Upaya - Übungswege

Hilfreiche Mittel auf dem Weg

Die Beziehung von Form und Leerheit ist komplex, wie wir gesehen haben (vgl. hier). Der geschickte Umgang mit verschiedenen hilfreichen Mitteln ist entsprechend anspruchsvoll. Manche ziehen es daher vor, sich unvermittelt auf die "absolute Ebene" zu stürzen. Sie argumentieren, dass "Leerheit" sowieso nicht "erreicht werden" könne, wir somit keinerlei Methoden bedürften und im Grunde frei seien wie der grenzenlose Raum. Dies zu wissen würde reichen, damit wir die grosse Freiheit erfahren könnten. Solche Abkürzungen bringen unseren Herz-Geist jedoch nicht zum Erblühen.

Die Tatsache, dass der Buddha selbst 45 Jahre gelehrt hat, zeigt deutlich, dass er es als sinnvoll und notwendig erachtete, die unterschiedlichsten Hilfestellungen zu geben, die im jeweiligen Kontext und für die jeweilige(n) Person(en) passend waren. Dies sind die upaya oder upaya-kaushalya (Skt.), die geschickten oder hilfreichen Mittel.

Wenn wir nun fragen, was denn geschickte Mittel für die Realisation der letztendlichen Wirklichkeit sind, so gibt es ein wegweisendes Gelübde aus der Zen-Tradition, das hier hilfreich ist. In den Bodhisattva-Gelübden heisst es, die Upaya betreffend: Der Dharma-Tore sind unendlich viele - ich gelobe, sie alle zu durchschreiten. Die Paradoxie der Aussage ist augenfällig: Wie sollen wir alle Tore durchschreiten, wenn es unendlich viele gibt? Es geht hier um unsere Motivation, in unserem Kontext also um eine innere Einstellung der Offenheit gegenüber verschiedenen Hilfsmitteln und um die Bereitschaft, das uns Mögliche zu tun, den Weg selber mit echtem Einsatz zu gehen. Der Dharma-Tore sind zwar unendlich viele, doch liegt meist nur eines unmittelbar nahe. Das Wasser kocht - wir giessen den Tee auf.

Wir sind uns also bewusst, dass unsere menschliche Kapazität limitiert ist, handeln gleichzeitig aus einer weiten Motivation heraus und behalten damit den Nordstern im Blick. Wie ausgeführt geht es nicht um die Menge oder konkrete Anzahl der Dharma-Tore und genauso wenig um ein einzelnes, bestimmtes Hilfsmittel. Vielmehr liegt die Kunst in der Anwendung des oder der Upaya unserer Wahl. So gehört die formelle Meditation sicherlich als wichtiges und kraftvolles Instrument zur Praxis, auch wenn in manchen Schulen betont wird, dass es sich dabei in ihrer Schule nicht um eine Methode oder um ein Hilfsmittel, sondern um eine "Nicht-Methode" handle. Sofern damit nicht ausgedrückt wird, dass der eigene Ansatz als der höchste betrachtet wird, ist das natürlich korrekt. Verschiedene Hilfsmittel sind für verschiedene Menschen hilfreich. So können die verschiedenen Veranlagungen unterschiedlicher Personen genutzt und als Kraft auf dem Weg einbezogen werden.

Das Lehrgedicht von Thich Nhat Hanh zur Autorisation von Marcel zum Dharmacharya bringt diesen Aspekt poetisch zum Ausdruck:

The true Dharma is one.

But there are ten thousands of ways of realization.

Once the mind of love encompasses the whole cosmos,

The Dharma heritage will be handled beautifully.

Thich Nhat Hanh für Marcel (1994)

Es gibt nur ein wahres Dharma oder Lebensgesetz, doch gibt es verschiedene Tore, durch die wir Einsicht gewinnen können. Einige der Tore, die wir in der Sati-Zen-Praxis erlernen, werden in den nächsten Kapiteln dargelegt.