Symbole im Haus

Wenn wir das Haus betreten, sehen wir im Treppengang auf der gegenüberliegenden Seite ein Tuschebild mit einer Kiefer. Die Kiefer gilt in China und in der Chan-Tradition als Symbol des langen Lebens und steht für Beharrlichkeit, Genügsamkeit und Beständigkeit. Die Kiefer ist äusserst anspruchslos und wächst noch in kargsten Gebirgsregionen, in denen andere Bäume nicht mehr zu finden sind. Sie trotzt widrigen Umständen, Sturm, Regen und Schnee, und passt sich durch ihre Wuchsform den äusseren Umständen an, ohne ihre Eigenheit und Schönheit zu verlieren. Im Gegenteil macht gerade das sie aus: im Einklang zu sein mit den Dingen, wie sie sind.

1972, als Marcel im Kloster Po Lam Sin Yuen bei Chan-Meister Sing-Yat auf der Insel Lantao (Hongkong) lebte, besuchte er einen alten Mönch auf der Halbinsel Kowloon. In dem sehr einfachen Haus hingen unzählige Bambus- und Kiefer-Tuschebilder an langen Wäscheleinen in dichten Reihen. Für Bett und Küche war kaum Platz. Der freundliche Mönch erklärte Marcel, dass er seit vielen Jahren nur diese beiden Pflanzen male - das sei seine Chan-Praxis. Er schenkte Marcel das Bild der Kiefer und fügte an, er würde nie ein Bild verkaufen. Er lebte ausschliesslich von Dana, der Grosszügigkeit anderer.

Im kleinen Zendo hängen zwei Kalligraphien von Zen-(Seon-)Meister Kusan Sunim aus dem Kloster Songgwangsa. Das war 1974 sein Abschiedsgeschenk an Marcel.

Das Bild links stellt das Koan „Was ist es?“ dar. Das Bild rechts bildet gewissermassen die Antwort: „Buddha“ (Pali, Skt.: budh; erwacht). Auf uns Menschen zugeschnitten, können wir uns in dieser Weise ebenso fragen: „Wer bin ich?“ Die Antwort ist auch hier: „Buddha.“ Doch macht diese Antwort erst dann Sinn, wenn wir „Buddha“, den Geist des Erwachens, direkt erfahren haben.

Auf dem rechten Bild finden wir auch den Namen von Meister Kusan, "Neun Berge", sowie den Dharma-Namen, den Marcel von ihm bekommen hat: "Weisheits-Mond". Von Omori Sogen Roshi erhielt Marcel den Namen: "Stiller Weg" (道 安; Tao An). Später nahm er nochmals Zuflucht bei Thich Nhat Hanh und bekam von ihm den Namen "Stiller Weg des Herzens" (vgl. Traditionslinie).

In der kleinen Stube finden wir ein Rollbild von Meister Hakuin (1686-1769), dem Rinzai-Zen-Mönch, Reformator der Rinzai-Linie und begnadeten Maler und Kalligraphen. Es ist ein Selbstbildnis des Meisters. Hakuin ist auch der Verfasser des Gedichtes "Lobgesang des Zazen", das wir in unser Rezitationsbüchlein aufgenommen haben und dessen eingängiger Schluss vielen im Ohr nachklingt:

Die Lebewesen sind ursprünglich Buddha.
Es ist wie Wasser und Eis:
ohne Wasser gibt es kein Eis,
ohne Eis gibt es kein Wasser.
Ausserhalb der Lebewesen gibt es keinen Buddha.
[...]

Dieser unser Ort ist das Lotosland,
dieser unser Leib ist Buddha.
Aus: Rezitationen der Sati-Zen-Sangha

Hakuin hat auch das Äffchen gemalt, das nach dem Spiegelbild des Mondes im Wasser greift und das wir im Treppenaufgang zum grossen Zendo sehen. Gibt es eine bessere Metapher für unsere Verwirrung als diese? Greifen wir nicht ständig nach der Welt der Formen und der Täuschung, halten diese damit für allzu real und leiden an ihrer Vergänglichkeit?

Da wir etliche Bilder von Meister Hakuin dargestellt haben, möchten wir auch auf seine Biographie hinweisen. Ein interessantes Projekt macht die Universität Wien im Web zugänglich; unter dem Titel "Kamigraphie" werden im Rahmen universitärer Lehrveranstaltungen von Studierenden für Studierende auch religiöse Biografien erarbeitet. Wir finden dort auch eine Biografie von Hakuin Ekaku: Hier der Link.

