Rock and Roll

Rock and Roll ist ein wilder Tanz. Ein Paar muss gut harmonieren, damit dieser Tanz gelingt. Rock and Roll ist wie das Leben. Mann und Frau müssen sich gut aufeinander abstimmen, damit das Beziehungsleben gelingt. Sie müssen ein gutes Team sein. Rock and Roll stammt aus den fünfziger Jahren. Er war zu der Zeit der Studentenbewegung immer noch sehr beliebt. Die Rock and Roll-Königin hieß U. Mit ihr tanzte Nils einen langen Tanz. Sie blieben zwölf Jahre zusammen. An der Hamburger Universität nahmen sie an einem Rock and Roll-Kurs teil. Nils schleuderte U durch die Luft und fing sie wieder auf. Das funktionierte damals noch ganz gut. Später wurde der Beziehungstanz etwas schwieriger. Es war eher U, die Nils durch die Luft schleuderte. Und Nils landete nicht immer sanft auf den Füßen. Aber insgesamt war es eine schöne Zeit. 12 Alles begann im Schiurlaub. Nils arbeitete damals als Schiübungsleiter. Gleich nach der Ankunft in den Bergen ging es auf die Schipiste. Die Sonne schien und es lag Pulverschnee auf den steilen Abhängen. Die Luft war kalt und klar. Da stand Nils, der strahlende Held. Und vor ihm seine Schigruppe, die überwiegend aus Frauen bestand. Nils zeigt den Frauen einige elegante Schwünge, und alle waren begeistert. U war in der Anfängergruppe. Nils unterrichtete die Fortgeschrittenen. Aber er betrachtete auch die Frauen in den anderen Schigruppen. Wo war die zu ihm passende Freundin? Nils war auf der Suche nach seiner Traumfrau. U fiel ihm auf, weil sie so süß und hübsch war. Abends auf der Tanzfläche machte er sich an U heran. Er bat sie um einen Tanz. Erst dachte er, dass aus ihnen nichts würde. U war so abweisend. Doch als Nils innerlich bereits aufgegeben hatte, küsste sie ihn plötzlich. Einfach so. Mitten auf der Tanzfläche. Ohne Vorwarnung. Sie fand ihn vermutlich doch ganz attraktiv. Dann kam es, wie es kommen musste. Sie küssten sich immer weiter. Erst auf der Tanzfläche. Und dann in der Garderobe. Sie standen zwischen den vielen Mänteln und küssten sich stundenlang. Da hatten sich zwei Seelen gefunden. Beide waren voller Sehnsucht nach Liebe und Zärtlichkeit. Beide waren auf der Suche nach dem Mann und der Frau ihres Lebens. Beide merkten, dass sie irgendwie gut zusammen passten. U und Nils kamen sehr glücklich aus dem Schiurlaub wieder nach Hause. U hatte ihren Traummann gefunden und Nils hatte seine Märchenprinzessin wachgeküsst. Oder war es umgekehrt gewesen? Egal. Jedenfalls begannen die Vögel zu singen, die Glocken zu läuten und die Sonne schien ununterbrochen. Falls die Sonne einmal nicht geschienen haben sollte, so haben es U und Nils jedenfalls nicht bemerkt. Nils zeigte U sein kleines Haus im Grünen. Dort wurde sie von Jochen, Norbert und dem kleinen Kater interessiert begrüßt. Mit Norbert konnte U nicht so viel anfangen. Sie stand nicht auf MachoMänner. Aber Jochen mochte sie sehr gerne. Und den kleinen Kater natürlich auch. Nils und U machten lange Fahrradtouren durch den Wald. Sie paddelten mit dem Kanu auf dem kleinen Fluss, der an dem Grundstück vorbeifloss. Und sie machten Picknick im Sonnenschein auf einer Wiese zwischen vielen bunten Blumen. Sie liebten sich viel und konnten sich gut unterhalten. Ein Traumpaar. U wohnte damals in einer kleinen Studentenwohngemeinschaft in der Innenstadt. Dort gab es viele Feiern mit Rotwein, Kerzen und lauter Musik. Oft hörten sie irische Folklore. U liebte irische Folklore. Ihre Freundin war mit einem Mann aus einer irischen Musikgruppe befreundet. Das Hauptthema in Us Wohngemeinschaft war das gute Essen. Es gab viele Essgelage, die oft tagelang vorbereitet wurden. Jeder versuchte, den anderen mit seinen Kochkünsten zu übertreffen. Das machte Spaß. Nicht so viel Spaß brachte ihnen das Geschirrabwaschen. Das Geschirr türmte sich oft tagelang im Abwasch. Bis ihm die ganze Wohngemeinschaft in einer Großaktion zuleibe