Weihnachtspredigt 2018

Predigt in der Christvesper 2018 – gehalten am 24.12.2018 um 18.15 Uhr in St. Ulrich zu Rastede

Liebe Gemeinde!

In Bethlehem wird Jesus geboren, ein kleines Dort am Rand der damals bekannten Erde. In Bethlehem gab es keine Disko, keinen ALDI, und kein Rotlichtviertel, von einem Finanzamt oder einer weiterführenden Schule gar nicht zu reden. Nach Bethlehem fuhr auch niemand zum Weihnachtsmarkt. Bethlehem nannten die Leute, je nach Lebenserwartung, ein gemütliches Dörfchen oder ein Kaff. Aber der wichtigste Grund, warum wir Bethlehem mögen, ist sein Gegensatz zur Weltstadt Rom. Rom und der mächtige Augustus, sie spielen nur eine Rolle, damit Jesus in Bethlehem geboren wird, erzählt Lukas. Das ganze Theater mit der neuen Steuer und dem Stress der Volkszählung hatte nur den Zweck, dass Maria ihr Kind nicht in Nazareth, sondern in Bethlehem zur Welt bringt. Und tatsächlich zählt die Welt seitdem die Jahre nicht nach Augustus, sondern nach Christus. Wie beruhigend!

Das alles wissen wir längst. Und dass wir das Weihnachtsfest so lieben, hängt ein gutes Stück mit diesem tief in uns abgelegten beruhigenden Gefühl zusammen.

Wo ist Gott?

Ich habe deshalb wirklich länger überlegt, ob ich Sie heute Abend aus diesem beruhigenden Gefühl aufscheuchen darf. Aber ich denke, wir müssen der Bibel erlauben, uns ins Gespräch und ins Nachdenken zu ziehen. Dann wird der schnelle Sprung von Bethlehem nach Rom zwar nicht einfach falsch. Aber er ist zu schnell.

Bethlehem, ein kleines Dorf am Rande – wenn Gott dort zur Welt kommt, Das heißt ja: Gott steht am Rande. Von der überwältigenden Mehrheit nicht beachtet. Eine Randfigur. Wollte er das sein? Oder haben ihn die Menschen dazu gemacht? Auch wir selber leben und denken doch oft genug so, dass Gott dabei keine Rolle spielt. Am Heiligen Abend, ja, da steht für kurze Zeit Bethlehem im Mittelpunkt. Da wollen wir auch auf die Kirche nicht verzichten. Aber sonst?

Und wo bist du, Adam?

Im Paradies ging Gott noch in der Nachbarschaft der Menschen spazieren, erzählt die Bibel. Und dann muss er auf einmal nach Adam rufen. Wir kennen die Geschichte. Adam und Eva hatten von dem einen Baum gegessen, der mitten im Garten stand, dem einzigen, den Gott ihnen verboten hatte. Es war so bequem, sie saßen ja mitten im Garten. Da brauchten sie nur mal den Arm auszustrecken und lange Finger zu machen.

Aus Faulheit das Naheliegende tun. Das nennt die Bibel Sünde. Und darum hat Adam sich versteckt und Gott muss ihn rufen. So fing das an, dass Gott an den Rand gedrängt wurde. Und vielen begegnet er seitdem gar nicht mehr, jedenfalls nicht so, dass sie ihn erkennen. Gott eine Randfigur. Ist das der Hintergrund von Bethlehem? Von Weihnachten?

Oder ist es genau umgekehrt: Gott ist an den Rand gegangen! Weil ihm die vielen leid taten, die von anderen zu Randfiguren gemacht worden sind? So wie Maria und Josef. Die wurden ja nicht mal gefragt, ob sie die weite Reise machen wollten. Die mussten einfach gehen. Und zwar buchstäblich - gehen. So wie die Menschen, die wir in den letzten Wochen durch Mexiko ziehen sahen zur amerikanischen Grenze im Süden Kaliforniens. Und dort war nicht mal ein Stall, sondern nur ein hoher Zaun und viele Soldaten.

