Die Glücks-Philosophie 

Nils war vom Anfang seines Lebens an auf der Suche nach dem großen Glück. Er suchte das Glück in Liebesbeziehungen, in der beruflichen Karriere und in schönen Reisen. Als er dreißig Jahre alt war, ergab sich eine gute Gelegenheit sein Wissen zu vertiefen. Er stand am Ende seines juristischen Referendariats. Die schriftlichen Arbeiten des Examens waren abgeschlossen. Jetzt musste er drei Monate warten, bis die Prüfer die Arbeiten durchgesehen und bewertet hatten. Diese drei Monate hatte er frei. Er überlegte sich, was er mit seiner vielen Freizeit anfangen sollte. Nils erinnerte sich an seine bislang erfolglose Suche nach dem dauerhaften Glück. Er kam auf die Idee, alle Bücher zum Thema Glück systematisch durchzulesen. Vielleicht konnten ihm die Glücksbücher bei seiner persönlichen Suche weiterhelfen? Er durchforstete die Bibliotheken nach wissenschaftlicher Glücksliteratur. Er sah die gesamte Literatur zum Stichwort "Glück" durch. Er kaufte sich alle Bücher, die ihm bei seiner Suche hilfreich zu sein schienen. Insgesamt kaufte er sich etwa zwanzig Bücher. Dann zog er sich in sein Studierzimmer zurück und las sie alle nacheinander durch. Zuerst verwirrte ihn die Vielfalt der Ansichten über das Glück. Aber nach etwa zwei Monaten sah er die Dinge klarer. Er erkannte, welche Autoren sich auf dem Holzweg befanden und welche ein Gespür für den echten Glücksweg hatten. Die meisten Autoren tappten bei ihrer Glückssuche völlig im Dunkeln. Sie hatten in Wirklichkeit nichts begriffen. Das merkte Nils, als er ihre Ergebnisse mit seinen eigenen Erfahrungen verglich und gründlich über ihre Ansichten nachdachte. Einige Autoren hatten jedoch einen Blick für den wahren Glücksweg. Sie betrachteten die Menschen, die dauerhaft in ihrem Leben glücklich sind. Und stellten fest, dass diese Menschen sich im Wesentlichen durch zwei besondere Eigenschaften auszeichnen: durch ihre Positivität und durch ihre Bescheidenheit. Die besonders Glücklichen unter den Menschen dachten erstens positiv und besaßen zweitens eine bescheidene Wesensart. 17 Dass positives Denken zum inneren Glück beiträgt, leuchtet jedem vernünftigen Menschen ohne weiteres ein. Wer positiv denkt, erzeugt in seiner Psyche positive Gefühle. Das wird auch durch die aktuelle Glücksforschung bestätigt. Sie fordert alle Menschen auf: Denkt positiv! Aber was hat es mit der Eigenschaft "Bescheidenheit" auf sich? Diese Eigenschaft ist in der heutigen Zeit sehr in Vergessenheit geraten. Wir leben in einer Ego-Gesellschaft. Bescheidenheit wird hier eher als Untugend angesehen. Unbescheidenheit ist die große Lebensidee. Je mehr man will, desto mehr kriegt man. Das Problem der heutigen Lehre von der Unbescheidenheit besteht darin, dass das Ziel des Lebens am falschen Ort lokalisiert wird. Als Ziel des Lebens wird das größtmögliche äußere Glück gesehen. Die heutigen Konsumpropheten suggerieren, dass äußeres Glück automatisch auch innerlich glücklich macht. Das ist eine Irrlehre, die durch die Realität eindeutig widerlegt wird. Insbesondere funktioniert dieser Weg nicht langfristig. Mag das äußere Glück so groß sein, wie es will. Nach einiger Zeit hat sich die Psyche daran gewöhnt und nimmt es kaum noch als etwas Besonderes wahr. Selbst großer äußerer Reichtum macht nach einiger Zeit nicht mehr wirklich auf einer tiefen Ebene glücklich. Auch an einen attraktiven Partner und an regelmäßigen guten Sex gewöhnt man sich. Da hat man jahrzehntelang nach dem Traumprinzen gesucht oder für seinen