistischen Traditionen und Schulen (vgl. dazu auch die Kapitel Lehren und Lehrer-Schüler). Gemeint ist grundsätzlich das traditionelle Vermitteln und eigene Erarbeiten von Inhalten, wie wir es aus der Schule kennen: als eingehende Beschäftigung mit einem Thema über Lektüre, schriftliche Arbeiten, vertiefende Reflektionen, Diskussionen und andere, insbesondere intellektuelle Lernformen. Bei sozialen und Care-Tätigkeiten, beim Handwerk oder in der Kunst kommen, wie in vielen anderen Bereichen, Fähigkeiten und Fertigkeiten dazu, die im direkten Ausüben erlernt werden, sei es individuell, zu zweit oder in Gruppen. Häufig kommen intellektuelle, emotionale und praktische Intelligenz zusammen, um der Komplexität anspruchsvoller Handlungsfelder und Wissensgebiete gerecht zu werden.

Im Lauf der jahrhundertelangen Geschichte buddhistischer Traditionen und Schulen hat sich in verschiedenen Zeiten und Kulturen eine Vielzahl von Lehrstilen herausgebildet, die sich zum Teil beträchtlich unterscheiden. Das Spektrum reicht von buddhistischen Universitäten bis zur "wortlosen" Übermittlung in der direkten Begegnung von Meister und Schüler, Meisterin und Schülerin. Dabei waren die Lehrenden selbst in Traditionen, die auf direkte Vermittlung setzten, meist gründlich bewandert in den Schriften. Selbst Chan-Meister Huineng (638-713), dem nachgesagt wurde, dass er weder lesen noch schreiben konnte, war in Wirklichkeit ein umfassend geschulter Meister. Der Rest ist Hagiographie. Er stammte nicht, wie im Plattform-Sutra beschrieben, aus einer armen Familie, sondern aus einer relativ wohlhabenden, in der die damals bekannte Bildung selbstverständlich war. Die Legende seiner mangelnden Bildung wurde bewusst in Umlauf gebracht mit der Absicht, die das Denken überschreitende Einsicht zu betonen und der paradoxen Lehrmethode des Chan bildhaft Ausdruck zu verleihen.

Dass Zen gemeinhin als grundsätzlich antiintellektuell, also gegen den Intellekt gerichtet, gesehen wird, beruht auf dem Missverständnis, dass sich die beiden Aspekte der direkten Erfahrung und der intellektuellen Beschäftigung mit der Buddha-Lehre ausschlössen. Dies ist nicht der Fall. Vielmehr geht es darum, um die Stärke und die Grenzen intellektueller Erkenntnis zu wissen und dies entsprechend zu berücksichtigen. Insbesondere japanische Zen-Schulen tun sich auch heute noch oft schwer mit Worten und dem Intellekt. Man darf da und dort durchaus von Abneigung sprechen, was teilweise wohl auf dem genannten Missverständnis beruht. Im Kern wandten sich die Zen-Meisterinnen und Zen-Meister nicht gegen den Intellekt als solchen, sondern gegen dessen einseitige Verwendung, gegen die so häufige "Kopflastigkeit", die die meisten aus eigener Erfahrung bestens kennen. Hier setzt die Zen-Tradition ganz bewusst auf eine andere Lehrmethode und weist direkt auf die Nicht-Dualität der Wirklichkeit hin. Wenn wir also auch im Zen da und dort Worte und Schriften ganz gezielt gebrauchen, dürfen wir einmal mehr nicht am Finger haften, der auf den Mond zeigt.

Im Sati-Zen gibt es an allen Retreats Dharma-Vorträge, in denen die Lehre praxisnah erläutert wird, sowie Frage-Antwort-Gelegenheiten und die Möglichkeit zu Einzelgesprächen, wo die formelle Praxis genauso reflektiert werden kann wie Aspekte der Praxis im Alltag. An unseren sich jeweils über ein Jahr erstreckenden Jahreszyklen werden verschiedene Themen systematisch gelehrt und vertieft, ebenso im Langzeittraining der Vertiefenden Praxis. Für Personen, die sich grundlegende Kenntnisse über die buddhistische Lehre und Praxis und über die Entwicklung der verschiedenen Schulen und Traditionen in über 2600 Jahren seit Buddha Shakyamuni verschaffen möchten, haben wir ein ausführliches Online-Studium konzipiert, das zudem eine Einordnung aus aktueller westlicher Perspektive ermöglicht. Welche Form des Lernens auch immer in unser Leben passt und uns motiviert: Wir legen allen Praktizierenden ans Herz, sich nicht mit einem rein intellektuellen, theoretischen Verständnis der Lehre zu begnügen, sondern das Dharma in der eigenen Praxis und im eigenen Leben lebendig werden zu lassen. Regelmässige Rückzugszeiten (Retreats) zur Vertiefung der formellen Praxis und eine lebendige Praxis im Alltag mit einer geeigneten Auswahl an Upaya stehen deshalb im Sati-Zen im Zentrum.

Den Weg des Erwachens ergründen heisst,

sein eigenes Selbst ergründen.

Sein eigenes Selbst ergründen heisst,

sein eigenes Selbst vergessen.

Sein eigenes Selbst vergessen heisst,

von den Zehntausend Dingen bestätigt werden.

Von den Zehntausend Dingen bestätigt werden heisst,

(das Konzept von) Körper und Geist von sich

und anderen fallen lassen.

Dann bleibt keine Spur von Verwirklichung.

Und diese spurlose Verwirklichung

setzt sich fort ohne Ende.

Dogen Zenji (13. Jh.)