Bloß nicht langweilig

Menschen am Rande. Auch die Hirten gehören natürlich dazu. Hat sich Gott ihretwegen zur Randfigur gemacht? Damit sie sich nicht verlassen fühlen. Und vielleicht auch in der Hoffnung, dass wir ihn da suchen, wir, die nicht am Rand leben, sondern in der Mitte, - manchmal tun uns die Menschen am Rande ja leid. Gott tut uns nicht leid in der Regel. Da haben wir ja immer die bequeme Ausflucht: Den gibts gar nicht. Gott einfach bestreiten kostet weniger als ihn bemitleiden. Aber: Einfach Luft zu sein für andere, das ist doch auch bestimmt für Gott nicht schön.

Merken Sie was: Wir, wir sind lieber mitten drin. Das ist bequemer. Und unterhaltsamer. Event heißt das neue Zauberwort. Und „langweilig“ ist seine Kehrseite. Die Anziehungskraft der Weihnachtsmärkte in den letzten Wochen – die kommt ja nicht nur davon, dass man da was kaufen konnte, was es anderswo nicht gibt. Ich kenne Leute, die kaufen da gar nichts, aber sie genießen das Bad in der Menge. Merken Sie was? Könnte es sein, dass wir Bethlehem eigentlich nur ab und zu aus Faulheit mögen? Dass es uns, wie überall die Menschen, im Grunde viel mehr nach Rom zieht? Weil wir Angst vor der Langeweile haben. Denn Langeweile ruft nach Ausfüllen, durch Nachdenken. Und durch Tun. Aber das ist anstrengend. Vielleicht sind wir also nur solange für das kleine Dorf am Rande, solange wir faul bleiben können. Und sind doch gar nicht so glücklich darüber, dass Gott sich für Bethlehem entschieden hat? Vielleicht denken wir im Stillen sogar: Selber schuld, Gott, dass du Randfigur geworden bist! Du hättest dich damals für Rom entscheiden sollen. Da spielt die Musik. Da geht die Post ab. Da kämst du groß raus! Geh mit der Zeit! Gott first! Das wärs doch!

Klar: Frieden auf Erden

Aber ich habe in der Weihnachtsgeschichte noch eine andere überraschende Entdeckung gemacht: Die Engel, die da bei den Hirten auftauchen draußen in der Wildnis, die bringen den Hirten die Nachricht: Euch ist heute der Heiland geboren. Und dann waren da auf einmal ganz viele Engel, die sangen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden.

In früheren Weihnachtspredigten - manche werden sich vielleicht erinnern, weil das oft nicht das war, was sie hören wollten – da bin ich immer gleich auf die zweite Satzhälfte zugegangen: Ehre sei Gott in der Höhe - und Friede auf Erden. Über das erste sind wir uns ja einig, dachte ich. Darüber brauchst du nichts zu sagen. Aber Friede auf Erden, das war eigentlich jedes Weihnachten ein heißes Eisen. Weil ja nie Frieden war, dieses Jahr auch nicht. Und wenn man fragt: Warum ist das so? Dann fällt einem schnell Amerika ein.

In Amerika hat offenbar jeder Mann (oder fast jeder) eine Pistole in der Jackentasche oder eine Flinte im Schrank. Darüber schütteln wir hier zwar alle den Kopf. Weil es doch kein Wunder ist, dass da alle Nase lang mit dem einen oder andern die Pferde durchgehen und dann sind auf einmal viel Tote da: in einer Schule, in einer Kirche, in einer Kneipe oder wo auch immer. In Amerika, da sehen wir alle ein, dass das eigentlich ein Wahnsinn ist mit diesen Waffen. Aber - werden Waffen nur in Amerika zu Selbstläufern? Und wir – wir sind dafür viel zu vernünftig? – ein ganz heißes Eisen!

Wie ehrt man Gott?

Diesmal bin ich aber schon an der ersten Satzhälfte hängen geblieben, die wir gewöhnlich mit Luther so zitieren: Ehre sei Gott in der Höhe. Wenn man das ins Hebräische oder aramäische zurückübersetzt – das war ja die Sprache der Leute in Bethlehem und so hat auch Jesus später gesprochen – im Hebräischen, da heißt dieses Wort „Ehre“ <kavod>. Und das meint in der Grundbedeutung ‚gewichtig‘, wertvoll, nicht leicht, sondern ernst nehmen. Nehmt Gott in der Höhe ernst, singen die Engel.

