Karma-Yoga

Arbeit als Upaya

Wir sprechen im Zusammenhang mit dem hier vorgestellten Verständnis von Arbeit auch von Karma-Yoga (Skt.: karma; Wirken, Tat), einer Praxis also, die unser tägliches Handeln und Tun als Bereicherung und Intensivierung des spirituellen Weges erkennt und gezielt kultiviert.

Die Retreats im Haus Tao basieren auf dem Alltagsleben der Chan- und Zen-Tempel, sind jedoch an den modernen Lebensalltag angepasst. Wir tragen bei der Ausgestaltung der Sati-Zen-Praxis bewusst auch der Tatsache Rechnung, dass die meisten von uns im Alltagsleben stehende Praktizierende sind.

Körperliche Arbeit ist im Chan und Zen kein Widerspruch zur Sitzmeditation, vielmehr gilt sie als eigenständige Form buddhistischer Praxis. Wer je eine Dokumentation über das Leben in Zen-Klöstern gesehen oder vielleicht sogar selbst einige Zeit dort verbracht hat, weiss, dass der Klosteralltag meist aus viel Arbeit besteht und von zahlreichen Regeln geprägt ist. Auch während der intensiven Praxisperioden mit langen Meditationszeiten, schweigend eingenommenen Mahlzeiten und regelmässigen Zeremonien ist die körperliche Arbeit, wie etwa das Putzen, ein Teil der klösterlichen Routine und folgt dabei nicht nur Regeln und äusseren Notwendigkeiten, sondern stellt auch eine Form buddhistischer Unterweisung dar.

Mazu Daoyi war ein Schüler von Chan-Meister Nanyue (8. Jh.). Mazu war bekannt dafür, dass er stundenlang in Sitzmeditation verweilte. Eines Tages kam Nanyue vorbei, nahm zwei Ziegelsteine und rieb sie aneinander, was einen quietschenden Ton verursachte. Mazu sprach den Meister an und fragte, was er da denn um Himmels willen mache. Nayue antwortete, er wolle einen Spiegel anfertigen. "Aber daraus wird doch nie ein Spiegel werden!" "Genauso wenig kann aus Sitzen allein ein Buddha werden. Zazen ist nicht auf Sitzen beschränkt. Die Buddha-Natur hat keine feste Form."

Der Alltagsaspekt: Arbeit als Lebenserwerb

Wir können eine Arbeit oder Aufgabe auf ganz unterschiedliche Weise angehen. Der Buddha unterschied stets zwischen "weltlich" und "überweltlich". Weltlich können wir hier nahezu gleichsetzen mit "normal", weil wir in unserer Gesellschaft eine weitverbreitete Haltung zum Thema Arbeit haben, die einer Norm gleichkommt: Manche sehen in einer Aufgabe oder Arbeit lediglich den Imperativ, sie zu erledigen. Andere sehen darin vorrangig die Herausforderung, sie zustande zu bringen oder die eigene Fähigkeit unter Beweis zu stellen, also in erster Linie eine Leistung. Wieder andere verstehen sie als Pflicht, die es zu erfüllen gilt. Und manche wollen durch ihren Einsatz vor allem berühmt werden oder sich höchstmöglich bereichern. Eine Aufgabe kann in jedem Fall angenehm sein und uns Freude bereiten, oder sie ist unangenehm und lästig für uns - entsprechend gehen wir sie meist bereitwillig oder mit Widerwillen an.

Dass Arbeit oder das Verwirklichen eines Werks ein spiritueller Weg sein kann, entspricht hierzulande also gerade nicht der Norm. Wir finden eine solche innere Haltung hin und wieder bei Urvölkern oder in Klostergemeinschaften, bisweilen auch in der Kunst. Als die Buddha-Lehre nach China kam, hat Baizhang Huaihai im 8. Jh. die aus Indien kommenden Regeln für die buddhistischen Mönche, die Vinaya, reformiert. Insbesondere führte er den Ackerbau als Betätigungsfeld für die Gemeinschaft ein. Dies anstelle der bisherigen vollständigen Abhängigkeit der Klostergemeinschaften von Almosen, welche eine Form der Praxis darstellten, für die die chinesische bäuerliche Bevölkerung wenig Verständnis hatte. Daher wurde körperliche Arbeit in Klöstern eine Notwendigkeit, um die Gemeinschaft am Leben zu erhalten. Baizhang wurde berühmt durch seinen Ausspruch: "Ein Tag ohne Arbeit - ein Tag ohne Essen." Er lebte diesem Grundsatz selber bis ins hohe Alter nach und war jeden Tag bei der Gartenarbeit anzutreffen.

Der geistige Aspekt: Arbeit als Praxis

Im Tempelalltag der Zen-Schulen sind seit jeher alle angehalten, durch ihren tatkräftigen Einsatz zum Erhalt der Gemeinschaft und zur Aufrechterhaltung der gemeinsamen Praxis beizutragen - niemand kann sich diesen Aufgaben entziehen. In keiner anderen buddhistischen Tradition als im chinesischen Chan und später im japanischen Zen wäre man, der jeweiligen kulturellen Prägung entsprechend, je auf die Idee gekommen, dass ein Mönch, und gar einer aus einer sozial höherrangigen Familie, körperliche Arbeit verrichten würde. Im Chan und Zen hingegen wurde Arbeit mehr und mehr als wertvoller Aspekt der Praxis erkannt, durch die die Paramita wie Gebefreudigkeit (dana paramita; die Arbeit weitherzig, für andere tun), Geduld mit sich selbst und anderen (kshanti paramita) oder kraftvolles Bemühen und Ausdauer (virya paramita) bestmöglich entwickelt werden können. Die körperliche Arbeit verhindert, als spirituelle Praxis verstanden, zudem auch, dass der bzw. die Übende sich zu sehr in philosophischen Gedankenspielen verstrickt und spirituelle Nabelschau betreibt. Samu (jap.) holt ihn oder sie zuverlässig auf den Boden der Tatsachen zurück. Körperliche Arbeit wie Putzen, Tätigkeiten in Küche, Haus und Garten sind im Zen damit seit jeher eine gezielte Erweiterung der Meditationspraxis (dhyana paramita) und nicht ausschliesslich eine äussere Handlung und Lebensnotwendigkeit.

Bei Arbeit als meditativer Praxis geht es deshalb auch nicht primär um die Optimierung von Abläufen und Ergebnissen, sondern um einen Weg der Selbsterkenntnis hin zu einem nicht zweckorientierten, ganz auf das Tun ausgerichteten Handeln, bei dem sich der bzw. die Arbeitende selbst genügt und das, bei entsprechender Übung, weit mehr umfasst als konventionelles, "durchorganisiertes" Tun. Hier klingt der Bereich des selbstlosen Tuns an, des "Tuns im Nicht-Tun", der in Der Garten des Geistes ausführlich erläutert wird (siehe dort Kapitel 10: Wei-Wu-Wei - Tun im Nicht-Tun).

Die im Haus Tao in diesem Sinn gezielt gelehrten Wege werden im nächsten Kapitel beschrieben: das Kochen und die Arbeit in Haus und Garten als Upaya.

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Zu den inneren Lernprozessen von Arbeit als Praxis vgl. auch: