Ostern, Schöpfung und Klimawandel

Predigt über 1.Mose 1,1-4a.26-31: 2,1-4a – gehalten am 12.5.2019 (Jubilate) in Wahnbek

Das Osterfest wird schon seit den Anfängen der Christenheit als neue Schöpfung gefeiert. Dass die Frauen Jesus „am ersten Tag der Woche sehr früh“ nicht in seinem Grab fanden und von dem Engel erfuhren: Er ist auferstanden, hat nicht nur dazu geführt, dass seitdem nicht mehr der Sabbat, der 7. Tag als Gottes Tag gefeiert wird, sondern der erste Tag, der Sonntag. Es führte auch dazu, dass die Begründung für den Feiertag, die Vollendung der Schöpfung, vom Sabbat auf den Sonntag überging.; denn erst mit dem Sieg Jesu über den Tod in seiner Auferstehung wird das Ziel der Schöpfung genannt

Dass wir auf der Nordhalbkugel seitdem Ostern im Frühjahr feiern, hat diesen Gedankengang natürlich befördert. Die Erinnerung an die Schöpfungsgeschichte heute, am 3. Sonntag in der Osterzeit, das leuchtet unmittelbar ein, auch wenn man nicht viel von der Geschichte des Christentums weiß. Aber wir wollen nicht bei dem äußeren Zeichen der wieder erwachenden Natur stehen bleiben. Die Schöpfungsgeschichte als Ostergeschichte, das lädt zu einem vertieften Nachdenken ein.

Du bist nicht nur Ich, sondern immer auch Du. Der krasse Egoist, der nur an sich selbst denkt und immer nur fragt: Was hab ich davon? - er denkt nicht zu groß von sich, sondern zu klein. Und die von allen guten Geistern verlassene, die meint, niemand frage mehr nach ihr, soll wissen: Das kann ihr nichts und niemand nehmen, sie ist und bleibt ein Du. Das meint: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn“. Der Mensch ist nur ganz Mensch als Gegenüber, als Du Gottes und damit immer auch als Du seines Mitmenschen. Wer das abzieht, weglässt, leugnet, der reduziert, amputiert den Menschen, macht ihn kleiner, als er in Wahrheit ist.

Das steht im Zentrum dieser sog. Schöpfungsgeschichte aus dem Anfang der Bibel. Und das andere muss gleich hinzugefügt werden: Diese Offenbarung, diese Erkenntnis – du bist ein Bild, ein Gegenüber Gottes - ist Israel in der Gefangenschaft in Babel gekommen. Also nicht auf dem Höhepunkt des Glücksgefühls nach einem errungenen Erfolg, nicht im Augenblick seligen Staunens über „den gestirnten Himmel über mir“, nicht beim hingerissenen Anblick der nach langem Winter bunt und kraftstrotzend auferstehenden Natur. Nein, sondern angesichts der Erfahrung, dass man umstellt war in seinem Arbeitslager von den Bildern des babylonischen Großkönigs – wer seinerzeit aus dem Westen in die DDR fuhr und an der Grenze oder bei der polizeilichen Anmeldung oder im Bürgermeisteramt auf dem kleinsten Kuhdorf allüberall dem lächelnden Bild Erich Honneckers begegnete, der hat vielleicht eine matte Anschauung von diesem Umstelltsein, obwohl diese Bilder für uns aus dem Westen ja nur in sehr begrenztem Umfang Manifestationen von Macht waren, für mich hatten sie immer einen Hauch von rührendem „Gernegroß“, und das nicht nur, weil ich zufällig einen Kopf größer bin als Honnecker es war.

Aber schlimmer als die Bilder – in Babylon waren es natürlich keine Fotographien, sondern Skulpturen – schlimmer als diese Abziehbilder waren hier wie dort die „kleinen Großkönige“, die sich auf die Autorität dieser Bilder beriefen: die Aufseher im israelischen Gefangenenlager, die sich notfalls mit ihrer Peitsche Respekt verschafften bzw. der Stasiangestellte, der in der riesigen Zwangsmaschinerie eigentlich nur ein winziges Zahnrad war, aber gerade deshalb ständig seine Macht demonstrieren musste.

In dieser Situation, in der eigentlich Verzweiflung angesagt war, auch und ganz besonders Zweifel an der Macht Gottes – die siegreichen Truppen aus Babylon hatten doch genussvoll den Tempel auf dem Zion zerstört und mit den heiligen Geräten ein gröhlendes Saufgelage veranstaltet, ehe man die überlebenden Juden zum Abtransport zusammentrieb, um sie später in Babel in den feuchtheißen Flußniederungen als Zwangsarbeiter zu missbrauchen – in dieser elenden und scheinbar aussichtslosen Lage, in der jedem einzelnen Tag für Tag brutal vor Augen geführt wurde, wie wenig ein Menschenleben wert ist, offenbarte sich Israel Gott als der Schöpfer des Himmels und der Erde und als der, der jeden einzelnen zu seinem Bilde, zu seinem ganz persönlichen Du geschaffen hat. Dies allein lohnt schon eine Predigt und einen Gottesdienstbesuch. Denn diese Wahrheit kann in entscheidenden Stunden spürbar trösten und zurechtrücken.

Im Übrigen wäre zu diesem Text natürlich eine Menge zu sagen, viel mehr als eine einzelne kurze Predigt leisten kann. Zum Beispiel über die Frage, was das heute in meinem Leben heißt: Gott der Schöpfer.

