Lehren

Ein natürliches Vorbild sein

Im Sati-Zen betrachten wir Lehren als Upaya. Damit wird selbstverständlich, dass wir stets selber Schüler, Schülerin sind. Diese Grundhaltung ist Voraussetzung für jedes Lehren, auch wenn es sehr unterschiedliche Lehrformen gibt.

Weil es allzu oft vorkommt, dass Leute zu lehren beginnen, bevor sie jemals selber richtig Schüler, Schülerin waren, bildet ein gutes, praxisbezogenes Verständnis des Kapitels Lehrer-Schüler/Lehrerin-Schülerin eine wichtige Voraussetzung für das Thema des Lehrens.

Grundsätzlich beginnt Lehren nicht an einem bestimmten Punkt, sondern ist ein dynamisches Geben und Nehmen. Wenn wir das Bild oben einseitig betrachten, könnten wir denken, der Schmetterling befruchte mit den mitgebrachten Pollen die Blume. Doch das Leben basiert auf dem Gesetz der gegenseitigen Bedingtheit und auch der Schmetterling ernährt sich von der Blume. In ähnlicher Weise ist es Teil der Sati-Zen-Praxis, dass sie fliessend weitergegeben wird, von den Praxisälteren zu den Neueren, und dass auch die Praxiserfahreneren von den Jüngeren lernen können. So lernen wir z. B. miteinander, wie man geschickt Wissen weitergibt.

Beim Weitergeben von Wissen besteht die Gefahr, andere besserwisserisch zu belehren. Kennen wir uns in einem Gebiet besser aus als andere, fühlen wir uns schnell einmal überlegen, sofern wir nicht achtsam sind. Das Gefühl der Überlegenheit kann sehr subtil sein, doch ist es stets ein Ausdruck eines aufgeblähten Ego. Sind wir beispielsweise einige Zeit an einem Praxisort und nicht nur auf individuellen Rückzug bedacht, sondern wach für die Aspekte des Zusammenlebens, so lernen wir durch kontinuierliche, achtsame Praxis ganz natürlich vieles über die verschiedenen Abläufe eines Retreats und über die praktischen Belange im Retreat-Alltag. So wir offen und aufmerksam sind, wissen wir etwa bald einmal, wo sich etwas befindet, sei es im Zendo, im Haus oder Garten. Vielleicht haben wir darüber hinaus ein spezifisches Interesse an den Instrumenten oder am Kochen entwickelt und erlernen dies. Abhängig vom eigenen Charakter kann es dabei, wie wir bereits bei der Arbeit in der Küche gesehen haben (vgl. hier), leicht geschehen, dass wir uns unversehens in der Position einer Lehrerin oder eines Lehrer sehen und anderen ungefragt unser Wissen aufdrängen. Wenn uns jemand sagen würde, wir würden uns hier als Küchen-Meister oder Haus-Meisterin sehen, würden wir uns völlig unverstanden fühlen. Uns mag nicht bewusst sein, wie wir von aussen wahrgenommen werden, und genau hier beginnt ein neuer und sehr entscheidender Abschnitt unseres Weges!

Woran können wir dieses neue Stadium des Lernens beim Lehren bei uns selber erkennen? Vielleicht an einem leicht befehlerischen oder belehrenden Ton, mit dem wir anderen mitteilen: Tue dies, tue das - und mach es vor allem genauso, wie ich es gezeigt habe... Ein solches, meist stark autoritäres Vorgehen ist in vielen Zen-Klöstern in Ost und West bis heute gängig und wird gerne unter dem Titel "Lernen im Zen" vermittelt und romantisiert. Dieses Modell des Lehrens hat geschichtliche Wurzeln in den Klöstern Chinas, Japans und anderer Länder und ist vergleichbar mit den früheren Lehrmethoden auch in der westlichen Welt, sei es in den Klöstern oder bei der Ausbildung allgemein. Lehrlinge wurden noch bis vor nicht allzu langer Zeit oft systematisch schikaniert und Schläge gehörten zum (Schul-)Alltag für viele Kinder. Bleiben wir auch hier kritisch: Nur weil bestimmte Methoden nun unter dem Label der "spirituellen Praxis" oder des "Zen" laufen und wir sie gerade deswegen vielleicht für besonders "authentisch" halten, müssen wir sie nicht automatisch gutheissen und fortführen. Die Beschreibung eines freundschaftlichen Lehr-Modells findest du im nächsten Kapitel.

Beim Lehren gilt es besonders auf die eigene Motivation und das eigene Verhalten zu achten: Hat sich etwa ein neues "Lehrer-Ego" eingenistet, unabhängig davon, ob wir von jemandem zum Lehren autorisiert wurden oder nicht? Zusammengefasst können wir sagen: Achten wir darauf, dass wir nicht bei jeder Gelegenheit "weise Vorträge" halten, wenn wir nicht gefragt werden.

Die Autorisation zur Lehrerin, zum Lehrer hat im Idealfall die Bedeutung, dass in der langen Traditionslinie aller Lehrenden seit Buddha Shakyamuni jemand hinter uns steht und uns das Vertrauen zum Lehren ausspricht, der bzw. die uns auf dem Weg vorangegangen ist und die Schwierigkeiten und Gefahren, die sich dabei auftun, selber kennt (vgl. Titel und Weihen). Eine Autorisierung sollte nicht aus Gefälligkeit oder strategischen Überlegungen geschehen, sondern als Anerkennung bzw. Bestätigung des Grades unserer spirituellen Entwicklung. Dass nichtsdestotrotz des Öfteren Lehrende vor allem deswegen autorisiert werden, weil sie gute Beziehungen haben oder sich interessante Formen der Zusammenarbeit eröffnen, ist einmal mehr allzu menschlich und gilt es kritisch zu betrachten.

Selbst mit Hingabe zu praktizieren und dadurch ein Vorbild zu sein, ist die natürlichste Art des Lehrens.