Predigt über Matthäus 8, 23-27

Predigt über Matthäus 8, 23-27

(gehalten am 4. S. n. Epiph., dem 28.1.1973 in St. Ulrich in Rastede

Lieder:

Zeuch an die Macht, du Arm des Herrn EKG 223, 1-4

Such wer da will ein ander Ziel EKG 249, 1-3

4

In dich hab ich gehoffet Herr EKG 179, 1-4

Jesus ist kommen EKG 53, 1+2+4

Liebe Gemeinde!

Nicht alle Wundergeschichten der Bibel machen es uns so leicht, gleich zum Wesentlichen zu kommen und nicht etwa bei der neumodischen Frage hängen zu bleiben, ob Jesus dies oder jenes "konnte" oder nicht. Um solche Fragen geht es ja in Wirklichkeit keiner der biblischen Geschichten. Nicht, was er konnte, wollen sie erzählen, sondern wer er ist - und das heißt praktisch: Wer wir sind - ohne ihn und mit ihm. Auf diese Frage - wer ist der Mensch ohne Gott und wer ist er mit Gott? auf diese Frage gibt unsere Geschichte eine, wie ich finde, aufregende Antwort, nämlich: Die Frage ist falsch - oder genauer: Sie ist eine Frage des Unglaubens. Unser Kleinglaube verleitet uns zu der Sicht: Hier der Mensch mit Gott und hier ohne Gott. Mag sein, daß Menschen vor Jesus so fragen durften, mag auch sein, daß Menschen heute so fragen dürfen, die effektiv nie von Jesus gehört haben - darüber wollen wir hier nicht spekulieren. Wir jedenfalls, wir dürfen nicht so fragen. Für uns gibt es das nicht: ein Leben ohne Gott oder mit Gott, sondern allenfalls ein Leben, in dem Gott – schläft.

Kann man das sagen? Oder ist das eine unangemessene Redeweise? Ich glaube, was sich da in uns sträubt gegen diesen Satz: Gott schläft! - das ist wenigser die Empörung derer, die sich als Gottes Freunde und Verteidiger verstehen, aals das Erschrecken über die Folgen dieses Gedankens. Machen wir uns klar, was damit gesagt ist. Damit bricht nämlich eine Weltanschauung zusammen, die uns alle von den unbedeutendsten Alltagsentscheidungen bis zu den großen Problemen der Weltpolitik bestimmt: die Weltanschauung von der Abgrenzung. Gott wird in Beschlag genommen genommen - oder das, was man dazu gemacht hat: die Wahrheit, die Freiheit, das Glück, die Ordnung. Man weiß dann, wo Gott ist - bzw. die Wahrheit, die Freiheit usw. - wo das ist und wo nicht Und die Folge ist notwendigerweise Abgrenzung: Zwischen Christen und Atheisten, zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten, zwischen Weißen und Schwarzen, zwischen meinen Kindern und deren Kindern, zwischen Arbeit und Freizeit.

All das sind in der Tiefe Folgen jener einen Urabgrenzung zwischen Gott und Mensch, zwischen Schöpfer und Schöpfung. Aus dieser Abgrenzung folgte Angst und aus dieser Angst neue Abgrenzung und Aggressivität, wie die Geschichte der Brüder Kain und Abel deutlich macht. Die moderne Psychologie weiß sehr vieles zu sagen über die Zusammenhänge von Geborgenheitserfahrung, von Angst und Aggressivität. Aber sie kann die Angst nicht nehmen, weil sie nicht die Vollmacht hat, die Voraussetzungen der Angst zu beheben und dem angsterfüllten Menschen zu sagen, was ihm gesagt werden muß: Gott ist nicht fort, abwesend, bei denen auf der andern Seite. Er ist mitten unter euch. Er schläft nur.

Vielleicht haben Sie einmal Lust, ein wenig in den Psalmen, dem Gebetbuch der Bibel zu blättern. Sie werden staunen, wie oft dort gerade diese Vorstellung auftaucht und deshalb der Schrei: Wach auf, steh auf, Gott! Und es ist darum wohl kein Zufall, daß gerade die Psalmform in der modernen Gebetsliteratur wieder eine so hervorragende Rolle spielt:

Eine Theologie, die im doppeltem Sinn "nach dem Tode Gottes" stattfindet - nach dem Tod einer allgemeingültigen Weltanschauung, in der Gott seinen festen Platz hatte, aber auch nach dem Tode einer Theologie, die bis an ihre eigenen Grenzen vorstieß, als sie versuchte, theologisch vom Tode Gottes zu reden - ich empfehle dazu für Interessierte das ausgezeichnete Buch von Heinz Zahrndt: Wozu ist das Christentum gut? - also im doppelten Sinn nach dem Tode Gottes: eine solche Theologie findet gerade in dieser Vorstellung der Psalmen eine brauchbare Denkform: Gott ist weder abwesend noch gestorben noch gar in Wahrheit nie gewesen - er schläft nur bisweilen.

Wir sollten jetzt freilich nicht unserm Prinzip vom Anfang untreu werden und uns zum Spekulieren hinreißen lassen: ob Gott das denn möglich sei, ob das nicht überhaupt eine viel zu menschliche, ja kindische Vorstellung von Gott sei. Natürlich ist das eine sehr menschliche Vorstellung. Es gibt überhaupt nur menschliche Vorstellungen von Gott. In dem Punkt hatte der atheistische Philosoph Feuerbach schon recht. Nur hätte er daraus nicht schließen dürfen, daß Gott also nur ein Phantasiegebilde sei.

Vom Glück, von der Angst, von so vielen Dingen - und nicht den unwichtigsten - haben wir nur menschliche Vorstellungen, oft genug nur sehr kindische Vorstellungen. Aber wer wollte im Ernst daraus schließen, daß es sie deshalb in Wirklichkeit nicht gibt – das Glück und die Angst und all das? Nein, bleiben wir unserer Devise vom Anfang treu und fragen wir die Geschichten danach, was sie sagen wollen.

Er schläft, was heißt denn das? Das heißt zunächst einfach: Er ist da, auch wenn wir im Augenblick nichts von einer Initiative von seiner Seite verspüren. Er hat seine Zusage: Ich bin bei euch alle Tage! nicht rückgängig gemacht, so daß wir Anlaß zu der Befürchtung hätten, auch seine übrigen Zusagen, seine Verheißung vom kommenden Reich Gottes, seine Zusage der Vergebung, sein Heilsruf an die Armen und Schwachen - das alles sei vielleicht auch nur das Papier nicht wert, auf dem es steht. Nein, der Satz des Psalmisten gilt noch: Das Wort des Herrn ist wahrhaftig, und was er zusagt das hält er gewiß (Ps. 33,4). Er ist da, er schläft vielleicht nur hinten im Boot.

Er schläft, das heißt aber auch: Er sieht offenbar keinen Grund zur Beunruhigung. Das aufgeregte Gerede und Gerenne der Jünger ist ganz unsinnig. Es besteht keine Gefahr für sie und ihr Schiff, trotz Sturm und Wellen.

An dieser Stelle müssen wir allerdings achtgeben, daß wir die Gelassenheit des Glaubens nicht unversehens mit der Gelassenheit der Dummheit verwechseln. Es gibt ja auch eine dumme Gelassenheit, die angesichts drohender Gefahr allenfalls den Kopf in den Sand steckt. Solche Gelassenheit kann mörderisch sein. Das haben wir nicht nur in der eigenen Geschichte mit furchtbarer Anschaulichkeit erlebt? Das deutsche Volk gewinnt ja gerade in diesen Tagen diese Anschaulichkeit zurück. Im Fernsehen sieht manches näher aus als in Prozessberichten und dickleibigen Dokumentationen. Und in der Gegenwart erfahren wir das wieder – angesichts der Probleme von Umweltvereuchung und ungerechter Weltwirtschaft – diese dumme, mörderische Variante von Gelassenheit.

Man müsste dieses Gleichnis schon gegen Jesu ganzes Lebenswerk auslegen, wollte man von hierher einem dummsreisten Optimismus das Wort reden. Jesus tadelt ja nicht nur den Kleinglauben der Jünger, er bedroht auch den Sturm. "Da ward es ganz stille." Er tadelt ihre Sorge, die Wellen der Zeit könnten über ihnen und ihrem Herrn zusammenschlagen und das Boot der Kirche in den Abgrund ziehen. Diese Sorge ist in der Tat ganz und gar unnörig und grundlos. Wir brauchen unsern Herrn nicht zu warnen oder gar zu schützen, wie Petrus es später meinte, als er den Weg der Passion heraufziehen sah. Das ist Kleinglaube. Ja es ist in Wahrheit die Einflüsterung des Satans persönlich. So jedenfalls sieht es Jesus: "Hebe dich weg von mir, Satan, du bist mir ein Ärgernis; denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist. Wie viel sinnloses Gerede und Gerenne könnten auch wir uns sparen, wenn wir nicht so oft meinten, Gott heraushauen zu müssen. Natürlich wird unheimlich viel dummes Zeug über Glauben und Kirche geredet und verbreitet, und das aufzudecken und richtigzustellen ist auch gewiß nicht verboten. Aber wir werden uns stets die Frage gefallen lassen müssen, ob das geschieht aus der Sorge um ein Überleben unseres Glaubens oder aus der Sorge um die Menschen, die vielleicht durch solches Geschwätz gehindert werden, den Weg zum Leben zu finden. Oder, um es im Bild unserer Erzählung zu sagen: Nicht um das Boot und seine Insassen sollen sich die Jünger Gedanken machen, sondern allenfalls um die auf der andern Seite, die wegen dieses Unwetters vielleicht den Herrn in ihrer Mitte nicht zu sehen bekommen.

In dem Ruf: Hilf Herr, wir verderben! äußert sich die ganze Blindheit der Jünger für den Weg Jesu, den Weg seiner Passion. Bis heute sind wir Christen nicht frei von der Versuchung, Jesus von diesem Weg abzudrängen und eine Kirche mit Autorität, öffentlichem Ansehen und gesellschaftlicher Macht zu bauen. Weil wir immer noch nicht begriffen haben, daß Jesus auf dem Weg nach unten auf dem Weg zum Sieg ist, weil wir meinen, ihn warnen oder gar heraushauen zu müssen. "Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam." Aber noch einmal: Jesus bedroht dann doch den Sturm. Die Angst der Menschen ist ihm nicht gleichgültig, auch wenn er sie tadelin muß. Denn er weiß, was diese Angst anrichten kann, er kennt diesen tödlichen Kreislauf, den sie an Gang setzt, den Kreislauf von Angst, Abgrenzung, Agressivität und neuer Angst, der den Einzelnen wie die gesamte Menschheit bedroht.

Jesus packt die Angst von beiden Seiten: Er demonstriert dem Kleinglauben, daß er keine Existenzberechtigung hat. Und er stillt den Sturm und wendet die Bedrohung ab. So kann im Glauben der tödliche Kreislauf durchbrochen werden, so können Menschen frei werden, gelassen und doch wachsam zu sein.

Got;b schläft mitunter, vielleicht auch in deinem Lebensboot. Du hast keinen Grund, ihn zu wecken. Er weiß schon, wann er aufstehen muss. Aber wir dürfen ihn wecken, wenn dich die Angst überwältigt. Du bist ihm wichtiger als seine Ruhe, viel wichtiger. Amen