Küche, Haus und Garten

Nicht-Selbst

Wie wir etwas in die Hand nehmen, zeigt uns ungeschminkt und direkt, wieviel Ich-Bezogenheit mit im Spiel ist. Sich mit den Tücken der Materie zu beschäftigen, ist deshalb ein exzellenter und naheliegender Weg, einen klaren Blick auf die Muster des eigenen Geistes zu werfen. Das alltägliche Tun ist dabei nicht nur ein Feld der Übung, sondern gleichzeitig eine Art "Meisterprüfung". Das Verständnis von Nicht-Selbst und Leerheit zeigt sich im gelebten Leben und nicht in unserem Wissen über die Dinge.

Küche, Haus und Garten als Praxisfeld

Vor Jahren verbrachte eine langjährig praktizierende Freundin einige Zeit in einem Zen-Kloster in England. In der Arbeitsmeditation wurde ihr eine Arbeit im Garten übertragen. Nach einer knappen Stunde hörte sie die Glocke zum Zazen, doch sie wollte die angefangene Arbeit noch rasch beenden. Bald schon stand ein Mönch hinter ihr und meinte, es sei wichtig, auch zu lernen, Dinge unfertig stehen zu lassen. Wie oft sagen wir auch im eigenen Alltag: "Lass mich nur noch schnell dies oder jenes tun!" Die Erinnerung des Zen-Mönchs war für unsere Freundin eine Glocke der Achtsamkeit (vgl. unten) - und kann es auch für uns jederzeit sein.

Der mittlere Weg

In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich auch die Frage der Verhältnismässigkeit. Wenn wir während der Arbeitsmeditation im Retreat beispielsweise fürs Mittagessen Gemüse rüsten, gilt die oben genannte Anweisung kaum. Und auch mit dem "überaus achtsamen Gemüserüsten" ist es so eine Sache... Wenn damit generell "besonders langsam" gemeint ist, bringen wir den Koch, die Köchin in Zeitnot, weil er oder sie erheblich in Verzug kommt - und wir erhalten unser Essen womöglich erst am Nachmittag...

Andererseits wollen wir auch nicht wie gehetzt durch Haus und Garten rennen. Deshalb kommt während der Arbeitsmeditation an unseren Retreats von Zeit zu Zeit jemand mit einer Glocke der Achtsamkeit bei allen Arbeitenden vorbei, weckt die Glocke durch einen ersten Kontakt mit dem Klöppel und lässt sie dann erklingen. Wir halten mit der Tätigkeit inne, hören den Klang der Glocke, atmen bewusst ein und aus, spüren unseren Körper und betrachten vielleicht den Ort, an dem wir gerade stehen. Und entdecken oft ein kleines Wunder, das wir sonst übersehen hätten: die Färbung des Himmels, die Wärme des eigenen Atems, ein Blatt an einem Baum, die Sanftheit des Herzschlags oder den über den Bach fliegenden Fischreiher...

Vorlieben und Abneigungen

Wie ausgeführt, ist Arbeit ein hilfreiches Mittel, unseren Geist zu betrachten. Dies beginnt an unseren Retreats schon, wenn wir uns für eine Arbeit in der aufliegenden Liste eintragen: Nach welchen Kriterien wähle ich aus? Will ich der Gemeinschaft dienen oder suche ich einfach nach dem bequemsten Job? Wie wäre es mit WC-Putzen oder mit dem Reinigen der Duschen? Die Frage nach angenehm und unangenehm steht hier meist überdeutlich im Raum und bringt uns in direkten Kontakt mit unseren Vorlieben und Abneigungen. Sind wir bereit, auch bei ganz alltäglichen Aspekten immer wieder über die eigene Komfortzone hinauszugehen?

Jenseits von Stress und Selbstverwirklichung

Der Umgang mit Nahrung, vom Ackerbau zum Einkauf bis hin zum fertigen Gericht, wurde wie die Pflege von Umgebung und Haus in den Zen-Schulen, wie wir gesehen haben, bereits früh zu einem Upaya, einem hilfreichen Mittel auf dem Weg zur grossen Freiheit. Und genauso die praktische Unterstützung der Lehrenden und Teilnehmenden während eines Retreats, z. B. durch Tätigkeiten während der formellen Übungszeiten im Zendo.