rückte. An ein Essgelage kann sich Nils noch gut erinnern. U und er waren an der Reihe das Essen zu kochen. Das dauerte normalerweise ziemlich lange. Sie hatten gerade nicht besonders viel Lust zu kochen. Sie waren mit anderen Dingen beschäftigt. Deshalb beschlossen sie etwas beim Kochen zu schummeln, damit es schneller ging. Sie gingen in den Supermarkt und kauften Fertiggerichte ein. Sie veränderten die Gerichte mit kleinen Zutaten, so dass das Essen schließlich wie selbstgemacht aussah. Und vor allem schmeckte 13 es wie selbstgemacht. Es war perfekt. Es wurde ein großer Erfolg. Die ganze versammelte Studentenschaft brach in Begeisterungsstürme aus. In der Wohngemeinschaft hatte U ein großes Zimmer mit einem Bett und einem alten Ofen. In ihrem Bett war noch etwas Platz. Nils zog, nachdem sie sich etwa drei Monate kannten, in Us Bett mit ein. Am Anfang war das sehr gemütlich. Aber nach einiger Zeit kauften sie sich doch lieber ein Doppelbett. Die Zeit der drei glorreichen Halunken war jetzt vorbei. Die Junggesellen-Wohngemeinschaft im Grünen wurde aufgelöst. Jochen zog ebenfalls mit seiner Freundin zusammen. Und Norbert ließ sich in einer anderen Wohngemeinschaft nieder. Dorthin nahm er auch den kleinen Kater mit. Das Haus wurde von Nils und U als Wochenendhaus genutzt. U entdeckte ihre Liebe zum Garten. Sie hat in der Folgezeit das ganze Grundstück in ein Blütenmeer verwandelt. Nach einem Jahr in der Studenten-Wohngemeinschaft suchten sich Nils und U eine eigene Wohnung. Die wilde Studentenzeit näherte sich dem Ende. Das Examen kam in Sicht. Nils gab seine vielen politischen Ämter auf und widmete sich der Examensvorbereitung. Im Laufe ihrer Beziehung machten U und Nils viele Reisen. U war ein großer Reisefan. Sie reisten nach Spanien, Portugal, Griechenland, Finnland und Frankreich. In Griechenland zelteten sie am Rande eines verlassenen Obstanbaugebietes. Vor dem Zelt plätscherte sanft das Mittelmeer. Die Sonne schien jeden Tag. Die Grillen zirpten. Es war wie im Paradies. Die Feigen, Orangen und Weintrauben wuchsen ihnen direkt in den Mund. Abends gingen sie in das nahegelegene Fischerdorf. Dort gab es ein schönes Restaurant mit vielen leckeren und preisgünstigen Gerichten. In Finnland regnete es oft. Die vielen Mücken nervten U erheblich. Das Schlafen im Auto brachte ihr keinen Spaß mehr. Zum Sex hatte sie auch nicht mehr ständig Lust. Nils war frustriert. Er hatte sich den Urlaub anders vorgestellt. Aber es muss im Leben ja auch nicht immer alles klappen. Der nächste Urlaub wurde wieder besser. Nach Frankreich fuhren Nils und U zusammen mit drei befreundeten Paaren. Es war eine lustige Gesellschaft. Sie redeten viel, lachten viel und badeten viel. Am Strand spielten sie Gruppenspiele. Sie faulenzten viel. Manchmal kauften sie auf dem Fischmarkt in der nahen Stadt ein. Dort gab es Muscheln, große Melonen, Käse und französisches Weißbrot. Abends gingen sie gemeinsam essen. Sie kosteten die französische Speisekarte von vorne bis hinten aus. In Frankreich ging es sehr gesellig und sehr fröhlich zu. Nach dem Frankreich-Urlaub gründeten die Frauen eine Frauengruppe und die Männer eine Männergruppe. Die Frauenemanzipation war damals ein wichtiges Thema in der westlichen Welt. Überall schossen Frauengruppen aus dem Boden. Sie forderten gleiche Rechte für alle, Frauenpower, bessere Männer und vor allem das Pinkeln im Sitzen. Die Männer waren verunsichert. Die Frauengruppe war für die Frauen sehr gut. Sie gab ihnen Kraft, viele wichtige Einsichten und gegenseitige Ermutigung. Die Frauen konnten gut zusammen reden, sie konnten gut über ihre Gefühle sprechen und entwickelten eine starke Frauensolidarität. Die Männer hatten es schwer mit ihrer Männergruppe. Sie saßen da und wussten nicht, worüber sie reden sollten. Sie wollten auch über ihre Gefühle reden. Aber das hatten sie noch nie richtig getan. Sie redeten