Die folgenden Bilder zeigen Buddhas und Bodhisattvas. In der asiatischen Volksfrömmigkeit werden sie in ähnlicher Weise angebetet, wie wir das aus anderen Religionen und Kulturen kennen, etwa im Christentum, wo Gott, Jesus oder spezifische Heilige darum gebeten werden, Schutz und Zuflucht zu gewähren. Bodhisattva Avalokiteshvara gilt volkstümlich z. B. als Schutzpatronin der Seeleute und Fischer, Bodhisattva Samantabhadra soll die Lehrenden schützen etc.

Was ein die innere Stabilität stärkendes Ritual sein kann, kann sich leicht auch hier ins Gegenteil kehren, wie wir aus allen Zeiten und Kulturen kennen: Wie viele Kriege wurden im Glauben ausgetragen, dass "Gott auf unserer Seite" stehe... Verdrehen wir die Kraft von Symbolen und Ritualen nicht in ihr Gegenteil oder einseitig zu unseren Gunsten, können sie die eigene Praxis hingegen inspirieren.

Im Sati-Zen verstehen wir Buddhas und Bodhisattvas daher primär als Repräsentanten von Aspekten unseres eigenen Geistes! Dass diese Kräfte wie alles, was sich manifestiert, auch als gesammelte Energie Raum gewinnen, ist durchaus wahrscheinlich. Doch wir Menschen personifizieren sie zum einen vor allem deshalb, weil wir sie uns so besser vorstellen können, zum anderen können wir anhand von kunstvollen Darstellungen auch intensiv mit den spezifischen Qualitäten praktizieren.

Ebenfalls im Treppenaufgang zum Zendo steht, unterhalb des Bildes mit dem Äffchen, Bodhisattva Kshitigarbha. Er bringt Licht in die Dunkelheit der verblendeten Herzen und kümmert sich um all jene, die Angst haben - vor dem Sterben und vor allem im Leben, das sie nicht oder nicht mehr kontrollieren können. Er symbolisiert die Kraft, die präsent ist, wenn wir keinen Ausweg mehr sehen und sie ganz besonders benötigen. Diese Qualität benennt der Text "Das Anrufen der Bodhisattvas" so:

Wir rufen deinen Namen, Kshitigarbha.
Wir möchten lernen, so wie du dort gegenwärtig zu sein,
wo Dunkelheit, Leid, Bedrängnis und Verzweiflung herrschen,
und so wie du Licht, Hoffnung, Linderung und Befreiung bringen.
Wir üben uns darin, jene nicht zu vergessen,
die sich in verzweifelter Lage befinden.
Wir möchten alles versuchen, um uns mit jenen zu verbinden,
die keinen Ausweg aus ihrem Leiden finden und über keinerlei Mittel verfügen,
um Hilfe, Gerechtigkeit, Gleichheit und Menschenrechte zu fordern und zu erlangen.
Aus: Rezitationen der Sati-Zen-Sangha

Bodhisattva Samantabhadra gilt als der „Allumfassend Gute“ und als der Beschützer der Lehrenden. Er verkörpert auch die „Weisheit der Wesensgleichheit“ und die allesdurchdringende Güte.

Meist sitzt er auf einem weissen Elefanten mit sechs Stosszähnen als Symbol für Kraft und Ausdauer. Samantabhadra vereint Form und Leerheit und symbolisiert die Natur des Geistes mit seiner natürlichen Klarheit und seinem unerschöpflichen Mitgefühl.

Wir rufen deinen Namen, Samantabhadra.
Wir haben die feste Absicht, dein Bestreben zu verwirklichen,
mit den Augen und dem Herzen des Mitgefühls zu handeln.

Aus: Rezitationen der Sati-Zen-Sangha

Bodhisattva Avalokiteshvara, kurz Avalokita, ist wie erwähnt nicht nur im Garten, sondern auch im Haus sehr präsent. So finden wir sie bei aufmerksamen Betrachten auf verschiedenen Bildern im ganzen Haus.

Eine schöne hölzerne Avalokita-Statue befindet sich auf dem Altar im kleinen Zendo im Erdgeschoss. Die kleinste Avalokita befindet sich im Essraum neben der Küche. Vor der Arbeitsmeditation in der Küche wird bei diesem kleinen Altar jeweils eine Kerze angezündet, die kleine Glocke geweckt und ein Text gelesen:

Mit dem Zubereiten dieser Nahrung
dienen wir der Gemeinschaft.
Lasst uns sorgsam damit umgehen und
bedenken, woher die Nahrung kommt.
Lasst uns bei der Arbeit
Freundlichkeit, Geduld und Tatkraft üben.
Mögen alle Wesen genügend geistige
und physische Nahrung haben.