materiellen Reichtum gearbeitet. Und dann verflüchtigt sich innerlich alles äußere Glück. Die heutige Glücksforschung hat festgestellt, dass eine ausreichende materielle Lebensgrundlage für das innere Glück wichtig ist. Aber danach wächst das innere Glück nicht mehr durch weitere äußere Güter, sondern durch seelische Faktoren. Das Streben nach äußerem Reichtum, beruflichem Erfolg und einem Traumpartner entpuppt sich immer nach einiger Zeit als ein großer Glücksirrtum. Jeder Mensch fällt einige Zeit nach äußeren Glücksereignissen auf sein psychisches Glücksniveau zurück. Wer in seinem Leben dauerhaft auf einer tiefen Ebene glücklich sein will, muss im Schwerpunkt sein inneres Glück entwickeln. Er muss seine inneren Verspannungen abbauen und Eigenschaften wie innerer Frieden, Liebe und Positivität pflegen. Das richtige Ziel des Lebens ist das möglichst große innere Glück. Wir müssen unbescheiden auf dem Weg des inneren Glücks sein. Wir müssen nach innerer Erleuchtung streben. Aber wir müssen bescheiden auf dem Weg des äußeren Glücks sein. Äußerlich sollten wir uns eher durch geringe Ansprüche auszeichnen. Die meisten Menschen verwechseln diese beiden Dinge. Im Yoga wird nicht so sehr das positive Denken, sondern noch mehr der innere Frieden als die Basis des inneren Glücks angesehen. Wer innerlich entspannt ist, denkt automatisch positiv. Das ist die Hauptrichtung des Yoga. Wer das innere Glück vom positiven Denken her erzwingen will, der verspannt sich dadurch leicht. Er wird nur oberflächlich positiv. Wie gelangt man am besten in die große innere Entspannung, aus der heraus das innere Glück entsteht? Der beste Glücksweg besteht aus einer Vielzahl von Techniken, die alle im richtigen Moment und jeweils im richtigen Verhältnis praktiziert werden müssen. Eine wichtige Technik ist das Üben der Bescheidenheit in äußeren Dingen. Wir nehmen das Leben an wie es ist. Und wir verspannen uns nicht durch große äußere Wünsche. Wir trainieren psychisch die Genügsamkeit und können dadurch leichter unseren inneren Frieden bewahren. Hier zeigt sich die Bedeutung der Bescheidenheit. Wer bei äußeren Dingen eine bescheidene Grundhaltung pflegt, bleibt leichter dauerhaft im inneren Glück. Er lebt entspannter, was sich 18 förderlich auf sein inneres Glück auswirkt. So erklärt sich die Tatsache, dass die Glücksbuchautoren bei den dauerhaft glücklichen Menschen eine überwiegend bescheidene Wesenart beobachten konnten. Nachdem Nils diese Dinge begriffen hatte, brauchte er noch einen zu ihm passenden Weg des konkreten Übens. Wie konnte er persönlich effektiv das positive Denken, die innere Bescheidenheit und das dauerhafte Glücklichsein üben? Gab es einen Weg, auf dem ein normaler westlicher Mensch das innere Glück verwirklichen kann? Diesen Weg fand Nils bei dem griechischen Philosophen Epikur. Später kamen noch Buddha und der chinesische Weise Laotse hinzu. Das waren seine drei ersten Meister. Alle drei waren sehr wissenschaftlich orientiert. Sie stellten praktische Regeln für das Üben des inneren Glücks auf, ohne sich in metaphysischen Spekulationen zu verlieren. Nils war von seiner Ausbildung her ein wissenschaftlich denkender Mensch. Er brauchte einen wissenschaftlich orientierten Weg, um sich auf das große Abenteuer der Spiritualität einlassen zu können. Epikur gab Nils die Vision vom Ziel des inneren Glücks. Epikur hatte als erster westlicher Philosoph die große Bedeutung des inneren Glücks klar erkannt. Als Weg dahin lehrte er vor allem das positive