Wie haben wir s noch gelernt in den 10 Geboten: Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren; da ist das Wort wieder – kavod, ehren. Dieses Gebot „ du sollst deine Eltern ehren“ wurde ursprünglich im Volk Israel nicht frechen Teenies gesagt. Die 10 Gebote richteten sich allesamt an Erwachsene. Das 4. sprach sie darauf an, dass ihre Eltern vielleicht schon etwas hinfällig waren, jedenfalls nicht mehr das Sagen hatten in der Familie. Das darf nicht bedeuten, sagte ihnen das 4. Gebot, dass ihr sie nicht mehr ernst nehmt. Ehren sollt ihr sie, nicht sie wie Luft behandeln.

Wenn die Engel zu Weihnachten also singen: Ehre sei Gott in der Höhe, dann ist das eine mindestens genauso aufregende Sache wie der Friede auf Erden. Wir sind dafür verantwortlich, dass Gott nicht Luft ist für die Menschen. Wir müssen ihn und sein Wort ehren, also ernst und nicht leicht nehmen. Und das heißt zu allererst: Wir müssen darüber sprechen. Dafür kommt er zu uns auf die Erde an Weihnachten. Dass wir mit ihm und über ihn reden.

Worüber reden wir?

Vor einiger Zeit sprachen wir in einer kleinen Runde über die vielen verkaufsoffenen Sonntage in Rastede. Die sind ja so inflationär geworden, schimpfte einer. Man sollte die Geschäfte am besten jeden Tag offen halten; dann gäbs wenigstens keine Missverständnisse mehr. Eine Frau warf ein, wir müssten uns doch alle fragen, woher wir selbst die Maßstäbe für unser Verhalten bezögen. Und dann plötzlich sehr direkt: „Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, wer früher mit Ihnen von Gott gesprochen hat? Nicht am Sonntag in der Kirche, sondern im Alltag, da, wo wir versuchen, Erlebtes zu erzählen und zu beurteilen. Reden Sie z. B. mit ihren Kindern von Gott?“

Ich muss gestehen: Das saß. Die Frage lässt mich seitdem nicht mehr los: Habe ich Gott zu selbstverständlich genommen? Ist er am Ende auch in meinem Leben eine Randfigur geworden? Habe ich anderes für nötiger gehalten, weil ich dachte: Gott, der ist ja sowieso da. Um den braucht man sich nicht besonders zu kümmern? Was wäre geschehen, wenn Josef und Maria mit ihrem Kind nicht von Gott gesprochen hätten?

Ein bisschen Musik und Zeit zum Nachdenken

Weihnachten beginnt mit einem Stall, erzählt die Weihnachtsgeschichte. Zunächst war da ja wirklich nichts anderes, nur der Stall. Nicht mal das Kind. Oder Maria und Josef. Keiner ist schon da, wo Weihnachten ist. Weil nicht wir Weihnachten machen, sondern Gott. Alle Menschen müssen erst hingehen. Hinfinden.

Die Hirten z.B.. Sie waren nicht mal in Bethlehem. Sie waren ziemlich weit draußen, bei den Hürden, heißt es in der alten Lutherbibel. Hürden sind Hindernisse. Draußen sein ist eine Hürde, draußen sein behindert. Sie brauchen einen ganze Himmel voller Engel, bis sie endlich losgehen nach Bethlehem. Und die Weisen, die Könige, die waren noch ganz woanders. Im Morgenland, in Arabien. Und sie konnten sich deshalb auch nicht vorstellen, was der neu geborene König brauchte, den sie suchten.

Was wünscht du dir?