lieber über Politik, über Frauen oder über Autos. Aber dazu waren die Männergruppen 14 nicht da. Die Männer sollten sich auch "emanzipieren". Darunter wurde damals verstanden, dass die Männer stärker weibliche Werte übernehmen sollten. Sie sollten ihr Macho-Verhalten ablegen, gerne im Haushalt mitarbeiten, ihre Gefühle zeigen und sich mehr in ihren Beziehungen engagieren. Die Frauengruppe bestand über viele Jahre. Die Männergruppe löste sich nach einiger Zeit wieder auf. Die meisten Beziehungen der damaligen Zeit zerbrachen. Die Männer kamen mit der neuen Rolle nicht zurecht. Das ist auch heutzutage viele Jahrzehnte nach der Studentenbewegung immer noch ein großes Problem. Die Männer wollen von den Frauen bedient werden und die Frauen erwarten eine partnerschaftliche Arbeitsteilung. Nils und U lösten das Emanzipationsproblem auf ihre Art. Sie bekamen ein Kind. 1980 wurde Florian geboren. Jetzt galten andere Werte. Jetzt war das Kind der Mittelpunkt in der Beziehung. Die Frage der Frauenemanzipation verschwand weitgehend im Hintergrund. Die Diskussionen drehten sich um die Kindererziehung und um die Organisation des Familienalltages. Florian verstand es, seine Eltern über viele Jahre hin von morgens bis abends zu beschäftigen. Die ersten zwei Jahre seines Lebens schrie er viel. Seine Eltern standen fast ständig unter Streß. Was brauchte ihr Kind jetzt? Womit konnten sie es zur Ruhe bringen? Tagsüber trug Nils seinen Sohn stundenlang im Tragesack durch die Gegend. Das mochte Florian gerne. Dann war er ruhig. Und Nils konnte seine Gesundheits-Spaziergänge machen. Nachts schlief U neben Florian. Dann war er auch ruhig. Sex gab es für Nils allerdings jetzt fast nicht mehr. Es war schwer für ihn sich daran zu gewöhnen. Nils lernte es, Windeln zu wechseln, er kochte Babybrei und verbrachte viele Stunden auf Kinderspielplätzen. Er spielte mit seinem Sohn mit kleinen Autos im Sand und baute Sandburgen. Nils hatte als Rechtsreferendar mehr Zeit als andere Väter. Er teilte sich die Kinderbetreuung mit U. U war froh, dass sie sich so regelmäßig etwas erholen konnte. Als Florian zwei Jahre alt wurde, hörte er auf zu schreien. Er konnte jetzt sagen, was er wollte. So einfach war das. U und Nils atmeten auf. Aber nicht lange. Sie gründeten eine Elterngruppe, um sich zu entlasten. Und hatten daraufhin noch mehr Arbeit als vorher. Es gab endlose Diskussionen über die richtigen Erziehungsmethoden und über die Probleme der Erwachsenen untereinander. Nils und U waren von der Studentenbewegung in die alternative Elternszene geraten. U übernahm als Mutter die Führung in der Familie. Das taten damals viele emanzipierte Frauen. Für Nils war das sehr bequem. Er konnte einen Großteil seiner Verantwortung abgeben. Aber es war auch eine Falle. U bekam die Hauptmacht in der Familie und Nils rutschte in die Kinderrolle ab. U hatte plötzlich zwei Kinder. Und sie versuchte beide zu erziehen. Das wiederum gefiel Nils nicht besonders gut. Er wehrte sich gegen die Erziehungsversuche und es gab viel Streit. Eine wichtige Aufgabe von Nils war es, Florian jeden Abend ins Bett zu bringen. Das tat er gerne, weil er dabei noch etwas meditieren konnte. Und Florian schlief immer gut ein. Er spürte die Energie der Ruhe, die von Nils ausging. Als Florian das Alter von vier Jahren erreicht hatte, entdeckte Nils die spirituelle Bedeutung der deutschen Volksmärchen. Er las viele Märchen und erzählte seinem Sohn jeden Abend vor dem Einschlafen eine schöne Geschichte. Seine Begeisterung für die Märchen steckte seinen Sohn so an, 15 dass Florian noch im Alter von zwölf Jahren gerne Märchen hörte. Natürlich ging Florian immer sehr folgsam ins Bett, weil er dann ja ein Märchen zu hören bekam. Ansonsten wuchs Florian normal auf. Er stellte zwar einige spirituelle Fragen, die Nils immer gerne beantwortete. Aber darüber hinaus interessierte sich Florian nicht