Denken. Wer beständig das positive Denken übt, lebt wie ein Gott (Buddha)unter den Menschen. Ein großer Jubel entstand in Nils. Ein Gefühl endloser Dankbarkeit gegenüber Epikur breitete sich in seinem Herzen aus. Epikur hatte ihm das Auge der Weisheit geöffnet. Epikur hatte ihm den Weg gezeigt, den er begreifen, annehmen und gehen konnte. Nach Epikur entwickelte sich sein spiritueller Weg Schritt für Schritt fast von alleine. Ist das richtige Ziel im Leben einem Menschen erst einmal klar, findet er im Laufe der Zeit auch den Weg dorthin. Je mehr er darüber nachdenkt, umso deutlicher wird ihm sein persönlicher Weg des inneren Glücks. Ist das Ziel erst einmal klar und will man es wirklich erreichen, dann entfaltet sich der Weg im Laufe der Zeit von alleine. Man muss nur seinem inneren Gespür und seiner Vernunft folgen. Man muss nur die Gegebenheiten seines Lebens optimal spirituell nutzen. Dann erreicht jeder Mensch zu der für ihn richtigen Zeit das spirituelle Ziel. Das ist die Erfahrung, die Nils auf seinem spirituellen Weg gemacht hat. Vielleicht gibt es eine geheimnisvolle Energie, die jeden Menschen auf dem spirituellen Weg führt. Wenn ein Mensch das spirituelle Ziel wirklich erreichen will. Das ist der Kernpunkt des spirituellen Weges. Erst muss sich der Mensch klar entscheiden. Dann kann seine innere Weisheit ihn optimal auf dem zu ihm passenden Weg zum Ziel bringen. Dann wird er aus seinem Unterbewusstsein heraus beständig klug geführt. Fehler erweisen sich als wichtige Lernerfahrungen. Leid bringt einen Menschen immer wieder zu sich selbst. Auf Verspannungslösungen folgen spirituelle Durchbrüche. Ausdauer wird belohnt. Gnade entwickelt sich dann, wenn man es kaum erwartet hat. Und plötzlich ist man im Licht. Man spürt Frieden, Liebe und Glück. Man ist in einem Zustand der tiefen Zufriedenheit mit sich und seinem Leben. Es entsteht das Gefühl einer großen Dankbarkeit. Nils forschte systematisch weiter. Er suchte in allen Religionen, spirituellen Wegen und psychologischen Systemen nach guten Techniken für seinen Glücksweg. Er probierte aus, was gut funktionierte. Er übernahm alles, was für ihn hilfreich war. Im Laufe der Zeit bastelte er sich so sein persönliches spirituelles System zusammen. 19 Nils erkannte, dass es nur eine Wahrheit gibt. Diese Wahrheit kann man Gott, Erleuchtung, Leben im Licht, spirituelle Selbstverwirklichung oder inneres Glück nennen. Alle spirituellen Systeme zielen nur auf diese eine Wahrheit. Sie unterscheiden sich nur in den Methoden und Wegen. Nils wurde zu einem Anhänger der Einheit aller Religionen und des individuellen Weges eines jeden Menschen. Der Hauptmeister von Nils in den ersten zehn Jahren seines spirituellen Weges war Laotse. Er schenkte ihm die Weisheit von einem Leben im richtigen Gleichgewicht. Nils übte es, alle seine Ziele auch einmal loszulassen und sich völlig zu entspannen. Er lernte es, seinen persönlichen Lebensrhythmus zu finden. Er besann sich immer wieder auf die Ruhe als Zentrum seines Lebens. Nachdem Nils seine ersten drei Meister Epikur, Buddha und Laotse gefunden hatte, schrieb er das Gedicht vom Weg des Glücks: "Ich habe gesucht, verzweifelt und ohne Hoffnung. Ich habe gekämpft, doch ich wusste nicht wofür. Jetzt habe ich ihn gefunden, den Weg des Glücks, den Sinn allen Lebens, das Ziel von Mensch und Tier. Es ist nicht das Reisen in der Welt. Es ist nicht der Weg von Macht und Geld. Es ist nicht die Liebe in der Nacht. Es ist deine eigene Psyche, die dich glücklich macht.“