Kennen Sie das Gefühl? Man hat alles und möchte jemanden eine Freude machen – aber man weiß nicht, womit! Schrecklich, nichtwahr! Die Weisen packten das ein, womit sie sich auskannten: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Maria hat bestimmt gedacht, als sie damit ankamen: Ein Paket Pampers würde mir jetzt mehr helfen. So kluge, weltfremde Leute wie die Weisen aus dem Morgenland müssen anscheinend einen besonders langen Weg gehen, um zur Krippe zu kommen. Um Weihnachten zu finden, könnte man meinen. Ich weiß nicht. Vielleicht ist es ja auch genau umgekehrt: Die mit beiden Beinen mitten im Leben stehen, die stehen, die gehen oft nicht. Sie sind sich auch genug mit diesem Stehen. Und ihren Standpunkten. Die suchen nichts. Die machen sich nicht auf den Weg.

Ich möchte Ihnen heute jedenfalls den Gedankenanstoß mitgeben: Vielleicht genügt der Weg, den Sie heute hierher gemacht haben, in die Kirche, auch noch nicht, um Weihnachten zu finden. Horchen Sie mal. In sich hinein oder um sich rum: Wohin muss ich gehen, um Weihnachten zu finden? Vielleicht ist es nur ein einziger Schritt. Ein ganz bestimmter, der Sie schon lange beschäftigt. Oder der Ihnen plötzlich klar wird. Vielleicht ist es aber auch ein weiter Weg. So weit, dass Sie ihn gar nicht gehen können zu Weihnachten. Dass Sie fahren müssen. Oder telefonieren. Oder Geld überweisen.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will ihnen nichts aufschwatzen. Ich

will ihnen nur helfen, die richtigen Schritte zu tun. Sie wissen ja: Die Weisen aus dem Morgenland, die haben lange die Sternbilder studiert und dann einen weiten Weg auf sich genommen. Aber am Ende – Gott sei Dank: am vorläufigen Ende! - war er doch falsch und sie landeten bei Herodes, dem Kindermörder. Und erst ein paar Leute, die sich in der Bibel auskannten, konnten ihnen weiterhelfen. Und der Stern natürlich.

Warum nur ein Stern, ging mir durch den Kopf. Das meint doch bestimmt nicht ein Horoskop. Nein, ich glaube: Das meint einen Anknüpfungspunkt in dem, was meinen Alltag ausmacht. Für die Weisen waren Sterne ihre tägliche Arbeit. Da, ausgerechnet da haben sie Gott entdeckt. Oder richtiger: Einen kleinen Hinweis auf ihn. Und den haben sie ernst genommen. Man muss sich schon sehr konzentrieren, um einen Stern im Auge zu behalten. Im Handumdrehen ist Weihnachten nicht zu haben. Es braucht viele Schritte – mit den Füßen oder mit den Gedanken.

Stallgeruch

Ich finde es deshalb so tröstlich, dass Weihnachten tatsächlich im Stall stattfindet, nicht im goldstrotzenden Palast.

Sie kennen wahrscheinlich alle die Redensart vom Stallgeruch. Das ist ein Bild aus der Tierwelt. Der Mensch denkt spontan: Igitt! Aber wenn man sich ein bisschen mit Tieren auskennt, ändert sich das.

Als kleiner Junge wohnte ich auf einem Bauernhof. Und wenn der Knecht Johann das Pferd von der Weide holen musste, weil die Bäuerin wieder mal Kutsche fahren wollte, dann nahm er mich manchmal mit. Es war nicht weit, vielleicht einen halben Kilometer. Und wenn wir dann an das Gatter traten, dann stand die Stute schon da und schnaubte voll Erwartung. Dann packte Johann mich und setze mich mit Schwung der Stute auf den nackten Rücken. Ich klammerte mich in die Mähne, während Johann das Gatter aufmachte. Und dann, hui, gings nach Hause, bis vor die Stalltür. Den Weg brauchte ich dem Pferd nicht zu zeigen, den wusste es. Stallgeruch!

Vielleicht dürfen wir auch darauf hoffen, dass uns der Stallgeruch je und dann zur Krippe führt. Aber dafür muss man was tun. Man muss sich vertraut machen mit denen, die im Stall sind. Dann liegt Weihnachten auf einmal ganz nahe. Liebe Gemeinde, was würde aus unserer Welt, wenn die nächste Generation ohne den Stallgeruch von Bethlehem auskommen müsste? Das kann keiner wollen! Wirklich nicht! Amen