Sozialisation durch die Schule

Da Sozialisation als lebenslanger Prozess verstanden wird und somit auch die gesamte Schulzeit erfasst, gelten nachfolgende Ausführungen ebenso für die Berufsbildenden Höheren Schulen. Das Schulsystem hängt mit anderen gesellschaftlichen Bereichen zusammen und kann daher als Subsystem gesellschaftlicher Systeme verstanden werden, in denen menschliche Handlungstypen und Normen vergesellschaftet werden. Dies hat zur Folge, dass Schulsysteme in deren Entwicklung mit den gesellschaftlichen Entwicklungen korrelieren und das Bildungssystem der gesellschaftlichen Kontrolle unterliegt.

Nach Rolff lassen Analysen von Arbeitsbüchern einzelner Unterrichtsgegenstände erkennen, dass „Wertvorstellungen und Normen der Ober- und Mittelschicht dominieren und belegen somit die postulierte Behauptung, dass die Sozialisation durch die heutige Schule auf die Reproduktion der herrschenden Ideologie hinausläuft“.

Komplexe Gesellschaften zeichnen sich durch einen großen sozialen Wandel aus, der auch die Funktion des Schulsystems beeinflusst: „Sozialer Wandel über die Verbreitung von Wissen und durch Innovationen wird ein bedeutsames Element der Sozialisation in Bildungsinstitutionen“.

Bereits Mitte der Siebziger Jahre vertrat Fend die Ansicht, dass Schulen oftmals „Kompensatorische Einrichtungen“ seien, die lehren sollen, was außerhalb dieser Institution (beispielsweise im Elternhaus) verabsäumt wurde. Diese doch von etwas älterer Literatur stammende Aussage von Fend über Schulen ist heute aktueller denn je, da hinsichtlich Sozialisation das Elternhaus häufig versagt.

Seitens der Schule wird erwartet, dass die primäre Sozialisation in der Familie stattfindet und dort die Kinder auf die Schule vorbereitet werden. Aufgrund mangelnder Erziehung durch das Elternhaus und benachteiligten sozialen Situationen mancher Familien muss die Institution Schule Sozialisationsdefizite ausgleichen. Die jeweiligen Schulen drücken ihre Ziele, die vielfach auch als Sozialisationsziele bezeichnet werden können, vor allem in ihren jeweiligen Lehrplänen aus, die gleich der Schulbildung im weiteren Sinne von den vorherrschenden Werten und Normen der Gesellschaft abhängen. Der Schüler sollte selbstständig das Lernen organisieren, sich zugleich belehren lassen, sich nach den jeweiligen Vorgaben verhalten und bereit sein sich zu verändern. Zugleich sollte der Lehrer Lernen ermöglichen, sowie die Regeln, Normen, Freiheiten und Kulturtechniken vermitteln. Der Lehrer sollte als Lernpartner, Vertrauter, sowie Unterstützer wahrgenommen werden.

Im funktionalistischen Zusammenhang gesehen intendiert die Sozialisation die Werte, Normen, Einstellungen und Motive der bestehenden Gesellschaft an die Heranwachsenden weiterzuvermitteln. Der schulische Sozialisationsprozess sollte nicht nur lediglich die Arbeitskraft reproduzieren, sondern sollte auch in erster Linie der Mündigkeit der Individuen dienen .

Den Heranwachsenden sollten speziell in Berufsbildenden Höheren Schulen nötige Qualifikationen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, sowie fachspezifische Kenntnisse für eine spätere Berufsausübung vermittelt werden. In der umfassenden Literatur ist bei allen Autoren eine Gliederung der Aufgaben des Sozialisationsprozesses der Schule in zwei Dimensionen feststellbar. Zum einen wird die Dimension der rein fachlichen Qualifikation angesprochen, die das Erlernen von Informationen und praktischen Fertigkeiten beinhaltet. Zum anderen werden soziale Verhaltensweisen wie Respekt vor Autoritäten, Rücksichtnahme auf andere, Bereitschaft und positive Einstellung zu kooperativem gemeinsamen Arbeiten, disziplinierte Arbeitsweisen und das Ergreifen von Eigeninitiative als zentrale Bestandteile der Sozialisation durch die Schule erachtet.

In weiterführenden Schulen werden den Heranwachsenden entweder neue Verhaltensweisen vermittelt, oder erlernte und bestehende modifiziert oder „aufgefrischt“. Es ist in allen Altersstufen notwendig – also auch in den Berufsbildenden Höheren Schulen – grundlegende Tugenden wie Disziplin, Leistungsbereitschaft, Verlässlichkeit, Genauigkeit etc. einzufordern. Auch Fend bezeichnet Schulen als „Institutionen der gesellschaftlich kontrollierten und veranstalteten Sozialisation“ .

Der Sozialisationsprozess erfüllt eine Doppelfunktion. Zum einen dient er der Reproduktion der Gesellschaft. Soziale Systeme erhalten sich dadurch, dass die Merkmale des Systems erhalten bleiben. Dies erfordert, dass die Heranwachsenden so beeinflusst oder geleitet werden, dass die Verhaltensweisen, Einstellungen und Qualifikationen dem System dienen. Dabei geht es nicht um eine genaue Reproduktion in der neuen Generation. Das soziale System kann sich zwischen den Generationen auch wandeln. Das Individuum soll lediglich dazu befähigt werden, sich in sozialen Systemen zurechtzufinden und sich in diesen zu organisieren. Zum anderen soll durch Sozialisation das Individuum verändert und der Aufbau der Persönlichkeit ermöglicht bzw. gefördert werden.

In den Schulen werden Schüler mit Leistungserwartungen und Leistungsbeurteilungen konfrontiert und erhalten somit ein Bild über sich selbst. Die Lernenden werden zum Leistungsdenken animiert beziehungsweise lernen mit Beurteilung und Gerechtigkeit umzugehen.

Als weitere wichtige Funktion soll Schule nach Fend „… die Reproduktion grundlegender Wertmuster dieser Gesellschaft gewährleisten“ .

Literatur

Fend, H. (1974). Gesellschaftliche Bedingungen schulischer Sozialisation. Soziologie der Schule I. Weinheim und Basel: Beltz.

Fend, H. u.a. (1976). Sozialisationseffekte der Schule. Soziologie der Schule II. Weinheim und Basel: Beltz.

Melzer, G. (1976). Sozialisation in der Schule. Sozialpädagogik hilft Lern- und Verhaltensstörungen heilen. Freiburg: Herder.

Rolff, H. (1997). Sozialisation und Auslese durch die Schule. Weinheim und München: Juventa.