Vers für die Küchenpraxis im Haus Tao

Das grosse Altarbild wurde von einer Gruppe von Pilgern aus Südkorea nach Ladakh gebracht und Bhante Sanghasena, einem Freund von Roshi, geschenkt. Als Theravada-Mönch war ihm die Darstellung der weiblichen Bodhisattva nicht sehr nahe, und so fristete sie ihr Dasein in einem Abstellraum das Mahabodhi-Meditationszentrums in Leh/Ladakh, wo Roshi sie entdeckte. Bhante Sanghasena überliess Roshi das Bild bereitwillig als Geschenk.

Avalokita ist die bildliche Darstellung des Aspekts des Mitgefühls. Mitgefühl und Weisheit sind zwei Seiten derselben Hand und letztendliche Frucht aller Praxis. Oft reitet Avalokita auf einem Drachen. In der abendländisch-christlichen Kultur wird der Drache oft in Verbindung mit dem Teufel gebracht und negativ konnotiert; das menschenfeindliche Ungeheuer muss hier meist von einem Helden im Kampf überwunden und getötet werden. Der asiatische Drache hat meist eine wesentlich positivere Bedeutung als sein westliches Gegenstück. Er steht für den Frühling, das Wasser und den Regen, besitzt magische Fähigkeiten und ist überaus langlebig: Jahrtausende kann es dauern, bis er seine endgültige Grösse erreicht. Meist ist er beschützend, kraftvoll und Glück bringend.

Auf einem wunderschön gewundenen Birkenstamm im grossen Zendo sitzt Bodhisattva Manjushri. Er verkörpert unser Potential, die Unwissenheit zu überwinden und Weisheit zu erlangen. Mit seinem Schwert der Klarheit durchschneidet er unheilsame Gedanken, alle Hindernisse und unsere grundlegende Unwissenheit bezüglich unserer wahren Natur. In der linken Hand hält er den Stiel einer Lotusblume, die sich über seinem linken Oberarm erhebt. Auf ihr liegt ein Buch oder eine Schriftrolle als Zeichen des tiefen Verstehens (Skt.: prajna). Oft wird Manjushri auch auf einem Löwen reitend dargestellt. Manjushri steht für einen kristallklaren Geist, für Inspiration und Erkenntnis.

Wir rufen deinen Namen, Manjushri.
Wir haben die feste Absicht, so wie du tief in das Herz der Dinge
und in die Herzen der Menschen zu schauen.
[...]
Wir üben deinen Weg, mit dem Schwert des Verstehens
die Fesseln des Leidens zu durchschneiden
und so uns und andere Wesen zu befreien.

Aus: Rezitationen der Sati-Zen-Sangha

Auf dem Altar des Zendos sitzt Buddha Shakyamuni, der historische Buddha, dem wir die Ausformulierung der buddhistischen Lehre verdanken, in der Position der Meditation. Seine rechte Hand ist in der Geste der Erdberührung dargestellt. Diese Geste geht auf die Erzählung der Nacht vor dem Erwachen des Buddha zurück. Mara als Metapher für das, was Leiden verursacht und uns am spirituellen Fortschritt hindert, versuchte den unter dem Bodhibaum sitzenden Buddha vom Weg der Meditation abzubringen und am Erwachen zu hindern. Dabei stellte Mara zuletzt die Frage, wie es sein könne, dass Buddha hier in aller Ruhe sitze, während die Welt draussen im Leid versinke. Buddha berührte die Erde und sagte: Mutter Erde ist meine Zeugin, dass ich als Bodhisattva 84'000 Leben den Wesen gedient habe. Nun ist meine Zeit gekommen zu sitzen und die Lebensgesetze zu schauen.

Das Wort Buddha, „Erwachter“, bezeichnet im Buddhismus einen Menschen, der Bodhi, „Erwachen“, verwirklicht hat (budh = erwacht, vgl. oben). Deshalb wurde Siddhartha Gautama nach seinem Erwachen Buddha Shakyamuni genannt – der Buddha aus der Kriegerkaste der Shakyas.

Viele Praktizierende verbeugen sich vor dem Altar mit gefalteten Händen in Gassho (vgl. Verbeugungen).