Im Haus Tao in diesem Sinn gezielt gelehrte Upaya sind das Kochen und die Arbeit in Haus und Garten. Diese Übungsfelder können wir an allen Retreats üben und in der Vertiefenden Praxis gezielt erlernen. Interessierte Praktizierende führen wir gerne auch individuell in diese Tätigkeiten ein und begleiten sie beim Erlernen derselben. Jedes dieser Hilfsmittel bietet auf jeder Stufe der Umsetzung reichlich Einblick in den eigenen Geist.

Die Tätigkeit als Tenzo (jap.), als Köchin oder Koch an unseren Retreats, ist also nicht nur praktisch fordernd: Ein einfaches, gesundes und schmackhaftes Mahl für eine rund 20-köpfige Retreat-Gemeinschaft dreimal täglich pünktlich zuzubereiten und dabei darauf zu achten, dass die Retreat-Atmosphäre nicht durch unnötige Geschäftigkeit beeinträchtigt wird, erfordert viel Übung! Sie ist genauso und in besonderem Mass auch lehrreich in Bezug auf die Entwicklung heilsamer Geistesfaktoren. Anfänglich sind wir meist konfrontiert mit Unsicherheiten und Ängsten; allein der Gedanke an eine bestimmte Aufgabe kann Stress erzeugen. Je besser wir mit der Aufgabe zurechtkommen und je vertrauter wir mit der Tenzo-Praxis werden, desto mehr mögen weitere Geisteszustände ans Tageslicht kommen: Bald einmal klopfen wir uns vielleicht selber auf die Schultern und beginnen, unsere Erfahrungen bzw. "Weisheiten" ungefragt zum Besten zu geben. Wir sehen uns bald einmal als Meister-Koch, als Meister-Köchin und erteilen allen in der Küche Mithelfenden ungebeten Ratschläge. Diese Geisteshaltung ist aus Sicht der Praxis weiterhin lediglich "weltlich". Erst wenn wir wirklich an der eigenen Egozentrik zu arbeiten beginnen, wird eine Arbeit wie erwähnt spirituell bzw. "überweltlich" und zeigt die Frucht unserer Praxis in Form von Einfachheit, Stille und Warmherzigkeit. Vgl. dazu auch: Lehren.

Als Shika (jap.), als Koordinator, Koordinatorin, können wir die Verantwortung für organisatorische Aufgaben im Haus Tao, dem Tempel der Sati-Zen-Sangha, erlernen und übernehmen. Die achtsame Ausführung der praktischen Aufgaben, die den Retreat-Alltag unterstützen, tragen viel zum flüssigen Tagesablauf bei und unterstützen alle in der Praxis. Die besondere Aufmerksamkeit des bzw. der Shika liegt auf der praktischen Umsetzung von Intersein, hier am Beispiel des Verständnisses für das fliessende Zusammenspiel der Gemeinschaft. Seine bzw. ihre Praxis ist immer auch Vorbild und Inspiration für die Praxis der ganzen Sangha. Auch hier geht es nicht um Perfektion, sondern um die ständige Übung des Anfängergeistes. Der oder die Sanno (jap.) oder Assistenz der Lehrenden bildet im Retreat-Alltag die Brücke zwischen den Übenden und den Lehrenden. Dies ist ein für die spirituelle Praxis äusserst interessanter Übungsbereich. Zum einen bearbeiten wir hier das Feld der (positiven wie negativen) Projektionen gegenüber einer Lehrperson. Zum andern betreten wir hier den Weg der Hingabe (siehe dazu Lehrer-Schüler).

Wir betrachten die Tätigkeiten von Shika und Sanno im Haus Tao als ein Übungsfeld und vermitteln es als Ganzes oder durch ein schrittweises Erlernen einzelner Elemente. An unseren Retreats haben wir im Haus Tao oft eine Retreat-Assistentin, einen Retreat-Assistenten, der oder die die Lehrenden und die Sangha in vielen praktischen Belangen durch Shika- und Sanno-Tätigkeiten unterstützt. So etwa beim Vorbereiten des Zendos vor dem Sitzen oder vor einem Dharma-Vortrag, beim Leiten des Morgenrituals oder beim Übernehmen von Instrumenten.

Zur Vertiefung