für Spiritualität. Als Florian sechzehn Jahre alt war, machte Nils mit ihm eine Wandertour durch Schottland. Florian ging vorneweg und war begeistert über jeden neuen Berg, der vor ihnen auftauchte. Abends am Lagerfeuer war Florian begeistert, wie Nils nasses Holz in kurzer Zeit zum Brennen brachte. Nur die spirituellen Geschichten von Nils interessierten ihn nicht besonders. Er musste selbst für sich die Bedeutung des spirituellen Weges entdecken. Das tat er, als er zwei Jahre später als Austauschschüler in die USA reiste. Er beobachtete genau seine Mitmenschen und ihren Lebensstil. Dadurch gelangte er zum Nachdenken über sich selbst. Plötzlich fiel der Groschen. Florian erkannte, dass es gut für ihn war sich spirituell zu orientieren. Die Zeit ging ins Land. U und Nils waren jetzt zwölf Jahre zusammen. Mit seinem Sohn verstand er sich sehr gut. Aber mit U wurde die Beziehung immer schwieriger. Sie fingen an sich immer mehr zu streiten. Bis sie sich eines Tages fast nur noch stritten. Es gab nur noch das Negative, die Probleme und die Konflikte in der Beziehung. Nils entwickelte die Perspektive sich von U zu trennen. So hatte er sich sein Leben nicht vorgestellt. Und vor allem wollte er so nicht ewig weiterleben. Er war ein Anhänger der Harmonie in einer Beziehung. Er spürte, dass er eine harmonische Beziehung brauchte, um ein glückliches Leben führen zu können. Kurzfristige unharmonische Phasen in einer Beziehung konnte er akzeptieren. Aber nicht ein ewiges Streiten und ewige Machtkämpfe. Nils machte mehrere Rettungsversuche. Die negative Entwicklung zu einer Streitbeziehung hatte Nils das erste Mal etwa nach fünf Jahren bemerkt. Damals besprach er das Problem mit U. Beide wollten eine harmonische Beziehung. Sie beschlossen immer "Stop" zu sagen, wenn einer mit dem Streiten anfing. Mit dieser Technik konnten sie ihr Streitverhalten auf ein erträgliches Maß reduzieren. Die Beziehung war längere Zeit für beide zufriedenstellend. Aber dann gab es viel Examensstress, Florian schrie viel und vor allem entwickelten U und Nils unterschiedliche Beziehungsphilosophien. Nils vertrat eine spirituelle Sicht und U folgte der westlichen Psychologie. Danach soll man seine Gefühle konsequent ausleben. Wenn man wütend ist, dann soll man auch dem Partner deutlich seine Gefühle zeigen. U liebte ihre Wut, weil sie ihr Macht gab. Es ist deshalb verständlich, dass sie in der Tiefe ihrer Seele die spirituellen Ansichten von Nils ablehnte. Beide konnten sich nicht auf eine einheitliche Beziehungsphilosophie einigen. Den Hauptgrund für die wachsende Negativität in ihrer Beziehung sieht Nils aber in seinem langjährigen Examensstress. Dieser Streß raubte ihm auf die Dauer seine innere Kraft. Er war nicht mehr wie früher fähig, negativen Entwicklungen in der Beziehung positiv entgegenzusteuern. Nils wies U darauf hin, dass er sich unter diesen Umständen eines Tages von ihr trennen würde. Sie versuchten mehrmals ihr Beziehungsverhalten zu verändern. Einmal gelang es sogar für drei Monate nach einem schönen Urlaub. Aber dann war alles wie vorher. Obwohl diesmal auch U sich wirklich bemüht hatte, ihre Beziehung zu retten. 16 Die Dinge zwischen Nils und U wurden sehr schwierig. Sie hatten weder genügend gemeinsame Interessen, noch konnten sie gut miteinander reden, noch harmonierten sie sexuell. Sie gingen zu einer Beziehungsberatung. Aber sie konnten die negativen Strukturen in ihrer Beziehung nicht mehr auflösen. Nils zog in sein Haus am Stadtrand und wurde Yogi. U war ein Jahr lang sehr traurig. Dann suchte sie sich einen anderen Mann. Nils brauchte viele Jahre um U loslassen zu können. Er war ein halbes Jahr sehr traurig, sechs Jahre etwas traurig und in den folgenden sechs Jahren dachte er manchmal an U und manchmal vergaß er sein Beziehungsleid. Danach gab es einen inneren Umbruch und er war in seinem Leben als Yogi angekommen.