Etwa wenn Menschen vor der Frage stehen, ob sie ein Kind, dessen Entstehung sich im Mutterleib andeutet, wirklich haben wollen. Oder was sie tun sollen, wenn sie sehnsüchtig auf eine Schwangerschaft warten und sie will sich nicht einstellen.

Oder, zur Zeit in aller Munde, was ist das mit dem Klimawandel? Können, müssen wir etwas dazu tun, dass nicht immer öfter Menschen irgendwo auf der Welt von sog. Naturkatastrophen heimgesucht werden. Und wenn ja, was? Welche Veränderungen unseres alltäglichen Verhaltens fallen uns ein? Und wollen wir uns solche Veränderungen auch wirklich zumuten? Auch wenn sie Geld kosten oder uns auffordern, auf Annehmlichkeiten wie die ständige Verfügbarkeit eines Autos oder den Flug in den Urlaub zu verzichten?

Ich lese gerade ein Buch mit dem Titel „Ökologische Theologie – Perspektiven zur Orientierung“. Da geht es um diese und viele andere Fragen. Ich muss zugeben: Ich verstehe längst nicht alles, weil die Verfasser versuchen, die Entdeckungen und Erkenntnis der modernen Naturwissenschaft für den Glauben zugänglich zu machen und ihn an den Maßstäben der biblischen Aussagen zu prüfen. Aber soviel ist mir schon klar: Wir denken zu kurz, wenn wir bei Schöpfung nur an etwas denken, was irgendwann am Anfang war. Und seitdem läuft etwas ab, was Gott der Natur als Gesetzmäßigkeit eingepflanzt hat.

Gott ist der Schöpfer und Erhalter, haben die Väter und Mütter unseres Glaubens gesagt. Aber sie haben dabei nicht genug bedacht, dass wir Menschen als Gottes Ebenbilder auch dazu berufen sind, die Natur in ihrer ständigen Weiterentwicklung verantwortlich zu begleiten. Jürgen Moltmann, sagt das in seinem Beitrag so: Wir müssen lernen, die Schöpfung in drei Schritten zu denken: Als Schöpfung am Anfang – die Naturwissenschaft redet hier vom Urknall; als fortgesetzte Schöpfung, die sich nicht zuletzt in der Entwicklung der Lebewesen von den einzelligen Amöben bis zum heutigen Menschen darstellt. Und schließlich drittens als vollendete Schöpfung, die ihren Anfang in der Auferstehung Jesu Christi nahm, die wir zu Ostern feiern, und ihr Ziel in einem neuen Himmel und einer neuen Erde hat. Jesus hat das in seinem Ruf zur Umkehr angesprochen, als er sagte: Das Himmelreich, das Reich Gottes ist nahe herbei gekommen.

Diese drei Schritte der Schöpfung müssen wir uns immer wieder neu vor Augen führen; denn sie machen deutlich: Die Welt, wie Gott sie geschaffen hat und wie er sie von Anfang an haben wollte, ist nichts Fertiges, nichts Abgeschlossenen. Mit den Worten der modernen Naturwissenschaft, die damit der Bibel wieder ganz nahe gekommen ist, nachdem sie sie lange als Märchen und dummes Zeug verspottet hat: Die Welt ist ein offenes System, das ständig in Bewegung und Entwicklung ist. Und wenn wir Christen sagen: Dazu gehört auch die Auferstehung von den Toten am Ende unserer Zeit, dann hat die Naturwissenschaft dafür zwar noch keine eigenen Kategorien, aber sie kann nicht bestreiten: Das passt zu unserer Entdeckung vom „offenen System“, das widerspricht ihr jedenfalls nicht.

Von daher ist es eigentlich auch nur folgerichtig, wenn zu den biblischen Texten für den heutigen Sonntag Jubilate auch einer aus dem Alten Testament gehört, aus den Sprüchen Salomos. „Die Weisheit als Liebling Gottes“ ist sie in der Lutherbibel überschrieben und beginnt so: Die Weisheit sagt von sich: „Der Herr hat mich schon gehabtim Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf.. Als die Meere noch nicht waren, ward ich geboren … (und) als er die Himmel bereitet, war ich da...(und etwas später): So hört nun auf mich, ihr Menschen… Wer mich findet, der findet das Leben.“ (aus Spr 8, 22ff)

Das Thema Schöpfung ist zum Thema dieses 3. Sonntags nach Ostern geworden, weil die Christen in der Auferstehung Christi den Beginn einer Neuschöpfung der ganzen Welt erblickten. Folgerichtig haben sie den wöchentlichen Feiertag vom 7., dem jüdischen Sabbat, auf den „ersten Tag der Woche“ (Mark 16,2), den Auferstehungstag verlegt. Dass Gott den siebten Tag als Tag der Vollendung der Schöpfung mit seinem Ruhen segnete und heiligte, nimmt uns unabhängig von der Sorge um den Gottesdienst in die Pflicht, für gemeinsame Ruhezeiten einzutreten, für die Familie, für das Dorf oder die Stadt, für eine Region oder einen Lebensraum.

Wenn wir nicht als Ich, sondern erst als Du ganze Menschen sind, brauchen wir verbindliche Zeiten, an denen Gott uns und wir uns gegenseitig ansprechen können. Geben Sie deshalb dem Sonntag und dem Gottesdienst in Ihrem Umfeld eine Chance – um Gottes Willen, aber auch um unseres Menschseins willen! Amen